Landgericht Hannover
Beschl. v. 28.06.2022, Az.: 17 T 19/22

Gesetzlich bestellter Berufsbetreuer als Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung - DSGVO)

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
28.06.2022
Aktenzeichen
17 T 19/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 66380
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2022:0628.17T19.22.00

Fundstelle

  • FamRZ 2023, 1909

In der Beschwerdesache
xxx
- Beschwerdeführer -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen xxx
gegen
Rechtsanwalt xxx
- Beschwerdegegner -
hat das Landgericht Hannover - 17. Zivilkammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht xxx als Einzelrichterin am 28.06.2022 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 Abs. 1, Abs. 2 AEUV folgende Frage vorgelegt:

    Ist der gesetzlich bestellte Betreuer, der diese Tätigkeit berufsmäßig ausübt, Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung - DSGVO)?

    Muss dieser Auskunft nach Art. 15 DSGVO erteilen?

  2. 2.

    Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorlagefrage zu 1. ausgesetzt.

  3. 3.

    Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

1. Die Vorlage zum Europäischen Gerichtshof erfolgt gemäß Art. 267 Abs. 1, Abs. 2 AEUV.

a) Dem vorgelegten Verfahren liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der 1966 geborene Kläger steht unter Betreuung. Den Bereich der Vermögenssorge konnte er nicht selbständig wahrnehmen, so dass der Beklagte durch das Amtsgericht im Rahmen des Betreuungsverfahrens als Betreuer bestellt wurde. Hintergrund war, dass der Kläger erkrankt war. Seine Wohnung war vermüllt, er hat sich nicht mehr um eingehende Post gekümmert und konnte auch seine Firma nicht mehr führen. In der Wohnung konnten weder Unterlagen, noch werthaltiges gefunden werden, so dass der Kläger vermögenslos ist. Er lebt in einem Wohn- und Pflegeheim und erhält vom Heim ein Taschengeld ausgezahlt.

Mittlerweile wurde der Beklagte entpflichtet und ein anderer Berufsbetreuer bestellt. Der Kläger verlangt eine Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten gemäß Art. 15 der DSGVO und eine Schlussrechnung im Sinne des § 1890 BGB. Das Amtsgericht hat dem Begehren auf Gewährung von Prozesskostenhilfe nur insoweit entsprochen, als es nur die Legung der Schlussrechnung als mit Aussicht auf Erfolg versehen ansieht. Der Beklagte ist als Rechtsanwalt tätig.

Zum Anspruch nach Art. 15 DSGVO hat es ausgeführt:

Im Hinblick auf den unter Ziff. 1 des Klageentwurfs vom 01.11.2021 geltend gemachten Auskunftsanspruch nach der Datenschutzgrundverordnung war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, weil der Antragsteller keinen Anspruch gem. Art. 15 DSGVO gegen den Antragsgegner als seinen ehemaligen Betreuer hat.

Ein Berufsbetreuer ist kein Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO ist, vgl. Weber, NZFam 2018, 865. Darüber hinaus regelt die Datenschutzgrundverordnung das Verhältnis zwischen einer betroffenen Person und einem Verantwortlichen, wenn gemäß Art. 4 Nr. 1 DSGVO personenbezogene Daten verarbeitet werden. Ein rechtlicher Betreuer ist gemäß § 1902 BGB der gesetzliche Vertreter des Betroffenen, sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich. Mithin dürfen die personenbezogenen Daten durch den Betreuer daher im Namen des Betreuten selbst und nicht in einem "Gegenüberverhältnis von Betreuer und Betroffenem" verarbeitet werden, vgl. AG Altötting, Beschluss vom 04.06.2018, Az. XVII 0266/05, XVII 266/05, zitiert nach juris. Darüber ist davon auszugehen sein, dass der Antragsteller bereits über die wesentlichen Informationen selbst verfügt, da er Kenntnis von der Betreuerbestellung und demzufolge auch vom Aufgabenbereich bzw. den entsprechenden Tätigkeiten des Betreuers hat (vgl. Weber, NZFam 2018, 865).

Gegen den Beschluss des Amtsgerichts hat der Kläger Beschwerde eingelegt, weswegen das Landgericht zur Entscheidung berufen ist.

b) Der Wortlaut der auf den Fall anwendbaren nationalen Vorschrift (aa.) und die einschlägige nationale Rechtsprechung (bb.) werden wie folgt mitgeteilt:

aa)

Bürgerliches Gesetzbuch

§ 1896 Voraussetzungen

(1) Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer. Den Antrag kann auch ein Geschäftsunfähiger stellen. Soweit der Volljährige auf Grund einer körperlichen Behinderung seine Angelegenheiten nicht besorgen kann, darf der Betreuer nur auf Antrag des Volljährigen bestellt werden, es sei denn, dass dieser seinen Willen nicht kundtun kann.

(1a) Gegen den freien Willen des Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden.

(2) Ein Betreuer darf nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten, der nicht zu den in § 1897 Abs. 3 bezeichneten Personen gehört, oder durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können.

(3) Als Aufgabenkreis kann auch die Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten bestimmt werden.

(4) Die Entscheidung über den Fernmeldeverkehr des Betreuten und über die Entgegennahme, das Öffnen und das Anhalten seiner Post werden vom Aufgabenkreis des Betreuers nur dann erfasst, wenn das Gericht dies ausdrücklich angeordnet hat.

§ 1897 Bestellung einer natürlichen Person

(1) Zum Betreuer bestellt das Betreuungsgericht eine natürliche Person, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen.

(2) Der Mitarbeiter eines nach § 1908f anerkannten Betreuungsvereins, der dort ausschließlich oder teilweise als Betreuer tätig ist (Vereinsbetreuer), darf nur mit Einwilligung des Vereins bestellt werden. 2Entsprechendes gilt für den Mitarbeiter einer in Betreuungsangelegenheiten zuständigen Behörde, der dort ausschließlich oder teilweise als Betreuer tätig ist (Behördenbetreuer).

(3) Wer zu einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung, in welcher der Volljährige untergebracht ist oder wohnt, in einem Abhängigkeitsverhältnis oder in einer anderen engen Beziehung steht, darf nicht zum Betreuer bestellt werden.

(4) Schlägt der Volljährige eine Person vor, die zum Betreuer bestellt werden kann, so ist diesem Vorschlag zu entsprechen, wenn es dem Wohl des Volljährigen nicht zuwiderläuft. Schlägt er vor, eine bestimmte Person nicht zu bestellen, so soll hierauf Rücksicht genommen werden. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Vorschläge, die der Volljährige vor dem Betreuungsverfahren gemacht hat, es sei denn, dass er an diesen Vorschlägen erkennbar nicht festhalten will.

(5) Schlägt der Volljährige niemanden vor, der zum Betreuer bestellt werden kann, so ist bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen und sonstigen persönlichen Bindungen des Volljährigen, insbesondere auf die Bindungen zu Eltern, zu Kindern, zum Ehegatten und zum Lebenspartner, sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht zu nehmen.

(6) Wer Betreuungen im Rahmen seiner Berufsausübung führt, soll nur dann zum Betreuer bestellt werden, wenn keine andere geeignete Person zur Verfügung steht, die zur ehrenamtlichen Führung der Betreuung bereit ist. 2Werden dem Betreuer Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass der Volljährige durch eine oder mehrere andere geeignete Personen außerhalb einer Berufsausübung betreut werden kann, so hat er dies dem Gericht mitzuteilen.

(7) Wird eine Person unter den Voraussetzungen des Absatzes 6 Satz 1 erstmals in dem Bezirk des Betreuungsgerichts zum Betreuer bestellt, soll das Gericht zuvor die zuständige Behörde zur Eignung des ausgewählten Betreuers und zu den nach § 1 Abs. 1 Satz 1 zweite Alternative des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes zu treffenden Feststellungen anhören. Die zuständige Behörde soll die Person auffordern, ein Führungszeugnis und eine Auskunft aus dem Schuldnerverzeichnis vorzulegen.

(8) Wird eine Person unter den Voraussetzungen des Absatzes 6 Satz 1 bestellt, hat sie sich über Zahl und Umfang der von ihr berufsmäßig geführten Betreuungen zu erklären.

§ 1901 Umfang der Betreuung, Pflichten des Betreuers

(1) Die Betreuung umfasst alle Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten nach Maßgabe der folgenden Vorschriften rechtlich zu besorgen.

(2) Der Betreuer hat die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht. Zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.

(3) Der Betreuer hat Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. 2Dies gilt auch für Wünsche, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert hat, es sei denn, dass er an diesen Wünschen erkennbar nicht festhalten will. 3Ehe der Betreuer wichtige Angelegenheiten erledigt, bespricht er sie mit dem Betreuten, sofern dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft.

(4) Innerhalb seines Aufgabenkreises hat der Betreuer dazu beizutragen, dass Möglichkeiten genutzt werden, die Krankheit oder Behinderung des Betreuten zu beseitigen, zu bessern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Wird die Betreuung berufsmäßig geführt, hat der Betreuer in geeigneten Fällen auf Anordnung des Gerichts zu Beginn der Betreuung einen Betreuungsplan zu erstellen. 3In dem Betreuungsplan sind die Ziele der Betreuung und die zu ihrer Erreichung zu ergreifenden Maßnahmen darzustellen.

(5) Werden dem Betreuer Umstände bekannt, die eine Aufhebung der Betreuung ermöglichen, so hat er dies dem Betreuungsgericht mitzuteilen. Gleiches gilt für Umstände, die eine Einschränkung des Aufgabenkreises ermöglichen oder dessen Erweiterung, die Bestellung eines weiteren Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (§ 1903) erfordern.

§ 1902 Vertretung des Betreuten

In seinem Aufgabenkreis vertritt der Betreuer den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich.

bb)

Ein Entscheidung eines Gerichts dazu ist nicht bekannt. Das Amtsgericht Altötting hat bezüglich der Frage, ob ein Betreuer einwilligen kann folgendes entschieden:

"Die Datenschutzgrundverordnung regelt grundsätzlich das Verhältnis zwischen einer natürlichen Person ("betroffene Person") und einem "Verantwortlichen", wenn personenbezogene Daten verarbeitet werden (Art. 4 DS-GVO). Ein rechtlicher Betreuer ist nach deutschem Recht jedoch der Vertreter des Betroffenen selbst und handelt in seinem Namen, § 1902 BGB. Personenbezogene Daten werden nach der Konstruktion des Betreuungsrechts vom Betreuer daher im Namen des Betreuten selbst verarbeitet, nicht jedoch in einem Gegenüberverhältnis von Betreuer und Betroffenem. Dessen ungeachtet ist gem. Art. 6 DS-GVO die Verarbeitung nicht nur dann rechtmäßig, wenn eine Einwilligung vorliegt (Art. 6 Abs. 1 S.1 lit. a), sondern auch dann, wenn (lit. c) die Verarbeitung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, welcher der Verantwortliche unterliegt. Handelt der Betreuer als rechtlicher Betreuer seiner betroffenen Person, so erfüllt er hierbei seine rechtlichen Verpflichtungen, denen er auf Grund seiner Betreuerbestellung nach dem Betreuungsrecht unterliegt. Teilweise werden das Betreuerhandeln und die damit verbundene Datenverarbeitung zudem (lit. d) erforderlich sein, "um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen". Auf den derzeit medial häufig bemühten Gesichtspunkt der (lit. f) "berechtigten Interessen" braucht nicht zurückgegriffen werden."

Soweit der Betreuer aus dem Bereich des persönlichen Umfeld des Betroffenen bestellt werden, dürfte diese Tätigkeit unbeschadet der Tatsache, dass durch die Betreuerbestellung ein gesetzliches Verhältnis begründet wird, unter Art. 2 Abs. 1 c) DSGVO fallen im Rahmen der familiären Tätigkeit. Ob dies auch für den Berufsbetreuer gilt, der zugleich Rechtsanwalt ist, erscheint fraglich.

Das Amtsgericht Hannover meint, dem Amtsgericht Altötting folgend, dass es im Rahmen der Vertretung an einem Gegenüberverhältnis fehle. Da durch die Bestellung des Betreuers durch das Gericht indes ein gesetzliches Schuldverhältnis begründet wird und auch der Vertretene gegenüber seinem Vertreter im Rahmen des Auftragsrecht entsprechende Rechte und Pflichten hat, die für die Betreuung in den §§ 1897 ff. BGB nochmals konkretisiert sind, erscheint es kaum begründbar, dass ein Berufsbetreuer nicht Verpflichteter des DSGVO sein sollte. Ein weites Verständnis der ausschließlich persönlichen oder familiären Tätigkeit könnte dies indes begründen.

2. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 148 Abs. 1 ZPO und erfolgt im Hinblick auf die mit Ziffer 2. dieses Beschlusses erfolgte Vorlage zum Europäischen Gerichtshof.

3. Die Unanfechtbarkeit dieses Beschlusses ergibt sich aus den allgemeinen Prozessgrundsätzen, nach denen die Instanzgerichte ihre eigentliche Prozessentscheidung unabhängig und ohne Steuerung von außen - grundsätzlich auch ohne eine solche durch die übergeordnete Instanz - finden und fällen dürfen (vgl. etwa OLG Celle, Beschluss vom 10. Oktober 2008 - 9 W 78/08 -, juris Rn. 1 m.w.N.).