Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.10.2011, Az.: 8 LA 93/11
Voraussetzungen für die Gewährung einer Förderpauschale für einen Belegungsplatz zur Unterbringung von von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen und Kindern
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.10.2011
- Aktenzeichen
- 8 LA 93/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 25541
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:1007.8LA93.11.0A
Rechtsgrundlage
- Nr. 5.2 S. 1, 3 Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen für Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind
Fundstelle
- NordÖR 2012, 54
Amtlicher Leitsatz
Die Gewährung der Förderpauschale nach Nr. 5.2 Satz 1 RL in Höhe von 2.200 EUR für jeden Belegungsplatz setzt voraus, dass zugleich die Voraussetzungen für die Gewährung der Förderpauschale nach Nr. 5.2 Satz 3 RL in Höhe von 32.000 EUR für die Beratungstätigkeit und die Kinderbetreuung erfüllt sind, mithin in der Zufluchtstätte die Beratung, Unterbringung und Betreuung der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen u n d ihrer Kinder angeboten wird.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses seine Klage auf Gewährung einer Zuwendung zur Förderung von elf Belegungsplätzen für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen für das Haushaltsjahr 2009 in Höhe von insgesamt 24.200 EUR und auf Aufhebung des dies ablehnenden Bescheides des Beklagten vom 26. November 2009 abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg.
Der Kläger hat seinen Antrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützt. Dieser Zulassungsgrund ist nicht hinreichend dargelegt worden und liegt im Übrigen nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (vgl. Senatsbeschl. v. 11.2.2011 - 8 LA 259/10 -, [...] Rn. 3). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543).
Der Kläger wendet gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils ein, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Zuwendung zur Förderung von elf Belegungsplätzen für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen für das Haushaltsjahr 2009 in Höhe von insgesamt 24.200 EUR verneint. Der Kläger erfülle ohne Weiteres die sich aus dem eindeutigen Wortlaut ergebenden Voraussetzungen der Nr. 5.2 Satz 1 der vom Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit erlassenen Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen für Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Richtlinie bestehe entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch kein Bedarf für eine an der Verwaltungspraxis des Beklagten orientierte Auslegung, die mit einer inhaltlichen Verknüpfung der Fördertatbestände in Nr. 5.2 Satz 1 und Nr. 5.2 Satz 3 der Richtlinie zudem im Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut der Richtlinie stehe.
Diese Einwände begründen nach dem eingangs dargestellten Maßstab keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass dem Kläger kein Anspruch auf Gewährung einer Zuwendung zur Förderung von elf Belegungsplätzen für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen für das Haushaltsjahr 2009 in Höhe von insgesamt 24.200 EUR zusteht.
Der Beklagte gewährt auf der Grundlage der vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit erlassenen Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen für Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind, - Richtlinie - vom 20. Dezember 2006 (Nds. MBl. 2007, S. 90), der §§ 23, 44 LHO und der hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften Projektförderungen. Derartige ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften begründen nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, anders als Gesetze und Rechtsverordnungen, aber nicht schon durch ihr Vorhandensein subjektive Rechte des Bürgers (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.1.1996 - 11 C 5.95 -, NJW 1996, 1766, 1767 m.w.N.). Eine über die ihnen zunächst nur innewohnende interne Bindung hinausgehende anspruchsbegründende Außenwirkung wird vielmehr nur durch den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot des Vertrauensschutzes (Art. 20, 28 GG) vermittelt (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.4.1997 - 3 C 6.95 -, BVerwGE 104, 220, 223 f.; Urt. v. 17.4.1970 - 7 C 60.68 -, BVerwGE 35, 159, 161 f. [BVerwG 17.04.1970 - BVerwG VII C 60.68]), dies aber nur in der Ausprägung, die die Verwaltungsvorschriften durch die ständige Verwaltungspraxis gefunden haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.4.2003 - 3 C 25.02 -, NVwZ 2003, 1384 f. m.w.N.). Dementsprechend unterliegen Verwaltungsvorschriften auch keiner eigenständigen richterlichen Auslegung wie Rechtsnormen. Maßgeblich ist vielmehr, wie die zu ihrer Anwendung berufenen Behörden die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger, vom Urheber der Verwaltungsvorschrift gebilligter oder jedenfalls geduldeter Praxis gehandhabt haben und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den grundgesetzlichen Gleichheitssatz gebunden sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.2.1995 - 2 C 19.94 -, NVwZ-RR 1996, 47, 48 m.w.N.).
Hieran gemessen hat sich das Verwaltungsgericht bei der Anwendung der Richtlinienbestimmungen auf den vorliegenden Sachverhalt zutreffend an der ständigen Verwaltungspraxis des Beklagten orientiert, wonach die Gewährung der pauschalen Zuwendung für Belegungsplätze nach Nr. 5.2 Satz 1 Richtlinie davon abhängt, dass auch eine nach Nr. 5.2 Satz 3 Richtlinie geförderte Beratung und Kinderbetreuung vorgehalten wird. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dabei unerheblich, ob der Wortlaut der Richtlinie dieser ständigen Verwaltungspraxis entgegensteht und daher bei der Anwendung der Verwaltungsvorschrift deren Wortlaut vorrangig zu berücksichtigen ist. Maßgeblich ist allein, ob die ständige Verwaltungspraxis vom Urheber der Verwaltungsvorschrift gebilligt oder jedenfalls geduldet wird. Diese Voraussetzung ist nach den unwidersprochenen Einlassungen in den Schriftsätzen des Beklagten vom 22. Juni 2010, dort S. 3, und vom 8. Oktober 2010, dort S. 1, hier erfüllt. Denn danach hat das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit die ständige Verwaltungspraxis der Beklagten ausdrücklich gebilligt, wonach die Gewährung der Zuwendungen nach Nr. 5.2 Satz 1 und Nr. 5.2 Satz 3 Richtlinie von einander abhängig ist und die dort bestimmten Förderpauschalen nur gemeinsam gewährt werden können. Da der Kläger die Voraussetzungen einer Förderung nach Nr. 5.2 Satz 3 Richtlinie hier nicht erfüllt, weil in der von ihm betriebenen Einrichtung kein Bedarf für eine Kinderbetreuung besteht und auch eine Kinderbetreuung in dem erforderlichen Umfang nicht vorgehalten wird, steht dem Kläger daher auch kein Anspruch auf Gewährung der pauschalen Förderung nach Nr. 5.2 Satz 1 Richtlinie zu.
Obwohl nicht mehr entscheidungserheblich weist der Senat darauf hin, dass die beschriebene ständige Verwaltungspraxis des Beklagten auch mit dem Wortlaut der Richtlinie in Einklang steht.
Nach Nr. 1.1 Richtlinie (Zuwendungszweck) wird die Zuwendung an Zufluchtstätten für misshandelte Frauen und ihre Kinder (Alternative 1), an Beratungseinrichtungen für Mädchen und Frauen, die von Gewalt betroffen sind, (Alternative 2) und an Beratungs- und Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt (Alternative 3) gewährt. Bereits der Beschreibung des Zuwendungszwecks in Nr. 1.1 Alt. 1 Richtlinie ist zu entnehmen, dass es sich um eine Zufluchtstätte für misshandelte Frauen und ihre Kinder handeln muss. Hieran konsequent anknüpfend wird in Nr. 2 Richtlinie auch der Gegenstand der Förderung als "Beratung, Unterbringung und Betreuung der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen und ihrer Kinder" bezeichnet. Die Förderung einer Zufluchtstätte setzt hiernach voraus, dass in dieser nicht nur die Beratung, Unterbringung und Betreuung der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen angeboten wird, sondern auch und zwar daneben die Beratung, Unterbringung und Betreuung der Kinder der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen. Dementsprechend kommt nach Nr. 3.1 Richtlinie als Zuwendungsempfänger auch nur eine "Zufluchtstätte für misshandelte Frauen und ihrer Kinder" in Betracht. Nach dem Wortlaut und der offensichtlichen Systematik dieser Bestimmungen wird der Zuwendungszweck bei der Förderung von Zufluchtstätten folglich nur erreicht, wenn diese ein gemeinsames Beratungs-, Unterbringungs- und Betreuungsangebot sowohl für die von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen als auch deren Kinder vorhalten. Zufluchtstätten, die, wie die hier vom Kläger betriebene Einrichtung, eine Beratung, Unterbringung und Betreuung nur der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen anbieten, sollen hingegen gar nicht gefördert werden. Nach diesen aus der Richtlinie klar erkennbaren Maßgaben ist es mit dem Wortlaut der Bestimmungen zu Art, Umfang und Höhe der Zuwendung in Nr. 5.2 Richtlinie nicht nur vereinbar, sondern zwingend geboten, dass die Förderpauschalen nach Nr. 5.2 Satz 1 Richtlinie (2.200 EUR für jeden Belegungsplatz für Frauen) und Nr. 5.2 Satz 3 Richtlinie (32.000 EUR für die Beratungstätigkeit und die Kinderbetreuung) nur dann und zwar gemeinsam gewährt werden, wenn in der Zufluchtstätte die Beratung, Unterbringung und Betreuung der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen und ihrer Kinder angeboten wird.