Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.06.2023, Az.: 4 LA 29/23

Rechtskraftmitteilung; Rechtskraftzeugnis; Keine Bindung des Rechtsmittelgerichts durch ein vorinstanzliches Rechtskraftzeugnis

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.06.2023
Aktenzeichen
4 LA 29/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 23104
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0619.4LA29.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 06.03.2023 - AZ: 1 A 3159/19

Tenor:

Die Anträge des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 1. Kammer - vom 6. März 2023 und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren im zweiten Rechtszug werden abgelehnt.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Antrag nicht als unzulässig zu verwerfen. Denn der Kläger hat den Berufungszulassungsantrag rechtzeitig gestellt. Nach § 78 Abs. 4 Satz 1 und 2 AsylG ist die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht zu beantragen. Gemäß dem vom Prozessbevollmächtigten des Klägers abgegebenen Empfangsbekenntnis ist das Urteil dem Kläger am 7. März 2023 zugestellt worden. Nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 endet eine Frist, die - wie hier - nach Monaten bestimmt ist, im Falle des § 187 Abs. 1 BGB mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Danach wäre der 7. April 2023 der letzte Tag der Frist gewesen, innerhalb derer der Kläger seinen Antrag auf Berufungszulassung hätte stellen können. Allerdings bestimmt §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 Satz 2 ZPO für den Fall, dass das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend fällt, als Fristende den Ablauf des nächsten Werktages. Da der 7. April 2023 der Karfreitag und damit ein allgemeiner Feiertag, der 8. April 2023 ein Sonnabend, der 9. April 2023 ein Sonntag und der 10. April 2023 der Ostermontag und damit ebenfalls ein allgemeiner Feiertag war (vgl. § 2 Abs. 1 lit. b und c NFeiertagsG), fiel das Fristende auf den Ablauf des 11. Aprils 2023 als nächstem Werktag. An diesem Tag und somit noch innerhalb der einmonatigen Rechtsmittelfrist hat der Kläger den Berufungszulassungsantrag gemäß dem Prüfvermerk beim Verwaltungsgericht gestellt.

Die Mitteilung des Verwaltungsgerichts an die Beklagte vom 12. April 2023, wonach die gerichtliche Entscheidung seit dem 8. April 2023 rechtskräftig sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Das Rechtskraftzeugnis ist nach §§ 173 Satz 1 VwGO, 706 Abs. 1 ZPO auf Grund der Prozessakten von der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges und, solange der Rechtsstreit in einem höheren Rechtszug anhängig ist, von der Geschäftsstelle dieses Rechtszuges zu erteilen. Das Rechtskraftzeugnis dient dem Nachweis der formellen Rechtskraft mit der Beweiswirkung des § 418 ZPO (Seibel, in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 706 Rn. 2). Es hat nur rein formelle Bedeutung und entfaltet keine Bindung der Parteien im Sinne einer rechtskräftigen Feststellung, ob und wann ein Urteil rechtskräftig geworden ist (BGH, Beschl. v. 2.12.1970 - IV ZB 32/70 -, juris Rn. 5; vgl. auch VG Würzburg, Urt. v. 20.11.2011 - W 1 K 11.260 -, juris Rn. 32). Ebenso wenig vermag das Rechtskraftzeugnis das Rechtsmittelgericht hinsichtlich des Eintritts der Rechtskraft zu binden. Daher kommt es für die Prüfung der Einhaltung der Rechtsmittelfrist durch den Senat weder darauf an, dass die Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts ein Rechtskraftzeugnis an die Beklagte versandt hat, obwohl keine Rechtskraft eingetreten war, noch kommt es auf das - inhaltlich unrichtige - Datum an, das in diesem Zeugnis mitgeteilt wurde.

Im Übrigen war die Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts zum Zeitpunkt der Ausstellung des Zeugnisses am 12. April 2023 für dessen Erteilung auch nicht mehr zuständig. Denn mit dem Eingang des Antrags auf Zulassung der Berufung am 11. April 2023 beim Verwaltungsgericht war das Rechtsmittel im höheren Rechtszug beim Oberverwaltungsgericht anhängig (Happ, in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 32; Seibert, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 223). Damit war auch die Zuständigkeit für die Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses nach §§ 173 Satz 1 VwGO, 706 Abs. 1 ZPO auf die Geschäftsstelle des Oberverwaltungsgerichts übergegangen.

Der Antrag ist allerdings unbegründet. Denn der Kläger hat den von ihm geltend gemachten Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.

Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 25.10.2022 - 4 LA 225/20 -, juris Rn. 3; GK-AsylG, § 78 Rn. 88 ff. m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 78 AsylG Rn. 15 ff. - jeweils m.w.N.). Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erfordert daher, dass eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und - im Falle einer Tatsachenfrage - welche neueren Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen (vgl. Senatsbeschl. v. 25.10.2022 - 4 LA 225/20 -, juris Rn. 3; GK-AsylG, § 78 Rn. 591 ff. m.w.N.). Im Rahmen dieser Darlegung ist eine konkrete und im Einzelnen begründete Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung geboten (BVerwG, Beschl. v. 2.5.2022 - 1 B 39.22 -, juris Rn. 18, 21 m.w.N.; Senatsbeschl. v. 25.10.2022 - 4 LA 225/20 -, juris Rn. 3).

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht. Der Kläger hat zwar die Tatsachenfrage als grundsätzlich bedeutsam bezeichnet,

"ob junge Männer - wie der Antragsteller - die von illegalen Organisationen rekrutiert werden sollten, um andere Menschen umzubringen, im Falle einer Rückkehr in den Niger ernsthaft mit asylrechtsrelevanter Verfolgung einhergehend mit einer ernsthaften Gefahr für Leib und Leben zu rechnen haben."

Er hat sich in seinem an diese Frage anknüpfenden Vorbringen aber nicht konkret und im Einzelnen mit der Begründung des erstinstanzlichen Urteils auseinandergesetzt. Auf die Entscheidungsgründe des von ihm angefochtenen Urteils ist er in seinem Zulassungsantrag nicht eingegangen; schon deshalb sind die Darlegungen des Klägers unzureichend.

Das Urteil geht - insoweit auf den zuvor am 26. Januar 2023 erlassenen Gerichtsbescheid verweisend - im Übrigen davon aus, dass die Angaben des Klägers zu dem von ihm behaupteten Anwerbungsversuch durch eine illegale Organisation unglaubhaft sind. Nach den vom Kläger nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen und für den Senat daher im Zulassungsverfahren bindenden Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts würde sich die von ihm aufgeworfene Tatsachenfrage daher in einem Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich stellen.

Da die Rechtsverfolgung des Klägers ohne hinreichende Erfolgsaussicht ist, bleibt sein Prozesskostenhilfeantrag ebenfalls ohne Erfolg (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG und § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).