Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.09.2013, Az.: 13 LA 144/12

Auskunftsanspruch und Bearbeitungsanspruch eines sich ohne schützenswerte Eigeninteressen ausschließlich als selbsternannter Hilfsermittler gerierender Anzeigeerstatter gegen die Bußgeldbehörde im Ordnungswidrigkeitenverfahren

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.09.2013
Aktenzeichen
13 LA 144/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 45807
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0923.13LA144.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 09.05.2012 - AZ: 1 A 114/11

Fundstellen

  • DVP 2014, 83
  • KommJur 2014, 37-39
  • NJW 2013, 3595-3596
  • NdsVBl 2013, 3
  • NdsVBl 2014, 107-108
  • NordÖR 2014, 41-43

Amtlicher Leitsatz

Ein sich ohne schützenswerte Eigeninteressen ausschließlich als selbsternannter Hilfsermittler gerierender Anzeigeerstatter hat im Ordnungswidrigkeitenverfahren weder einen Bearbeitungs noch einen Auskunftsanspruch gegen die Bußgeldbehörde.

Gründe

I.

Der in den Medien als "B." bekannt gewordene Kläger begehrt zum einen, den Beklagten zu einer Beantwortung einzelner Anfragen zu von ihm erstatteten Anzeigen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten zu verurteilen. Zum anderen begehrt er die Feststellung, dass der Beklagte zur Bearbeitung der von ihm eingereichten Anzeigen verpflichtet sei. Der Kläger hat seit 2004 beim Beklagten in mehreren tausend Fällen Anzeigen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten - insbesondere wegen Parkverstößen - erstattet. Im Verwaltungsvorgang zu den Anzeigen des Klägers ist unter dem 28. Juni 2010 vermerkt worden, dass nach Anordnung des Ersten Kreisrats des Beklagten Anzeigen des Klägers nicht mehr zu verfolgen seien, sondern nur noch abgeheftet werden sollten. Gleichwohl sind in der Folgezeit auf den Anzeigen Vermerke angebracht worden, aus denen sich ergibt, dass die tatsächliche Bearbeitungsbandbreite von "nichts zu veranlassen" über "anschreiben" bis "ahnden" reichte. Mit verschiedenen Schreiben ab Januar 2011 bat der Kläger um Auskunft zur Bearbeitung und Ahndung einzelner von ihm angezeigter Fälle. Der Beklagte beantwortete diese Anfragen - anders als er es in der Vergangenheit getan hatte - nicht. Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch gegen den Beklagten auf ein Tätigwerden im Bußgeldverfahren. Anzeigeerstatter und Betroffene hätten weder einen Anspruch auf Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten noch könnten sie einen Rechtsbehelf gegen eine Einstellungsentscheidung einlegen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf die Erteilung von Auskünften über die Behandlung der von ihm erstatteten Anzeigen, weil er ersichtlich keine schützenswerten eigenen Interessen verfolge, sondern sich zum Sachwalter öffentlicher Interessen gemacht habe. Dagegen richtet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.

II.

Der - entgegen der Mutmaßung des Beklagten - fristgerecht per Fax am 15. Juni 2012 beim Verwaltungsgericht eingegangene Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der Senat lässt offen, ob dem Vertretungszwang nach § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO genügt wird, woran die vom Beklagten geltend gemachten Zweifel bestehen, weil es verschiedene Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Antragsbegründung nicht von der unterzeichnenden Rechtsanwältin unter eigener Prüfung, Sichtung und rechtlicher Durchdringung des Streitstoffs (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, Beschl. v. 11.12.2012 - 8 B 58/12 -, [...] Rdnr. 16 m. w. N.), sondern der Sache nach vom Kläger persönlich verfasst worden ist. Der Antrag ist jedenfalls unbegründet.

Die Zulassung der Berufung setzt nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO voraus, dass einer der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe dargelegt ist und vorliegt. Eine hinreichende Darlegung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert, dass in der Begründung des Zulassungsantrags im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, weshalb der benannte Zulassungsgrund erfüllt sein soll. Zwar ist bei den Darlegungserfordernissen zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden, welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -; BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, Beschl. v. 24.01.2007 - 1 BvR 382/05 -; BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 21.01.2000 - 2 BvR 2125/97 -, jeweils zit. nach [...]). Erforderlich sind aber qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen.

1.

Der vom Kläger zunächst geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wird nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils können nur dann bestehen, wenn gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gründe sprechen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458; BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 - 7 AV 4/03 -, [...]).

a) Ernstliche Zweifel im vorstehend beschriebenen Sinne hat der Kläger zunächst nicht darzulegen vermocht, soweit er seine Auffassung näher begründet, dass seinem Antrag auf Feststellung einer Bearbeitungsverpflichtung des Beklagten "in jedem Fall stattzugeben" sei. Er meint, dies resultiere entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts aus dem im Rahmen des Opportunitätsprinzips rechtlich nur sehr begrenzten Spielraum des Beklagten, angezeigte Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht zu ahnden. Eine "Auswahl" bereits im Vorfeld der Durchführung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens dürfe nicht vorgenommen werden. Auch wenn seine Anzeigen vom Beklagten entgegen dessen öffentlichen Erklärung tatsächlich doch bearbeitet worden wären, habe der Kläger einen dieser Rechtslage entsprechenden Feststellungsanspruch.

Diese Argumentation stellt indessen schon nicht in Rechnung, dass - wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - ein Anzeigeerstatter im Bußgeldverfahren keinen durchsetzbaren Anspruch auf Tätigwerden der Bußgeldbehörde hat. Den objektiv-rechtlichen Verpflichtungen der Bußgeldbehörde bei Eingang einer Anzeige korrespondiert kein subjektives Recht des Anzeigeerstatters (vgl. auch OVG Nordrh.-Westf., Urt. v. 26.01.1982 - 4 A 2586/80 -, OVGE MüLü 36, 75 (79)). Das Ordnungswidrigkeitenrecht kennt anders als das Strafverfahrensrecht keine subjektiven Rechtspositionen von Anzeigeerstattern, die auf Durchführung eines Verfahrens und Ahndung eines festgestellten Verstoßes gerichtet wären. Insbesondere ein dem strafrechtlichen Klageerzwingungsverfahren entsprechendes "Ahndungserzwingungsverfahren" sowie eine Beteiligung des von einer Ordnungswidrigkeit Verletzten gibt es nicht (§ 46 Abs. 3 OWiG). Der auf Feststellung einer generellen Bearbeitungsverpflichtung des Beklagten gerichtete Antrag des Klägers liefe aber auf eine sogar noch darüber hinausgehende verfahrensrechtliche Position eines von der Ordnungswidrigkeit Nichtverletzten hinaus, die rechtlich nicht vorgesehen ist.

Abgesehen von der fehlenden subjektiven Rechtsposition des Klägers hinsichtlich des Tätigwerdens des Beklagten als Bußgeldbehörde entspräche es gerade auch nicht dem Opportunitätsprinzip, wenn sich eine Privatperson selbst quasi die Rolle eines Ermittlungsbeamten beimisst, dabei systematisch geplant und durchgeführt Verkehrsordnungswidrigkeiten registriert und die Bußgeldbehörde aufgrund der daraus resultierenden Anzeigen zur durchgängigen Bearbeitung derselben verpflichtet wäre. Es ist vielmehr eine staatliche - und keine private - Entscheidung, in welchem Umfang personelle Ressourcen der Aufklärung und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zugedacht werden. Die Entscheidung zur Verfolgungsintensität kann sich der Kläger nicht in rechtlich billigenswerter Weise zu eigen machen, was aber letztlich bei Annahme einer generellen Bearbeitungsverpflichtung des Beklagten der Fall wäre. Nähme man dies an, würde letztlich der Kläger indirekt auf die personelle Ausstattung der Bußgeldstelle des Beklagten Einfluss nehmen können. Es liegt auf der Hand, dass dies dem Kläger nicht zustehen kann. Eine dem staatlichen Gemeinwesen aufgezwungene "Verkehrswacht" würde zudem mit dem staatlichen Gewaltmonopol in Konflikt geraten. Die in anderen Bundesländern praktizierten und auf gesetzlicher Grundlage beruhenden Modelle der Einbindung von Privatpersonen in das staatliche Gewaltmonopol in Gestalt von Sicherheitswacht und freiwilligem Polizeidienst zeigen zudem auf, dass die Rechtsordnung außerhalb eines ausdrücklich gesetzlich geregelten Bereichs "selbsternannte Hilfsermittler" zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nicht billigt. Auch geht es dem Kläger nicht etwa wie z. B. bei Nachbarschaftswachen um ein sozialadäquates Zusammenwirken von Bürgern zur Wahrung von gemeinschaftlichen Selbstschutzinteressen, sondern offenkundig lediglich um die Pflege eines recht speziellen Hobbies, das aber als rein denunziatorische Tätigkeit ohne erkennbare schützenswerte Eigeninteressen den Schutz der staatlichen Ordnung nicht verdient. Deshalb bestünden nach Auffassung des Senats in der vorliegenden Konstellation auch keine rechtlichen Bedenken hinsichtlich des Opportunitätsprinzips, wenn in der Bußgeldbehörde tatsächlich entsprechend einer - im Berufungszulassungsverfahren vom Beklagten allerdings in Abrede gestellten - Weisung des Ersten Kreisrats die Anzeigen des Klägers nicht mehr bearbeitet, sondern im Regelfall nur noch "abgeheftet" worden wären.

b) Die Richtigkeit der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass ein Auskunftsanspruch des Klägers hinsichtlich der Bearbeitung einzelner Fälle nicht gegeben sei, ist vom Kläger ebenfalls nicht schlüssig in Frage gestellt worden.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang zunächst auf den aus seiner Sicht unverhältnismäßig hohen Streitwert von 5.000,00 EUR hinweist, betrifft dies den Auskunftsanspruch als solchen schon im Ansatz nicht. Gleiches gilt für seine Ausführungen zum Ablauf der Verfahren, in denen ihm selbst Verkehrsordnungswidrigkeiten vorgeworfen worden sind.

Soweit der Kläger darauf abhebt, das Verwaltungsgericht habe ausgehend von dessen Rechtsauffassung nicht geprüft, ob und in welchen der gemeldeten Fälle er aufgrund der Verstöße persönlich beeinträchtigt worden sei, muss er sich entgegenhalten lassen, dass es an jedem Vortrag seinerseits fehlte, der dafür Anhaltspunkte hätte bieten können. In der Begründung des Zulassungsantrags macht der Kläger zudem selbst deutlich, dass er nicht etwa durch die angezeigten Parkverstöße selbst behindert bzw. ansonsten beeinträchtigt worden ist, sondern dass aus seiner Sicht ein eigenes Interesse am Fortgang des Verfahrens deshalb zu bejahen sei, weil der Beklagte seinen Ermessensspielraum nicht nur nach tragfähigen Kriterien, sondern abhängig von den jeweils betroffenen Fahrzeughaltern - in den konkreten Fällen ein Amtsrichter, ein Angehöriger der freiwilligen Feuerwehr, ein Rechtsanwalt und ein ehemaliger Bürgermeister - ausgeübt habe. Damit ist das vom Verwaltungsgericht für einen Anspruch auf Mitteilung über die Einstellung eines Verfahrens zu Recht für notwendig gehaltene eigene Interesse am Fortgang des Verfahrens (vgl. dazu Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl., § 47 Rdnr. 87) gerade nicht dargetan. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ein eigenes schützenswertes Interesse bei massenhaften Anzeigen von Parkverstößen verneint, weil sich der Kläger lediglich zum Sachwalter öffentlicher Interessen macht. Diese rechtliche Einschätzung teilt der Senat in vollem Umfang. Die obigen Ausführungen zu einer auch objektiv-rechtlich zu verneinenden regelmäßigen Bearbeitungspflicht des Beklagten gelten für die Frage eines eigenen Interesses des Klägers am Fortgang des Bußgeldverfahrens entsprechend. Ein solches Interesse kann auch nicht etwa - wie der Kläger wohl meint - daraus resultieren, dass es sich bei einzelnen seiner Anzeigen um bestimmte Personen ging, bei denen es dem Kläger offenbar subjektiv eine besondere Genugtuung wäre, wenn insoweit Ahndungen von Parkverstößen erfolgt wären. Eine irgendwie geartete Betroffenheit der eigenen Rechtssphäre des Klägers ergibt sich daraus nicht, vielmehr geht es dem Kläger auch insoweit nur um die Überprüfung des Erfolgs seiner Tätigkeit als "selbsternannter Hilfsermittler".

2.

Der vom Kläger weiterhin geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wird schon im Ansatz nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt. Gleiches gilt für den behaupteten Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Der Kläger hat es schon versäumt, seine Ausführungen den genannten Berufungszulassungsgründen zuzuordnen. Es ist nicht Aufgabe des Senats im Berufungszulassungsverfahren, sich aus der Begründung des Zulassungsantrags diejenigen Argumente herauszusuchen, die zu den bezeichneten Zulassungsgründen inhaltlich passen könnten. Allenfalls der Rüge, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt, weil dem Kläger die Akte des Beklagten nicht bekannt gewesen sei, lassen sich Anknüpfungspunkte für eine Verfahrensrüge i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO entnehmen. Es stellt allerdings keinen Verfahrensmangel des Verwaltungsgerichts dar, wenn der Kläger im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens keine Einsicht in den Verwaltungsvorgang des Beklagten genommen hat. Vielmehr hat der Kläger insoweit lediglich eine eigene Obliegenheit versäumt, was aber ersichtlich nicht zum Erfolg eines auf § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO gestützten Berufungszulassungsantrags führen kann. Woraus nach Ansicht des Klägers die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache resultieren soll, wird völlig offen gelassen und erschließt sich auch ansonsten nicht.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).