Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.06.2023, Az.: 14 PA 54/23

Glaubhaftigkeit; Unterhaltsvorschuss Glaubhaftigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.06.2023
Aktenzeichen
14 PA 54/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 23507
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0630.14PA54.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 05.04.2023 - AZ: 4 A 171/22

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 5. April 2023 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Klägerin gegen den Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts ist unbegründet.

Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht nicht überspannt werden, um den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, nicht deutlich zu verfehlen (BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 -, juris Rn. 29 m.w.N.).

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Mai 2022 bis zum 16. August 2022 (Erlass des Widerspruchsbescheids) voraussichtlich kein Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen nach § 1 UVG für ihre am 9. April 2022 geborene Tochter zu, weil nicht im Sinne des § 1 Abs. 3 UVG von einer ausreichenden und vor allem wahrheitsgemäßen Mitwirkung der Klägerin auszugehen sei. Ihrer Mitwirkungspflicht komme eine Kindsmutter u.a. nicht nach, wenn sie die Umstände der Zeugung des Kindes detailarm und pauschal schildere und sich in diesem Zusammenhang in Widersprüche verwickele, so dass das Vorbringen in seiner Gesamtheit zu der Überzeugung führe, dass der Vortrag der Kindsmutter, zu der Identität des Kindsvaters keine weiteren Angaben machen zu können, unglaubhaft sei. In den Fällen, in denen sich die Kindsmutter nach ihrem Vorbringen nicht in der Lage sehe, den Kindsvater in einer für die Verfolgung von Unterhaltsansprüchen verwertbaren Weise zu benennen, sei es damit erforderlich, dass sie glaubhaft mache, aus welchen Gründen ihr dies nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Gegen die Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin spreche insbesondere, dass sie sich an bestimmte nebensächliche Details des Abends angeblich gut erinnern könne (z.B. genaue Uhrzeiten, Gästeanzahl bei der Feier, Getränkekonsum, Aussehen des Mehrfamilienhauses, in dem die Feier stattfand), aber alle Umstände, die den potenziellen Kindsvater beträfen, nur äußerst vage und sehr knapp geschildert habe. Die Klägerin habe weder Angaben dazu gemacht, worüber sie mit dem Kindsvater vor dem Geschlechtsverkehr gesprochen habe, noch wie es konkret zum Geschlechtsverkehr gekommen sei. Ferner sei beispielsweise unklar, ob sich die Klägerin und der potenzielle Kindsvater vor dem Geschlechtsverkehr geküsst hätten und wie sie sich konkret nahegekommen seien. Außerdem falle auf, dass die Klägerin keinerlei besondere äußere Merkmale des möglichen Kindsvaters genannt und auch keine subjektiven Empfindungen geschildert habe, warum sie sich auf den Geschlechtsverkehr mit ihm eingelassen habe. Wenn sie sich einerseits darauf berufe, damals viel Alkohol getrunken zu haben und sich daher an das Kennenlernen und die Kommunikation mit dem möglichen Kindsvater nicht mehr erinnern zu können, sei es andererseits widersprüchlich, dass sie sich bestimmte Details des Abends sehr gut in Erinnerung rufen und auch den genauen zeitlichen Geschehensablauf des Abends wiedergeben könne.

Der Senat teilt im Ergebnis diese vorläufige Würdigung des Verwaltungsgerichts. Angesichts des Aussageverhaltens der Klägerin und aufgrund ihrer Angaben hat auch der Senat den nachhaltigen Eindruck, dass sie die Nennung jeglicher Details zu der Person des Kindsvaters oder zu solchen Umständen, die Rückschlüsse auf dessen Identität zulassen könnten, bewusst vermeidet. Die Klägerin war zu dem fraglichen Zeitpunkt 27 Jahre alt, sie ist islamischen Glaubens und war damals nach ihren Angaben noch Jungfrau. Sie wohnte noch zu Hause in ihrem islamisch geprägten Elternhaus und war nach ihren eigenen Angaben von ihren Eltern "streng erzogen" worden. Angesichts dessen vermag der Senat nicht im Ansatz nachzuvollziehen, dass sie sich derart leichtfertig auf Geschlechtsverkehr mit einem völlig fremden Mann, dessen Vornamen sie noch nicht einmal kannte, in einer ihr unbekannten Umgebung eingelassen haben will. Ebenso wenig ist plausibel, warum sich die Klägerin, obgleich sie nach ihren eigenen Angaben "Alkohol gar nicht gewöhnt" war, von einem unbekannten Mann auf einer Feier, auf der sie im Wesentlichen ebenfalls niemanden kannte, hat "abfüllen" lassen. Auch die Angaben zu ihren anschließenden Nachforschungen bei ihrer Freundin sind in dieser Gestalt wenig überzeugend. Sollte das Aussageverhalten der Klägerin auf Umständen beruhen, die ihre Mitwirkung bei der Vaterschaftsfeststellung als unzumutbar erscheinen lassen könnten, hätte sie sich entsprechend einzulassen.

Dass eine Person, die Unterhaltsvorschussleistungen begehrt, allerdings gehalten sein soll, gegenüber der Behörde oder dem Gericht intimste Details zu offenbaren, die die konkrete Ausübung des Geschlechtsverkehrs betreffen, bzw. dass ein Anspruch gerade mit Blick auf die fehlende Preisgabe derartiger intimer Details verneint werden kann, hält der Senat indessen für zweifelhaft. Mehr als zweifelhaft wäre es aus Sicht des Senats überdies, zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass sie solche intimen Details nicht bereits im Einzelnen in dem vier-Augen-Gespräch mit dem für sie völlig fremden männlichen Behördenmitarbeiter offenbart hat.

Den Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss setzt die Klägerin im Beschwerdeverfahren im Kern lediglich entgegen, dass das Verwaltungsgericht die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannt und dadurch den Sinn der Prozesskostenhilfe verfehlt habe. Ob ihr Vorbringen zur Vaterschaft und der von ihr vorgetragene Sachverhalt unglaubhaft seien, sei erst in einer mündlichen Verhandlung durch ihre Anhörung zu klären.

Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwiderläuft, wenn der unbemittelten Partei wegen Fehlens der Erfolgsaussichten ihres Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe verweigert wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt sowie keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zu ihrem Nachteil ausgeht. Eine Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren ist nur in eng begrenztem Rahmen zulässig. Anderenfalls überspannt das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.7.2009 - 1 BvR 560/08 -, juris Rn. 11 ff., m. w. N.; OVG NRW, Beschl. v. 2.2.2023 - 12 E 438/22 -, juris Rn. 5). Hiervon ist im Fall der Klägerin aber nicht auszugehen. Denn selbst wenn im Klageverfahren - allerdings nur möglicherweise - noch eine weitere Aufklärung des Sachverhalts, etwa eine Befragung der Klägerin, erforderlich sein sollte, liegen hier wie zuvor dargelegt zur Überzeugung des Senats konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Beweisaufnahme jedenfalls mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Klägerin ausgehen wird (vgl. hierzu im Einzelnen BVerfG, Kammerbeschl. v. 23.1.1986 - 2 BvR 25/86 -, NVwZ 1987, 786; Kammerbeschl. v. 7.5.1997 - 1 BvR 296/94 -, juris Rn. 22; Stattgebender Kammerbeschl. v. 20.2.2002 - 1 BvR 1450/00 -, juris Rn. 12; Sächs. OVG, Beschl. v. 15.4.2014 - 3 D 4/14 -, juris Rn. 3; OVG NRW, Beschl. v. 18.3.2004 - 5 E 191/04 -, juris Rn. 5; u. v. 5. Februar 2021 - 12 E 1050/19 -, juris Rn. 4; Nds. OVG, Beschl. v. 30.10. 2000 - 4 O 2446/00 -, juris Rn. 3; vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 19.4.2021 - 15 C 21.907 -, juris Rn. 16).

Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.