Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.06.2013, Az.: 5 LA 78/13

Anspruch einer teilzeitbeschäftigten Lehrkraft auf Ausgleich der aufgrund der Teilnahme an einer Klassenfahrt entstandenen Mehrbelastung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.06.2013
Aktenzeichen
5 LA 78/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 38187
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0603.5LA78.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 26.11.2012 - AZ: 3 A 265/11

Fundstellen

  • NVwZ-RR 2013, 6
  • NVwZ-RR 2013, 763-764

Amtlicher Leitsatz

Eine teilzeitbeschäftigte Lehrkraft hat einen Rechtsanspruch darauf, dass die Mehrbelastung aufgrund der Teilnahme an einer Klassenfahrt durch Entlastungsmaßnahmen des Dienstherrn nicht in mathematisch exaktem Umfang, aber doch annähernd ausgeglichen wird (Bestätigung von Nds. OVG, Urteil vom 18.9.2007 - 5 LC 264/06 -, [...] Rn. 32 ff.).

Gründe

I.

Der Kläger begehrt Zeitausgleich für die Teilnahme an einer Klassenfahrt.

Der Kläger ist als Realschullehrer in Teilzeit mit einer Unterrichtsverpflichtung von 13/26,5 Stunden bei der Beklagten tätig. Im April 2010 nahm er an einer fünftägigen Klassenfahrt teil. Anschließend beantragte er bei der Beklagten, die infolgedessen entstandene Mehrbelastung durch eine entsprechende zeitliche Entlastung auszugleichen. Die Beklagte gewährte dem Kläger daraufhin den allgemein für die Teilnahme an Klassenfahrten vorgesehenen Freizeitausgleich und lehnte eine weitere spezifische Entlastung aufgrund der Teilzeitbeschäftigung ab.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger einen annähernden Ausgleich für die Teilnahme an der Klassenfahrt durch Reduzierung von außerunterrichtlichen dienstlichen Aufgaben im Umfang von 13,5 Zeitstunden zu gewähren. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei im verpflichtenden außerunterrichtlichen Bereich zu entlasten, weil er während der Klassenfahrt wie eine vollzeitbeschäftigte Lehrkraft belastet worden sei. Dieser Ausgleich müsse über das hinausgehen, was einer Lehrkraft aufgrund der Teilnahme an einer Klassenfahrt ohnehin gewährt werde. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrem Zulassungsantrag.

II.

Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg, weil die Zulassungsgründe, auf die sich die Beklagte beruft, teilweise bereits nicht hinreichend gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt sind und im Übrigen nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.

Ernstliche Zweifel sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).

Gemessen daran ist das Vorbringen der Beklagten, auf dessen Prüfung der Senat beschränkt ist, nicht geeignet, das verwaltungsgerichtliche Urteil ernstlich in Zweifel zu ziehen. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Beklagten, dass sie die durch die Teilnahme an der Klassenfahrt im April 2010 bedingte Mehrbelastung des Klägers durch anderweitige Entlastungen bereits angemessen kompensiert habe.

Im Grundsatz unbestritten ist zunächst, dass eine teilzeitbeschäftigte Lehrkraft einen Rechtsanspruch darauf hat, dass die Mehrbelastung aufgrund der Teilnahme an einer Klassenfahrt durch Entlastungsmaßnahmen des Dienstherrn nicht in mathematisch exaktem Umfang, aber doch annähernd ausgeglichen wird. Dieser Anspruch steht nicht zur Disposition des Dienstherrn; er ist zwingend zu erfüllen. Ein erheblicher Spielraum des Dienstherrn besteht allerdings hinsichtlich der Art und Weise, wie die Entlastung gewährt wird. In Betracht kommen - daran hält der Senat auch nach nochmaliger Prüfung ausdrücklich fest - eine Freistellung der jeweiligen Lehrkraft von weiteren Klassenfahrten im Verhältnis der Stundenreduzierung ebenso wie eine Reduzierung von über die Unterrichtsverpflichtung hinausgehenden sonstigen Dienstaufgaben wie beispielsweise Vertretungen, Aufsichtsführung, Sprechstunden, Sprechtage, Projektwochen oder sonstigen Schulveranstaltungen (vgl. Nr. 2.2.1 der Besonderen Regelungen für teilzeitbeschäftigte und begrenzt dienstfähige Lehrkräfte, Runderlass des Kultusministeriums vom 3.11.2009, SVBl. S. 455). Die Entlastung muss zudem - dies berücksichtigt die Beklagte nicht in dem gebotenen Maße - spezifisch auf die Teilnahme der teilzeitbeschäftigten Lehrkraft an einer Klassenfahrt bezogen sein und deshalb über die Entlastungen hinausgehen, die entweder teilzeitbeschäftigten Lehrkräften allgemein oder aber allen Lehrkräften unabhängig von ihrem Beschäftigungsumfang bezogen auf eine Klassenfahrt gewährt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.9.2004 - BVerwG 2 C 61.03 -, [...] Rn. 30 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 18.9.2007 - 5 LC 264/06 -, [...] Rn. 32 ff.).

Gemessen daran ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den so umschriebenen Rechtsanspruch des Klägers nicht als erfüllt angesehen hat.

Soweit die Beklagte auf die Darstellung der Schulleitung in dem Schreiben vom 22. November 2012 Bezug nimmt, handelt es sich bei den dort aufgeführten Entlastungsmaßnahmen um solche, die allgemein dazu dienen, die Be- und Entlastungen für Teilzeitlehrkräfte in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Mithin handelt es sich nicht um den gebotenen spezifischen Ausgleich für die Teilnahme an einer Klassenfahrt, sondern um eine allgemeine Entlastung von Teilzeitbeschäftigten.

Einen solchen spezifischen Ausgleich stellt auch die Gutschrift von vier Unterrichtsstunden auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers nicht dar. Die Gutschrift erhalten alle an einer Klassenfahrt teilnehmenden Lehrkräfte unabhängig von dem Umfang ihrer Unterrichtsverpflichtung, sodass es sich um eine allgemeine Entlastung der Begleiter von Klassenfahrten handelt.

Soweit die Beklagte schließlich darauf verweist, dass der Kläger seit dem Jahr 2010 nicht an weiteren Klassenfahrten teilgenommen hat, trifft es zwar im Grundsatz zu, dass eine solche Freistellung geeignet sein kann, die Mehrbelastung auszugleichen. Der unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 25.5.2005 - 5 AZR 566/04 -, [...] Rn. 18) vorgebrachte Einwand des Klägers, ein solcher Ausgleich ändere nichts daran, dass er während der Klassenfahrt wie eine vollzeitbeschäftigte Lehrkraft gearbeitet habe, lässt die Besonderheiten des Beamtenverhältnisses außer Acht. Klassenfahrten gehören zum normalen Arbeitsumfang einer Lehrkraft, sodass von dieser - ungeachtet der Tatsache, dass die Teilnahme an Klassenfahrten mit Übernachtung nach Nr. 6.2 des Runderlasses des Kultusministeriums zu Schulfahrten (vom 10.1.2006, SVBl. S. 38) freiwillig ist - erwartet werden kann, an diesen im üblichen Umfang teilzunehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.2.2007 - BVerwG - 2 B 76.06 -, [...] Rn. 7; Nds. OVG, Urteil vom 18.9.2007, a.a.O., Rn. 38). Gehört aber die Teilnahme an Klassenfahrten zu den im Rahmen der allgemeinen Arbeitszeitregelung ohne besonderen Ausgleich wahrzunehmenden Dienstaufgaben, ist bei Teilzeitbeschäftigten lediglich darauf zu achten, dass sich die Teilnahmeerwartung gegenüber vollzeitbeschäftigten Lehrkräften in einem der Stundenreduzierung entsprechenden Maß reduziert.

Ist demnach eine Entlastung bei der Teilnahmeerwartung an Klassenfahrten grundsätzlich geeignet, den erforderlichen Ausgleich zu bewirken, ist allerdings nicht ersichtlich, dass dem Kläger ein solcher Ausgleich tatsächlich gewährt wurde. Die Tatsache allein, dass die letzte Klassenfahrt mittlerweile drei Jahre zurückliegt, belegt einen solchen Ausgleich nicht. Die Beklagte hätte vielmehr substantiiert vortragen müssen, in welchem zeitlichen Abstand Lehrkräfte üblicherweise an Klassenfahrten teilnehmen sollen und - davon ausgehend - welcher zeitliche Abstand im Fall des Klägers vorgesehen ist. Nur eine solche Darlegung ermöglicht eine Überprüfung, ob der gebotene Ausgleich gewährt wurde.

Die Beklagte kann den Kläger auch nicht darauf verweisen, er habe - jedenfalls teilweise - selbst für einen Ausgleich sorgen müssen, indem er den eigenverantwortlich bestimmbaren Teil seiner Arbeit reduziert. Abgesehen davon, dass die Erwartung, der Kläger könne den Zeitaufwand beispielsweise für die Korrektur von Klausuren oder die Vorbereitung seines Unterrichts entscheidend verringern, weder realistisch erscheint noch mit den - berechtigten - Erwartungen von Schülern und Eltern an Sorgfalt und Qualität in Einklang zu bringen sein dürfte, ist es die Aufgabe des Dienstherrn, für Entlastung zu sorgen. Der Hinweis auf die Möglichkeit, die eigene Sorgfalt bei der Unterrichtsvorbereitung bzw. bei Korrekturen zu verringern, ist daher angesichts der verantwortungsvollen Tätigkeit einer Lehrkraft nicht nur befremdlich, sondern zudem rechtlich unerheblich.

Soweit die Beklagte überdies meint, der von dem Verwaltungsgericht bestimmte Umfang der Entlastung von 13,5 Zeitstunden sei nicht nachvollziehbar, fehlt es an der gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Befassung mit der Begründung des angefochtenen Urteils.

Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine grundsätzliche, fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Das ist nur dann zu bejahen, wenn die Klärung der Frage durch die im erstrebten Berufungsverfahren zu erwartende Entscheidung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder für eine bedeutsame Fortentwicklung des Rechts geboten erscheint (Nds. OVG, Beschluss vom 1.10.2008 - 5 LA 64/06 -, [...] Rn. 14).

Nach diesen Maßgaben kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung nicht zu. Die rechtlichen Maßstäbe, nach denen eine Mehrbelastung teilzeitbeschäftigter Lehrkräfte bei Klassenfahrten auszugleichen ist, sind vielmehr in der Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungsgerichts als auch des Senats - wie dargelegt - geklärt. Es ist die Aufgabe der Beklagten, ihre Verwaltungspraxis an diese Rechtsprechung anzupassen. Dass dies möglicherweise bislang nicht ausreichend erfolgt ist, wirft einen weiteren Klärungsbedarf gleichwohl nicht auf.

Die Berufung ist schließlich nicht aufgrund von Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) zuzulassen.

Divergenz wäre - ausgehend vom Zulassungsvorbringen - gegeben, wenn das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung einen entscheidungserheblichen abstrakten Grundsatz tatsächlicher oder rechtlicher Art aufgestellt hätte, der mit einem ebensolchen Grundsatz in den in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 2004 (a.a.O.) und des Senats vom 18. September 2007 (a.a.O.) nicht übereinstimmt. Dies legt die Beklagte nicht ausreichend dar.

Soweit die Beklagte meint, das Verwaltungsgericht weiche von dem Rechtssatz ab, dass ein grob pauschalierender Ausgleich ausreiche, trifft das nicht zu. Das Gericht trägt dem vorgenannten Rechtssatz vielmehr ausdrücklich Rechnung (Urteilsabdruck S. 8 oben).

Soweit die Beklagte weiter rügt, das Verwaltungsgericht habe die gewährten Vergünstigungen unberücksichtigt gelassen, ist dieser Gesichtspunkt nicht geeignet, eine Divergenz zu begründen. Eine nur unrichtige Anwendung eines in obergerichtlicher bzw. höchstrichterlicher Rechtsprechung entwickelten und vom Tatsachengericht nicht in Frage gestellten Rechtsgrundsatzes stellt keine Abweichung im Sinne des Zulassungsrechts dar (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 9.5.2012 - 5 LA 100/11 -, [...] Rn. 25).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).