Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 01.03.2018, Az.: 2 A 165/16

Ab-Vermerk; abweichende Anwendungspraxis; Anwendungspraxis; Ausschlussfrist; Ermessensdefizit; öffentlich-rechtliche Körperschaft; Organisationsverschulden; Aufgabe zur Post; Duldung durch Richtliniengeber

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
01.03.2018
Aktenzeichen
2 A 165/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74324
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Auf die Bekanntgabefiktion des § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG kann sich die Behörde nicht berufen, sofern sie die Dokumentation der Aufgabe des Bescheids zur Post in ihren Verwaltungsakten unterlässt.
2. Die Bewilligung einer Zuwendung ist nicht rechtswidrig, sofern die von den einschlägigen Förderrichtlinien abweichende Anwendungspraxis der Bewilligungsbehörde vom Richtliniengeber wissentlich geduldet wird.
3. Ein Rücknahmebescheid ist ermessensdefizitär, sofern die Behörde ihr Ermessen einseitig mit dem überwiegenden Interesse des Landes an der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln begründet und die besondere haushaltsrechtliche Situation einer Kommune ausblendet, der vom Land zur Entschuldung besondere Konsolidierungsverpflichtungen auferlegt wurden.
4. Die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist auch bei Rücknahmebescheiden anwendbar, die gegenüber einer Kommune erlassen werden.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren, das durch Abtrennung von dem bei der Kammer anhängigen ruhenden Klageverfahren – 2 A 105/16 – hervorgegangen ist (vgl. Beschluss der Kammer vom 26. Mai 2016 – 2 A 105/16 –), um die Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Rückforderungsbescheids, mit dem die Beklagte einen aufgrund des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in der Förderperiode 2007 bis 2013 gewährten verlorenen Zuschuss zur Umgestaltung der F. straße West teilweise rückabwickelt.

Auf der Grundlage ihres integrierten Stadtentwicklungskonzeptes (ISEK) beantragte die Klägerin im Dezember 2007 beim Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit (MS) – Regierungsvertretung Braunschweig – die Aufnahme in das Förderprogramm „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (RWB)“ des Landes Niedersachsen. Mit Bescheid vom 8. Mai 2008 entschied MS – Regierungsvertretung Braunschweig –, das zirka 6 ha große Gebiet der Klägerin „zentrales Innenstadtquartier“ grundsätzlich für eine Förderung im Rahmen des RWB-Programms zu berücksichtigen und zur Umsetzung des klägerischen Konzepts im Zeitraum 2007 bis 2013 finanzielle Mittel in Höhe von bis zu 1,3 Mio. Euro zur Verfügung zu stellen. Grundlage für die Beantragung und Bewilligung der Fördermittel sei die Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung der Erneuerung und Entwicklung städtischer Gebiete gemäß Runderlass des MS vom 10. August 2007 – 501.11-01224-06.01 –, Nds. MBl. 2007, Nr. 34, Seite 829 (im Folgenden: EFRE-RL). Die Bewilligung der Zuwendungen für die einzelnen Maßnahmen erfolge durch die Beklagte.

Unter Verwendung eines von der Beklagten bereitgestellten Formularantrags beantragte die Klägerin unter dem 19. Dezember 2008 für die Einzelmaßnahme „Umgestaltung F. straße West“ eine Zuwendung in Höhe von 79.134,13 €. Diesen Betrag errechnete sie auf der Grundlage einer Schätzung der Kosten dieser Straßenbaumaßnahme durch ein beauftragtes Planungsbüro, welche einen Betrag in Höhe von 286.536,53 € ergab. Zuzüglich der Planungskosten in Höhe von 30.000 € bezifferte die Klägerin ihr Investitionsvolumen auf 316.536,53 €. Die dem Formularantrag beigefügte Kostenaufstellung des Planungsbüros enthielt u.a. einen Hinweis auf die Gesamtfläche der Erschließungsanlage von 810 m² und einen sich hieraus errechnenden Investitionsaufwand von 353,75 €/m². Zur Finanzierung gab die Klägerin in dem Formularantrag an, die Investitionssumme solle durch Eigenmittel in Höhe von 79.134,14 €, durch anderweitige Einnahmen in Höhe von 158.268,26 € sowie durch die beantragte Förderung in Höhe von 79.134,13 € gedeckt werden.

Auf dieser Grundlage bewilligte die Beklagte mit bestandskräftigem Zuwendungsbescheid vom 17. August 2009 eine Zuwendung als nicht rückzahlbaren Zuschuss „bis zur Höhe von 79.134,13 €“ mit dem Hinweis, dass die Mittel „als Projektförderung in Form der Anteilsfinanzierung“ gewährt würden und der Fördersatz „bis zu 50 %“ betrage, wobei „Basis für die Ermittlung des Fördersatzes die zuwendungsfähigen Ausgaben“ seien. In die Begründung des Bescheids nahm die Beklagte unter der Ziffer 4 einen „Investitions- und Finanzierungsplan“ auf, der mit dem Hinweis versehen wurde, dass „der nachfolgende Investitions- und der Finanzierungsplan für die Gewährung der Zuwendung verbindlich“ sei. Der unter Ziffer 4.1 wiedergegebene Investitionsplan enthält die von der Klägerin in ihrem Formularantrag erklärte Gesamtinvestitionssumme von 316.536,53 €. Einen Hinweis auf die im Städtebauförderungsrecht bestehende Kappungsgrenze in Höhe von 160 € pro m² Erschließungsanlage (vgl. Ziffer 5.3.2.6 Absatz 4 a) der Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung städtebaulicher Erneuerungsmaßnahmen (Städtebauförderungsrichtlinie – R-StBauF -) des MS vom 20. Mai 2008 – 501.1-21201.2.17 –, Nds. MBl. 2008, Nr. 25, Seite 699) enthält der Zuwendungsbescheid nicht. Der unter Ziffer 4.2 wiedergegebene Finanzierungsplan übernimmt ebenfalls das Zahlenwerk der Klägerin aus deren Formularantrag.

Nach Abschluss der Straßenbaumaßnahme – die Größe der umgestalteten Fläche beträgt 814 m² – legte die Klägerin der Beklagten unter dem 18. Februar 2010 ihren Verwendungsnachweis nebst Belegen zur Prüfung vor und forderte die bewilligte Zuwendung in voller Höhe zur Auszahlung an. In dem Verwendungsnachweis bezifferte die Klägerin die Höhe ihrer tatsächlichen Ausgaben mit 301.876,37 € und erklärte hiervon einen Betrag in Höhe von 287.953,77 € als zuwendungsfähig. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 22. März 2010 mit, dass sie auf Grundlage dieses Verwendungsnachweises den maximalen Zuschussbetrag von 79.134,13 € abzüglich des in den Förderbedingungen vorgesehenen zehnprozentigen Einbehalts, mithin 71.220,72 € an sie angewiesen habe. Neben diesem Zuschuss vereinnahmte die Klägerin Maßnahme bezogene Straßenausbaubeiträge in Höhe von 178.296,82 €.

Mit bestandskräftigem Widerrufsbescheid vom 4. Oktober 2011 entschied die Beklagte nach Abschluss ihrer Prüfung des klägerischen Verwendungsnachweises, dass der Zuwendungsbescheid vom 17. August 2009 in Höhe eines Teilbetrages von 22.840,34 € widerrufen werde, und forderte – ausgehend von der zuvor erfolgten Auszahlung in Höhe von 71.220,72 € – den überzahlten Betrag in Höhe von 14.926,93 € von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Beklagte an, erklärte Ausgaben in Höhe von 12.928,25 € könnten nicht als zuwendungsfähig anerkannt werden; anzuerkennen seien lediglich 275.025,52 €. Aufgrund dieses Auflagenverstoßes sei der Bewilligungsbescheid teilweise zu widerrufen. Zudem seien die Einnahmen der Klägerin aufgrund erhobener Straßenausbaubeiträge bei der Ermittlung des als förderfähig anzuerkennenden Aufwands zu berücksichtigen. Diese klägerischen Einnahmen seien entsprechend dem anteiligen Verhältnis der anzuerkennenden Ausgaben (275.025,52 €) zu den Gesamtausgaben der Klägerin (301.876,37 €), somit in Höhe eines Teilbetrags von 162.437,94 €, von den anzuerkennenden Ausgaben in Abzug zu bringen, sodass förderfähige Ausgaben in Höhe von 112.587,58 € verblieben. Unter Berücksichtigung der Förderquote von 50 % ergebe sich somit eine Zuwendung in Höhe von 56.293,79 €. Die Summe von 14.926,93 € zahlte die Klägerin am 1. November 2011 zurück.

Im Zuge einer die Förderung der klägerischen Maßnahme „F. straße Ost und G. straße zwischen F. straße und H. straße“ betreffenden Vor-Ort-Kontrolle (VOK) gemäß Art. 62 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 der zuständigen EU-Prüfbehörde, dem Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr – Referat Z2.1 – (im Folgenden: MW), wurde gegenüber der Beklagten ausweislich der Prüfungsfeststellung Nr. 1 des Prüfberichts des MW vom 2. August 2013 die dargestellte Berechnung und Bewilligung der zuwendungsfähigen Ausgaben moniert. Nach Auffassung des MW sei die Kappungsgrenze von 160 €/m² gemäß Ziffer 5.3.2.6 Absatz 4 a) R-StBauF als Obergrenze der zuwendungsfähigen Ausgaben bereits bei der Berechnung der zuwendungsfähigen Ausgaben im Rahmen der Bewilligung von Zuwendungen nach der EFRE-RL gegenüber der Klägerin zu berücksichtigen gewesen. Hiervon ausgehend seien in einem zweiten Schritt die prognostizierten klägerischen Einnahmen aus Straßenausbaubeiträgen anteilig in Abzug zu bringen gewesen.

In einer verwaltungsinternen Stellungnahme der Beklagten zu dieser Prüfungsfeststellung wird zur Begründung ihrer Bescheidungspraxis zu Beginn der Förderperiode unter anderem ausgeführt, ein Hinweis auf die Einhaltung der Kappungsgrenze sei im Rahmen der der Klägerin in den Jahren 2009 und 2010 erteilten Zuwendungsbescheide nicht erfolgt. Diese Förderobergrenze sei damals bewusst noch nicht in Abzug gebracht worden. Die Kappungsgrenze müsse der Klägerin indes aufgrund der einschlägigen Förderrichtlinien bekannt gewesen sein. Bei allen Kosten habe es sich mehr oder weniger um Planungsansätze gehandelt. Deshalb sei die Kappung erst bei der Mittelanforderung und beim Verwendungsnachweis berücksichtigt worden. Zwar habe es hier bei einigen Zuwendungsempfängern bei der Abrechnung Irritationen gegeben, allerdings habe nur ein Zuwendungsempfänger diesbezüglich geklagt. Die Klage sei abgewiesen worden. Dennoch habe man, um künftige Irritationen zu vermeiden, frühzeitig das Bewilligungsverfahren geändert und die Kappungsgrenze (später) bereits bei der Bewilligungsentscheidung berücksichtigt. In der Würdigung dieser Stellungnahme durch Schreiben des MW vom 11. Dezember 2013 wird hierzu ausgeführt, das damalige Vorgehen der Beklagten sei für die Prüfbehörde nur teilweise nachvollziehbar. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Förderobergrenze von 160 €/m² bereits bei der Bestimmung der Zuwendung zu berücksichtigen, da sie die maximale Höhe der zuwendungsfähigen Ausgaben bestimme. Dies gelte unabhängig davon, welche Ausgaben darüber hinaus grundsätzlich förderfähig seien. Die weiteren vorgetragenen Argumente der Beklagten führten zu keinem anderen Ergebnis. Des Weiteren sei erkennbar, dass sie die von der Klägerin prognostizierten Einnahmen aus Straßenausbaubeiträgen bei der Bestimmung des Zuwendungsbetrages berücksichtigt habe. Es hätte jedoch nur eine anteilige Berücksichtigung auf die (unter Zugrundelegung der Kappungsgrenze) zuwendungsfähigen Ausgaben erfolgen dürfen.

Anschließende Bemühungen der Beklagten, mit der Prüfbehörde eine auf die Landesverwaltung beschränkte Lösung zur Abwicklung der festgestellten „finanziellen Fehler“ im Rahmen der aufgrund der Gesamtheit aller Zahlanträge dem Land Niedersachsen zustehenden EFRE-Mittel zu finden, die Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren gegenüber der Klägerin sowie weiteren betroffenen niedersächsischen Kommunen vermieden hätte, blieben ebenso ohne Erfolg wie die von derselben Intention getragenen klägerischen Versuche, durch Gespräche auf politischer Ebene eine Einigung herbeizuführen.

Nach erfolgter Anhörung mit E-Mail vom 16. Oktober 2015 verfügte die Beklagte mit streitgegenständlichem „Rücknahmebescheid“ vom 9. Februar 2016, der Klägerin eigenen Angaben zufolge am 16. Februar 2016 per Briefpost zugegangen, der Zuwendungsbescheid vom 17. August 2009, zuletzt geändert am 4. Oktober 2011, werde in Höhe von 44.562,45 € zurückgenommen und dieser Betrag hiermit zurückgefordert. Die von der Klägerin am 1. November 2011 geleistete Zahlung in Höhe von 14.926,93 € berücksichtigte sie dabei nicht. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, im Rahmen einer Systemprüfung sei festgestellt worden, dass bei der Berechnung der Zuwendung die erhobenen Anliegerbeiträge hätten anteilig auf den unter Berücksichtigung der Kappungsgrenze gemäß Ziffer 5.3.2.6 Absatz 4 a) R-StBauF ermittelten Förderbetrag angerechnet werden müssen. Der Sachverhalt sei ihr – der Beklagten – seit dem 8. August 2013 bekannt und sei der Klägerin am 14. August 2013 erstmals mitgeteilt worden. Der bewilligten Förderung habe daher eine falsche Berechnung zu Grunde gelegen, sodass der Bescheid vom 17. August 2009, zuletzt geändert am 4. Oktober 2011, rechtswidrig sei. Unter Berücksichtigung der Förderobergrenze von 160 €/m² und einer umgestalteten Fläche von 814 m² reduzierten sich die zuwendungsfähigen Ausgaben auf 130.240 €. Die zuwendungsfähigen Ausgaben entsprächen damit einem Anteil von etwa 43,14 % der Gesamtausgaben der Klägerin in Höhe von 301.876,37 Euro. In Höhe dieses Prozentsatzes seien anteilig die erhobenen Anliegerbeiträge in Höhe von 178.296,82 €, mithin 76.923,47 € auf die gekappten zuwendungsfähigen Ausgaben anzurechnen. Gegenüber der Klägern hätten danach lediglich 53.316,53 € als förderfähige Ausgaben anerkannt und ihr unter Zugrundelegung des Fördersatzes von 50 % lediglich eine Zuwendung in Höhe von 26.658,27 € bewilligt werden dürfen. Einer Teilrücknahme der Bewilligung stehe die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG nicht entgegen. Öffentlich-rechtliche Zuwendungsempfänger könnten sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf diese Ausschlussfrist nicht berufen. Dies gelte aufgrund der öffentlich-rechtlichen Körperschaften obliegenden Bindung an Recht und Gesetz für die Vertrauensschutztatbestände des § 48 Abs. 2 und 3 VwVfG entsprechend. Die Entscheidung über die Teilrücknahme stehe daher in ihrem – der Beklagten – pflichtgemäßen Ermessen. Sie übe ihr Ermessen dahin aus, die Bewilligung im tenorierten Umfang mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Das Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln gemäß § 7 LHO verbiete einen großzügigen Verzicht auf den Widerruf rechtswidriger Subventionen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass bei einer Aufrechterhaltung des teilweise rechtswidrigen Zuwendungsbescheids die bewilligten EU-Mittel durch Landesmittel ersetzt werden müssten. Hierdurch würde es zu einer außerplanmäßigen Belastung des Landeshaushalts kommen. Die von der Klägerin vorgebrachten Anregungen und Bedenken hätten zu keinem anderen Ergebnis geführt. Dass die Rücknahme für sie – die Klägerin – besonders schwere Auswirkungen verursache, sei nicht vorgetragen worden. Entsprechend überwiege vorliegend das Interesse an einer Teilrücknahme und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

Hiergegen hat die Klägerin am 15. März 2016 die vorliegende Klage erhoben, mit der im Wesentlichen zwei Verfahrensweisen der Beklagten einer gerichtlichen Prüfung unterzogen werden sollen: erstens die nachträgliche Deckelung der zuwendungsfähigen Ausgaben durch Anwendung der Kappungsgrenze von 160 €/m² umgestalteter Fläche gemäß Ziffer 5.3.2.6 Abs. 4 a) R-StBauF und zweitens die Methodik der Anrechnung von vereinnahmten Straßenausbaubeiträgen für die Verbesserung der Anlage „F. straße West“. Die Klägerin verfolgt mit ihrer Klage das Ziel, die bis zur Prüfung der Beklagten durch das MW im August 2013 geübte Förderpraxis der endgültigen Berechnung der Zuwendungen zugrunde zu legen. Diese Berechnungsweise stehe in Übereinstimmung sowohl mit nationalem Recht und den Vorgaben der hier einschlägigen Förderrichtlinien als auch mit dem Recht der Europäischen Union. Die tatsächliche, bis in das Jahr 2013 von der Beklagten geübte Förderpraxis sei durch die konsequente Nichtanwendung der Förderobergrenze von 160 €/m² einerseits als auch durch die Anrechnung vereinnahmter Straßenausbaubeiträge ohne Deckelung der zuwendungsfähigen Aufwendungen andererseits gekennzeichnet gewesen. Diese Bewilligungspraxis sei vom Richtliniengeber ausdrücklich geduldet worden, denn die Beklagte habe die Grundentscheidungen zum niedersächsischen Förderprogramm RWB fortlaufend mit dem MS abzustimmen gehabt. An dieser Förderpraxis müsse sich die Beklagte selbst für den Fall festhalten lassen, dass diese von Anfang an nicht richtlinienkonform gewesen sei. Eine nationale Förderobergrenze sei europarechtlich nicht geboten und ein Verstoß gegen dieselbe deshalb europarechtlich auch nicht zu sanktionieren. Die Bestimmung der zuwendungsfähigen Ausgaben werde ausdrücklich dem nationalen Recht zugewiesen. Sie sei vor diesem Hintergrund nicht befugt, im Nachhinein ihre Förderpraxis rückwirkend in Frage zu stellen und durch ein mehr oder weniger fiktives Förderprogramm zu ersetzen. Der Zuwendungsbescheid vom 17. August 2009 sei daher rechtmäßig, § 48 VwVfG könne seine Aufhebung nicht tragen.

Jedenfalls vermittele ihr – der Klägerin – bereits die durch den Widerrufsbescheid vom 4. Oktober 2011 erfolgte Korrektur der Bewilligungsentscheidung Vertrauensschutz. Die Erwägungen der Beklagten zur Ausübung ihres Ermessens trügen die teilweise Rücknahme der bereits korrigierten Bewilligung nicht. Sie seien in dem angefochtenen Bescheid lediglich formelhaft und verkürzt erfolgt. Dies komme einem Ermessensausfall gleich. Es erfolge lediglich der übliche Hinweis auf den sparsamen Umgang mit Landeshaushaltsmitteln. Ob überhaupt ein Ausfall von EU-Fördermitteln zu besorgen sei, werde nicht substantiiert ausgeführt, sondern ersichtlich nur ins Blaue hinein behauptet. Die Förderperiode 2007 bis 2013 sei zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung bereits ausgelaufen und die mit den Mitteln dieser Periode geförderten Projekte abgerechnet gewesen. Die Beklagte erwähne mit keinem Wort, woher sie – die Klägerin – außerplanmäßig die zur Bedienung der Rückforderung erforderlichen Haushaltsmittel nehmen solle. Der Beklagten sei bekannt, dass sie – die Klägerin – sich in einem Entschuldungshilfeprogramm des Landes befinde, das ihr strenge Vorgaben zur Haushaltsdisziplin auferlege. Warum das Interesse des Landeshaushalts generalisierend Belangen wie der Verlässlichkeit des Verwaltungshandelns und der Betroffenheit kommunaler Haushalte vorgehen solle, bleibe unklar. Die Beklagte habe ihr Ermessen jedenfalls im Ergebnis zweckwidrig ausgeübt. Angesichts einer im Ergebnis der angefochtenen Rücknahme geringeren tatsächlichen Förderquote von unter 10 % werde der Förderzweck generell ad absurdum geführt. Sie – die Klägerin – sei von der Beklagten zu Maßnahmen verleitet worden, die sie ansonsten angesichts ihrer bekannten Haushaltslage und der Restriktionen im Rahmen des Entschuldungshilfeprogramms des Landes kaum ausgeführt hätte. Deshalb hätte im Rahmen der Ermessensausübung Berücksichtigung finden müssen, dass sich die Beklagte ihr – der Klägerin – gegenüber schadensersatzpflichtig mache und die Schadenskompensation ebenfalls aus dem Landeshaushalt erfolgen müsse.

Nachdem die Beklagte im Hinblick auf die am 1. November 2011 erfolgte Verbuchung einer Maßnahme bezogenen Rückzahlung der Klägerin in Höhe von 14.926,93 € in der mündlichen Verhandlung vor der erkennenden Kammer den streitgegenständlichen Bescheid vom 9. Februar 2016 insoweit aufgehoben hat, als die von der Klägern zurückgeforderte Zuwendung einen Betrag von 29.635,52 € übersteigt, und die Beteiligten insoweit den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, beantragt die Klägerin

den Rücknahme- und Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 9. Februar 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf ihre Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid und ergänzt, der Klägerin sei zwar darin beizupflichten, dass ihre – der Beklagten – Bewilligungspraxis des Jahres 2009 nicht im Einklang mit den Vorgaben der einschlägigen Förderrichtlinien gestanden habe und ein Verstoß gegen diese verwaltungsinternen Vorgaben nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung geführt habe. Die Rechtswidrigkeit des Zuwendungsbescheids vom 17. August 2009 ergebe sich indes aus dem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Ein tatsächliches, jedoch richtlinienwidriges Verwaltungshandeln bei der Bewilligung von Zuwendungen könne nur Bestand haben, sofern die richtlinienwidrige Verwaltungspraxis der Bewilligungsbehörde mit dem Willen des Richtliniengebers geschehe oder aber zumindest von ihm geduldet praktiziert werde. Das MS als Richtliniengeber habe von ihrer – des Teams Städtebauförderung der Beklagten – richtlinienwidrigen Bewilligungspraxis im Jahr 2009 keinerlei Kenntnis gehabt. Mit dem MS seien nur die Grundentscheidungen (z.B. zur Verfügung stehendes Fördervolumen) abgestimmt worden. Abgesehen von Einzelanfragen, etwa zur Auslegung bestimmter Richtlinienvorgaben, und dem Datenaustausch aufgrund des eingerichteten Prüfungs- und Kontrollsystemens habe ihr – der Beklagten – der Vollzug des Förderprogramms eigenständig oblegen. Eine einzelfallbezogene Prüfung jeder Fördermaßnahme durch MS sei deshalb nicht erfolgt. Die Umstellung der anfänglichen Bewilligungspraxis sei allein der Prüfung durch MW im Jahre 2013 geschuldet. Folglich könne die Klägerin die Bewilligungspraxis des Jahres 2009 nicht weiter einfordern; es bestehe kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht.

Die teilweise Rücknahme der rechtswidrigen Bewilligungsentscheidungen sei auch ermessensfehlerfrei erfolgt. Der Haushalt der Klägerin sei nicht höher zu bewerten als der des Landes. Sie – die Beklagte – könne die der Klägerin rechtswidrig ausgekehrten Zuwendungen gegenüber der EU nicht abrechnen. Die Klägerin sei bereits 2013 auf die Fehlerhaftigkeit der Bewilligungsentscheidungen hingewiesen worden und habe deshalb die Gelegenheit gehabt, für die bevorstehenden Rückforderungen entsprechende Vorkehrungen in ihrem Haushalt zu treffen. Ob sie – die Beklagte – überhaupt Schadensersatzansprüche träfen, könne auf der hier im Streit stehenden Primärebene keine Rolle spielen.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Gerichtsakte – 2 A 105/16 – sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Klägerin (Beiakten 001 und 002) und der Beklagten (Beiakten 004 und 005) verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend für erledigt erklärt haben.

Die weitergehende Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben worden. Den streitgegenständlichen Bescheid vom 9. Februar 2016 hat die Beklagte mit einfacher Post übermittelt. Nach Angaben der Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist ihr dieser Bescheid erst am 16. Februar 2016 zugegangen. Dem sind die Vertreter der Beklagten nicht entgegengetreten. Auf die Bekanntgabefiktion des § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 NdsVwVfG kann sich die Beklagte nicht berufen, denn sie hat die Aufgabe des streitgegenständlichen Bescheides zur Post in den vorgelegten Verwaltungsvorgängen nicht aktenkundig gemacht. Nach Angaben der Beklagtenvertreter bringe die Beklagte an ihren Bescheidentwürfen keine „Ab-Vermerke“ an, weil diese am selben Tage der Erstellung zur Post gingen. Ob dem nach den verwaltungsinternen Abläufen bei der Beklagten tatsächlich stets so ist und ob sich das auf dem streitgegenständlichen Bescheid angebrachte Datum mit dem Tag der Erstellung des Bescheids, namentlich der zweifachen Zeichnung des Originals, deckt, kann die Kammer dahingestellt lassen. Nach verbreiteter, von der Kammer geteilten, Auffassung wird der Anscheinsbeweis für eine erfolgte Aufgabe zur Post durch den in den Verwaltungsvorgängen dokumentierten Ab-Vermerk geführt (Ramsauer, in: Kopp/ ders., VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 41 Rn. 43). Ein solcher liegt hier ebenso wenig vor wie eine gleichwertige andere Dokumentation der Postaufgabe. Sofern eine Behörde die Dokumentation der Aufgabe des Bescheids zur Post in ihren Akten unterlässt, hat sie den konkreten Zeitpunkt des Zugangs beim Bescheidadressaten nachzuweisen, sofern dieser einen späteren als den gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG vermuteten Zeitpunkt für den Zugang des Bescheides bei ihm behauptet. Ein substantiiertes Vorbringen des Bescheidadressaten zum Zeitpunkt des Zugangs (vgl. dazu Nds. OVG, Beschluss vom 15. März 2007 – 5 LA 136/06 –, zit. nach juris Rn. 7 f.: durch Vorlegen des Briefumschlags mit dem Poststempel) ist in Fällen fehlender Dokumentation nicht erforderlich und kann daher von der Klägerin nicht verlangt werden.

Die weitergehende Klage ist auch begründet, denn der streitgegenständliche Rücknahme- und Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 9. Februar 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, sodass er gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO der gerichtlichen Aufhebung unterliegt.

Die Rücknahme- und die Rückforderungsentscheidung der Beklagten können sich nicht auf eine Rechtsgrundlage stützen, insbesondere liegen weder die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Zuwendungsbescheids vom 17. August 2009 in der Gestalt des Widerrufsbescheids vom 4. Oktober 2011 in Höhe von 44.562,45 € nach § 48 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 NdsVwVfG noch für eine Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Fördermittel in Höhe von 29.635,52 € gem. § 49a Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 NdsVwVfG vor.

Einer Rechtsgrundlage für die teilweise Rücknahme des Zuwendungsbescheids vom 17. August 2009 in der Gestalt des Widerrufsbescheids vom 4. Oktober 2011 bedarf es vorliegend. Denn anders als in dem, dem von der Beklagten im Verwaltungsverfahren angeführten rechtskräftigen Urteil des VG Lüneburg vom 30. April 2013 – 5 A 2/12 – (V. n. b.) zugrunde liegenden Sachverhalt, geht es hier um die teilweise Rückabwicklung einer nach Prüfung des Verwendungsnachweises durch die bewilligende Behörde (vgl. dazu Ziffer 7.2.5 R-StBauF) – vorbehaltlich bestehender Prüfbefugnisse anderer Stellen des Landes und der Europäischen Union – endgültig vorgenommenen, der Höhe nach konkret bezifferten Bewilligung einer Zuwendung auf der Grundlage der EFRE-RL des Landes Niedersachsen. Eine solche ist in dem bestandskräftigen Widerrufsbescheid vom 4. Oktober 2011 zu erblicken.

Die Voraussetzungen für eine teilweise Rücknahme des Zuwendungsbescheids vom 17. August 2009 in der Gestalt des Widerrufsbescheids vom 4. Oktober 2011 nach § 48 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 NdsVwVfG lagen zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheids vom 9. Februar 2016 nicht vor. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nach Satz 2 dieser Vorschrift nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 des § 48 VwVfG zurückgenommen werden.

Der Zuwendungsbescheid der Beklagten vom 17. August 2009 in der Gestalt des Widerrufsbescheids vom 4. Oktober 2011 ist – entgegen der Auffassung der Beklagten – rechtmäßig. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Die Bewilligung von Zuwendungen steht grundsätzlich im Ermessen der Bewilligungsbehörde. Dies gilt auch, soweit eine Kofinanzierung des national aufgelegten Förderprogramms aus Mitteln europäischer Strukturfonds wie dem EFRE erfolgt. Das Haushaltsrecht selbst regelt den Umfang und die Voraussetzungen für die Gewährung von Subventionen nicht abschließend, sondern schafft in der Regel nur die Grundlage für die Finanzierung des jeweiligen Programms. Die öffentliche Hand als Zuwendungsgeber kann den Zuwendungszweck, die Zuwendungshöhe und die Zuwendungsgrundlage (zuwendungsfähige Kosten) nach eigenem öffentlichen Interesse und öffentlicher Zielsetzung grundsätzlich frei festlegen. Maßstab und Grenzen bilden – neben den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln und deren Zweckbindung – die vom Richtliniengeber und Programmverantwortlichen erlassenen Verwaltungsvorschriften, der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 GG), das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und die darin wurzelnden Grundsätze des Vertrauensschutzes sowie der Selbstbindung der Verwaltung, die in Form ministerieller Bekanntmachungen und Schreiben, beigefügter Nebenbestimmungen sowie der behördlichen Anwendungspraxis Ausdruck finden kann. Diese Grundsätze sind für die Beurteilung, ob eine Zuwendung gewährt und aufrechterhalten werden kann, allein maßgeblich. Dabei ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften nicht wie Gesetze und Rechtsverordnungen schon durch ihr Vorhandensein Rechte des Bürgers begründen (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 7. Oktober 2011 – 8 LA 93/11 –, zit. nach juris Rn. 6; Urteil vom 15. November 2016 – 8 LB 58/16 -, zit. nach juris Rn. 29 jeweils m. w. N.). Sie unterliegen daher auch keiner eigenständigen richterlichen Auslegung wie Rechtsnormen. Entscheidend ist vielmehr, wie die zuständigen Behörden die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt haben und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebunden sind. Das gilt besonders für Fälle, in denen der Wortlaut einer Verwaltungsvorschrift unklar und darum auslegungsbedürftig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1996 – 11 C 5/95 – Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 101, zit. nach juris Rn. 21 m. w. N.).

Die behördliche Anwendungspraxis der Beklagten war jedenfalls zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Bekanntgabe des bestandskräftigen Widerrufsbescheids vom 4. Oktober 2011 nach den Feststellungen der Kammer nicht dadurch geprägt, dass im Rahmen der Ermittlung der förderfähigen Ausgaben im Zuge der Prüfung des Verwendungsnachweises zunächst in einem ersten Schritt die Einhaltung der zwischen den Beteiligten streitigen Kappungsgrenze in Höhe von 160 €/m² Fläche der umgestalteten Erschließungsanlage gemäß den Vorgaben des Richtliniengebers (MS) in Ziffer 5.2. Abs. 2 EFRE-RL in Verbindung mit Ziffer 5.3.2.6 Abs. 4 a) R-StBauF festgestellt wurde und sodann in einem zweiten Schritt die durch Straßenausbaubeiträge erzielten Einnahmen der geförderten Kommune anteilig dem Verhältnis von deren maßnahmebezogenen Gesamtausgaben zu den gekappten zuwendungsfähigen Ausgaben von diesen in Abzug gebracht wurden, wie dies von der EU-Prüfbehörde (MW) unter Bezugnahme auf die Vorgaben der Richtlinie (vgl. Ziffern 5.2 Abs. 1 Satz 2 und 5.5.1 EFRE-RL in Verbindung mit Ziffern 5.2.1 und 5.3 R-StBauF) seit Ende 2013 von der Beklagten eingefordert wird. Vielmehr ergibt sich aus der verwaltungsinternen Stellungnahme des Teams Städtebauförderung der Beklagten zu den Prüfungsfeststellungen des MW im Zuge der im Sommer 2013 durchgeführten Vor-Ort-Kontrolle, dass ein Hinweis auf die Einhaltung der streitgegenständlichen Kappungsgrenze im Rahmen der der Klägerin in den Jahren 2009 und 2010 erteilten Zuwendungsbescheide bewusst nicht erfolgt, sondern diese erstmals im Rahmen der Mittelanforderung und Vorlage des Verwendungsnachweises berücksichtigt worden sei. Man habe erst später – im Zuge des beim VG Lüneburg anhängig gewesenen Klageverfahrens – das Bewilligungsverfahren geändert und die Kappungsgrenze bereits in die Bewilligungsentscheidungen aufgenommen.

Diese Angaben des Teams Städtebauförderung der Beklagten können insoweit nachvollzogen werden, als der nach Abschluss der Prüfung des Verwendungsnachweises erlassene Widerrufsbescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2011 betreffend die klägerische Maßnahme „F. straße Ost und G. straße“, der sich abschriftlich in den beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten befindet, auf Seite 2 mittig Ausführungen zur Ermittlung der zuwendungsfähigen Ausgaben unter Heranziehung der Kappungsgrenze enthält.

Derartige Ausführungen haben in den Widerrufsbescheid vom 4. Oktober 2011 indes keinen Eingang gefunden. Dies ist ausweislich des in den beigezogenen Verwaltungsakten befindlichen Vermerks der Beklagten über Umfang und Ergebnis der Prüfung des Verwendungsnachweises vom 18. Juli 2011 darauf zurückzuführen, dass ihr Team Städtebauförderung seinerzeit noch davon ausging, dass die Förderobergrenze von 160 €/m² umgestalteter Fläche bezogen auf die hier streitgegenständliche Maßnahme „Umgestaltung der F. straße West“ nicht überschritten werde. Diese Annahme begründete sie wie folgt: die zuwendungsfähigen Ausgaben beliefen sich auf 105.674,42 €, während sich in Anwendung der streitgegenständlichen Kappungsgrenze die zuwendungsfähigen Ausgaben auf maximal 130.240,00 € (814 m² x 160,00 €) belaufen könnten. Anhand der von der Beklagten vorgenommenen Berechnung der als förderfähig ermittelten Ausgaben in Höhe von 105.674,42 € ergibt sich, dass sie die anteilig als Einnahmen anzurechnenden Straßenausbaubeiträge (ermittelt: 152.463,84 €) nicht von den gekappten zuwendungsfähigen Ausgaben in Höhe von 130.240,00 € in Abzug gebracht hat, sondern von den (um nicht anzuerkennende Rechnungspositionen bereinigten) Gesamtausgaben der Klägerin in Höhe von 258.138,26 €, sodass sich durch Bildung der Differenz zwischen diesen beiden Beträgen förderfähige Ausgaben in Höhe von 105.674,42 € ergeben. Dieser Wert wurde zur Ermittlung der konkreten Zuwendung mit der maßgeblichen Förderquote von 50 % multipliziert.

Das vorstehend wiedergegebene Berechnungsverfahren, welches mit leicht veränderten Zahlen dem bestandskräftigen Widerrufsbescheid vom 4. Oktober 2011 zugrunde lag, bildete ausweislich der zu den beigezogenen Verwaltungsakten befindlichen Stellungnahme des Zentralbereichs Recht der Beklagten vom 21. Januar 2014 die Anwendungspraxis der Beklagten im Zeitraum ab Anfang 2011 bis in das Jahr 2012 ab. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des MW als zuständiger Prüfbehörde im Abschlussbericht vom 11. Dezember 2013 war diese Verwaltungspraxis nicht von den Vorgaben der einschlägigen Förderrichtlinien gedeckt.

Aus der Unvereinbarkeit der zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerrufsbescheids vom 4. Oktober 2011 von der Beklagten geübten Anwendungspraxis mit den hier einschlägigen Förderrichtlinien des Landes folgt jedoch nicht automatisch, dass diese im Außenverhältnis zur Klägerin als rechtswidrig einzustufen wäre. Eine bewusste Abweichung von Förderrichtlinien führt nur dann zur Rechtswidrigkeit der Zuwendungsentscheidung, wenn darin zugleich ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG liegt. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 25. April 2012 – 8 C 18/11 – (BVerwGE 143, 50) ausgeführt hat, sind die Förderrichtlinien keine Rechtssätze. Sie sind dazu bestimmt, für die Verteilung der Fördermittel Maßstäbe zu setzen, und suchen auf diese Weise die Ausübung des Ermessens durch die Bewilligungsbehörden zu steuern. Deshalb bewirken sie zunächst nur eine interne rechtliche Bindung des Verwaltungsermessens. Der bloße Verstoß gegen eine derartige Verwaltungsvorschrift macht eine Ermessensausübung daher nicht rechtswidrig, die bloße Beachtung nicht rechtmäßig. In ihrem rechtlichen Verhältnis zum Förderempfänger ist die Bewilligungsbehörde - abgesehen von den sonstigen gesetzlichen Grenzen des Verwaltungshandelns - nur durch den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Wenn sich die Behörde an ihre Förderrichtlinien hält, ist sie daher durch das Gleichbehandlungsgebot verpflichtet, dies auch weiterhin zu tun, sofern nicht sachliche Gründe im Einzelfall eine Abweichung rechtfertigen oder gar gebieten. Weicht sie hingegen generell von den Förderrichtlinien ab, so verlieren diese insoweit ihre ermessensbindende Wirkung. Ob das Verwaltungshandeln mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar ist, beurteilt sich dann nur nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis (BVerwG, a. a. O., zit. nach juris Rn. 30 ff.). Maßgeblich ist dabei, wie die zu ihrer Anwendung berufene Bewilligungsbehörde die ihr Ermessen lenkenden Verwaltungsvorschriften im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger und vom Urheber der Verwaltungsvorschriften (Richtliniengeber) gebilligter oder jedenfalls geduldeter Praxis gehandhabt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1995 – 2 C 19/94 –, Buchholz 237.6 § 75 NdsLBG Nr. 3, zit. nach juris Rn. 18 m. w. N.; Nds. OVG, Urteil vom 15. November 2016 – 8 LB 58/16 –, NdsVBl 2017, 174, zit. nach juris Rn. 29 m. w. N.).

Die Kammer ist aufgrund der Angaben der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass MS als zuständiger Richtliniengeber die im Zeitraum ab Anfang 2011 bis in das Jahr 2012 bei der Beklagten vorherrschende Anwendungspraxis zur Ermittlung der förderfähigen Ausgaben unter Berücksichtigung der streitgegenständlichen Kappungsgrenze und der anteiligen Anrechnung von Straßenausbaubeiträgen auf die nicht gekappten zuwendungsfähigen Ausgaben zumindest wissentlich geduldet hat. Dabei legt die Kammer zugrunde, dass MS – jedenfalls zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerrufsbescheids vom 4. Oktober 2011 – als für das Städtebauförderungsrecht zuständige oberste Landesbehörde und insoweit als Fachaufsichtsbehörde der Beklagten bei der Delegation einzelner subventionserheblicher Aufgaben an eine ihr nachgeordnete Landesbehörde dafür Sorge zu tragen hatte, dass ihr alle für die Zuwendung erheblichen, tatsächlich und rechtlich bedeutsamen und entscheidungsrelevanten Umstände in geeigneter und zuverlässiger Weise zeitnah nach Feststellung durch die nachgeordnete Landesbehörde zur Kenntnis gelangen. Wäre dies nicht geschehen, läge hierin ein Organisationsverschulden, welches eine gegebenenfalls tatsächlich bestehende Unkenntnis als grob fahrlässig erscheinen ließe. Ein Organisationsverschulden kommt insbesondere dann in Betracht, wenn sich herausstellt, dass das vorhandene System lückenhaft oder fehleranfällig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 – 2 C 4/11 –, zit. nach juris Rn. 16).

Die Beklagtenvertreter haben in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar ausgeführt, dass die Inhalte der bausteinmäßig aufgebauten Zuwendungsbescheide zur Durchführung des Programms RWB ab 2007 in aller Regel mit MS abgestimmt worden seien. Dies erfasse auch die Inhalte der hier streitgegenständlichen Bescheide vom 17. August 2009 und 4. Oktober 2011. Generell hätten Abstimmungsgespräche zwischen ihr – der Beklagten – als Bewilligungsbehörde und dem MS als Richtliniengeber stattgefunden. Insbesondere sei die Änderung der Bewilligungspraxis im Anschluss an die Prüfungsfeststellungen des MW zwischen ihr – der Beklagten – und MS abgestimmt worden. Für den Befund einer bewussten Duldung der kommunenfreundlichen Anwendungspraxis der Beklagten streitet auch der Umstand, dass MS als Programmbehörde gegenüber den teilnehmenden Kommunen jedenfalls zu Beginn der Förderperiode 2007 bis 2013 offenbar auf eine vollständige Ausschöpfung der dem Land Niedersachsen von der EU bereitgestellten Fördermittel bedacht war und deshalb bei der Aufnahme von kommunalen Maßnahmen in das Förderprogramm RWB selbst großzügig verfahren ist. Dies verdeutlicht insbesondere die mit der Klägerin bewerkstelligte Erweiterung der Gebietskulisse, durch die die Klägerin erst in die Lage versetzt wurde, die ihr mit Bescheid des MS – Regierungsvertretung Braunschweig – vom 8. Mai 2008 zugesagten Mittel in einem Volumen von bis zu 1,3 Millionen Euro ausschöpfen zu können. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte hinsichtlich der Frage einer (Nicht-)Anwendung der Kappungsgrenze und betreffend die Methodik der Anrechnung von vereinnahmten Straßenausbaubeiträgen eigenmächtige, mit dem MS als Richtliniengeber nicht abgestimmte oder gar kommunizierte Entscheidungen getroffen hat, finden sich in den beigezogenen Verwaltungsakten jedenfalls nicht, sodass die Kammer bei lebensnaher Betrachtungsweise der erforderlichen Abstimmungsprozesse zwischen der Beklagten und dem MS im Zuge der Durchführung eines Förderprogramms wie dem vorliegenden und unter besonderer Berücksichtigung des o.a. Grundsatzes vom Organisationsverschulden davon ausgehen kann, dass der Richtliniengeber die Anwendungspraxis der Beklagten zumindest wissentlich geduldet hat.

Da die von der Beklagten seinerzeit konsequent praktizierte, generelle Abweichung von den hier einschlägigen Förderrichtlinien auch nicht als willkürlich erscheint, lässt sich ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz im Ergebnis nicht feststellen, sodass der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2011 jedenfalls im hier maßgeblichen Außenverhältnis zur Klägerin nicht als rechtswidrig angesehen werden kann.

Der angefochtene Rücknahmebescheid der Beklagten unterliegt daneben und unabhängig vom Vorstehenden auch deshalb der Aufhebung, weil die damit getroffene Ermessensentscheidung der Beklagten die gemäß §§ 48 Abs. 1 Satz 1, 40 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 NdsVwVfG gebotene Interessenabwägung vermissen lässt. Die Beklagte hat ihre Rücknahmeverfügung einseitig auf das öffentliche Interesse an einer Vermeidung außerplanmäßiger Belastungen des Landeshaushalts gestützt, ohne dies erkennbar abzuwägen mit den gegenläufigen Interessen der Klägerin an einem weiteren Bestand der mit Eintritt der Bestandskraft des Widerrufsbescheids vom 4. Oktober 2011 ihrem kommunalen Haushalt im Jahre 2011 endgültig zugeflossenen Fördermittel. Im Hinblick auf den für die Beklagte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 16. Juni 2015 – 10 C 15/14 –, BVerwGE 152, 211, zit. nach juris) eröffneten umfassenden Entscheidungsspielraum kommt einer sorgfältigen Ausübung des Ermessens wesentliche Bedeutung zu. Dies gilt namentlich für eine angemessene Berücksichtigung der haushalterischen Belange der Klägerin. Das Bundesverwaltungsgericht hat hervorgehoben, dass auch Kommunen ein Interesse an einer verlässlichen und bestandssicheren Entscheidung des staatlichen Zuwendungsgebers haben. Sie müssen mit den ihnen zugewiesenen Mitteln kalkulieren und sich auf eine staatlicherseits verbindlich zugesagte Refinanzierung verlassen können (vgl. Urteil vom 16. Juni 2015, a.a.O., Rn. 20). Eine Rücknahmeentscheidung kann demnach nur Bestand haben, wenn die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung der behördlichen Ermessenserwägungen ergibt, dass die Behörde die erforderliche Abwägung vorgenommen und dabei die wesentlichen Umstände des Einzelfalles einschließlich der Interessen des von der Rücknahmeentscheidung Betroffenen an einem weiteren Bestand des begünstigenden Verwaltungsakts berücksichtigt hat. Der nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt voraus, dass die Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des Ermessens hat leiten lassen. Diesem Zweck dient auch die Pflicht zur besonderen Begründung von Verwaltungsakten, die im Ermessen der Behörde stehen, vgl. nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1996 – 1 C 9/94 –, BVerwGE 102, 63 (69 f.), zit. nach juris Rn. 28). Hat die Behörde dagegen nicht alle im Einzelfall maßgebenden Gesichtspunkte ermittelt und in ihre Entscheidung einbezogen, liegt ein Ermessensdefizit vor (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. April 2017 – 6 B 17/17 – zit. nach juris Rn. 13 f.), das nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO zur Aufhebung der Rücknahmeentscheidung führt.

Danach konnte sich die Beklagte zur Begründung des von ihr ausgeübten Ermessens nicht auf floskelhafte Ausführungen wie „die von Ihnen [der Klägerin] vorgebrachten Anregungen und Bedenken haben hier zu keinem anderen Ergebnis geführt…“ beschränken. Sie lässt zudem erkennen, dass sie das Erfordernis einer umfassenden und interessengerechten Abwägung zwischen dem Interesse des Landes an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände und dem Interesse der Klägerin am Erhalt der Zuwendung bei der Ausübung ihres Ermessens verkannt hat. Die gegebene Begründung „dass die Rücknahme für Sie [die Klägerin] besonders schwere Auswirkungen verursacht, wurde nicht vorgetragen“ legt die Verkennung des zutreffenden Entscheidungsmaßstabs nahe.

Eine umfassende Interessenabwägung hätte erfordert, dass sich die Beklagte zunächst eingehend mit der haushalterischen Sondersituation der Klägerin in den Jahren 2013 bis 2020 auseinandersetzt, die sich aufgrund des zwischen ihr und dem Land Niedersachsen am 13. Juli 2012 geschlossenen Zukunftsvertrags ergibt. Danach unterlag die Klägerin jedenfalls zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheids einer besonderen Verpflichtung zur Konsolidierung ihres Haushalts. Im Gegenzug zu der vom Land Niedersachsen gezahlten Entschuldungshilfe oblag ihr die Verpflichtung, bis zum Ende der Vertragslaufzeit ein ausgeglichenes Jahresergebnis des Ergebnishaushalts zu erzielen (vgl. § 1 des Zukunftsvertrags). Hierzu waren der Klägerin zahlreiche Konsolidierungsmaßnahmen auferlegt (vgl. § 2 des Zukunftsvertrags), unter anderem eine Reduzierung aller freiwilligen Leistungen. Für unvorhersehbare Ereignisse bestand eine Pflicht zur Kompensation von ausgefallenen Konsolidierungsbeiträgen (vgl. § 4 des Zukunftsvertrags). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben des Landes Niedersachsen greift der Einwand der Beklagten, die Klägerin habe seit August 2013 um die Fehlerhaftigkeit der bewilligten Förderung gewusst und ausreichend Gelegenheit gehabt, für die anstehende Rückforderung haushalterische Vorkehrungen zu treffen, zu kurz. Es wäre vielmehr an der Beklagten gewesen, die Auswirkungen der von ihr getroffenen Rücknahme- und Rückforderungsentscheidungen – einschließlich derjenigen, die in dem ruhenden Verfahren – 2 A 105/16 – streitgegenständlich sind und sich damit auf eine Summe von über 582.000 Euro belaufen – auf den kommunalen Haushalt ab 2016 mit der Klägerin unter Einbeziehung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration (MI) als zuständiger Kommunalaufsichtsbehörde zu erörtern und abzuklären, dass die mit dem Zukunftsvertrag gesetzten Ziele nicht gefährdet werden.

Die Beklagte hätte daneben im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen müssen, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommunen auf der Grundlage der mit der Programmbehörde (MS) einvernehmlich veranschlagten Förderquoten eine maßgebliche Voraussetzung für die Aufnahme in das Förderprogramm RWB des Landes Niedersachsen war. Nach Ziffer 7.2.2.5 EFRE-RL ist die kommunalaufsichtlich bestätigte finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommune Voraussetzung für eine positive Entscheidung der Programmbehörde für die Aufnahme in die EFRE (RWB)-Förderung des Landes. Ziffer 7.2.1 EFRE-RL sieht insoweit ein Auswahlverfahren unter den antragstellenden Kommunen vor. Die Klägerin hat hierzu dem MS Antragsunterlagen vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass ihr damaliges Finanzierungskonzept eine Förderquote von 20 bis 25 Prozent aus EFRE-Mitteln unterstellt. Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass die von der Beklagten nunmehr vorgenommene Umstellung des Verfahrens zur Berechnung der zuwendungsfähigen Ausgaben dazu führt, dass die Förderquote auf um die 10 % abfällt. Eine derart gravierende Herabsetzung der Förderung führt die von der Programmbehörde bei Antragstellung vorgenommene Prüfung, ob die Finanzierung der von der Klägerin auf der Grundlage ihres ISEK angemeldeten Maßnahmen sichergestellt ist, ad absurdum. Sie dürfte auch schwerlich mit der damaligen Intention des MS zu vereinbaren sein, die Klägerin in die Lage zu versetzen, den zugesagten Förderrahmen von 1,3 Millionen Euro möglichst vollständig auszuschöpfen. Dieser Wille der Programmbehörde ist durch die einvernehmlich vorgenommene nachträgliche Erweiterung der Gebietskulisse deutlich zutage getreten. Zudem war für die Programmbehörde zum Zeitpunkt der Prüfung des klägerischen Antrags auf Aufnahme in das Förderprogramm RWB aufgrund der Genehmigung des städtischen Haushalts 2009 durch MI als Kommunalaufsichtsbehörde vom Januar und Juni 2009 klar ersichtlich, dass die Klägerin seinerzeit einem Haushaltssicherungskonzept unterlag, das die Möglichkeit der Kreditaufnahme zur Finanzierung von Investitionen eng begrenzte. Vor diesem Hintergrund wäre es an der Beklagten gewesen, zur Begründung der von ihr getroffenen Ermessensentscheidung nachvollziehbar darzulegen, ob und inwieweit die überwiegende Rücknahme der Bewilligungsentscheidung überhaupt mit dem Willen der Programmbehörde konform geht und ob der damaligen Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht nachträglich die Grundlage entzogen wird.

Zudem hätte eine umfassende Würdigung der klägerischen Belange im Rahmen der von der Beklagten zu treffenden Ermessensentscheidung erfordert, dass sie einerseits die Kenntnis und das ursprüngliche Wollen einer später als rechtswidrig erkannten Leistungsbewilligung (vgl. oben) ebenso mit in ihre Abwägung der widerstreitenden Interessen einstellt wie die seit Eintritt der Bestandskraft des Widerrufsbescheids vom 4. Oktober 2011 bis zur Bekanntgabe des angefochtenen Bescheids verstrichene Zeit. Nach den vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 16. Juni 2015 (a. a. O., Rn. 19) aufgestellten Grundsätzen wäre die Beklagte weiterhin verpflichtet gewesen, in ihre Ermessensentscheidung maßgeblich den Umstand einzustellen, dass die Gründe für die von der zuständigen Prüfbehörde im Dezember 2013 festgestellte Rechtswidrigkeit der bisherigen Anwendungspraxis allein in die Sphäre der Beklagten fallen, die sich eigenen Angaben zufolge bewusst für ein Außerachtlassen der streitgegenständlichen Kappungsgrenze im Rahmen der in den Jahren 2009 und 2010 erteilten Bewilligungsbescheide entschieden hatte. Außerdem war es geboten, die Belastungen für den Haushalt der Klägerin, die neben der hier streitigen Rückforderungssumme von rund 44.000 Euro maßgeblich durch die im ruhenden Verfahren – 2 A 105/16 – streitbefangenen Rückforderungsbeträge von rund 538.000 Euro entstehen, insgesamt in den Blick zu nehmen und darzulegen, warum Rückforderungen von mehr als einer halben Million Euro gleichwohl keine schweren Auswirkungen verursachen, wie die Beklagte ausgeführt hat.

Schließlich unterliegt der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 2016 auch deshalb der Aufhebung, weil zum Zeitpunkt seiner Bekanntgabe die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 NdsVwVfG abgelaufen war. Gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von den Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die erkennende Kammer zu der Auffassung gelangt, dass die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG auch zugunsten der Klägerin als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts anwendbar ist.

Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat, dass eine Behörde sich gegenüber einer anderen nicht auf Vertrauensschutz berufen könne. Das Institut des Vertrauensschutzes sei in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 242 BGB im Verwaltungsrecht entwickelt worden, um den Staatsbürger unter gewissen Voraussetzungen im Vertrauen auf Maßnahmen der Verwaltung zu schützen. Eines solchen Schutzes bedürfe die Verwaltung selbst nicht. Die Träger öffentlicher Verwaltung seien an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden und könnten sich nicht auf den Fortbestand eines rechtswidrigen Zustands berufen. Das gelte auch für Selbstverwaltungskörperschaften wie Gemeinden, die - ungeachtet ihrer Autonomie - dem Staat eingegliedert seien (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2006 – 3 C 23/05 –, BVerwGE 126, 7, zit. nach juris Rn. 24). Der Ausschluss von Vertrauensschutz im Verhältnis zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung habe daher zur Folge, dass die den Vertrauensschutz sichernden Absätze 2 und 3 des § 48 VwVfG für die von der Behörde zu treffende Rücknahmeentscheidung nicht anwendbar seien (a. a. O., Rn. 25). Da § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG neben den eindeutig den Vertrauensschutz sichernden Absätzen 2 und 3 ausdrücklich auch § 48 Abs. 4 VwVfG als das Rücknahmeermessen einschränkende Regelungen benenne, spreche einiges dafür, dass auch die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG dem Vertrauensschutz diene und schon deshalb im Verhältnis zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung keine Anwendung finde (a. a. O., Rn. 28). Die durch den 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts geäußerte Rechtsauffassung zur Anwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG wurde indes nicht entscheidungstragend, weil in dem zugrunde liegenden Sachverhalt die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG noch nicht abgelaufen war.

In einer späteren Entscheidung hat sich der für das Subventionsrecht zuständige 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der Anwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG zugunsten öffentlich-rechtlicher Zuwendungsempfänger nicht derart festgelegt. In seinem Urteil vom 16. Juni 2015 hat der 10. Senat argumentiert, das Gesetz räume – wie die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG zeige – dem Grundsatz der Rechtssicherheit besonderes Gewicht ein, wenn die zu beurteilenden Umstände und die Rechtswidrigkeit der Behörde seit mehr als einem Jahr bekannt seien (a. a. O., Rn. 19). Eine Umgehung der Art. 43 Abs. 2, Art. 48 BayVwVfG könne auch nicht mit der Sondersituation von Zuwendungen des Staates an andere öffentlich-rechtliche Körperschaften gerechtfertigt werden (a. a. O., Rn. 20).

Die erkennende Kammer folgt der in Teilen der Rechtsprechung (vgl. etwa OVG NRW, Urteile vom 20. April 2012 – 4 A 2005/10 –, zit. nach juris Rn. 56, und vom 12. Juni 2007 – 15 A 371/05 –, zit. nach juris Rn. 20; VG Gießen, Urteil vom 23. Juni 2017 – 4 K 1372/16.GI –, zit. nach juris Rn. 60; VG Köln, Urteil vom 16. August 1983 – 2 (3) K 1322/82 –, zit. nach juris Os 2) und von Stimmen in der Literatur (vgl. Suerbaum in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 1. Auflage 2014, § 48 Rn. 185 m. w. N.; Ramsauer in: Kopp/ders., a. a. O., § 48 Rn. 148 m. w. N.) vertretenen Auffassung, dass die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG auch im Verhältnis zwischen verschiedenen Trägern der öffentlichen Verwaltung anwendbar ist. Zur Begründung nimmt die Kammer Bezug auf die überzeugenden Ausführungen des OVG NRW in seinem Urteil vom 12. Juni 2007 (a. a. O.). Danach gebe der Wortlaut des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG für einen eingeschränkten Geltungsbereich der Norm keinen Anhalt. Allein aus deren Sinn und Zweck ließe sich im Wege teleologischer Reduktion eine Beschränkung des Anwendungsbereichs begründen. Die Rücknahmefrist diene aber nicht allein dem schutzwürdigen Vertrauen in den Bestand eines rechtswidrigen Verwaltungsakts. Da es sich bei der Rücknahmefrist um eine Entscheidungsfrist handele, also der Behörde die Frist zur Verfügung stehe, um sich nach erkannter Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und Kenntnis der für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen darüber klar zu werden, ob und inwieweit sie von ihrem Rücknahmeermessen Gebrauch machen wolle, gehe es bei der Fristgebundenheit auch um die im Interesse der Rechtssicherheit nötige Klarstellung, ob und von welchem Zeitpunkt an der jeweilige Rücknahmefall endgültig abgeschlossen sei (a. a. O., Rn. 22). Es gehe somit nicht - wie allgemein sonst beim Vertrauensschutz - darum, dass für den Begünstigten ein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand von - rechtswidrigen - Verwaltungsakten begründet worden wäre. Aus Gründen der Rechtssicherheit habe aber eine öffentlich-rechtliche Zuwendungsempfängerin einen Anspruch darauf, dass sich die Bewilligungsbehörde binnen der Jahresfrist entscheide, ob und inwieweit ihre Bewilligungsbescheide Bestand haben sollten. Auf den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz der Rechtssicherheit könnten sich auch Hoheitsträger berufen, deren Handeln auf rechtsbeständiger Grundlage aufbauen solle (a. a. O., Rn. 24). In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei geklärt, dass auch ein verfassungsrechtlich anerkanntes Rechtssicherheitsinteresse einer Verwaltungsbehörde an der Bestandskraft von Verwaltungsakten ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit bestehen könne (a. a. O., Rn. 26).

Unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG zu laufen beginnt, wenn der für die Entscheidung über die Rücknahme zuständige Amtswalter die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erkannt hat und ihm die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2001 – 8 C 8/00BVerwGE 112, 360, zit. nach juris Rn. 10 und 17), war jedenfalls im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Rücknahme- und Rückforderungsbescheids vom 9. Februar 2016 die Ausschlussfrist längst verstrichen. Die Kammer kann daher dahingestellt lassen, ob die Annahme der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid zutreffend ist, dass ihr und der Klägerin alle für die getroffene Rücknahmeverfügung entscheidungserheblichen Tatsachen schon im August 2013 bekannt gewesen seien, oder ob nicht auf den späteren Zeitpunkt der des Zugangs der abschließenden Prüfungsfeststellungen des MW im Dezember 2013 bei der Beklagten abzustellen ist, die nachrichtlich auch der Klägerin übermittelt wurden. Spätestens seit diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte Kenntnis von den Tatsachen, die die Rücknahme der Bewilligungsbescheide rechtfertigte, einschließlich der Kenntnis der – vermeintlichen – Rechtswidrigkeit. Dies zeigt sich deutlich daran, dass sie ihre Anwendungspraxis hinsichtlich der Anwendung der streitbefangenen Kappungsgrenze und der Methodik der anteiligen Anrechnung vereinnahmter Straßenausbaubeiträge entsprechend den Vorgaben der Prüfbehörde umgestellt hat, wie der in dem ruhenden Verfahren – 2 A 105/16 – streitbefangene Bescheid der Beklagten vom 16. März 2015 nach Prüfung des Verwendungsnachweises betreffend die Umgestaltung der Straße I. zwischen J. Straße und K. straße veranschaulicht. Warum die Beklagte in Bezug auf die von ihr angestrebte teilweise Rückabwicklung der Förderung für die dem vorliegenden Klageverfahren zugrunde liegende Umgestaltung der F. straße West seit Dezember 2013 bis zur Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 16. Oktober 2015 nicht tätig geworden ist, erschließt sich aus dem Vorbringen der Beklagten und den von ihr vorgelegten Verwaltungsakten nicht.

Da die auf § 48 Abs. 1 VwVfG gestützte Rücknahme der Bewilligungsentscheidung aus den vorstehenden – drei selbständig tragenden – Gründen keinen Bestand haben kann, fehlt es für die auf § 49a Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 NdsVwVfG fußende Rückforderung überzahlter Fördermittel bereits an der Erfüllung des Tatbestandes dieser Ermächtigungsgrundlage. Sie unterliegt damit ebenfalls der Aufhebung.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Soweit die Beklagte nicht unterliegt, sind ihr nach billigem Ermessen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, denn sie hat die Klägerin hinsichtlich eines Teils des mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 9. Februar 2016 festgesetzten Rückforderungsbetrags klaglos gestellt und sich somit freiwillig in die Rolle der Unterlegenen begeben, sodass die Kostentragung insoweit dem Rechtsgedanken des § 154 Abs. 1 VwGO entspricht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Dezember 1981 - 1 WB 166/80 -, zit. nach juris Rn. 18).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.