Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.06.2023, Az.: 1 KN 194/21

Bebauungsplan; Beschäftigte; Discounter; großflächig; Hauptausschuss; nichtöffentlich; Nichtöffentlichkeit; Öffentlichkeit; Satzung; Sitzung; Unbeachtlichkeit; Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern; Verbrauchermarkt; Verwaltungsausschuss; Bebauungsplan für einen Verbrauchermarkt, Unbeachtlichkeit der Teilnahme nichtberechtigter Personen an Sitzungen des Hauptausschusses nach Ablauf der Jahresfrist des § 10 Abs. 2 Satz 1 NKomVG

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.06.2023
Aktenzeichen
1 KN 194/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 24162
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0615.1KN194.21.00

Fundstellen

  • DÖV 2023, 826
  • ZfBR 2023, 705

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein Verstoß gegen die Nichtöffentlichkeit einer Sitzung des Hauptausschusses (§ 78 Abs. 2 Satz 1 NKomVG), in der über eine kommunale Satzung beraten wird, wird gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 NKomVG nach Ablauf der Jahresfrist unbeachtlich, wenn keine rechtzeitige Rüge erfolgt.

  2. 2.

    Es bleibt offen, ob aus § 87 Abs. 4 NKomVG folgt, dass Beschäftigte der Kommune ohne Verstoß gegen das Gebot der Nichtöffentlichkeit generell und nicht nur themenbezogen an Sitzungen des Hauptausschusses teilnehmen können.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Antragsteller wenden sich als Plannachbarn gegen den Bebauungsplan "Discountmarkt Elmstraße / Bergstraße" der Antragsgegnerin; sie befürchten die Entstehung eines großflächigen Discountmarktes mit für sie unzumutbaren Beeinträchtigungen.

Die Antragsteller sind Miteigentümer des im Aktivrubrum bezeichneten und mit einer Doppelhaushälfte bebauten Grundstücks. Südlich gegenüber - getrennt durch die am Abhang des Elm von Westen nach Osten abfallende Bergstraße - liegt das gut 8.500 m2 große Plangebiet. Dieses grenzt im Westen und Norden an die Bergstraße, im Süden an die Elmstraße und im Osten an das Grundstück mit der postalischen Anschrift Am Volkspark 1. Bis zum Abbruch der Gebäude im Jahr 2016 war das Plangebiet mit sechs zweigeschossigen Wohngebäuden mit einer Höhe von über 10 m bebaut. Während das Gebiet nördlich der Elmstraße von Wohnbebauung geprägt und bis zur streitgegenständlichen Planung unbeplant war, liegt der Bereich südlich der Elmstraße im Geltungsbereich des Bebauungsplans "Klostergut St. Lorenz", der für die südlich an die Elmstraße angrenzenden Flächen ein Allgemeines Wohngebiet festsetzt.

Der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin beschloss am 25. Juni 2013 für das Plangebiet die Aufstellung eines Bebauungsplanes zur Errichtung eines großflächigen Nahversorgungsmarkts mit 1.200 qm Verkaufsfläche im Verfahren nach § 13a BauGB. Im Vorgriff auf diese Planung wurden der Beigeladenen entsprechende Teil-/Baugenehmigungen erteilt. In der Folge errichtete die Beigeladene eine Stützmauer sowie eine Bodenplatte für den Markt. Dem von den Antragstellern gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gab das Verwaltungsgericht Braunschweig im Januar 2016 (- 2 B 375/15 -) zunächst mit der Begründung statt, dass die Planung wegen der unzutreffenden Einstufung der nördlich benachbarten Umgebung als Allgemeines Wohngebiet abwägungsfehlerhaft sei. In der Folge wiederholte die Antragsgegnerin das Planaufstellungsverfahren im förmlichen Verfahren mit Umweltprüfung nebst Änderung des Flächennutzungsplans (Nr. 18) und beschloss am 16. Juni 2016 den Bebauungsplan "Discountmarkt Elmstraße / Bergstraße" als Satzung.

Gegen die der Beigeladenen auf Grundlage dieses - nicht bekannt gemachten - Plans erteilte Nachtragsbaugenehmigung beantragten die Antragsteller erneut einstweiligen Rechtsschutz, den das Verwaltungsgericht Braunschweig mit Beschluss vom 13. Dezember 2016 (- 2 B 251/16 -) ablehnte. Der hiergegen gerichteten Beschwerde gab der Senat mit Beschluss vom 2. März 2017 (- 1 ME 10/17 -) statt und führte zur Begründung aus, die Planung stehe nicht mit den Zielen der Raumordnung in Einklang und verstoße damit gegen § 1 Abs. 4 BauGB. Der Plan verletze das Integrationsgebot des Landesraumordnungsprogramms 2012 (Anl. 1 zur Verordnung über das Landesraumordnungsprogramm Niedersachsen v. 8.5.2008 i.d.F. der Änderungsverordnung v. 24.9.2012, nachfolgend LROP 2012), wonach Einzelhandelsgroßprojekte mit innenstadtrelevanten Kernsortimenten nur innerhalb städtebaulich integrierter Lagen zulässig seien (Plansatz Nr. 2.3 (03) LROP 2012). Hierzu zähle der Standort nicht, da er vom Zentrum des Ortes zu weit entfernt sei. Der geplante Markt sei abweichend hiervon auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil er nicht der wohnortbezogenen Nahversorgung diene (zu den Vorauss. Senatsbeschl. v. 28.9.2015 - 1 MN 144/15 -, BauR 2015, 1944 = BRS 83 Nr. 29 = juris Rn. 31-33). Er könne erkennbar nicht überwiegend aus dem in fußläufiger Entfernung (ca. 500 m) gelegenen Einzugsbereich wirtschaftlich betrieben werden.

Ein im Jahr 2017 im Auftrag der Antragsgegnerin erstelltes Nahversorgungskonzept kommt zu dem Ergebnis, dass neben den vorhandenen sieben Discountern, zu denen auch eine Filiale der Firma Aldi zählt, für die Ansiedlung eines neuen Lebensmitteldiscounters oder eines Supermarktes kein Bedarf bestehe. Allerdings eigne sich das Plangebiet für die Verlagerung eines der vorhandenen Discounter und ggf. dessen Erweiterung bis zur Grenze der Großflächigkeit, da das relativ große zusammenhängende Wohngebiet nördlich der Elmstraße weiter als zehn Gehminuten vom nächst gelegenen Lebensmittelmarkt entfernt liege, sodass eine gewisse Versorgungslücke bestehe.

Ein von der Beigeladenen bei einem Schallschutzbüro in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten vom 15. Februar 2019 untersuchte die zu erwartenden Emissionen durch die Warenanlieferung, den Betrieb der Kühlaggregate der Lkw, die Bewegungen der Einkaufswagen und Kunden-Pkw auf dem Parkplatz, die Betriebsfahrzeuge auf den umliegenden Straßen sowie durch Abluftanlagen und Wärmetauscher am Marktgebäude. Dabei legte der Sachverständige u. a. die Parkplatzlärmstudie des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz von 2007 zugrunde. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass durch das Bauvorhaben unter den Voraussetzungen der Errichtung einer 2 m hohen Lärmschutzwand, der Beschränkung der Anlieferungszeiten auf 6 bis 22 Uhr sowie der Benutzung des Parkplatzes auf 7 bis 20 Uhr an der umliegenden Wohnbebauung die jeweils maßgeblichen Richtwerte der TA Lärm für Gewerbelärm und für Verkehrslärm unterschritten würden.

Die Antragsgegnerin beschloss am 10. September 2020 die 20. Änderung des Flächennutzungsplans, in dem für den Bereich Bergstraße/Elmstraße eine Sonderbaufläche für einen nicht großflächigen Einzelhandelsbetrieb mit nahversorgungsrelevantem Sortiment festgesetzt wurde. Nach Genehmigung durch den Landkreis Helmstedt am 9. Dezember 2020 trat die Änderung am 6. Januar 2021 in Kraft.

Parallel hierzu führte die Antragsgegnerin ein neues Bauleitplanverfahren durch. Nach Aufhebung des Satzungsbeschlusses zu der bisherigen Planung stimmte der Rat der Antragsgegnerin in seiner Sitzung am 28. November 2019 dem 3. Entwurf des Bebauungsplans "Discountmarkt Elmstraße / Bergstraße" und seiner Begründung zu. Im Rahmen der öffentlichen Auslegung der Planunterlagen machten die Antragsteller und weitere Nachbarn mit Schreiben vom 30. Januar 2020 eine Vielzahl von Einwendungen geltend. In seiner Sitzung am 10. September 2020 entschied der Rat der Antragsgegnerin über die eingegangenen Stellungnahmen und beschloss den streitgegenständlichen Bebauungsplan als Satzung. Am 6. Januar 2021 wurde der Satzungsbeschluss im Amtsblatt für den Landkreis Helmstedt bekannt gemacht.

Bis auf eine in das Plangebiet einbezogene Teilfläche der Elmstraße setzt der Plan ein Sonstiges Sondergebiet für nicht großflächige Einzelhandelseinrichtungen mit einer Grundflächenzahl von 0,6, einem zulässigen Vollgeschoss in abweichender, d.h. offener Bauweise, wobei Gebäudelängen über 50 m zulässig sind, fest und begrenzt die maximal zulässige Firsthöhe auf 7,5 m über der mittleren Höhe der Bergstraße (= 163,10 m ü. NHH). In dem Sonstigen Sondergebiet sind folgende Nutzungen zulässig: "nicht großflächige Discountmärkte mit einer Verkaufsfläche von 800 m2 sowie die zugehörigen Nebenanlagen und Stellplätze. Der Anteil der Warengruppen Nahrungs- und Genussmittel, Kosmetik, Getränke, Drogerieartikel und Parfümerie am Gesamtsortiment des Einzelhandelsbetriebes muss mindestens 60% betragen." Im östlichen Teil des Plangebiets ist - wie in der vorangegangenen Planung - ein großes Baufenster festgesetzt, im westlichen Teil sind Flächen für Stellplätze ausgewiesen. Die Zufahrt ist zur Elmstraße hin vorgesehen. Entlang der gesamten Nordgrenze des Plangebiets sind Flächen zur Errichtung einer mindestens 2 m hohen Lärmschutzwand ausgewiesen. Diese ist im östlichen, dem Antragstellergrundstück gegenüberliegenden Bereich zwingend zu errichten.

Die Beigeladene will auf Grundlage der ihr unter dem 30. April 2021 erteilten Baugenehmigung in Gestalt der Nachtragsbaugenehmigung vom 18. August 2021 einen Discountmarkt mit einer Verkaufsfläche von 759,92 m2, einer Grundfläche von 1.499,99 m2 und 80 Pkw-Stellplätzen errichten. Im östlichen Bereich des Plangebiets, gegenüber dem Antragstellergrundstück, ist das ca. 66 m lange und im Verhältnis zum Höhenbezugspunkt 7,15 m hohe Marktgebäude geplant, über dessen volle Länge an der nördlich angrenzenden Bergstraße eine 2 m hohe, vollflächig begrünte Schallschutzwand vorgesehen ist. Hiergegen wandten sich die Antragsteller mit Widersprüchen vom 27. Mai bzw. 22. September 2021 und ersuchten das Verwaltungsgericht Braunschweig unter dem 9. November 2021 um Eilrechtsschutz.

Am 30. Dezember 2021 haben die Antragsteller gegen den streitgegenständlichen Bebauungsplan Normenkontrollantrag gestellt. Der Plan leide an einem formellen Fehler, weil die Beschlüsse des Hauptausschusses unter Verstoß gegen das zwingende Gebot der Nichtöffentlichkeit seiner Sitzungen getroffen worden seien. Bei der Antragsgegnerin sei es seit mehreren Jahren und durchgehend bis heute üblich, dass bei sämtlichen Hauptausschusssitzungen der Städtische Direktor, der Beamter auf Lebenszeit sei und nur ausnahmsweise als Vertreter des Hauptverwaltungsbeamten teilnehmen oder aufgrund eines Beschlusses aller Ausschussmitglieder zu einzelnen sachlichen Punkten angehört werden könne, zugegen sei. Die "Präklusionsvorschrift" des § 10 Abs. 2 Satz 1 NKomVG könnte gegen Art. 103 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG bzw. europarechtliche Vorschriften bezüglich eines fairen Verfahrens verstoßen, da die Antragsteller von dem Verstoß aus eigener Kraft nicht rechtzeitig Kenntnis hätten erlangen können. Dass sie diesen Fehler erst im Januar 2023 geltend gemacht hätten, sei unabhängig davon deshalb unschädlich, da mit ihrem vor Ablauf der Jahresfrist gestellten Normenkontrollantrag "quasi alle Rechtmäßigkeitsmängel der Satzung gegenüber der Antragsgegnerin als gerügt anzusehen" seien. Der Plan sei nicht aus einem wirksamen Flächennutzungsplan entwickelt worden; für dessen 20. Änderung ebenso wie für den angegriffenen Bebauungsplan fehle es an städtebaulichen Gründen. Die Antragsgegnerin gehe entgegen den Feststellungen des Nahversorgungskonzepts und des erkennenden Senats fälschlich davon aus, dass an dem Standort ein Nahversorger städtebaulich erforderlich sei. Einzelne Lücken der fußläufig erreichbaren Versorgung müssten nicht durch einen neuen Nahversorger geschlossen werden. Zudem seien ältere Bevölkerungsgruppen sehr gut mit dem Kfz mobil. Für die Ansiedlung eines Aldi-Marktes gebe es vorzugswürdige Standortalternativen im Stadtkern in unmittelbarer Nähe zum ZOB. Zudem eigne sich das Plangebiet - entgegen der Einschätzung der Antragsgegnerin - auch für eine Wohnnutzung. Hier sollten jedoch mit einer "Gefälligkeitsplanung" um jeden Preis die bereits getätigten Investitionen der Beigeladenen "gerettet" werden. Hinzu komme, dass der Plan einen Markt zulasse, der zwar hinsichtlich der Verkaufsfläche gerade eben den Schwellenwert zur Großflächigkeit unterschreite, in seinen Auswirkungen aber einem großflächigen Markt gleichkomme. Dies sei durch die übergroße Lagerfläche, die verkehrsgünstige Lage sowie die hohe Zahl an Stellplätzen bedingt. Zudem liege auf der Hand, dass die Beigeladene ihre Verkaufsfläche langfristig über die Schwelle der Großflächigkeit ausweiten wolle und werde. Damit verletze die Planung weiterhin das Integrationsgebot des LROP. Bei der Planung sei der Lärmschutz hinsichtlich der nahegelegenen Wohnhäuser nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die von der Beigeladenen in Auftrag gegebene Schallimmissionsprognose sei fehlerhaft und keine "worst case"-Betrachtung, sodass mit einer Überschreitung der Richtwerte zu rechnen sei. Die zu erwartenden Lichtimmissionen lasse die Planung unberücksichtigt. Es liege auch ein Verstoß gegen den sog. Trennungsgrundsatz vor, da hier ein immissionsträchtiger Gewerbebetrieb in unmittelbarer Nähe zu einem Reinen Wohngebiet geplant werde, ohne dass dies von städtebaulichen Gründen getragen sei. Hinzu komme, dass die Gesamtheit der durch die Planung ermöglichten Baumaßnahmen gegen das Verunstaltungsverbot der NBauO verstoße. Zudem gehe die Planung ausschließlich zu Lasten der Nachbarschaft und verstoße damit gegen den sog. Grundsatz der Lastengleichheit.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

festzustellen, dass der Bebauungsplan "Discountmarkt Elmstraße / Bergstraße, bekannt gemacht am 5. Januar 2021, unwirksam ist.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

den Antrag abzulehnen.

Sie verteidigt zusammen mit der Beigeladenen die Planung.

Der Senat hat die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 10. Februar 2022 (- 2 B 269/21 -), mit dem dieses den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen abgelehnt hatte, mit Beschluss vom 15. Dezember 2022 (- 1 ME 29/22 -) zurückgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der zulässige Normenkontrollantrag, über den der Senat nach Zustimmung aller Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet.

I.

Der Antrag ist zulässig, insbesondere sind die Antragsteller antragsbefugt. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren eine Person nur antragsbefugt, wenn sie geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist ein Antragsteller Eigentümer oder Nutzer von Grundstücken außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen. Das dort normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot gewährt ein subjektives Recht. Der Betroffene kann verlangen, dass seine eigenen Belange in der Abwägung entsprechend ihrem Gewicht "abgearbeitet" werden. Ein Antragsteller kann sich daher im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. In diesem Fall obliegt es ihm, einen eigenen Belang als verletzt zu bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (stRspr., vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 28.10.2020 - 4 BN 44.20 -, BRS 88 Nr. 171 = BBB 2021 Nr. 3, 53 = juris Rn. 7 m.w.N.). Gemessen hieran ergibt sich die Antragsbefugnis insbesondere aus dem von den Antragstellern geltend gemachten Interesse, von durch die Planung hervorgerufenen und im Verhältnis zu der bisherigen Nutzung gesteigerten Schallimmissionen verschont zu bleiben.

II.

Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

1.

Soweit die Antragsteller erstmals mit Schriftsatz vom 17. Januar 2023 geltend machen, dass die der Planung zugrundeliegenden Beschlüsse des Hauptausschusses und damit das gesamte Verfahren wegen eines Verstoßes gegen die zwingende Nichtöffentlichkeit der Hauptausschusssitzungen (vgl. § 78 Abs. 2 Satz 1 NKomVG) rechtswidrig sein könnten, dringen sie damit nicht durch. Der Frage, ob in den für die Planung maßgeblichen Sitzungen des Hauptausschusses - wie nach Angaben der Antragsteller seit mehreren Jahren und durchgehend bis heute üblich - neben dem Bürgermeister auch der Städtische Direktor, ein Beamter auf Lebenszeit, anwesend war, musste der Senat nicht durch Beiziehung der Sitzungsprotokolle nachgehen, weil die Frage nicht (mehr) erheblich ist. Abgesehen davon, dass bereits einiges dafür spricht, aus § 87 Abs. 4 NKomVG abzuleiten, dass die Beschäftigten der Kommune grundsätzlich an den nicht öffentlichen Sitzungen des Hauptausschusses teilnehmen dürfen und nur in den Fällen des entsprechend anwendbaren § 41 NKomVG ausgeschlossen sind, ist ein etwaiger Verstoß gegen die Nichtöffentlichkeit der Sitzungen des Hauptausschusses jedenfalls nach § 10 Abs. 2 Satz 1 NKomVG unbeachtlich geworden.

Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 NKomVG ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften des NKomVG beim Zustandekommen einer Satzung unbeachtlich, wenn sie nicht schriftlich innerhalb eines Jahres gegenüber der Kommune geltend gemacht wurde. Dabei sind die verletzte Vorschrift und die Tatsache, die den Mangel ergibt, zu bezeichnen (§ 10 Abs. 2 Satz 2 NKomVG). Ausgenommen sind Vorschriften über die Genehmigung oder die Verkündung der Satzung (§ 10 Abs. 2 Satz 3 NKomVG). Zu den von § 10 Abs. 2 Satz 1 NKomVG erfassten Formvorschriften gehören u.a. die Vorschriften über die Öffentlichkeit der Sitzungen der Vertretung, sodass beispielsweise die fehlende oder unzureichende öffentliche Bekanntmachung (vgl. § 59 Abs. 5 NKomVG) der Sitzung, in der der Satzungsbeschluss gefasst wurde, oder der fehlerhafte Ausschluss der Öffentlichkeit (vgl. § 64 Abs. 1 NKomVG; dazu BeckOK KommunalR Nds/Bahr, 24. Ed. 1.1.2023, NKomVG § 10 Rn. 23; Blum/Meyer, NKomVG Kommentar, 6. Aufl. 2022, § 10 Rn. 10) unbeachtlich werden können. Wenn demzufolge sogar die Sitzung, in der die Satzung beschlossen wird, bemakelt sein darf, kann für eine Verletzung der für die Sitzungen des Hauptausschusses angeordneten Nichtöffentlichkeit (§ 78 Abs. 2 Satz 1 NKomVG) nichts anderes gelten. Den Antragstellern ist zwar darin zuzustimmen, dass der Bürger von derartigen Verstößen schwerer Kenntnis erlangt. § 10 Abs. 2 Satz 1 NKomVG setzt aber keine Kenntnismöglichkeit voraus, sondern stellt insoweit allein auf das Verstreichen der Jahresfrist ab.

Die Antragsteller haben die behauptete Verletzung von § 78 Abs. 2 Satz 1 NKomVG nicht rechtzeitig gerügt. Soweit sie sich auf ihren Normenkontrollantrag vom 30. Dezember 2021 berufen, wahrt dieser zwar die Jahresfrist - eine Rüge ist auch in einem Verfahren möglich, an dem die Kommune beteiligt ist -, bezeichnet aber weder die verletzte Vorschrift noch die Umstände, die die Verletzung begründen. Dass mit Antragstellung "quasi alle Rechtmäßigkeitsmängel der Satzung gegenüber der Antragsgegnerin als gerügt anzusehen" seien, ersetzt die nach § 10 Abs. 2 Satz 2 NKomVG erforderliche substantiierte Rüge nicht. Diese ist erst mit Schriftsatz vom 17. Januar 2023 und damit über ein Jahr nach Ablauf der Jahresfrist erfolgt. Dass sich der Landesgesetzgeber im Bereich von Verfahrens- und Formvorschriften mit der Unbeachtlichkeitsregelung des § 10 Abs. 2 Satz 1 NKomVG dafür entschieden hat, nach Ablauf eines Jahres der Rechtssicherheit Vorrang vor der Gesetzmäßigkeit einzuräumen, begegnet keinen Bedenken und findet in § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB eine Parallele. Soweit die Antragsteller auf die Streichung der prozessualen Präklusionsvorschrift des § 47 Abs. 2a VwGO in der bis zum 2. Juni 2017 gültigen Fassung verweisen, rechtfertigt dies keine andere Bewertung, räumen doch die Antragsteller selber ein, dass damit nicht jede materielle Präklusion ausgeschlossen sei. Um eine solche handelt es sich aber bei § 10 Abs. 2 Satz 1 NKomVG. Vorgaben zur materiellen Präklusion, noch dazu im Hinblick auf bestimmte Form- und Verfahrensvorschriften, die keinen unmittelbaren Bezug zu Rechten Dritter haben, führen nicht zu einem Verstoß gegen den verfassungsrechtlich und europarechtlich gewährleisteten Grundsatz des fairen Verfahrens.

2.

Dem Bebauungsplan fehlt nicht die Erforderlichkeit gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Nach dieser Vorschrift haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit dies für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Was in diesem Sinne erforderlich ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde. Der Gesetzgeber ermächtigt die Gemeinden, diejenige Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Entwicklungs- und Ordnungsvorstellungen entspricht. Nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB sind u.a. Pläne, die einer positiven städtebaulichen Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht bestimmt sind. In dieser Auslegung setzt § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB der Bauleitplanung eine erste, wenn auch strikt bindende Schranke, die lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt (BVerwG, Urt. v. 10.9.2015 - 4 CN 8.14 -, BVerwGE 153, 16 = ZfBR 2016, 44 = BRS 83 Nr. 4 = juris Rn. 11 f.).

Gemessen daran fehlt dem Plan nicht die Erforderlichkeit. Das Ziel der Antragsgegnerin, eine von ihr auf Grundlage des Nahversorgungskonzepts festgestellte Unterversorgung des nordwestlichen Stadtgebietes mit fußläufig erreichbaren Einzelhandelsbetrieben mit überwiegend nahversorgungsrelevanten Sortimenten zu schließen und deshalb die Umsiedlung eines bestehenden Discounters zu ermöglichen, ist ein hinreichender Grund für die Planung. Soweit die Antragsteller hierin einen Widerspruch zu dem Beschluss des Senats vom 2. März 2017 (- 1 ME 10/17 -) sehen, verkennen sie, dass es dort um die raumordnungsrechtliche Zulässigkeit der Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs, vorliegend jedoch um die Ansiedlung von nicht großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit überwiegend nahversorgungsrelevantem Sortiment geht. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf seine Ausführungen in dem Beschluss vom 15. Dezember 2022 (- 1 ME 29/22 - n.v., BA S. 3-5) Bezug. Dass die Planung daneben der Beigeladenen hinsichtlich bereits getätigter Investitionen nützt, lässt dies die städtebauliche Erforderlichkeit nicht entfallen.

3.

Ein Verstoß gegen das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB liegt nicht vor. Soweit die Antragsteller meinen, dass er wegen der Zulassung auch großflächigen Einzelhandels weiterhin gegen das Integrationsgebot des Raumordnungsrechts verstoße, verkennen sie den Inhalt der Planung. Die Art der baulichen Nutzung ist auf nicht großflächige Einzelhandelsbetriebe mit überwiegend nahversorgungsrelevantem Sortiment beschränkt. Dem steht auch nicht entgegen, dass nach der Textlichen Festsetzung § 1 nicht großflächige Discountmärkte mit einer Verkaufsfläche von 800 m2 zulässig sind, die Schwelle der Großflächigkeit aber bereits ab 800 m2 erreicht ist (BVerwG, Urt. v. 24.11.2005 - 4 C 10.04 -, BVerwGE 124, 364 = BRS 69 Nr. 71 = juris Rn. 15; vgl. jüngst auch BVerwG, Beschl. v. 14.10.2019 - 4 B 27.19 -, NVwZ 2020, 322 = juris Rn. 11). Vor dem Hintergrund der Vorgeschichte der aktuellen Planung, die mit der Abkehr von der Großflächigkeit den Fehler des Vorgängerplans beheben will, dem durchgehend verwendeten Begriff "nicht großflächig" und dem Umstand, dass § 1 der Textlichen Festsetzungen in den Entwurfsfassungen bis zu der zuletzt ausgelegten Version die zulässige Verkaufsfläche mit "bis zu 800 m2" beschreibt (so auch die aktuelle Planbegr. S. 24), legt der Senat die Textliche Festsetzung "Verkaufsfläche von 800 m2" dahingehend aus, dass eine Verkaufsfläche von bis zu und ausschließlich 800 m2 gemeint ist. Die so verstandene Festsetzung schließt großflächigen Einzelhandel im Plangebiet sicher aus.

Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 15. Dezember 2022 (- 1 ME 29/22 -, n.v.) ausgeführt hat, ist für der Unterscheidung zwischen großflächigem und nicht großflächigem Einzelhandel zudem allein die Verkaufsfläche maßgeblich (BA S. 5). Insoweit kommt es auf die Ausführungen der Antragsteller zu den besonderen Umständen des Einzelfalls (Verhältnis Geschoss- zu Verkaufsfläche, Anzahl der Parkplätze, Lage an einer Bundesstraße), soweit diese überhaupt durch die Planung vorgegeben werden, ebenso wenig an, wie auf ihre Spekulationen bezüglich der beabsichtigten Ausweitung der Verkaufsfläche durch die Beigeladene, die vom Plan nicht abgedeckt wäre.

4.

Parallel zu dem streitgegenständlichen Bebauungsplan hat die Antragsgegnerin ihren Flächennutzungsplan entsprechend geändert und genügt damit den Anforderungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB. Soweit sich die Antragsteller gegen diese 20. Änderung mit der Begründung wenden, sie entbehre wie der Plan einer städtebaulichen Grundlage, ist dies nicht zutreffend (s.o.).

5.

Der Plan leidet auch nicht an Abwägungsfehlern, die seine Unwirksamkeit begründen.

Das in § 1 Abs. 7 BauGB verankerte Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung Belange nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt wird oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 - IV C 105.66 -, BVerwGE 34, 301 = juris Rn. 29). Zur Unwirksamkeit des Plans führen Mängel im Abwägungsvorgang nur, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (§ 214 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB). Solche Mängel liegen hier nicht vor.

Die Antragsgegnerin hat sich mit den Ausführungen der Antragsteller zu den von ihnen befürchteten Auswirkungen der Planung auf ihr Grundstück auseinandergesetzt. Sie hat nicht verkannt, dass sich das Wohnumfeld der Anwohner deutlich und - aus Sicht der Betroffenen - überwiegend nachteilig verändern wird. Diese Interessen hat sie mit einigem Gewicht in die Abwägung eingestellt und sich mit den Aspekten Lärm und erdrückende Wirkung des Baukörpers (Begr. S. 22), aber auch mit den von den Antragstellern eingewandten Lichtimmissionen (Abwägungstabelle S. 11) sowie der Verunstaltung i.S.v. § 10 NBauO (Abwägungstabelle S. 8 ff.) auseinandergesetzt. Dass sich die Antragsgegnerin gleichwohl zugunsten der Ansiedlung von nicht großflächigem Einzelhandel entschieden hat (Begr. S. 21 f.), ist nicht zu beanstanden. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 15. Dezember 2022 (- 1 ME 29/22 -, n.v., BA S. 5 f.) Verstöße gegen den sog. Grundsatz der Lastengleichheit und gegen den Trennungsgrund des § 50 BImSchG abgelehnt hat, hält er auch nach nochmaliger Überprüfung an den dortigen Ausführungen fest.

Soweit die Antragsteller vortragen, die Planung löse die von ihr hervorgerufenen Konflikte insbesondere hinsichtlich Lärm-, aber auch Lichtimmissionen nicht hinreichend, ist dies nicht zutreffend. Nach der - von den Antragstellern nicht erfolgreich in Frage gestellten (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 15.12.2022 - 1 ME 29/22 -, n.v. S. 7 f.) - Schallimmissionsprognose vom 15. Februar 2019 werden unter bestimmten Voraussetzungen die maßgeblichen Richtwerte der TA Lärm an der benachbarten Wohnbebauung eingehalten (S. 9). Mit der Festsetzung von Flächen für zwingenden bzw. optionalen Lärmschutz nahezu entlang der gesamten Nordgrenze des Plangebietes, der Anordnung der Stellplatzflächen und der Festsetzung der Zufahrt im Süden des Plangebiets hat die Antragsgegnerin einige der gutachterlichen Prämissen bereits auf Planebene umgesetzt. Dass sie die Vorgabe von Zeiten für die Warenanlieferung und die Betriebszeiten des Parkplatzes dem Baugenehmigungsverfahren vorbehalten hat, ist nicht zu beanstanden. Dies gilt auch - sofern überhaupt erforderlich - für Vorkehrungen gegen Lichtimmissionen.

Dass die Antragsteller meinen, dass in dem Plangebiet besser zumindest auch Wohnnutzung hätte geplant werden können bzw. sollen, begründet ebenfalls keinen Abwägungsfehler. Gleiches gilt für die von den Antragstellern für die Ansiedlung des Discounters als vermeintlich besser geeignet benannten Alternativstandorte in der Innenstadt. Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin nachvollziehbar dargelegt hat, warum diese aus ihrer Sicht nicht geeignet sind, unterfällt es der Planungshoheit der Antragsgegnerin zu entscheiden, wo in ihrem Gebiet sie welche Nutzungen ansiedeln will. Die Grenze ist erst überschritten, wenn sich eine andere als die gewählte Lösung unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig und unter allen maßgeblichen Gesichtspunkten als die bessere hätte aufdrängen müssen (vgl. Senatsurt. v. 24.2.2021 - 1 KN 3/19 -, BauR 2021, 916 = juris Rn. 42 ff. m.w.N.). Das ist weder dargetan noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 analog, § 709 Satz 1 und 2, § 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.