Landgericht Hannover
Urt. v. 03.03.2022, Az.: 5 T 152/21

Abhängen der Einwilligung eines Betreuers für eine betreute Person in eine Impfung von der Einwilligungsfähigkeit eines Betroffenen

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
03.03.2022
Aktenzeichen
5 T 152/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 24623
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Neunkirchen - 15.03.2021 - AZ: 15 XVII (W) 274/01

In der Betreuungssache
...
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht... sowie die Richterinnen am Landgericht... und ...
am 07.05.2021
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Ehrenamtsbetreuerin des Betroffenen,..., sowie auf die Beschwerde des Betroffenen selbst wird der Beschluss des Amtsgerichts Neunkirchen vom 15.03.2021, Az. 15 XVII (W) 274/01, aufgehoben. Der Antrag der Berufsbetreuerin vom 17.02.2021 auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Bei dem Betroffenen besteht eine mittelgradige geistige Behinderung mit deutlicher Verhaltensstörung und autistischer Symptomatik. Es liegt ein Anfallsleiden vor. Seit dem 12.02.1998 wohnt der Betroffene in einer therapeutischen Wohngruppe.

Für den Betroffenen wurde eine Berufsbetreuung eingerichtet mit den

Aufgabenkreisen

Vertretung in Ämter-, Behörden-, Renten- und Versicherungsangelegenheiten,

Vertretung in den Angelegenheiten von Einrichtungen der Behindertenhilfe,

Sorge für die Gesundheit,

Vermögenssorge sowie

Heim- und Wohnungsangelegenheiten.

Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 29.06.2018 wurde die Schwester des Betroffenen, Frau ..., zur weiteren ehrenamtlichen Betreuerin im Aufgabenbereich der Gesundheitssorge bestellt. Zugleich wurde verfügt, dass im Aufgabenbereich der Gesundheitssorge beide Betreuerinnen alleinvertretungsberechtigt sind.

Mit Schreiben vom 17.02.2021 wandte sich die Berufsbetreuerin an das Amtsgericht und teilte mit, dass sie sich mit der ehrenamtlichen Betreuerin nicht einig sei hinsichtlich der Einwilligung in die im Heim anstehende Covid-19-Schutzimpfung. Sie selbst wolle in die Impfung des Betroffenen einwilligen, die Ehrenamtsbetreuerin lehne dies ab. Sie bitte um Entscheidung des Gerichts. Der Betroffene könne aufgrund seiner Behinderung den Sachverhalt nicht ausreichend erfassen, um selbst eine sinnvolle Entscheidung zu treffen.

Am 15.03.2021 sollte in dem Wohnheim die Covid-19-Schutzimpfung für die Bewohner durchgeführt werden. Das Amtsgericht terminierte den Anhörungstermin auf dieses Datum, sodass vor einer gerichtlichen Entscheidung ein Gespräch mit dem Betroffenen, dem Impfarzt und beiden Betreuerinnen möglich sei. Im Anhörungstermin vom 15.03.2021 war der Betroffene abgängig. Der Anhörungstermin wurde im allseitigen Einvernehmen dennoch durchgeführt, mit dem Impfarzt wurde das Aufklärungsgespräch hinsichtlich der Impfung geführt. Alsdann beschloss das Amtsgericht am 15.03.2021, dass der Meinung der Berufsbetreuerin, wonach der Betroffene eine Schutzimpfung gegen Covid-19 erhalten solle, gefolgt werde. Diese sei sodann berechtigt, in die Schutzimpfung nach ärztlicher Aufklärung einzuwilligen. Die Meinung der Mitbetreuerin ..., die eine Schutzimpfung des Betroffenen gegen Covid-19 ablehne, werde abgelehnt.

Gegen diesen Beschluss hat die Ehrenamtsbetreuerin mit Schreiben vom 01.04.2021 Beschwerde eingelegt. Der Betroffene selbst lehne eine Impfung gegen Covid-19 ab. Er sei vom Gericht nie angehört worden. Dies sei jedoch Voraussetzung, um überhaupt eine medizinische Maßnahme gegen den Willen des Betroffenen gerichtlich beschließen zu können. Der Betroffene sei durchaus in der Lage, Sachverhalte, die ihm erklärt werden, zu verstehen. Er könne sprechen, schreiben und lesen und sei auch psychisch stabil. Insofern gelte für ihn das gleiche Recht auf Selbstbestimmung in medizinischen Angelegenheiten, wie für jeden anderen erwachsenen Bundesbürger. Auch für Bewohner von Einrichtungen gelte das Einwilligungsrecht. Die Impfstoffe seien nicht hinreichend erprobt, der Nutzen der Covidn19-lmpfung sei mehr als fragwürdig. Ferner gelangte ein von dem Betroffenen unterzeichnetes Schreiben vom 07.04.2021 zur Akte, mit dem er darüber Beschwerde führte, dass er gegen seinen Willen geimpft werden solle. Er werde sich auf keinen Fall impfen lassen. Niemand habe das Recht, über seinen Kopf hinweg zu bestimmen.

Daraufhin führte das Amtsgericht am 19.04.2021 eine erneute Anhörung durch, bei der nunmehr auch der Betroffene anwesend war. Anschließend half das Amtsgericht der Beschwerde der Betreuerin ... nicht ab und legte sie dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vor.

II.

1.

Vorliegend liegen zwei Beschwerden vor, nämlich diejenige der Schwester und Ehrenamtsbetreuerin des Betroffenen, Frau ..., vom 01.04.2021 und diejenige des Betroffenen selbst vom 07.04.2021.

Über die Beschwerde des Betroffenen selbst hat das Amtsgericht noch keine Abhilfeentscheidung getroffen. Dennoch konnte die Beschwerdekammer hierüber befinden. Denn der Umstand, dass das erstinstanzliche Gericht auf die Beschwerde keine Abhilfeentscheidung getroffen hat, hindert das Beschwerdegericht nicht, über die Beschwerde zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 15. Februar 2017 - XII ZB 462/16 -). Dies gilt auch im Beschwerdeverfahren nach § 68 FamFG (Abramenko in: Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl. 2018, § 68 FamFG-juris-Rn. 13).

2.

Die Beschwerde der Ehrenamtsbetreuerin ist gemäß §§ 58 ff., 303 Abs. 4 S. 2 FamFG, diejenige des Betroffenen ist gem. §§ 58 ff. FamFG statthaft und zulässig eingelegt.

III.

1.

Das Amtsgericht hätte den Antrag der Berufsbetreuerin zurückweisen müssen. Ein Bedürfnis für die amtsgerichtliche Entscheidung ist nicht ersichtlich.

Für die Beschwerdeentscheidung hat das Beschwerdegericht eine vollständige Prüfung des Sachverhalts vorzunehmen, so wie er sich im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung darstellt, und hat auf dessen Grundlage auch eigene Ermessenserwägungen anzustellen (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2016 - XII ZB 372/16-, Rn. 10, juris). Einen Betreuungsbedarf hat es aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (st. Rechtsprechung, zuletzt BGH, Beschluss vom 13. Mai 2020 - XII ZB 61/20 -, Rn. 8, juris).

Im Zeitpunkt der hiesigen Beschwerdeentscheidung ist ein Regelungsbedürfnis dafür, wer von den beiden Betreuerinnen über eine Einwilligung in die Impfung zu entscheiden hat, nicht ersichtlich. In dem Anhörungstermin vom 15.03.2021 haben beide Betreuerinnen zu Protokoll gegeben, es bestehe Einigkeit, dass der Betroffene nicht zwangsweise geimpft werden solle. Der Betroffene selbst hat in der Anhörung vom 19.04.2021 - zumindest mit natürlichem Willen - die Impfung eindeutig abgelehnt. Demzufolge wird der Betroffene nach übereinstimmendem Willen beider Betreuerinnen derzeit nicht geimpft werden können. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich an diesem Zustand jederzeit etwas ändern könnte. Greifbare Anhaltspunkte hierfür liegen nicht vor und sind auch von der Berufsbetreuerin nicht vorgetragen worden. Insbesondere aus dem Umstand, dass der Betroffene sich zum Impftermin vom 15.03.2021 aus dem Heim entfernt hat, zeigt in Verbindung mit seiner festen ablehnenden Haltung im Anhörungstermin vom 19.04.2021, dass er hinsichtlich der Impfung gegen Covid-19 nicht ambivalent agiert. Die vom Amtsgericht betroffene Entscheidung stellt sich deshalb als eine unzulässige Vorratsentscheidung dar für den Fall, dass der Betroffene eines Tages einer Impfung aufgeschlossen gegenüberstehen wird. Es wäre dem Wohl des Betroffenen nicht gedient, ihn in diesem Fall mit dem gegebenenfalls schon lange zurückliegenden Vorratsbeschluss über die seiner Betreuerin zugebilligten Einwilligung zu überrumpeln. Vielmehr muss - erst - dann in einem geregelten Verfahren, in dem der Betroffene wieder rechtliches Gehör zu finden hat, auf der Grundlage der dann gegebenen tatsächlichen Umstände eine Entscheidung ergehen.

2.

Die Entscheidung über den Streit der beiden Betreuerinnen hätte nicht - wie vorliegend geschehen - nach § 1899 Abs. 3 BGB, § 1908 i BGB i. V. m. § 1798 BGB getroffen werden dürfen.

Gem. § 1899 Abs. 3 BGB können mehrere Betreuer auch in der Weise bestellt werden, dass die übertragenen Aufgabenkreise ganz oder teilweise zusammenfallen. In diesem Fall können die Betreuer, wenn eine Angelegenheit zum Aufgabenkreis beider gehört, nur gemeinsam handeln. Bei Meinungsverschiedenheiten der Mitbetreuer entscheidet das Betreuungsgericht gemäß § 1908i i. V. m. § 1798 BGB (Jürgens, Betreuungsrecht, 6. Aufl. 2019, BGB § 1899 Rn. 3). Nach § 1899 Abs. 3 Hs. 2 Alt. 1 BGB kann das Betreuungsgericht vom Grundprinzip der gemeinsamen Betreuung auch abweichen und etwas anderes bestimmen, d. h. es kann bestimmen, dass in gewissen Angelegenheiten der eine oder andere Betreuer allein handeln kann (MüKoBGB/Schneider, 8. Aufl. 2020, BGB § 1899 Rn. 17; BeckOGK/Schmidt-RecIa, 15.2.2021 Rn. 37, BGB § 1899 Rn. 37).

Ein Fall des § 1899 Abs. 3 BGB ist vorliegend nicht gegeben. Das Amtsgericht hat nämlich in dem Beschluss vom 29.06.2018 im Bereich der Gesundheitssorge eine Alleinvertretungsbefugnis beider Betreuerinnen angeordnet, es liegt in diesem Bereich also weder eine gemeinsame Betreuung vor, noch ist nur eine der Betreuerinnen berechtigt, über gewisse Angelegenheiten der Gesundheitssorge (wie das Impfen) zu bestimmen.

Die durch die angeordnete Alleinvertretungsbefugnis entstandene Pattsituation hätte für das Amtsgericht vielmehr Anlass sein müssen zu überprüfen, ob einer der Mitbetreuerinnen durch Änderung des Beschlusses vom 29.06.2018 der Aufgabenkreis der Entscheidung über die Impfung hätte übertragen und zugleich der anderen dieser Aufgabenkreis hätte entzogen werden müssen (siehe BeckOGK/Schmidt-RecIa, 15.2.2021, BGB § 1899 Rn. 34). Dies gilt insbesondere deshalb, weil nur durch anderen Zuschnitt der Aufgabenkreise (§ 1896 Abs. 2 BGB) eine auch im Rechtsverkehr anerkannte Vertretung herbeigeführt werden kann. Solange beide Betreuerinnen in dem Aufgabenkreis der Gesundheitssorge alleinvertretungsberechtigt sind, ist es ihnen möglich, unter Vorlage ihres - im Rechtsverkehr allein maßgeblichen - Betreuerausweises bei dem Impfarzt ihre Rechtsposition durchzusetzen.

3.

Der angefochtene Beschluss beruht nicht auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Das Amtsgericht hat nicht hinreichend überprüft, ob der Betroffene einwilligungsfähig ist.

Die Frage, ob eine Betreuerin oder ein Betreuer für eine betreute Person in eine Impfung einwilligen muss, hängt davon ab, ob die betreute Person selbst einwilligungsfähig ist oder nicht. Ist dies der Fall, ist die Einwilligung einer rechtlichen Betreuerin bzw. eines rechtlichen Betreuers oder einer Bevollmächtigten bzw. eines Bevollmächtigten nicht notwendig (BT-Drs. 19/26311, S. 127,154). Einwilligungsfähig ist ein Betroffener dann, wenn er eine natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit besitzt, also Art, Bedeutung und Tragweite der in Rede stehenden Maßnahme zu erfassen und nach seinem Willen zu bestimmen (BGH, Urteil vom 05. Dezember 1958 - VI ZR 266/57 -,) vermag. Hierbei kommt es nicht darauf an, dass bzw. ob der Betroffene geschäftsfähig ist oder nicht (Fiala in: Fiala, Genehmigungen bei Betreuung, Bevollmächtigung und Vormundschaft, 2 Einwilligungsfähigkeit).

Vorliegend bestand zunächst im Anhörungstermin vom 15.03.2021 zwischen den Betreuerinnen Übereinstimmung dahingehend, dass der Betroffene selbst nicht einwilligungsfähig sei. Ungeachtet dessen, dass diese übereinstimmende Einschätzung von Nichtmedizinern in einer medizinischen Frage für die Entscheidung des Amtsgerichts nicht allein maßgebend sein kann, hat die Ehrenamtsbetreuerin in der Beschwerdeschrift vom 01.04.2021 mitgeteilt, eine medizinische Maßnahme könne nicht gegen den Willen ihres Bruders gerichtlich beschlossen werden. Dieser sei durchaus in der Lage, Sachverhalte, die ihm erklärt werden, zu verstehen. Er könne sprechen, schreiben und lesen und sei auch psychisch stabil. Insofern gelte für ihn das gleiche Recht auf Selbstbestimmung in medizinischen Angelegenheiten, wie für jeden anderen erwachsenen Bundesbürger. Auch für Bewohner von Einrichtungen gelte das Einwilligungsrecht. Demzufolge hat die Beschwerdeführerin eine Einwilligungsfähigkeit als gegeben beschrieben.

Das Amtsgericht ist diesem Einwand nicht ausreichend nachgegangen. Es hat im Nichtabhilfebeschluss zwar ausgeführt, der Betroffene sei zwar in der Lage, eine Ablehnung der Impfung verbal und gestisch auszudrücken. Er sei aber nicht nachvollziehbar in der Lage, Vorteile und Nachteile einer Impfung zu erkennen und abzuwägen, insbesondere die Gefahr einer Infektion mit dem Covid-19-Virus und den daraus möglichen Folgen einer schweren, unter Umständen lebensbedrohlichen Erkrankung einzuschätzen, die Wirksamkeit einer eventuellen Impfung gegen dieses Virus zu erkennen und einzuschätzen, diese mit möglicherweise nachteiligen Folgen einer Impfung abzuwägen.

Das Amtsgericht erklärt jedoch nicht, wie es zu dieser Erkenntnis gelangt ist. Nach Auffassung der Kammer hätte es sich hierfür ärztlicher Hilfe bedienen müssen. Da, wie oben ausgeführt, eine Entscheidung der zwischen den Betreuerinnen bestehenden Unstimmigkeit nur über die Zuweisung oder Aberkennung von Aufgabenkreisen (§ 1896 Abs. 2 BGB) getroffen werden kann, ergibt sich die Notwendigkeit eines Gutachtens zwanglos aus § 280 FamFG.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zulassungsfrei möglich. Sie war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 FamFG nicht vorliegen.

Eine Kostenentscheidung sowie die Festsetzung eines Geschäftswertes waren nicht veranlasst.