Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.08.2020, Az.: 11 ME 136/20

Anordnungsanspruch; einstweilige Anordnung; Erlaubnis; Erlaubnisfiktion; Erlaubnisvorbehalt; Fortnahme; Gefahr; gefährlicher Hund; Herausgabe; Hundehalter; konkrete Gefahr; Sicherstellung; unverzüglich

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
31.08.2020
Aktenzeichen
11 ME 136/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71919
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 29.05.2020 - AZ: 10 B 2832/20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Eintritt der in § 9 Satz 2 NHundG geregelte Erlaubnisfiktion, wonach das Halten eines gefährlichen Hundes bis zur Entscheidung über den Antrag als erlaubt gilt, setzt voraus, dass der Hundehalter die Erlaubnis zum Halten eines gefährlichen Hundes i.S.v. § 9 Satz 1 NHundG "unverzüglich" nach der Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes beantragt hat.

Tenor:

Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 10. Kammer - vom 29. Mai 2020 wird zurückgewiesen, soweit damit der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen, weil die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Antragstellerin begehrt die Herausgabe ihres Hundes C., eines Labrador-Schäferhund-Mischlings. Zuletzt mit Bescheid vom 4. März 2020 stellte die Antragsgegnerin die Gefährlichkeit des Hundes nach § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG fest. Zugleich wies sie darauf hin, dass die Haltung des Hundes einer Erlaubnis bedarf und setzte der Antragstellerin zur Beantragung der Erlaubnis eine Frist bis zum 20. März 2020. Für den Fall der nicht rechtzeitigen Erlaubnisbeantragung drohte die Antragsgegnerin die Fortnahme des Hundes im Wege der Ersatzvornahme an. Zur Begründung der Gefährlichkeitsfeststellung führte die Antragsgegnerin aus, dass es zu insgesamt vier Vorfällen gekommen sei, bei denen C. andere Hunde gebissen und verletzt habe.

Unter dem 26. März 2020 beantragte die Antragsgegnerin bei dem Amtsgericht A-Stadt einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung und Nebenflächen der Antragstellerin. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin u.a. aus, dass die Antragstellerin auf den am 6. März 2020 zugestellten Bescheid zur Gefährlichkeitsfeststellung nicht reagiert habe und auch telefonische Kontaktversuche erfolglos geblieben seien. Aufgrund des bisherigen Verhaltens der Antragstellerin (Ignorieren behördlicher Anordnungen, Zurücksenden ungeöffneter Briefe und fehlende Reaktion auf Kommunikationsversuche) sei davon auszugehen, dass der Hund nicht freiwillig herausgegeben werde. Mit Beschluss vom 27. März 2020 ordnete das Amtsgericht A-Stadt die Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume der Antragstellerin sowie der ihr gehörenden Sachen an, um die Abgabe des Hundes C. durchzusetzen. Zugleich wurde die Beschlagnahme des sichergestellten Tieres angeordnet.

Am 7. Mai 2020 nahm die Antragsgegnerin den Hund der Antragstellerin fort und händigte der Antragstellerin den Bescheid vom 4. März 2020 nochmals persönlich aus. Unter dem 14. Mai 2020 wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin an die Antragsgegnerin, forderte die Herausgabe des Hundes und übersandte gleichzeitig einen am 12. Mai 2020 unterschriebenen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis nach dem Niedersächsischen Hundegesetz.

Unter dem 21. Mai 2020 hat die Antragstellerin Klage (10 A 2830/29) gegen den Bescheid vom 4. März 2020 erhoben und zugleich einen Antrag auf Herausgabe ihres Hundes nach § 123 VwGO gestellt. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt.

Die von der Antragstellerin vorgetragenen Beschwerdegründe, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den von ihr sichergestellten Labrador-Schäferhund C. an die Antragstellerin herauszugeben, keinen Erfolg hat, weil die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht hat.

Die Voraussetzungen für die Herausgabe einer sichergestellten Sache sind in § 29 Abs. 1 NPOG geregelt. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 NPOG sind, sobald die Voraussetzungen für die Sicherstellung weggefallen sind, die Sachen an diejenige Person herauszugeben, bei der sie sichergestellt worden sind. Gemäß § 90 a Satz 1 BGB sind Tiere zwar keine Sache, die für sie geltenden Vorschriften sind jedoch nach § 90 a Satz 3 BGB entsprechend anzuwenden, soweit - wie hier - nicht etwas anderes bestimmt ist (vgl. Neuhäuser, in: Möstl/Weiner, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Niedersachsen, Stand: 1.8.2020, § 26, Rn. 21). Nach § 29 Abs. 1 Satz 3 NPOG ist die Herausgabe einer sichergestellten Sache allerdings ausgeschlossen, wenn dadurch erneut die Voraussetzungen für eine Sicherstellung eintreten würden.

Davon ausgehend kann die Antragstellerin vorliegend nicht die Herausgabe ihres Hundes C. fordern, da durch eine solche Herausgabe erneut die Voraussetzungen für eine Sicherstellung eintreten würden. Die am 7. Mai 2020 durchgeführte Sicherstellung von C. ist rechtmäßig erfolgt und die Voraussetzungen für eine Sicherstellung lagen bzw. liegen sowohl zum Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung als auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Senatsentscheidung weiterhin vor (1.). Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die in § 9 Satz 2 NHundG geregelte Erlaubnisfiktion berufen (2.). Der Herausgabe von C. an die Antragstellerin steht somit gegenwärtig entgegen, dass durch eine solche Herausgabe (erneut) ein rechtswidriger Zustand und damit eine gegenwärtige Gefahr i.S.d. § 26 Nr. 1 NPOG begründet würde, so dass zugleich die Voraussetzungen für eine (erneute) Sicherstellung i.S.d. § 29 Abs. 1 Satz 3 NPOG eintreten würden.

1. Rechtsgrundlage für die Sicherstellung des Hundes ist § 17 Abs. 4 Satz 1 NHundG i.V.m. § 26 Nr. 1 NPOG. Gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 NHundG können die zuständigen Behörden die zur Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes im Einzelfall notwendigen Maßnahmen treffen. Nach § 26 Nr. 1 NPOG kann eine Sache sichergestellt werden, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Unter einer Gefahr ist nach der Legaldefinition in § 2 Nr. 1 NPOG eine Sachlage zu verstehen, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird. Die Gefahr ist nach § 2 Nr. 2 NPOG gegenwärtig, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder wenn diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht.

a) Hier ist die Sicherstellung des Hundes der Antragstellerin zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr nach § 26 Nr. 1 NPOG erforderlich gewesen. Mit Bescheid vom 4. März 2020 ist die Gefährlichkeit von C. festgestellt worden. Dieser Bescheid ist nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 3 NHundG sofort vollziehbar, d.h. die von der Antragstellerin dagegen erhobene Klage hat unabhängig von der Frage, ob die Klage fristgerecht bei Gericht eingegangen ist, keine aufschiebende Wirkung. Im Übrigen teilt der Senat die vom Verwaltungsgericht vertretene Ansicht, dass der Bescheid vom 4. März 2020 bestandskräftig geworden ist. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Bescheid vom 4. März 2020 der Antragstellerin am 6. März 2020 wirksam nach § 1 Abs. 1 NVwZG i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwZG i.V.m. § 180 Satz 2 ZPO zugestellt worden. Zur weiteren Begründung wird in diesem Zusammenhang auf die ausführlichen und überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen, die durch die vorgelegten Verwaltungsvorgänge gestützt werden und denen die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht entgegengetreten ist. Folglich ist die von der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 4. März 2020 am 21. Mai 2020 erhobene Klage erst nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO erfolgt und damit verfristet.

b) Aufgrund der sofort vollziehbaren bzw. bestandskräftigen Gefährlichkeitsfeststellung liegen Tatsachen i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 NHundG vor, die den Verdacht rechtfertigen, dass von C. eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht (§ 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG). Zugleich folgt aus der Gefährlichkeitsfeststellung, dass das rechtmäßige Halten von C. durch die Antragstellerin nach § 8 Abs. 1 NHundG der Erlaubnis der Fachbehörde bedarf, die Antragstellerin also ohne das Vorliegen einer solchen Erlaubnis nicht berechtigt ist, D.“ (weiterhin) zu halten (vgl. Saipa, in: Saipa/Beckermann/Reichert u.a., NHundG, Stand: Nov. 2019, § 8, mit Hinweis auf die unveröffentlichten Durchführungshinweise des ML vom 16.9.2011). Das Halten eines gefährlichen Hundes ohne die dafür erforderliche Erlaubnis begründet einen rechtswidrigen Zustand und stellt damit zugleich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar (vgl. VG Stade, Beschl. v. 28.6.2011 - 1 B 510/11 -, juris, Rn. 24). Vorliegend ist unstreitig, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin bisher keine Erlaubnis zum Halten von C. erteilt hat.

2. Das Verwaltungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg auf die in § 9 Satz 2 NHundG enthaltene Erlaubnisfiktion berufen kann, da der Eintritt dieser Erlaubnisfiktion eine unverzügliche Beantragung der Erlaubnis i.S.d. § 9 Satz 1 NHundG voraussetzt und diese hier nicht vorliegt.

a) Nach § 9 Satz 1 NHundG haben die Hundehalterin oder der Hundehalter „unverzüglich“ nach der Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes eine Erlaubnis nach § 8 NHundG zu beantragen oder das Halten des Hundes aufzugeben. Gemäß § 9 Satz 2 NHundG gilt das Halten des gefährlichen Hundes bei Beantragung der Erlaubnis bis zur Entscheidung über den Antrag als erlaubt. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht soll die Erlaubnisfiktion auch zwischen der Gefährlichkeitsfeststellung und der unverzüglichen Beantragung der Erlaubnis gelten (Saipa, in: Saipa/Beckermann/Reichert u.a., a.a.O., § 9, Rn. 1). Vorliegend steht dem Eintritt der Erlaubnisfiktion des § 9 Satz 2 NHundG jedoch unabhängig von der vorliegend nicht entscheidungserheblichen Frage, wie sich die Sach- und Rechtslage zwischen der Gefährlichkeitsfeststellung und der unverzüglichen Beantragung der Erlaubnis darstellt, entgegen, dass die Antragstellerin die Erlaubnis für das Halten von C. nicht „unverzüglich“ nach der Gefährlichkeitsfeststellung beantragt hat.

b) Unverzüglich bedeutet nach der auch im öffentlichen Recht anwendbaren Legaldefinition in § 121 Abs. 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“ (vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit dieser Legaldefinition im öffentlichen Recht: Rehberg, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Beck-OK Grosskommentar BGB, Stand: 1.1.2020, § 121, Rn. 11; Arnold in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 121, Rn. 3, jeweils m.w.N.). Bei der Feststellung der Unverzüglichkeit sind die berechtigten Belange der Beteiligten angemessen zu berücksichtigen (Wendtland, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand: 1.8.2020, § 121, Rn. 7, m.w.N.). Entscheidend ist also nicht das (objektive) Sofort, sondern die (subjektive) Zumutbarkeit alsbaldigen Handelns (Fuchs, in: Creifelds, Rechtswörterbuch, 24. Aufl. 2020, „Unverzüglich“). Den Betroffenen steht somit eine nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessende Prüfungs- und Überlegungsfrist zu (Arnold in: Erman, a.a.O., § 121, Rn. 4, m.w.N.). In Bezug auf die in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB geregelte Anfechtungsfrist wird dazu vertreten, dass ein Zuwarten von mehr als zwei Wochen nicht mehr als unverzüglich anzusehen ist, wenn keine besonderen Umstände vorliegen (vgl. Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 121, Rn. 7 und Rn. 12; Arnold in: Erman, a.a.O., § 121 BGB, Rn. 4, jeweils m.w.N.).

c) Davon ausgehend ist bei der Beantragung einer Erlaubnis nach § 8 NHundG auf Seiten der Hundehalter zu beachten, dass diese unmittelbar nach der Feststellung der Gefährlichkeit eine gewisse Zeit benötigen, um die Angelegenheit zu prüfen und ggf. offene Fragen zu klären, die Beantragung der Erlaubnis also „nach der Lebenserfahrung nicht von einem Tag auf den anderen geschehen kann“ (Saipa, in: Saipa/Beckermann/Reichert u.a., a.a.O., § 9, Rn. 1). In Bezug auf die von den Hundehaltern vorzulegenden Unterlagen, die erforderlich sind, um das Vorliegen der Erlaubnisvoraussetzungen zu prüfen, ist allerdings wiederum zu berücksichtigen, dass diese nicht unmittelbar mit der Stellung des Antrags vorgelegt werden müssen, sondern dass die Hundehalter diese Unterlagen nach § 10 Abs. 3 Satz 1 NHundG innerhalb von drei Monaten vorlegen können. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 NHundG kann diese Frist auf Antrag einmal um höchstens drei weitere Monate verlängert werden. Auf der anderen Seite sind zur Bestimmung dessen, was noch als „unverzüglich“ i.S.d. § 9 Satz 1 NHundG angesehen werden kann, die öffentlichen Interessen an einer zügigen Durchführung des Erlaubnisverfahrens zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass das in § 8 Abs. 1 NHundG enthaltene Verbot, einen gefährlichen Hund ohne Erlaubnis zu halten, ein sog. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt darstellt, welches (auch) dem Zweck dient, das Halten eines gefährlichen Hundes einer wirksamen behördlichen Kontrolle zu unterstellen. Aufgrund der von der Haltung eines gefährlichen Hundes für die Allgemeinheit ausgehenden Gefahr (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG sowie dazu: Senatsbeschl. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 -, juris, Rn. 7) besteht somit ein gewichtiges öffentliches Interesse daran, dass der Zeitraum zwischen der Feststellung der Gefährlichkeit und der Einleitung eines behördlichen Erlaubnisverfahrens so kurz wie möglich ist.

d) Nach diesen Maßstäben hat die Antragstellerin die Erlaubnis vorliegend nicht unverzüglich i.S.d. § 9 Satz 1 NHundG beantragt. Der die Gefährlichkeit von C. feststellende Bescheid vom 4. März 2020 ist der Antragstellerin im Rahmen der am 6. März 2020 erfolgten Zustellung (s.o.) bekanntgegeben worden und damit zu diesem Zeitpunkt gegenüber der Antragstellerin wirksam geworden (§§ 41 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1 VwVfG, vgl. auch: Saipa, in: Saipa/Beckermann/Reichert u.a., a.a.O., § 7, Rn. 6). Die Antragsgegnerin hatte der Antragstellerin zudem eine Frist für die Beantragung der Erlaubnis bis zum 20. März 2020 gesetzt. Diese Frist betrug damit vom Zeitpunkt der Bekanntgabe an genau zwei Wochen, was unter Berücksichtigung der dargelegten Maßstäbe als angemessen anzusehen ist, um der Antragstellerin eine den Umständen entsprechende Prüfungs- und Überlegungsfrist einzuräumen. Die Antragstellerin hat diese Frist jedoch verstreichen lassen, ohne gegenüber der Antragsgegnerin irgendwie zu reagieren. Erst nach der am 7. Mai 2020 durchgeführten Sicherstellung des Hundes hat die Antragstellerin unter dem 14. Mai 2020 und damit mehr als neun Wochen nach der Bekanntgabe der Gefährlichkeitsfeststellung die Erteilung einer Erlaubnis beantragt. Die Antragstellerin hat auch zu keinem Zeitpunkt (besondere) - über die aus den oben genannten Gründen zurückzuweisenden vermeintlichen Zustellungsprobleme hinausgehende - Aspekte vorgetragen, die eine neunwöchige Untätigkeit ausnahmsweise rechtfertigen könnten. Insbesondere kann sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe die Zeit benötigt, um die für die Erlaubniserteilung erforderlichen Unterlagen beizubringen. Denn ihrem am 14. Mai 2020 übermittelten Antrag war lediglich ein Nachweis über den Abschuss einer Haftpflichtversicherung beigefügt, hinsichtlich des Nachweises zur Anmeldung und zum Ergebnis des Wesenstests sowie des Nachweises über die erforderliche Sachkunde hat die Antragstellerin im Antragsformular jeweils „wird nachgereicht“ angekreuzt.

e) Der von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Einwand, dass es nach dem (isolierten) Wortlaut des § 9 Satz 2 NHundG allein auf die Beantragung der Erlaubnis ankomme, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn die Regelungen in § 9 Satz 1 und Satz 2 NHundG können nicht isoliert, sondern nur im systematischen Zusammenhang gesehen werden. Aus dem systematischen Zusammenhang der beiden Sätze ergibt sich, dass die Erlaubnisfiktion nach § 9 Satz 2 NHundG nur dann greift, wenn die Erlaubnis - wie von § 9 Satz 1 NHundG gefordert - „unverzüglich“ nach der Feststellung der Gefährlichkeit beantragt wird. Für eine derartige Sichtweise sprechen auch der Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte der im Niedersächsischen Hundegesetz in §§ 7 bis 14 NHundG enthaltenen Vorschriften. Mit diesen Vorgaben hat der Gesetzgeber auf die (u.a. durch Medienberichte über Beißvorfälle beeinflusste) geänderte Wahrnehmung der durch Hunde gegebenen Gefahren in der Bevölkerung reagiert und eine Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe geschaffen, mit denen nicht erst einer auf Tatsachen begründeten Gefahr, sondern bereits einer möglichen Gefahr (Gefahrenverdacht oder Besorgnispotential) begegnet werden sollte (vgl. Senatsbeschl. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 -, juris, Rn. 7 f., m.w.N.). Der Gefahr, die für die öffentliche Sicherheit von einem gefährlichen Hund ausgeht, soll durch den in § 8 Abs. 1 NHundG normierten Erlaubnisvorbehalt und die dazu in §§ 9 bis 14 NHundG enthaltenen strikten Vorgaben zur Erteilung einer solchen Erlaubnis entgegengetreten werden. Wie bereits ausgeführt, dient das in § 8 Abs. 1 NHundG enthaltene Verbot, einen gefährlichen Hund ohne Erlaubnis zu halten, (auch) dem Zweck, das Halten des Hundes einer wirksamen behördlichen Kontrolle zu unterstellen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Ansicht der Antragstellerin, die Erlaubnisfiktion des § 9 Satz 2 NHundG gelange auch dann noch zur Anwendung, wenn die Erlaubnis nicht unverzüglich, sondern zu einem beliebig späteren Zeitpunkt beantragt werde, weder mit der Systematik, noch mit dem Sinn und Zweck der in §§ 9 bis 14 NHundG enthaltenen Regelungen vereinbaren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.