Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.08.2020, Az.: 4 LA 74/19

Angehörige; Haushaltsmitglied; Pflegegeld; steuerfrei; Wohngeld

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.08.2020
Aktenzeichen
4 LA 74/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 72044
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 08.03.2019 - AZ: 4 A 180/18

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 14 Abs. 2 Nr. 26 WoGG, der die hälftige Anrechnung der nach § 3 Nr. 36 EStG steuerfreien Einnahmen für pflegerische Leistung von Nichthaushaltsmitgliedern auf das Jahreseinkommen vorsieht, verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG.

Tenor:

Die Anträge der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 8. Februar 2019 und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten des gerichtskostenfreien Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, hat keinen Erfolg. Denn die von ihr geltend gemachten Berufungszulassungsgründe sind nicht den Maßgaben des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt worden bzw. sie liegen nicht vor.

Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Die Klägerin hat vorgetragen, dass das erstinstanzliche Urteil unrichtig sei, weil das Verwaltungsgericht irrig davon ausgegangen sei, dass sie nicht der Rentenversicherungspflicht unterliege. Selbst für den Fall, dass diese Annahme zutreffen sollte, fehlt es indessen an der Darlegung, inwieweit das verwaltungsgerichtliche Urteil auch im Ergebnis auf der von der Klägerin aufgezeigten Fehlannahme beruht. Das Verwaltungsgericht ist nämlich – insoweit dem Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2018 (- 4 PA 230/18 -) folgend – auch davon ausgegangen, dass ein (weiterer) Abzug nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WoGG deshalb nicht in Betracht kommt, weil die Klägerin Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht selbst zu tragen hat. Dagegen hat die Klägerin indessen keine Einwände erhoben. Weder hat sie dargelegt, dass sie selbst Beiträge an die Rentenversicherung abführt, noch hat sie aufgezeigt, wieso ein Abzug nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WoGG auch in Fällen zu machen sei, in denen Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht von einer der Versicherungspflicht unterliegenden Person selbst geleistet werden, sondern – wie im hier gegebenen Fall des § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI – in voller Höhe allein von der Pflegekasse getragen werden (vgl. Koch, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, Stand 06/2020, § 3 SGB VI Rn. 17).

Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zunächst damit begründet, dass § 14 Abs. 2 Nr. 26 WoGG ihrer Ansicht nach verfassungswidrig sei. Ihr Vorbringen dürfte seinem Duktus nach eher dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzuordnen sein, weil es an der Formulierung einer bestimmten, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärten und für die Berufungsentscheidung erheblichen Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art fehlt. Unabhängig davon, unter welchem der Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO es am ehesten einzuordnen ist, vermag es dem Berufungszulassungsantrag der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen. Denn weder hat die Klägerin die Verfassungswidrigkeit des § 14 Abs. 2 Nr. 26 WoGG ausreichend dargetan noch liegt diese vor.

Die Klägerin hat erstens eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Pflegepersonen, die Angehörige im selben Haushalt pflegen, mit Pflegepersonen, die Angehörige in einem anderen Haushalt pflegen, bemängelt. Allerdings hat sie nicht erläutert, woraus sich die fehlende sachliche Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte ergeben soll. Eine fehlende sachliche Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung ist auch nicht offensichtlich. Sie könnte, da es sich um einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG handelt, ohnehin nur angenommen werden, wenn die Ungleichbehandlung willkürlich wäre. Davon kann indessen keine Rede sein. Zweck der Gewährung von Wohngeld ist nach § 1 Abs. 1 WoGG die wirtschaftliche Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens. Nach § 1 Abs. 2 WoGG wird es als Zuschuss zur Miete oder zur Belastung für den selbst genutzten Wohnraum geleistet. Angesichts dieser gesetzlichen Zielsetzung und Ausgestaltung des Wohngelds erscheint es nicht willkürlich, wenn Pflegegeld, welches an eine nicht dem eigenen Haushalt angehörige Pflegeperson weitergeleitet wird, bei dieser Person teilweise als Einkommen angerechnet und ihr damit zugemutet wird, diese Einnahme teilweise zur Finanzierung des von ihr selbst genutzten Wohnraums aufzuwenden. Dass eine derartige Anrechnung bei Personen, die im selben Haushalt leben, nicht stattfindet, entspricht demgegenüber den allgemeinen Grundsätzen des Wohngelds, wonach für die Bestimmung des Wohngeldanspruchs das Gesamteinkommen aller zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder ermittelt wird und Geldleistungen zwischen ihnen dabei unbeachtlich sind (Klein, in: Klein/Schulte/Unkel, WoGG, 2015, § 14 Rn. 227 f. unter Hinweis auf die Begründung des Entwurfs des Dritten Gesetzes zur Änderung wohngeldrechtlicher Vorschriften v. 9.11.2012, BT-Drs. 17/9851, S. 10).

Zweitens hat die Klägerin nicht dargetan, wieso sich ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz daraus ergeben soll, dass die hälftige Anrechnung des weitergeleiteten Pflegegeldes abhängig vom Pflegegrad der zu pflegenden Person und der dementsprechend unterschiedlichen Höhe des Pflegegeldes zu unterschiedlichen Anrechnungsbeträgen führt. Die stets hälftige Anrechnung nach § 14 Abs. 2 Nr. 26 WoGG stellt gerade eine Gleichbehandlung dar. Dass diese Anrechnung zu unterschiedlichen absoluten Summen abhängig von der Höhe des Pflegegeldes führt, liegt in der Natur der Sache.

Drittens fehlt es auch an einer hinreichenden Darlegung, wieso die Nichtanerkennung der anfallenden Fahrtkosten der Klägerin als Werbungskosten eine willkürliche Ungleichbehandlung sein soll. Steuerrechtlich handelt es sich bei an Angehörige weitergeleitetem Pflegegeld um eine steuerfreie Einnahme nach § 3 Nr. 36 EStG, für die nach § 3c Abs. 1 Satz 1 EStG Ausgaben, soweit sie mit ihr in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, ohnehin nicht als Werbungskosten abgezogen werden dürfen. Wohngeldrechtlich werden derartige Einnahmen nach § 14 Abs. 2 Nr. 26 WoGG durch eine nur hälftige Anrechnung bei der Berechnung des Jahreseinkommens privilegiert. Wieso eine weitere Privilegierung durch eine eigenständige wohn-geldrechtliche Berücksichtigung von zusätzlichen Werbungskosten, die dem Wohn-geldrecht im Übrigen fremd ist, zur Verhinderung eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz erforderlich sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht.

Die Klägerin hat weiter die Frage aufgeworfen, „ob weitergeleitetes Pflegegeld mit Blick auf § 115 ZPO als Einkommen zu berücksichtigen ist“. Diese Frage ist indessen nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie ohne Weiteres zu verneinen ist. § 115 ZPO trifft eine Regelung zum Einsatz von Einkommen und Vermögen bei der Berechnung der Prozesskostenhilfe, betrifft aber nicht die Berechnung von Wohngeldleistungen.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache oder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils lassen sich auch nicht damit begründen, dass andere Gerichte bei anderen Sozialleistungen davon ausgegangen sind, dass an Angehörige weitergeleitetes Pflegegeld nicht anzurechnen ist. Aus § 13 Abs. 5 SGB XI ergibt sich ein derartiger Rechtsgrundsatz nicht, weil sich diese Norm nur auf Sozialleistungen bezieht, die in Erfüllung eines hierauf gerichteten Anspruchs dem Versicherten selbst zufließen (vgl. Berchtold, in: Berchtold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, 2. Aufl. 2018, § 13 SGB XI Rn. 17). Im Übrigen enthält § 14 Abs. 2 Nr. 26 WoGG eine spezielle Anrechnungsregelung. Der von der Klägerin erwähnte § 13 Abs. 6 SGB XI ist vorliegend nicht heranzuziehen, weil er lediglich eine Regelung zur Nichtberücksichtigung weitergeleiteten Pflegegelds bei der Ermittlung von Unterhaltsansprüchen und Unterhaltsverpflichtungen, nicht aber bei der Ermittlung von Wohngeldansprüchen enthält.

Zuletzt kommt auch eine Zulassung der Berufung wegen Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) nicht in Betracht. Denn die Klägerin hat als Entscheidungen, von denen abgewichen worden sein soll, einen Beschluss des Oberlandesgerichts Bremen und einen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bezeichnet. Diese Gerichte gehört bereits nicht zu den divergenzfähigen Gerichten. Nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO sind lediglich Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts, d.h. des dem Verwaltungsgericht, dessen Entscheidung angegriffen wird, im Instanzenzug übergeordneten Oberverwaltungsgerichts oder Verwaltungsgerichtshofs, divergenzfähig (Senatsbeschl. v. 12.12.2018 - 4 LA 389/17 -, v. 3.2.2017 - 4 LA 76/16 - u.v. 2.5.2016 - 4 LA 32/16 -; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 124 Rn. 12 m.w.N). Ein solches Gericht stellen die von der Klägerin genannten Gerichte ersichtlich nicht dar.

Die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren kommt nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 188 VwGO (hierzu BVerwG, Urt. v. 23.4.2019 - 5 C 2.18 -, juris) sowie § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 5 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).