Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.08.2020, Az.: 13 MN 319/20

Corona-Verordnung; Mund-Nasen-Bedeckung; Rechtsschutzbedürfnis; Schule

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.08.2020
Aktenzeichen
13 MN 319/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 72048
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag wird verworfen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.

Der Streitwert wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragsteller sind niedersächsische Grundschüler, die sich gegen eine verpflichtende Vorgabe zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen in der Schule wenden. Sie vertreten die Auffassung, es gebe keinen Wirksamkeitsnachweis für derartige Bedeckungen. Eine Pflicht, in der Schule derartige Bedeckungen zu tragen, führte zu ernstzunehmenden, unverhältnismäßigen gesundheitlichen Folgen. In den Pausen müsse es möglich sein, andere Wege zu finden, die ein Tragen solcher Masken unnötig machten. Zudem sinke die Konzentrationsfähigkeit erheblich, wenn die Aufnahme von Sauerstoff während der Pausen durch das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung verhindert werde.

II. Mit Schriftsatz vom 18. August 2020, der am 20. August 2020 bei dem Oberverwaltungsgericht eingegangen ist, beantragen die anwaltlich vertretenen Antragsteller,

im Wege einer einstweiligen Anordnung § 17 Abs. 1 Satz 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 10. Juli 2020 in der Fassung vom 31. Juli 2020 bis zu einer Entscheidung in der Hauptasche vorläufig außer Vollzug zu setzen, soweit dieser die Regelungen des „Niedersächsischen Rahmen-Hygieneplans Corona Schule“ vom 30. Juni 2020 insoweit für zu beachten erklärt und damit Schülern das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen vorschreibt.

Dieser Antrag ist zu verwerfen.

Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 - 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

Der Antrag ist unzulässig.

Die Antragsteller beziehen sich auf einen nicht mehr geltenden § 17 Abs. 1 Satz 9 der Niedersächsischen Corona-Verordnung und auf einen Rahmen-Hygieneplan vom 30. Juni 2020, der nicht mehr aktuell ist und darüber hinaus nie den von ihnen angenommenen Inhalt hatte (1.). Selbst wenn sich die Antragsteller auf den aktuellen Verweis in § 17 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung und auf den aktuellen Hygieneplan vom 5. August 2020 beziehen wollten, so würde dieser weitgehend nur die ohnehin geltende Rechtslage wiedergeben (2.).

1. Die von den Antragstellern angegriffene Fassung der Niedersächsischen Corona-Verordnung enthält keinen § 17 Abs. 1 Satz 9 und der angegriffene Rahmen-Hygieneplan vom 30. Juni 2020 keine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung.

a. Die anwaltlich vertretenen Antragsteller beziehen sich inhaltlich auf eine zum Zeitpunkt des Abfassens ihres Schriftsatzes bereits seit etwa zwei Wochen nicht mehr gültige Fassung der Niedersächsischen Corona-Verordnung. Normenkontrolleilanträge gegen nicht mehr existierende Vorschriften sind nicht statthaft (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.4.2010 - 4 VR 2.09 -, juris Rn. 2).

Die von den Antragstellern formell angegriffene (6.) Niedersächsische Verordnung zur Neuordnung der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 vom 10. Juli 2020 (Nds. GVBl. S. 226, 257), in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 31. Juli 2020 (Nds. GVBl. S. 260), enthält keinen § 17 Abs. 1 Satz 9.

Die Niedersächsische Corona-Verordnung vom 10. Juli 2020 enthielt vor der Änderung durch die Verordnung vom 31. Juli 2020 einen § 17 Abs. 1 Satz 9. Dessen Regelung ist durch Änderungsverordnung vom 31. Juli 2020, die am 1. August 2020 in Kraft trat, aufgehoben worden und in § 17 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung übergegangen. Mit der jüngsten Änderungsverordnung vom 11. August 2020 (Nds. GVBl. S. 267), welche am 19. August 2020 in Kraft trat und somit zum Zeitpunkt des Abfassens der Antragsschrift noch nicht wirksam war, wurde § 17 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung neu gefasst und ordnet erst seitdem die Beachtung des neueren Rahmen-Hygieneplans vom 5. August 2020 (https://www.mk.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/schule-neues-schuljahr-190409.html) an.

b.) Der von den Antragstellern in Bezug genommene Rahmen-Hygieneplan vom 30. Juni 2020 enthält keine mit dem Vortrag der Antragsteller in Einklang zu bringende Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen.

Der Rahmen-Hygieneplan vom 30. Juni 2020 sieht keinerlei Pflichten zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen vor. Er enthält lediglich die Formulierungen, in den Pausen könnten Mund-Nasen-Bedeckungen getragen werden (S. 5), bei Erste-Hilfe-Maßnahmen sollten sie getragen werden (S. 13), ebenso beim Auftreten von Symptomen (S. 14).

2. Der Senat sieht davon ab, dem Antrag entgegen seinem Wortlaut und auch seiner Begründung als Antrag gegen § 17 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in Verbindung mit dem Rahmen-Hygieneplan vom 5. August 2020 auszulegen. Dies liegt schon deshalb fern, weil die Niedersächsische Corona-Verordnung zum Zeitpunkt des Abfassens der Antragsschrift noch nicht auf den Rahmen-Hygieneplan vom 5. August 2020 verwies. Im Übrigen fehlte es selbst bei einer solchen Auslegung teilweise an einem Rechtsschutzbedürfnis, im Übrigen an einer Antragsbefugnis der Antragsteller.

a.) Soweit der Rahmen-Hygieneplan vom 5. August 2020 auf Seite 11 das Szenario A - eingeschränkter Regelbetrieb - darstellt, gibt er nur die Regelung des von den Antragstellern hier nicht angefochtenen § 17 Abs. 1 Satz 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung wieder, so dass für einen Antrag auf seine Außervollzugsetzung kein Rechtsschutzbedürfnis besteht.

Das erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn die Antragsteller ihre Rechtsstellung mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung derzeit nicht verbessern können. Dies ist der Fall, wenn der Antrag, selbst wenn er ansonsten zulässig und begründet wäre, den Antragstellern keinen Nutzen bringen könnte (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 10.6.2020 - 2 BvR 297/20 -, juris Rn. 14; Senatsbeschl. v. 29.6.2020 - 13 MN 244/20 -, juris Rn. 6; v. 20.12.2017 - 13 KN 67/14 -, juris Rn. 68).

Zunächst ist festzustellen, dass auch der aktuelle Rahmen-Hygieneplan für das Szenario A als Grundmodell keine mit der Argumentation der Antragsteller in Einklang zu bringende Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen beinhaltet. So ist außerhalb von Unterrichts- und Arbeitsräumen eine Mund-Nasen-Bedeckung in von der Schule besonders gezeichneten Bereichen zu tragen, in denen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten ein Abstand von mindestens 1,5 Metern zu Personen anderer Kohorten nicht gewährleistet werden kann. Dies betreffe in der Regel Gänge, Flure, Versammlungsräume usw., ggf. auch das Außengelände.

Die Antragsteller sind nach dieser aktuellen Regelung im Unterricht hingegen nicht verpflichtet, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Auf dem Pausenhof müssen sie dies nur in den Bereichen, in denen die Einhaltung von Abständen zwischen den Kohorten aufgrund der Örtlichkeiten nicht gewährleistet werden kann.

Der Rahmen-Hygieneplan gibt damit lediglich die ohnehin geltende Rechtslage wieder und trifft keine darüberhinausgehende Regelung. Denn der von den Antragstellern nicht angefochtene § 17 Abs. 1 Satz 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung (sowohl in der von den Antragstellern zitierten Fassung als auch in der aktuellen) ordnet bereits an:

„Außerhalb von Unterrichts- und Arbeitsräumen hat jede Person eine Mund-Nasen-Bedeckung in von der Schule besonders gekennzeichneten Bereichen zu tragen, in denen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten die Einhaltung des Abstandsgebots nach § 1 Abs. 3 Satz 1 zwischen Personen, die nicht derselben Gruppe im Sinne des Satzes 1 angehören, nicht gewährleistet werden kann.“

Da die Antragsteller unabhängig von § 17 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in Verbindung mit dem aktuellen Rahmen-Hygieneplan an diese Anordnung des § 17 Abs. 1 Satz 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung gebunden wären, hätte die Außervollzugsetzung des Rahmen-Hygieneplans für sie keinen Vorteil, einem dahingehenden Antrag würde das Rechtsschutzbedürfnis fehlen.

b.) Soweit der Rahmen-Hygieneplan vom 5. August 2020 auf Seite 11 das Szenario B - Schule im Wechselmodell - (vgl. § 17 Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung) darstellt und in diesem Zusammenhang vorsieht, dass eine Mund-Nasen-Bedeckung nach dem Maßstab des Szenario A getragen werden soll, wenn ein Abstand zu anderen Personen - und nicht nur zu anderen Gruppen - nicht gewährleistet werden kann, bedarf es vertiefender Prüfung, ob diese Soll-Vorschrift eine originäre Pflicht beinhaltet oder nur eine Empfehlung für den atypischen Fall vorsieht, dass trotz des Wechselmodells eine Abstandsunterschreitung zwischen Schülern nicht vollständig verhindert werden kann.

Eine derartige Prüfung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht angezeigt, da eine Antragsbefugnis der Antragsteller nicht ersichtlich ist. Antragsbefugt ist gemäß § 47 Abs. 2 VwGO, wer geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ein Nachteil ist „in absehbarer Zeit zu erwarten“, wenn sein Eintritt nach den konkret gegebenen Umständen bereits voraussehbar ist (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 27.2.1980 - 9 C 2/79 -, juris Leitsatz 1). Es kommt darauf an, ob eine vernünftige, ihre Belange nicht überängstlich wahrende Person bei objektiver Würdigung der konkreten Umstände das Bemühen um Rechtsklarheit noch aufschieben würde (Schoch/Schneider/Bier/, VwGO § 47 Rn. 48 (Stand: Februar 2016)).

Die Antragsteller haben nicht ansatzweise dargestellt, dass das Szenario B für ihre Schule in absehbarer Zeit eintreten kann. Vorsorglich einen Normenkontrolleilantrag für ein möglicherweise nicht eintretendes Szenario zu stellen, ist mit dem Sinn und Zweck eines solchen Verfahrens unvereinbar und damit unzulässig. Sollte das Szenario B eintreten oder zumindest absehbar bevorstehen, bliebe es den Antragstellern unbenommen, eine Außervollzugsetzung der dann geltenden Vorschriften zu beantragen. Der Senat hat bereits in der Vergangenheit zeitnah über derartige Anträge entschieden.

III. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO).

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren und sodann gemäß § 39 Abs. 1 GKG für jeden der zwei Antragsteller in Ansatz zu bringen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).