Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.09.2013, Az.: 7 ME 56/13

Ermessensbetätigung bei der Vergabe der verfügbaren Marktstellplätze durch Vergaberichtlinien des Veranstalters

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.09.2013
Aktenzeichen
7 ME 56/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 45806
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0909.7ME56.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 20.06.2013 - AZ: 12 B 5090/13

Redaktioneller Leitsatz

Eine den Grundrechtsschutz sichernde Verfahrensgestaltung bei Marktzulassungen verlangt unter anderem ein für alle Bewerber einheitliches, vorher festgelegtes Verfahren, bei dem behördliche Vergaberichtlinien transparent sind und so rechtzeitig bekanntgegeben werden, dass die Bewerber sich darauf einstellen können, sowie dass die Auswahlkriterien selbst nachvollziehbar und (auch) im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gerichtlich überprüfbar sind. Diese Grundsätze schließen eine nachträgliche Änderung der Ermessenskriterien für die Zulassung in aller Regel aus.

Gründe

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, der Beschluss des Verwaltungsgerichts gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog für unwirksam zu erklären und über die Verfahrenskosten gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten der beiden Hauptbeteiligten gegeneinander aufzuheben. Dafür sind folgende Gesichtspunkte maßgeblich:

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz war zum Zeitpunkt seines Eingangs bei dem Verwaltungsgericht - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - nicht bereits unzulässig (vgl. Senat, Beschl. v. 13.06.2012 - 7 LA 77/10 -, [...]). Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht eindeutig, dass der geltend gemachte "mindere Rechtsschutz" in Gestalt des Neubescheidungsantrages - statt eines Verpflichtungsantrages in Kombination mit Anfechtungsanträgen gegen die Zulassung von Mitbewerbern - nicht zum angestrebten Erfolg führen konnte. Es erscheint nicht von vornherein als ausgeschlossen, dass eine Rücknahme der Zulassungsentscheidungen zu Gunsten von Konkurrenten im Zusammenhang mit der Neubescheidung der Antragstellerin, zu der das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin verpflichtet hatte, rechtzeitig vor Markteröffnung möglich gewesen wäre und die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel mit dem am 27.05.2013 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Antrag nach § 123 VwGO noch hätte erreichen können.

Der Umstand, dass die Antragstellerin sich mit ihrem Fahrgeschäft "D." bereits gegenüber der Gemeinde E. für den gleichen Zeitraum vertraglich gebunden hatte, lässt das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ebenfalls nicht entfallen. Es spricht zwar einiges dafür, dass die Mutmaßung der Antragsgegnerin zutrifft, dass die Antragstellerin den Stoppelmarkt mit diesem Fahrgeschäft nur unter Vertragsbruch gegenüber der Gemeinde E. hätte beschicken können. Dies lässt indes das Rechtsschutzbedürfnis in prozessualer Hinsicht nicht entfallen, da schuldrechtliche Verträge nur gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner Rechtswirkungen entfalten. Allerdings wäre die Antragsgegnerin nicht gehindert gewesen, ein solches Verhalten bei der Bewertung der Zuverlässigkeit der Antragstellerin - negativ - zu bewerten und sie gegebenenfalls von der Bewerbung für den Stoppelmarkt auszuschließen. Eine solche Entscheidung hat sie indes nicht getroffen, da die Antragsgegnerin die Neubescheidung trotz der vollziehbaren Verpflichtung aus dem der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. Juni 2013 bis zur Erledigung des Rechtsstreits nicht vorgenommen hat.

Ob der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ohne den Eintritt der Erledigung infolge Zeitablaufs während des Beschwerdeverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht erfolgreich gewesen wäre, erscheint im Ergebnis offen. Der Antragsgegnerin ist es in ihrer umfangreichen Beschwerdebegründungschrift gelungen, die Vergabeentscheidung nachvollziehbar zu machen und Kritikpunkte des Verwaltungsgerichts teilweise auszuräumen. Gleichwohl verbleiben gegenüber der Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin auch nach deren ergänzenden Erläuterungen deutliche Zweifel.

Der Einwand der Antragstellerin, die Kriterien "Fachkenntnis" und "Volksfesterfahrung" würden im Ergebnis doppelt bepunktet, wenn das zeitliche Moment mit Fachkenntnis gleichgesetzt werde, wird nicht dadurch entkräftet, dass die Antragsgegnerin dem entgegen hält, "Fachkenntnis" könne nicht nur durch die Dauer der Schaustellertätigkeit, sondern auch durch "besondere berufliche Qualifikationen" erworben werden. Die beiden genannten Kriterien bevorzugen zudem langjährige Schausteller gegenüber Neueinsteigern in das Schaustellergewerbe und tragen damit im Ergebnis die - problematische - Tendenz in sich, Altbeschickern im Zulassungsverfahren einen (doppelten) Vorteil einzuräumen.

Zu Recht kritisiert die Antragstellerin auch, dass die Antragsgegnerin ihren Mitbewerbern im Unterkriterium "Reisegewerbe / regionaler Bezug / personale Identität" Zusatzpunkte unter dem - sonst bei Fahrgeschäften nicht berücksichtigten - Gesichtspunkt "regionaler Bezug" gegeben hat. Aussagen, wie "... hat stets großes Interesse an der Entwicklung und Förderung des Stoppelmarktes gehabt", "... begleitet die Schaustellerbesprechungen ... und bringt sich in die jeweiligen Diskussionen konstruktiv ein", "fördert ... das positive Image des Stoppelmarktes in Schaustellerkreisen" oder "... ebenso bemüht um die Förderung des Stoppelmarktes", lassen zum einen den Bezug zum Bewertungskriterium des Regionalen nicht ohne weiteres erkennen und sind zum anderen derart vage, dass ihre Handhabung die Gefahr in sich birgt, dass letztlich jede irgendwie geartete Betätigung eines Altbeschickers im Zusammenhang mit dem Stoppelmarkt geeignet ist, ihm bei einem erneuten Zulassungsantrag einen Vorteil gegenüber Neubewerbern zu verschaffen. Das wird besonders dann deutlich, wenn als Beispiel für die Förderung des Stoppelmarktes in Vechta die Teilnahme am "Stoppelmarkt in Berlin" - ebenfalls durchführt von der Antragsgegnerin - angegeben wird, was letztlich auf nichts anderes als die Prämierung für vergangene Marktteilnahmen, also eine Art von verschleiertem "Altbeschickerbonus", hinausläuft. Der Eindruck eines willkürlichen Vorgehens wird verstärkt, wenn ein derart unscharfes und manipulationsanfälliges Kriterium ausnahmsweise dann zur Anwendung gebracht wird, wenn ein Neubewerber nach Punktevergabe in den übrigen Kategorien gegenüber Altbeschickern einen Vorteil erlangt und die Einbeziehung des sonst nicht herangezogenen Kriteriums zur Folge hat, dass sein Zulassungsanspruch vereitelt wird.

Eine den Grundrechtsschutz sichernde Verfahrensgestaltung bei Marktzulassungen verlangt u.a. ein für alle Bewerber einheitliches, vorher festgelegtes Verfahren, bei dem behördliche Vergaberichtlinien transparent sind und so rechtzeitig bekanntgegeben werden, dass die Bewerber sich darauf einstellen können, sowie dass die Auswahlkriterien selbst nachvollziehbar und (auch) im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gerichtlich überprüfbar sind (Senat, Urt. v. 16.06.2005 - 7 LC 201/03 -, NVwZ-RR 2006, 177, 179 m.w.N.; Beschl. v. 17.11.2009 - 7 ME 116/09 -, [...]). Diese Grundsätze schließen eine nachträgliche Änderung der Ermessenskriterien für die Zulassung in aller Regel aus. Soweit das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung ausführt, die Antragsgegnerin dürfe bei ihrer erneuten Ermessensentscheidung "... neben den angeführten Kriterien auch weitere Kriterien berücksichtigen", ist dies daher zumindest missverständlich. Der Senat hat in der Vergangenheit bereits zum Ausdruck gebracht, dass, wenn die Ermessensbetätigung bei der Vergabe der verfügbaren Marktstellplätze durch Vergaberichtlinien des Veranstalters vorstrukturiert ist, es zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes tunlich ist, dass das Verwaltungsgericht - auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - auf der Grundlage der behördlichen Vergabepraxis über den Zulassungsanspruch des Bewerbers eindeutig entscheidet und sich nicht auf einen Bescheidungsausspruch beschränkt (Senat, Beschl. v. 17.11.2009 - 7 ME 116/09 -, [...] Rn. 7), was freilich voraussetzt, dass seitens des Antragstellers ein entsprechender prozessualer Antrag gestellt wird, woran es im vorliegenden Verfahren jedenfalls gefehlt hat.