Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.08.2020, Az.: 12 LB 64/20

Berichtigung; Bußgeldbescheid; Einspruchsfrist; Fahreignungs-Bewertungssystem; Fahrerlaubnis; Kraftfahrt-Bundesamt; Rechtskraft; Übermittlung; Wiedereinsetzung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.08.2020
Aktenzeichen
12 LB 64/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 72038
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 08.10.2019 - AZ: 6 A 342/17

Fundstelle

  • ZAP EN-Nr. 19/2020

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wurde bei der Ermittlung des Punktestandes, der einer Fahrerlaubnisentziehung nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zu Grunde lag, eine durch rechtskräftigen Bußgeldbescheid geahndete Zuwiderhandlung berücksichtigt, so entfallen die Voraussetzungen für diese Berücksichtigung rückwirkend, wenn dem Fahrerlaubnisinhaber Wiedereinsetzung in die Frist für einen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gewährt wird.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger seine Berufung zurückgenommen hat.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück – 6. Kammer (Einzelrichter) – vom 8. Oktober 2019 teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2017 wird mit Ausnahme der Aufforderung, den Führerschein vorzulegen, und der Zwangsgeldandrohung aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollsteckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in der Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Fahrerlaubnisentziehung nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem, die als Aberkennung des Rechts wirkt, von einer ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen.

Der E. geborene Kläger erwarb 1982 eine polnische Fahrerlaubnis der Klassen A und B und war zuletzt im Besitz eines entsprechenden, seit dem 22. Januar 2003 gültigen Führerscheins (vgl. Bl. 1 der Beiakte – BA – 1).

Zur Überzeugung der jeweiligen Verfolgungsbehörden überschritt der Kläger als Führer eines Kraftfahrzeugs am 17. August 2014, am 3. Januar, 1. Juli, 22. November, 14. und 18. Dezember 2015 sowie am 16. April und 1. Mai 2017 teils innerhalb teils außerhalb geschlossener Ortschaften die jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeiten um Werte zwischen 21 km/h und 28 km/h. Diese Verkehrsordnungswidrigkeiten wurden mit rechtskräftigen Bußgeldbescheiden nach dem Bußgeldkatalog (lfd. Nrn. 11.3.4 oder 11.3.5 der Tabelle 1 des Anhangs) geahndet, in das Fahreignungsregister eingetragen und dort unverbindlich mit jeweils einem Punkt bewertet. Nachdem ausweislich einer Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes die Ahndungen der ersten vier Geschwindigkeitsüberschreitungen rechtskräftig geworden und in das Register eingetragen worden waren, ermahnte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 14. März 2016 bei einem Registerstand von vier Punkten. Als nach Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes auch die Ahndungen der weiteren Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 14. und 18. Dezember 2015 Rechtskraft erlangt hatten und eingetragen worden waren, verwarnte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 21. April 2016 bei einem Registerstand von sechs Punkten. Schließlich unterrichtete das Kraftfahrt-Bundesamt die Beklagte über die Rechtskraft und die Eintragung auch der Ahndung der Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 16. April und 1. Mai 2017, die zu einem Stand von acht Punkten im Register führten. Die Beklagte hörte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 21. November 2017 zu der beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Der Kläger äußerte sich hierzu nicht.

Daraufhin entzog ihm die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Dezember 2017 (Bl. 10 ff. der Gerichtsakte – GA –) gestützt auf § 4 Abs. 5 [Satz 1] Nr. 3 und Abs. 8 StVG die Fahrerlaubnis, forderte ihn unter Fristsetzung auf, seinen Führerschein zum Zwecke der Eintragung der Entscheidung vorzulegen (§ 3 Abs. 2 [Satz 3 Alt. 2] StVG), die seine fehlende Fahrberechtigung im Bundesgebiet bewirke (§ 3 Abs. 2 [Satz 2] StVG [§ 46 Abs. 6 Satz 2 FeV]), und drohte für den Fall der Nichtbefolgung dieser Aufforderung ein Zwangsgeld von 100,- EUR an. Schließlich setzte die Beklagte gegen den Kläger in dem angefochtenen Bescheid Verwaltungskosten in Höhe von 102,63 EUR fest.

Der Bescheid wurde dem Kläger am 14. Dezember 2017 zugestellt.

Der Aufforderung, seinen Führerschein zum Zwecke der Eintragung vorzulegen (§ 47 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 FeV), kam der Kläger nach (vgl. Bl. 36 GA). Die beabsichtigte Eintragung (§ 47 Abs. 2 Satz 2 bis 3 FeV) wurde von der Beklagten vorgenommen.

Mit drei Schreiben vom 29. Dezember 2017 (Bl. 41 ff., 47 f. GA) legte der Kläger gegen die Bußgeldbescheide, durch welche die Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 3. Januar 2015, 18. Dezember 2015 und 1. Mai 2017 geahndet worden waren, Einsprüche ein. Zugleich beantragte er mit der Begründung, von diesen Bescheiden keine Kenntnis erhalten zu haben, Wiedereinsetzung in die Einspruchsfristen. Dies betraf auch den Bußgeldbescheid des Landkreises Helmstedt vom 23. Februar 2016, durch den die Geschwindigkeitsüberschreitung vom 18. Dezember 2015 geahndet worden war. Der Kläger machte insoweit geltend, der Bescheid sei ihm von seiner sich in seinem Haushalt aufhaltenden Tochter F., die für ihn die Post entgegennehme und öffne, verschwiegen worden. Um ihm weitere Aufregung zu ersparen, habe die Tochter, die auch seine Überweisungen erledige, ohne sein Wissen das Bußgeld bezahlt (vgl. Bl. 45 f. GA).

Am 29. Dezember 2017 hat der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2017 erhoben.

Mit Verfügung vom 13. April 2018 (Bl. 58 GA) hat der Landkreis Helmstedt dem Kläger die begehrte Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist gewährt. Unter dem 12. Dezember 2018 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt der Beklagten mit, dass auf eine entsprechende Information durch den Landkreis Helmstedt die Mitteilung über den Bußgeldbescheid vom 23. Februar 2016 aus dem Fahreignungsregister gelöscht worden sei (Bl. 65 GA).

Der Einspruch des Klägers gegen diesen Bußgeldbescheid hat lediglich insoweit Erfolg gehabt, als durch das Amtsgericht Helmstedt unter dem 2. Oktober 2018 die Geldbuße von 320.- EUR auf 70,- EUR herabgesetzt wurde (vgl. in Beiakte 1 und Bl. 95 GA). Diese bußgeldrichterliche Entscheidung ist am 15. Januar 2019 rechtskräftig geworden. Zu diesem Zeitpunkt waren die ersten beiden Verkehrsordnungswidrigkeiten (vom 17. August 2014 bzw. 3. Januar 2015), die zu der angefochtenen Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hatten, in dem Fahreignungsregister bereits gelöscht (vgl. Bl. 88 ff. GA) und die dritte Ordnungswidrigkeit (vom 1. Juli 2015) bereits getilgt (vgl. Bl. 74 und 89 GA).

Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Bußgeldbescheid des Kreises Helmstedt vom 23. Februar 2016 ursprünglich zu Unrecht eingetragen worden sei und sich deshalb im Zeitpunkt der Fahrerlaubnisentziehung keine Summe von acht Punkten im Fahreignungsregister ergeben habe. Nunmehr sei der Verstoß zwar wieder eingetragen, wegen des Ablaufs der Tilgungsfristen für zwei der Verstöße, die zu der angefochtenen Entziehung geführt hätten, sei die Summe von acht Punkten aber nicht erreicht. Es sei daher festzustellen, dass zu keinem Zeitpunkt zu Recht, nämlich aufgrund rechtskräftiger Entscheidungen, acht Punkte im Fahreignungsregister eingetragen gewesen seien.

Der Kläger hat beantragt (Bl. 35 GA),

den Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2017 … aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt (Bl. 51 GA),

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf die Begründung des angefochtenen Bescheides bezogen und diese dahin ergänzt, dass die geahndete Geschwindigkeitsüberschreitung vom 3. Januar 2015 sowohl in der Ermahnung vom 14. März 2016 als auch in der Verwarnung vom 21. April 2016 und dass die Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 18. Dezember 2015 und 1. Mai 2017 jedenfalls in der genannten Verwarnung aufgeführt gewesen seien. Der Kläger habe nicht vorgetragen, diese Verwarnung nicht erhalten zu haben. Spätestens zum Zeitpunkt ihres Erhalts habe er daher Kenntnis von dem Verstoß gehabt. Der Wiedereinsetzungsantrag sei daher bereits nicht unverzüglich bei dem Kreis Helmstedt gestellt worden. Im Übrigen habe der Kläger Vorkehrungen zu treffen, damit ihn an ihn adressierte Postsendungen erreichten. Bei der Einschaltung von Dritten müsse er sich deren Fehlverhalten zurechnen lassen. Insofern läge auch ein Verschulden vor, das eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist ausschließe. Schließlich sei der Verstoß vom 18. Dezember 2015 aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Helmstedt vom 2. Oktober 2018 auch wiedereingetragen worden.

Das Verwaltungsgericht hat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Klage unter anderem mit folgender Begründung abgewiesen: Die bloße Begehung der Verstöße, die zu einer Summe von acht Punkten nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem führe, reiche aus, wenn die Verstöße nur nachträglich rechtskräftig geahndet würden, § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG (sog. Tattagprinzip im Unterschied zum Rechtskraftprinzip). Dass bei dem durch den Kreis Helmstedt geahndeten Verstoß vom 18. Dezember 2015 Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist gegen den Bußgeldbescheid gewährt worden sei, sei unerheblich, weil der Verstoß letztlich rechtskräftig geahndet worden sei. Auf den weit nach dem Begehungszeitpunkt liegenden Zeitpunkt der Rechtskraft des Beschlusses des Amtsgerichts Helmstedt vom 2. Oktober 2018 komme es ebenso wenig an, wie auf den späteren Zeitpunkt der Wiedereintragung des Verstoßes in das Fahreignungsregister.

Der Senat hat mit Beschluss vom 3. April 2020 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zugelassen, weil es – wegen der Rückwirkung der Wiedereinsetzung – zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt an einer rechtskräftigen Ahndung der Tat vom 18. Dezember 2015 gefehlt haben könnte.

Nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 7. April 2020 hat der Kläger mit Schriftsätzen vom 1. und 7. Mai 2020 seine Berufung begründet.

In der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz hat er seine Berufung insoweit zurückgenommen, als es die erstinstanzlichen Abweisungen seiner Anfechtungsklagen gegen die Aufforderung zur Vorlage des Führerscheins und die Zwangsgeldandrohung betrifft. Er ist damit einem richterlichen Hinweis auf das nach Befolgung der Vorlageaufforderung insoweit fehlende Rechtsschutzbedürfnis gefolgt.

Er bringt vor, das Verwaltungsgericht habe seiner Entscheidung zwar einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt, diesen aber unzutreffend gewürdigt. Der gerichtlichen Überprüfung von Fahrerlaubnisentziehungen sei die zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung gegebene Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen. Dies gelte auch für Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG. Unter dem 13. April 2018 sei die beantragte Wiedereinsetzung in die Frist für die Einlegung eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid des Landkreises Helmstedt vom 23. Februar 2016 gewährt worden. Diese Gewährung von Wiedereinsetzung führe zu einer Durchbrechung der Rechtskraft und stehe einer Berücksichtigung des mit dem geahndeten Verkehrsverstoß verbundenen Punktes rückwirkend entgegen. Die Rechtswirkungen der Wiedereinsetzung erstreckten sich dabei auch auf das Fahreignungsregister: Die Eintragung, auf die sich die Wiedereinsetzung beziehe, werde nämlich rückgängig gemacht, und der Betroffene sei so zu stellen, als sei die ihr zugrundeliegende Ahndung nie rechtskräftig geworden. Die ursprüngliche Rechtskraft des Bußgeldbescheides des Landkreises Helmstedt vom 23. Februar 2016 lebe zudem durch eine spätere erneute Verurteilung nicht wieder auf. Vielmehr knüpften Rechtswirkungen im Register erst an den Eintritt der Rechtskraft der erneuten Entscheidung an. Vor diesem Hintergrund ändere auch die von dem Verwaltungsgericht vorgenommene grundsätzlich zutreffende Bewertung anhand des Tattagprinzips nichts. Denn durch die Rückwirkung der Wiedereinsetzung sei auch zu dem Zeitpunkt der Begehung der letzten zu der Ergreifung der Maßnahme führenden Tat ein achter Punkt nicht als eingetragen anzusehen gewesen – und sieben Punkte reichten nicht aus, um eine Entziehung der Fahrerlaubnis zu rechtfertigen. Die Richtigkeit dieser Auffassung zeige sich auch anhand eines Vergleichs mit der Situation, die vorgelegen hätte, wenn keine Wiedereinsetzung erforderlich gewesen wäre, sondern auf einen fristgerecht eingelegten Einspruch die Ahndung der Geschwindigkeitsüberschreitung vom 18. Dezember 2015 erstmals am 15. Januar 2019 rechtskräftig geworden wäre. Auch dann hätte es nämlich keine Handhabe gegeben, die Fahrerlaubnis zu entziehen, weil zu diesem Zeitpunkt die Eintragungen der geahndeten Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 17. August 2014 und 3. Januar 2015 getilgt gewesen seien. Deshalb sei ein Stand von acht Punkten im Fahreignungsregister im vorliegenden Falle nicht, auch nicht einmalig, erreicht worden. Die abweichende Sichtweise der Beklagten laufe dem Sinn und Zweck der Wiedereinsetzung zuwider. Denn durch diese habe der Gesetzgeber den Betroffenen bei unverschuldeter Fristversäumung so stellen wollen, als wenn dieser rechtzeitig einen Rechtsbehelf ergriffen hätte. Nach Auffassung der Beklagten wäre jedoch derjenige, der Wiedereinsetzung erlangte, schlechter gestellt als derjenige, der von der behördlichen Maßnahme rechtzeitig Kenntnis erhalten und deshalb keiner Wiedereinsetzung bedurft habe. In einer solchen Schlechterstellung läge ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu.

Der Kläger beantragt,

unter entsprechender Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 8. Oktober 2019 den Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2017 mit Ausnahme der Aufforderung, den Führerschein vorzulegen, und der Zwangsgeldandrohung aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer erstinstanzlichen Rechtsauffassung fest, wonach der angefochtene Bescheid auf der Grundlage des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG rechtmäßig sei. Der gerichtlichen Überprüfung von Fahrerlaubnisentziehungen im Klageverfahren sei die zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung gegebene Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen. Danach habe sie gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG für das Ergreifen der Maßnahme auf den Punktestand abzustellen gehabt, der sich hier zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Ordnungswidrigkeit ergeben habe. Zu diesem Zeitpunkt, hier dem 1. Mai 2017, sei – ebenso wie zum Zeitpunkt des Ergehens des angefochtenen Bescheides vom 8. Dezember 2017 – ein Stand von 8 Punkten im Fahreignungsregister erreicht gewesen. Allein die Gewährung von Wiedereinsetzung in die Frist für einen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid, mit dem der Verkehrsverstoß vom 18. Dezember 2015 geahndet worden sei, rechtfertige es nicht, diesen Verkehrsverstoß als für die angefochtene Fahrerlaubnisentziehung unbeachtlich anzusehen. Punkte ergäben sich nämlich nach § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG bereits mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet werde. Es sei daher ausreichend, dass die Ordnungswidrigkeit vom 18. Dezember 2015 nachträglich durch die seit dem 15. Januar 2019 rechtskräftige Entscheidung des Amtsgerichts Helmstedt geahndet worden sei. Es widerspreche dagegen dem Sinn und Zweck des Tattagprinzips, hier allein aufgrund der Gewährung der Wiedereinsetzung die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis zu verneinen. Denn in der Folge einer solchen Rechtsauffassung könnte sie, die Beklagte, eine Fahrerlaubnis künftig nur dann rechtmäßig entziehen, wenn sie unmittelbar vor dem Erlass einer Entziehungsverfügung bei allen Bußgeldbehörden Ermittlungen anstellte, ob etwa Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand positiv beschieden seien, die zu einer Durchbrechung der Rechtskraft führten. Eine solche Ermittlungspflicht sei indessen § 4 StVG nicht zu entnehmen. Was gelte, wenn nach einer Wiedereinsetzung der Bußgeldbescheid aufgehoben werde, brauche dagegen im vorliegenden Falle nicht entschieden zu werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte 1) verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung im Senat gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Das Verfahren ist einzustellen, soweit der Kläger seine Berufung zurückgenommen hat, also hinsichtlich der erstinstanzlichen Abweisungen seiner Anfechtungsklagen gegen die Aufforderung zur Vorlage des Führerscheins und die Zwangsgeldandrohung.

Die nach der teilweisen Rücknahme verbleibende Berufung ist zulässig und begründet.

Denn die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Festsetzung von Verwaltungskosten durch den Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2017 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Zutreffend und übereinstimmend setzen die Beteiligten voraus, dass im Anfechtungsprozess gegen die Entziehung einer Fahrerlaubnis der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt derjenige des Ergehens der letzten Behördenentscheidung ist (vgl. OVG Schl.-Hol., Beschl. v. 27.1.2017 - 4 MB 3/17 -, ZfSch 2017, 238 ff., hier zitiert nach juris, Rnrn. 6 und 7). Das zu diesem Zeitpunkt gültige und insoweit unverändert fortgeltende materielle Recht sieht eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem allerdings lediglich bei einem Stand von acht oder mehr Punkten im Fahreignungsregister vor (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG). Für das Ergreifen dieser Maßnahme ist dabei auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder – wie hier – Ordnungswidrigkeit ergeben hat (§ 4 Abs. 5 Satz 5 StVG). Maßgeblich ist deshalb im vorliegenden Falle der Punktestand, den der Kläger am 1. Mai 2017 erreicht hatte. Übereinstimmend und zutreffend sind die Beteiligten der Ansicht, dass dieser Punktestand (vor dem Hintergrund der Regelungen unter Nr. 3.2.2 der Anlage 13 a. F. zu § 40 FeV über die Bewertung von Verstößen gegen Vorschriften über die Geschwindigkeit im Sinne der lfd. Nrn. 11.3.4 und 11.3.5 der Tabelle 1 des Anhangs des Bußgeldkatalogs a. F. mit nur einem Punkt) nur dann acht Punkte betragen haben kann, wenn sich damals auch aus der Ahndung der Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers vom 18. Dezember 2015 ein weiterer Punkt ergab. Zwar ergeben sich gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG Punkte bereits mit der Begehung der Ordnungswidrigkeit, sofern diese rechtskräftig geahndet wird. Daraus folgt indessen nicht, dass es darauf, wann diese Rechtskraft eingetreten ist, nicht ankommt. Vielmehr ist erforderlich, dass sie (bereits) zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Grundsatz maßgeblichen Zeitpunkt, hier also demjenigen des Ergehens des angefochtenen Bescheides vom 8. Dezember 2017 durch Zustellung an den Kläger am 14. Dezember 2017, gegeben war. (Der Zeitpunkt des § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG kommt schon deshalb nicht als auch insoweit maßgeblich in Betracht, weil die letzte zur Ergreifung einer Maßnahme führende Tat am Tattag schwerlich rechtskräftig geahndet sein kann.)

Auszugehen ist allerdings davon, dass es an einer ausdrücklichen oder im Wege der Analogie übertragbaren Spezialregelung dafür fehlt, welche Auswirkungen die Gewährung von Wiedereinsetzung in die versäumte Frist für ein Rechtsmittel gegen eine strafgerichtliche Entscheidung oder einen Bußgeldbescheid auf bereits ergriffene Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem hat. Unmittelbar einschlägig sind insbesondere weder § 29 Abs. 3 Nr. 1 Var. 2 StVG, der den Fall der Aufhebung einer Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren betrifft, noch § 29 Abs. 3 Nr. 3 StVG, der sich auf Fälle der Aufhebung einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung (Trautmann, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 29 StVG Rn. 20) sowie auf die sich nach § 63 Abs. 2 FeV richtenden Tilgungen vorläufiger gerichtlicher Fahrerlaubnisentziehungen, anfechtbarer Entscheidungen der Fahrerlaubnisbehörde und gemäß § 28 Abs. 3 Nr. 9 StVG einzutragender Entscheidungen nach § 94 StPO bezieht (vgl. Hühnermann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, § 29 StVG Rn. 15).

Zwar wurden in der älteren Literatur die Fälle der Wiederaufnahme und der Wiedereinsetzung – ohne nähere Begründung – parallelisiert und wurde auch für die Letztgenannten nur die Möglichkeit thematisiert, nach einer Gewährung von Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist und der Aufhebung des Bußgeldbescheides dem Geschehen durch Rücknahme der auf den Bußgeldbescheid aufbauenden Entziehungsverfügung Rechnung zu tragen (vgl. Zwerger, ZfSch, 2009, 128 ff., unter 2.; Dauer, in: Hentschel/König Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 4 StVG Rn. 79; Stieber, in: Freymann/Wellner [Hrsg.], juris-PKStraßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 4 StVG [Stand: 2.5.2017] Rn. 57). Sähe man in § 29 Abs. 3 Nr. 1 Var. 2 StVG eine auf die Wiedereinsetzung übertragbare abschließende Regelung und kombinierte man diese zudem mit der – dann zumindest dem Wortlaut nach – als einschlägig erscheinenden Regelung über die Nichtberücksichtigung nachträglicher Tilgungen in § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG, so ließe sich im vorliegenden Falle gleich aus zwei Gründen zur Unerheblichkeit der gewährten Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist gelangen. Denn der Bußgeldbescheid des Landkreises Helmstedt vom 23. Februar 2016, durch den die Geschwindigkeitsüberschreitung vom 18. Dezember 2015 geahndet worden war, wurde in dem auf die Wiedereinsetzung und den Einspruch des Klägers durchgeführten gerichtlichen Verfahren weder rechtskräftig aufgehoben, noch wäre selbst eine nachträgliche Tilgung der Eintragung des Bußgeldbescheides im Entziehungsverfahren zu berücksichtigen.

Das alles vermag aber nicht zu überzeugen.

Dabei kann hier dahinstehen, wie nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem mit den Fällen der Wiederaufnahme umzugehen ist. Denn die Wiederaufnahme unterscheidet sich von der Wiedereinsetzung erheblich, sodass es an der Grundlage für eine Übertragung von sie betreffenden Regelungen auf die Wiedereinsetzung fehlt. Sie weist im Vergleich Besonderheiten auf, derentwegen ihr nicht nur nach den Vorschriften über das Fahreignungsregister durch eine eigenständige Regelung (§ 29 Abs. 3 Nr. 1 Var. 2 StVG) Rechnung getragen wird, sondern auch in dem regelungstechnisch verwandten (vgl. Wolf, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 28 StVG [Stand: 3.1.2020], Rn. 5) Bundeszentralregistergesetz (§ 16 BZRG). Diese Besonderheiten bestehen darin, dass sowohl eine Wiederaufnahme des gesamten Verfahrens als auch eine Teilwiederaufnahme – etwa nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs oder einer von mehreren Taten (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 370 Rn. 8) – möglich sind und dass der ungewisse Ausgang des Verfahrens auch in einer Aufrechterhaltung des Urteils bestehen kann (vgl. § 373 Abs. 1 Alt. 1 StPO). Deshalb hat sich der Gesetzgeber im Bundeszentralregistergesetz für eine differenzierte Regelung (§ 16 BZRG) der Rechtsfolgen der Wiederaufnahme entschieden, obwohl es im Hinblick darauf, dass in das Zentralregister – wie grundsätzlich auch in das Fahreignungsregister (vgl. § 28 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 StVG) – nur rechtskräftige Entscheidungen einzutragen sind (§ 3 Nr. 1, 4 BZRG), nicht ferngelegen hätte, schon nach der rechtskräftigen Anordnung der Wiederaufnahme (§ 370 Abs. 2 StPO) die nicht mehr rechtskräftige Entscheidung aus dem Zentralregister zu entfernen (vgl. Hase, BZRG, 2. Aufl. 2014, § 16 Rnrn. 1, 6 und 7). Zwar sind sowohl die strafprozessualen (vgl. Schmidt, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 370 Rnrn. 13 ff.; Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 370 Rnrn. 32 f.) als auch die registerrechtlichen (vgl. Hase, BZRG, 2. Aufl. 2014, § 16 Rnrn. 6 f.) Auswirkungen der Wiederaufnahme in ihren Einzelheiten umstritten. Aufgrund der genannten Besonderheiten der Wiederaufnahmefälle lag deren Regelungsbedürftigkeit aber auch für das Fahreignungsregister auf der Hand – wobei allerdings mit § 29 Abs. 3 Nr. 1 Var. 2 StVG eine im Verhältnis zu § 16 BZRG weniger differenzierte Regelung getroffen wurde.

Fälle der Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist weisen nicht dieselben Besonderheiten wie Fälle der Wiederaufnahme auf. Insbesondere wird eine nur teilweise Wiedereinsetzung in die Rechtmittelfrist in aller Regel ausscheiden.

Dementsprechend sind nach dem Bundeszentralregistergesetz die Fälle der Wiedereinsetzung auch nicht analog § 16 BZRG zu behandeln, sondern als Fälle der Berichtigung im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 2 BZRG einzuordnen. Der Gesetzgeber hat diese Fallgruppe durch § 20 Abs. 1 BZRG erfassen wollen, dies jedoch als so „selbstverständlich“ angesehen, dass er es keiner Erwähnung im Gesetzestext für wert gehalten hat (vgl. Gesetzentwurf der BReg. vom 17.8.2001 für ein 4. BZRGÄndG, Begründung, BT-Drucks. 14/6814, S. 12, zu Nr. 6 [§ 20 BZRG-E]). Bereits § 8 der (inzwischen durch § 21 Nr. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Bundeszentralregistergesetzes – BZRGVwV – vom 16. November 2008) aufgehobenen 1. BZRVwV vom 24. Mai 1985 (BAnz. Nr. 99 vom 31. Mai 1985 – hier zitiert nach Rebmann/Uhlig; BZRG, München 1985, Anhang III.A.1), den der Gesetzgeber des 4. BZRGÄndG lediglich für nicht umfassend genug erachtete, hatte nämlich Folgendes bestimmt: „Stellt ein Gericht oder eine Behörde fest, dass eine Mitteilung zum Bundeszentralregister nicht, nicht richtig oder nicht vollständig bewirkt worden ist, so ist die Mitteilung nachzuholen oder der Registerbehörde unverzüglich eine Berichtigung oder Ergänzung mitzuteilen. Dies gilt insbesondere, wenn nach Versäumung der Rechtsmittelfrist dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wurde.“

Schon vor diesem Hintergrund und der regelungstechnischen Verwandtschaft zwischen den Vorschriften über das Bundeszentralregister einerseits und das Fahreignungsregister andererseits spricht viel dafür, Fälle der Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist auch im Kontext des Fahreignungsregisters nicht mit den Fällen der Wiederaufnahme zu parallelisieren, sondern sie als Berichtigungsfälle einzuordnen.

Außerdem nehmen die neure Rechtsprechung (OVG NRW, Beschl. v. 25.7.2017 - 16 B 432/17 -, VerkMitt 2018, Nr. 11, hier zitiert nach juris, Rnrn. 14 f.; OVG Schl.-Hol., Beschl. v. 27.1.2017 - 4 MB 3/17 - ZfSch 2017, 238 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 9) und eine ihr zustimmende Literatur (Hühnermann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Janke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, § 4 StVG Rn. 28; Dauer, in: Hentschel/König Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 4 StVG Rn. 79; Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 52 Rn. 31) zu Recht an, dass sich die Richtigkeit dieser Einordnung aus dem Wesen der Wiedereinsetzung ableiten lässt.

Da sich Punkte gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben, sofern sie rechtskräftig geahndet wird, muss die Fahrerlaubnisbehörde die Rechtskraft abwarten und retrospektiv den Punktestand ermitteln. Dieser Punktestand verändert sich rückwirkend, wenn dem Betroffenen gemäß § 52 Abs. 1 OWiG i. V. m. den §§ 44 und 45 StPO wegen Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird. Der verspätete Rechtsbehelf wird dann als rechtzeitig angesehen und das Verfahren so fortgesetzt, als ob die Frist nicht versäumt worden wäre (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 25.7.2017 - 16 B 432/17 -, a. a. O., juris, Rn. 14; OVG Schl.-Hol., Beschl. v. 27.1.2017 - 4 MB 3/17 -, a. a. O., juris, Rn. 9; A. Bücherl, in: BeckOK OWiG [Stand: 1.4.2020], § 52 Rn. 1; Lampe, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018; § 52 Rn. 1; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 44 Rn. 25; Maul, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 46 Rn. 4). Die Wiedereinsetzung beseitigt damit insbesondere auch rückwirkend (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 25.7.2017 - 16 B 432/17 -, a. a. O., juris, Rn. 10) die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O.).

Dementsprechend muss der Betroffene, dem eine Entziehung der Fahrerlaubnis droht, den Bußgeldbescheid nur so lange gegen sich gelten lassen, wie die Rechtskraft dieser Entscheidung nicht durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beseitigt ist.

In weiter Auslegung oder Analogie zu der Regelung in § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG, wonach die zuständige Behörde bei der Ergreifung von Maßnahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden ist, ist es zu dem gerechtfertigt, eine gleichartige Bindung (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 25.7.2017 - 16 B 432/17 -, a. a. O., juris, Rn. 10) an solche unanfechtbaren Entscheidungen über eine Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist zu bejahen, durch welche die Rechtskraft bereits in das Fahreignungsregister eingetragener Strafurteile, Strafbefehle oder Bußgeldbescheide rückwirkend beseitigt – und damit dieses Register unrichtig wird. Derartige Entscheidungen über die Gewährung von Wiedereinsetzung unterliegen folglich auch den Mitteilungspflichten nach § 28 Abs. 3 Nr. 14 StVG und (in analoger Anwendung) § 4 Abs. 8 Satz 1 StVG.

Eine fehlende Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an das rückwirkende Entfallen der Rechtskraft ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass sich die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG nach der Sachlage im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entziehungsverfügung bestimmt und eine nachfolgende Reduzierung des Punktestands im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens – etwa durch Tilgung im Fahreignungsregister bzw. Eintritt der Tilgungsreife – die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung nicht mehr beeinflusst (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 25.7.2017 - 16 B 432/17 -, a. a. O., juris, Rnrn. 12 und 14). Denn da das Bußgeldverfahren infolge der gewährten Wiedereinsetzung rückwirkend in den Stand versetzt wird, in dem es sich im Fall eines rechtzeitigen Einspruchs des Betroffenen befände, fehlt es von vornherein an einem rechtskräftig geahndeten Verkehrsverstoß, der mit einem – hier achten – Punkt zu bewerten wäre und die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigen könnte.

Dem kann die Beklagte auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis ursprünglich rechtmäßig gewesen sei, woran sich durch ein späteres Entfallen und Wiedereintreten einer rechtskräftigen Ahndung nichts geändert habe. Eine solche Betrachtungsweise würde nämlich dem Sinn und Zweck der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gerade auch im Hinblick auf die besondere Verzahnung zwischen dem Bußgeldverfahren einerseits und der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 StVG auf der Grundlage des Fahreignungs-Bewertungssystems andererseits widersprechen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 25.7.2017 - 16 B 432/17 -, a. a. O., juris, Rn. 15). Der Betroffene darf nämlich nicht schlechter gestellt werden, als er stünde, wenn er die Einspruchsfrist nicht unverschuldet versäumt, sondern rechtzeitig seinen Einspruch erhoben hätte. Auch der Umstand, dass allein die rechtskräftige Ahndung der mit Punkten bewerteten Verkehrsverstöße und das Erreichen von acht Punkten ausreicht, um dem Betroffenen nach Maßgabe des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG die Fahrerlaubnis zu entziehen, spricht dafür, die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung an das Schicksal des den Verkehrsverstoß ahndenden Bußgeldbescheids zu knüpfen. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung auch grundlegend von derjenigen, über die der erkennende Senat in seinem Beschluss vom 26. Januar 2009 - 12 ME 316/08 - (NJW 2009, 1160 f.; hier zitiert nach juris, Rn. 8) zu befinden hatte.

Nicht nur vor diesem Hintergrund ist indessen unerheblich, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers vom 18. Dezember 2015 später wiederum rechtskräftig geahndet wurde. Vielmehr ergibt sich diese Unerheblichkeit schon daraus, dass der Eintritt einer bislang fehlenden Rechtskraft – im Gegensatz zu der Wiedereinsetzung – nicht auf einen früheren Zeitpunkt zurückwirkt (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 25.7.2017 - 16 B 432/17 -, a. a. O., juris, Rn. 14).

Es ist nicht zu Lasten der Beklagten praxisfern, das rückwirkende Entfallen der Rechtskraft eines Bußgeldbescheides bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis zu berücksichtigen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 25.7.2017 - 16 B 432/17 -, a. a. O., juris, Rn. 22; Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 52 Rn. 31). Selbst wenn der betroffene Fahrerlaubnisinhaber erst anlässlich der Konfrontation mit der drohenden Entziehung der Fahrerlaubnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, kann sich die Behörde nämlich in der Regel rechtzeitig auf eine dadurch eventuell eintretende Änderung der Sach- und Rechtslage einstellen. Der Betroffene wird sie von seinem Wiedereinsetzungsgesuch zumeist schon im Zuge der Anhörung zu der beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis unterrichten. Geschieht dies indessen nicht, ist die Fahrerlaubnisbehörde nicht verpflichtet, ins Blaue hinein zu ermitteln, ob Wiedereinsetzung von dem Betroffenen beantragt oder ihm bereits gewährt wurde. Außerdem können in Anwendung des § 155 Abs. 4 VwGO oder des Rechtsgedankens des § 156 VwGO die Kosten eines Prozesses über die Anfechtung der Fahrerlaubnisentziehung dem Fahrerlaubnisinhaber auferlegt werden, wenn er die Fahrerlaubnisbehörde nicht vorgerichtlich über sein Wiedereinsetzungsgesuch und dessen Begründung unterrichtet hatte und die Behörde auf die tatsächliche Gewährung von Wiedereinsetzung umgehend mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides reagiert. Letzteres hat die Beklagte indessen im vorliegenden Falle nicht getan.

Erfolglos kritisiert sie schließlich, die Verfügung vom 13. April 2018 (Bl. 58 GA), durch die dem Kläger Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist gewährt wurde, sei materiell rechtswidrig gewesen. Denn die Entscheidung der nach § 52 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 zuständigen Verfolgungsbehörde über die Wiedereinsetzung ist gemäß den §§ 51 Abs. 1 OWiG, 46 Abs. 2 StPO unanfechtbar, unwiderruflich und kann auch im Falle ihrer Fehlerhaftigkeit nicht zurückgenommen werden (vgl. Lampe, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 52 Rn. 35, m w. N.). Ihre Bindungswirkung erstreckt sich nicht nur auf das gerichtliche Bußgeldverfahren, sondern – wie ausgeführt – auch auf ein Verwaltungsverfahren der Fahrerlaubnisentziehung nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem und einen diesem nachfolgenden Verwaltungsrechtsstreit.

Nach alledem war die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers rechtswidrig. Denn zum Zeitpunkt des Ergehens der Entziehungsverfügung durfte die Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers vom 18. Dezember 2015 in den nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG zu bestimmenden Punktestand nicht einbezogen werden, weil sie infolge der rückwirkenden Gewährung von Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist durch die Verfügung vom 13. April 2018 nicht rechtskräftig geahndet war.

Der Senat lässt offen, ob eine Rechtswidrigkeit der Fahrerlaubnisentziehung zudem aus § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG und dem Umstand folgt, dass nicht nur der angefochtenen Entziehungsverfügung, sondern bereits der Verwarnung vom 21. April 2016 die Ahndung der Geschwindigkeitsüberschreitung vom 18. Dezember 2015 durch den Bußgeldbescheid des Landkreises Helmstedt vom 23. Februar 2016 zu Grunde lag.

Die Rechtswidrigkeit der Kostenfestsetzung ergibt sich aus § 6a Abs. 3 Satz 1 StVG i. V. m. § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG in der bis zum 14. August 2013 geltenden Fassung. Denn die Beklagte hat mit dem Erlass der Entziehungsverfügung eine aus verwaltungskostenrechtlicher Sicht unrichtige Sachbehandlung vorgenommen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 6.4.2017 - 12 PA 199/16 -, DAR 2017, 339 ff. hier zitiert nach juris, Rn. 17; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 12.12.2016 - 10 S 2406/14, juris, Rnrn. 24 und 26).

Der Kläger ist in seinen Rechten verletzt, da seine Handlungsfreiheit durch die an ihn gerichtete rechtswidrige Entziehungsverfügung und Kostenfestsetzung beschränkt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 155 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor, insbesondere ist eine Grundsatzrevision nicht zuzulassen. Denn die rechtliche Wirkung einer Gewährung von Wiedereinsetzung in Fristen für Einsprüche gegen Bußgeldbescheide auf im Rahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems bereits ergriffene Maßnahmen ist aus der überkommenen Dogmatik abzuleiten und wird inzwischen in der obergerichtlichen Rechtsprechung und aktuellen Literatur übereinstimmend beurteilt. Einer höchstrichterlichen Klärung bedarf es nicht.