Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.08.2020, Az.: 13 MN 299/20

Corona-Verordnung; Lovemobile; Prostitution; Prostitutionsstätte; Sperrgebietsverordnung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.08.2020
Aktenzeichen
13 MN 299/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 72053
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag wird verworfen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragstellerin vermietet Wohnmobile, sogenannte Lovemobile, an Prostituierte. Mit Normenkontrollantrag und -eilantrag vom 7. August 2020 wendet sie sich gegen die Schließung von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen sowie der Straßenprostitution nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der (6.) Niedersächsischen Verordnung zur Neuordnung der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 - Niedersächsische Corona-Verordnung - vom 10. Juli 2020 (Nds. GVBl. S. 226, 257), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 11. August 2020 (Nds. GVBl. S. 267).

II. Der sinngemäß gestellte Antrag,

§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen,

bleibt ohne Erfolg.

Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 - 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

Der Antrag ist unzulässig.

Der Normenkontrolleilantrag ist nach § 47 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 75 NJG statthaft. Die Niedersächsische Corona-Verordnung ist eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 75 NJG (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, juris Rn. 16 ff.).

Der Antrag ist zutreffend gegen das Land Niedersachsen als normerlassende Körperschaft im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO gerichtet. Das Land Niedersachsen wird durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vertreten (vgl. Nr. II. des Gemeinsamen Runderlasses der Staatskanzlei und sämtlicher Ministerien, Vertretung des Landes Niedersachsen, v. 12.7.2012 (Nds. MBl. S. 578), zuletzt geändert am 15.9.2017 (Nds. MBl. S. 1288), in Verbindung mit Nr. 4.22 des Beschlusses der Landesregierung, Geschäftsverteilung der Niedersächsischen Landesregierung, v. 17.7.2012 (Nds. MBl. S. 610), zuletzt geändert am 18.11.2019 (Nds. MBl. S. 1618)).

Die Antragstellerin ist aber nicht antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO.

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Antrag eine natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne dieser Bestimmung sind die gleichen Maßstäbe anzulegen wie bei der Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.8.2005 - BVerwG 6 BN 1.05 -, juris Rn. 3 ff., insbes. 7; Urt. v. 26.2.1999 - BVerwG 4 CN 6.98 -, juris Rn. 9). Ausreichend, aber auch erforderlich ist es daher, dass die Antragstellerin hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in ihren subjektiven Rechten verletzt wird. Die Antragsbefugnis fehlt, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte der Antragstellerin verletzt sein können (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.1.2001 - 6 CN 4.00 -, juris Rn. 10; grundlegend: Urt. v. 24.9.1998 - 4 CN 2.98 -, juris Rn. 8; Senatsbeschl. v. 29.7.2020 - 13 MN 280/20 -, juris Rn. 9).

So ist es hier. Die von der Antragstellerin durchgeführte Bereitstellung von Prostitutionsfahrzeugen („Lovemobilen“) ist nicht durch § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung eingeschränkt.

Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung sind „Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnliche Einrichtungen sowie die Straßenprostitution“ für den Publikumsverkehr und Besuche geschlossen. Prostitutionsfahrzeuge fallen nicht hierunter.

1. Prostitutionsfahrzeuge sind keine Prostitutionsstätten im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alternative 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung.

Mit der Formulierung „Prostitutionsstätten“ verwendet der Verordnungsgeber einen definierten Begriff aus dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG). § 2 Abs. 3 und 4 ProstSchG lauten wie folgt:

„(3) Ein Prostitutionsgewerbe betreibt, wer gewerbsmäßig Leistungen im Zusammenhang mit der Erbringung sexueller Dienstleistungen durch mindestens eine andere Person anbietet oder Räumlichkeiten hierfür bereitstellt, indem er

1. eine Prostitutionsstätte betreibt,

2. ein Prostitutionsfahrzeug bereitstellt,

3. eine Prostitutionsveranstaltung organisiert oder durchführt oder

4. eine Prostitutionsvermittlung betreibt.

(4) Prostitutionsstätten sind Gebäude, Räume und sonstige ortsfeste Anlagen, die als Betriebsstätte zur Erbringung sexueller Dienstleistungen genutzt werden.“

Laut der Gesetzesbegründung sollen von der Begriffsdefinition alle üblicherweise als Bordelle, bordellartige Einrichtungen, Wohnungsbordelle, Terminwohnungen, Modellwohnungen etc. qualifizierten, gewerbsmäßig betriebenen Betriebsstätten umfasst sein (BT-Drs. 18/8556, S. 60). Von dem eigenständigen Begriff der Prostitutionsstätte im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1 ProstSchG sind daher die unter § 2 Abs. 3 Nr. 2. bis 4. ProstSchG erwähnten Fallgruppen des Prostitutionsgewerbes, also auch Prostitutionsfahrzeuge nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 5 ProstSchG, nicht umfasst.

Es ist nicht erkennbar, dass der Verordnungsgeber der Niedersächsischen Corona-Verordnung eine vom Begriff der Prostitutionsstätte im Sinne des ProstSchG abweichende Begriffsbestimmung vornehmen wollte.

2. Prostitutionsfahrzeuge sind auch keine Bordelle im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung.

Der vom Verordnungsgeber verwendete Begriff „Bordell“ findet sich, soweit erkennbar, in keiner Bundes- oder niedersächsischen Landesnorm. Er entstammt der Alltagssprache und umschreibt ein Gebäude, in dem Menschen sexuelle Dienstleistungen anbieten. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird „Bordellbetrieb“ bzw. „Bordell“ von Prostitutionsstätten dahingehend abgegrenzt, dass bei einem Bordellbetrieb eine Vielzahl von Menschen zusammentreffen (vgl. OVG Saarland, Beschl. v. 6.8.2020 - 2 B 258/20 -, juris Rn. 15, 17; Bayerischer VGH, Beschl. v. 24.7.2020 - 20 N 20.1611 -, juris Rn. 4). Damit dürfte Bordell als Synonym (vgl. auch hier die Gesetzesbegründung zum ProstSchG, BT-Drs. 18/8556, S. 60), allenfalls als Unterfall einer Prostitutionsstätte zu verstehen sein. Teilweise werden auch Lovemobile als „mobile Bordelle“ bezeichnet (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Lovemobil (Stand: 24.8.2020)), was jedoch bereits deutlich macht, dass keine Bordelle im eigentlichen Wortsinn vorliegen.

3. Prostitutionsfahrzeuge sind auch keine „ähnlichen Einrichtungen“ im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alternative 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung.

Es ist schon fraglich, ob ein Wohnmobil einer Prostitutionsstätte oder einem Bordell ähnlich ist, da es keine bauliche Anlage darstellt (vgl. zum Einrichtungsbegriff das Vorbringen des Antragsgegners im Verfahren 13 KN 235/20). Dagegen, dass Prostitutionsfahrzeuge als ähnliche Einrichtungen anzusehen sind, spricht zudem die Erwägung, dass der Verordnungsgeber, wenn er denn derartige Tätigkeiten untersagen wollte, sich wie beim verwendeten Begriff „Prostitutionsstätte“ der entsprechenden Terminologie des ProstSchG hätte bedienen können. Er hätte entweder die Prostitutionsfahrzeuge eigenständig unter § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung aufführen können, oder anstelle des Begriffs Prostitutionsstätte den Begriff „Prostitutionsgewerbe“ verwenden können, den definierten Oberbegriff für Prostitutionsstätten, -fahrzeuge, -veranstaltungen und -vermittlung. Formulierungen wie „ähnliche Einrichtungen“ bezwecken, einen begrifflich nur schwer eingrenzbaren Bereich fassen zu können und Umgehungen zu vermeiden. Prostitution ist, wie § 2 ProstSchG zeigt, hingegen mit wenigen und zudem legal definierten Begriffen präzise eingrenzbar. Prostitutionsfahrzeuge sind auch keine Umgehungen bei einer Schließung von Prostitutionsstätten, sondern bereits zuvor bestehende, benennbare Fallgruppen des Prostitutionsgewerbes.

4. Prostitutionsfahrzeuge unterfallen schließlich nicht der Straßenprostitution im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alternative 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung.

Der Begriff „Straßenprostitution“ ist, soweit erkennbar, wie „Bordell“ kein Begriff aus dem Bundes- oder niedersächsischen Landesrecht. Im ProstSchG wird der Begriff nicht verwendet; die Gesetzesbegründung geht allerdings davon aus, dass unter den Begriff „Straßenstrich“ Bereiche der Prostitution fallen, die nicht vom Begriff „Prostitutionsgewerbe“ (Prostitutionsstätten, -fahrzeuge, -versammlungen und -vermittlung) erfasst werden (vgl. BT-Drs. 18/8556, S. 38). Dies spricht bereits gegen die Annahme, dass Prostitutionsfahrzeuge hierunter fallen. Auch die wissenschaftliche Analyse der Prostitution differenziert zwischen „Straßenstrich“ (mit Auto oder mit Hotelbesuch/Zimmer) und „Wohnwagen“ (vgl. Sozialwissenschaftliches Frauenforschungsinstitut Freiburg, Untersuchung „Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes“ Abschlussbericht, 2005, S. 193 Fn. 422, abrufbar unter: docplayer.org/2413761-Untersuchung-auswirkungen-des-prostitutionsgesetzes-abschlussbericht.html (Stand: 24.08.2020)).

Die Bezeichnung findet sich als Rechtsbegriff nur in Sperrbezirksverordnungen und bezeichnet dort ein Verbot, auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen, in öffentlichen Anlagen sowie an sonstigen Orten, die von dort aus eingesehen werden können, der Prostitution nachzugehen (vgl. Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGStGB, beispielhaft BVerwG, Beschl. v. 22.3.2016 - BVerwG 6 B 42.15 -, juris Rn. 2). In entsprechenden Verordnungen wird, soweit überhaupt Prostitution näher beschrieben wird, die Straßenprostitution getrennt von der Prostitution in Prostitutionsfahrzeugen genannt (vgl. § 2 der Sperrgebietsverordnung Saarbrücken v. 10.1.2019, abrufbar unter: www.saarbruecken.de/media/download-5db98741bcd33; § 1 Abs. 2 der Sperrgebietsverordnung Chemnitz v. 16.7.2019, abrufbar unter: www.chemnitz.de/chemnitz/media/rathaus/satzungen/32_700_201908.pdf; §§ 1, 2 Nr. 3 der Sperrgebietsverordnung Erfurt v. 17.11.2010, www.erfurt.de/mam/ef/rathaus/stadtrecht/3/3106.pdf (jeweils Stand 24.8.2020)).

Somit spricht überwiegendes dafür, dass Prostitutionsfahrzeuge auch nicht unter den Begriff „Straßenprostitution“ fallen. Auch der Antragsgegner trägt insoweit keine gegenteilige Auffassung vor, sondern meint - zu Unrecht - Prostitutionsfahrzeuge seien als Prostitutionsstätten, zumindest als ähnliche Einrichtungen anzusehen.

III. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens nach dem Rechtsgedanken des § 155 Abs. 4 VwGO zu tragen. Danach können einem Beteiligten Kosten auferlegt werden, die durch dessen Verschulden entstanden sind. So liegt es hier.

Der Antragsgegner hat sich dezidiert dahin geäußert, er sei - als Verordnungsgeber - der Auffassung, mit § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung die Schließung von Prostitutionsfahrzeugen verordnet zu haben. Mit derartigen Äußerungen - die die wahre Verordnungslage unzutreffend wiedergeben - hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass sich auch bei der Antragstellerin die irrige Ansicht bildete, ihr Geschäftsmodell sei nicht zulässig. Der von dieser Prämisse ausgehend gebildete Standpunkt der Antragstellerin, sie sei betroffen, halte diese Begrenzung aber für rechtswidrig und daher unwirksam, hat die Antragstellerin zu dem hier gestellten unzulässigen Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung der Norm nach § 47 Abs. 6 VwGO veranlasst. Die Existenz dieses Verfahrens muss sich der Antragsgegner zurechnen lassen.

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).