Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.06.2013, Az.: 13 LA 108/12

Anforderungen an die Zulassung eines privat geführten Rettungsdienstes als Teil des öffentlichen Rettungsdienstes oder als qualifizierter Krankentransport außerhalb des Rettungsdienstes nach niedersächsischem Recht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.06.2013
Aktenzeichen
13 LA 108/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 38282
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0610.13LA108.12.0A

Fundstelle

  • NordÖR 2013, 546

Amtlicher Leitsatz

Nach der Systematik des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes (NRettDG) ist ein Unternehmer entweder mit der Durchführung der Leistungen des Rettungsdienstes nach § 2 Abs. 2 NRettDG beauftragt und damit Teil des öffentlichen Rettungsdienstes oder Inhaber einer Genehmigung für den qualifizierten Krankentransport nach § 19 NRettDG außerhalb des Rettungsdienstes (im Anschluss an Nds. OVG, Urt.v.17.04.1996 - 7 L 3226/95 -, NVwZ-RR 1997, 29).

[Gründe]

Das Zulassungsverfahren der Beklagten ist gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen, nachdem sie ihren Zulassungsantrag mit Schriftsatz vom 29. November 2012 zurückgenommen hat.

Der Zulassungsantrag der Klägerin bleibt ohne Erfolg.

Die Zulassung der Berufung setzt nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO voraus, dass einer der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe dargelegt ist und vorliegt. Eine hinreichende Darlegung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert, dass in der Begründung des Zulassungsantrags im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, weshalb der benannte Zulassungsgrund erfüllt sein soll. Zwar ist bei den Darlegungserfordernissen zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden, welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -; BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, Beschl. v. 24.01.2007 - 1 BvR 382/05 -; BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 21.01.2000 - 2 BvR 2125/97 -, jeweils zit. nach [...]). Erforderlich sind aber qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen.

Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wird nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils können nur dann bestehen, wenn gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gründe sprechen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458; BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 - 7 AV 4/03 -, [...]). Da das Erfordernis der ernstlichen Zweifel auch auf die Ergebnisrichtigkeit abstellt, dürfen sich die Zweifel indessen nicht ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung beziehen, sondern es ist zusätzlich das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen. Für die Zulassung der Berufung wegen des Vorliegens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen hingegen nicht vor, wenn zwar einzelne Rechtssätze oder tatsächliche Feststellungen, welche das Urteil tragen, zu Zweifeln Anlass bieten, das Urteil aber im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 - 7 AV 4.03 -, a.a.O.).

Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin zu Recht abgewiesen, soweit sie von der Beklagten die Herausgabe von Genehmigungsurkunden für den qualifizierten Krankentransport begehrt, die sich auf den Betriebsbereich des Beigeladenen erstrecken. Der Klägerin steht auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens im Zulassungsverfahren ein derartiger Anspruch nicht zu.

Das Niedersächsische Rettungsdienstgesetz (NRettDG), das nach seinem § 1 Abs. 1 den Rettungsdienst als öffentliche Aufgabe und die Zulassung Dritter zum qualifizierten Krankentransport außerhalb der Rettungsdienstes regelt, verwendet den Begriff "Rettungsdienst" in einem doppelten Sinn: Im funktionellen Sinn umfasst "Rettungsdienst" sowohl die Notfallrettung als auch den qualifizierten Krankentransport (§ 2 Abs. 2 NRettDG). Im organisatorischen Sinn ist der Rettungsdienst jedoch nur die Tätigkeit der in §§ 3 und 5 NRettDG genannten "Träger" und "Beauftragten". Rettungsdienst im funktionellen und im organisatorischen Sinn ist somit nicht deckungsgleich, wie sich aus § 19 NRettDG, der den qualifizierten Krankentransport (als Teil des Rettungsdienstes im funktionellen Sinne) "außerhalb des Rettungsdienstes" (im organisatorischen Sinne) regelt. Dieses vom Landesgesetzgeber mit dem Inkrafttreten des NRettDG am 1. Februar 1992 eingeführte und bisher nicht geänderte Nebeneinander des öffentlichen Rettungsdienstes und des qualifizierten Krankentransportes ("Trennungsmodell") folgt zum einen aus § 19 Abs. 1 Satz 1 NRettDG, wonach derjenige der Genehmigung zur Durchführung von Krankentransporten im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 NRettDG bedarf, der diese geschäftsmäßig durchführen will, "ohne Träger des Rettungsdienstes oder Beauftragter zu sein". Die Genehmigungsurkunden, deren Herausgabe die Klägerin auf der Grundlage des § 21 Abs. 1 NRettDG i.V.m. § 15 Abs. 2 PBefG zur Durchführung des qualifizierten Krankentransportes (auch) im Betriebsbereich des Beigeladenen begehrt, berechtigen gerade nicht zur Durchführung von Notfallrettungsfahrten. Letztere sind nach der Systematik des NRettDG ausschließlich dem öffentlichen Rettungsdienst im organisatorischen Sinne, also den Rettungsdienstträgern und den gemäß § 5 NRettDG Beauftragten, vorbehalten. Dementsprechend bestimmt § 5 Abs. 3 NRettDG zum anderen, dass Leistungen des Rettungsdienstes geschäftsmäßig nur von Trägern des Rettungsdienstes und Beauftragten erbracht werden dürfen, während für den geschäftsmäßigen qualifizierten Krankentransport außerhalb des Rettungsdienstes die §§ 19 bis 29 NRettDG gelten. Nach der Systematik des NRettDG ist ein Unternehmer entweder Beauftragter nach § 5 NRettDG und damit Teil des öffentlichen Rettungsdienstes oder Inhaber einer Genehmigung nach § 19 NRettDG "außerhalb des Rettungsdienstes" (vgl. die Überschrift des 3. Teils des NRettDG). Zwar kann ein nach § 5 Abs. 1 S. 1 NRettDG Beauftragter auch qualifizierte Krankentransporte durchführen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 NRettDG). In diesem Fall ist er aber Teil des öffentlichen Rettungsdienstes und bedarf nicht mehr der Genehmigung nach § 19 Abs.1 S. 1 NRettDG. Folglich kann ein Genehmigungsinhaber nach § 19 NRettDG nicht zugleich Beauftragter und ein nach § 5 Beauftragter nicht zugleich Inhaber einer Genehmigung nach § 19 NRettDG sein. Dies führt unter Umständen auch dazu, dass der Inhaber einer Genehmigung nach § 19 NRettDG, der nachträglich vom Träger des Rettungsdienstes mit der Durchführung der Leistungen des Rettungsdienstes nach § 2 Abs. 2 NRettDG beauftragt wird, die Genehmigung nach § 19 NRettDG verliert, weil sie ungültig geworden ist (Nds. OVG, Urt. v. 17.04.1996 - 7 L 3226/95 -, NVwZ-RR 1997, 29; VG Lüneburg, Urt. v. 28.2.2013 - 6 A 50/11 -, [...] Rn 38).

Die Klägerin ist zwar als gemeinnützige GmbH eine eigenständige juristische Person, der als taugliche Genehmigungsadressatin grundsätzlich eine Genehmigung und damit auch die Urkunde für den qualifizierten Krankentransport erteilt werden kann (§ 19 Abs. 1 Satz 3 NRettDG), den sie dann im eigenen Namen, unter eigener Verantwortung und für eigene Rechnung betreiben muss (§ 21 Abs. 1 NRettDG i.V.m. §§ 3 Abs. 2 Satz 1, 15 Abs. 2 PBefG). Sie ist als von der B. e.V. gebildete Tochtergesellschaft mit diesem Unternehmen zwar nicht identisch, aber doch personell und gesellschaftsrechtlich sehr eng verbunden. Als geschäftsführendes und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattetes Mitglied einer Bietergemeinschaft, die zusammen mit der B. e.V. als BGB-Gesellschaft (§§ 705 ff. BGB) seit dem 1. April 2012 mit der Durchführung des Rettungsdienstes im Rettungsdienstbereich des Beigeladenen von ihm gemäß § 5 NRettDG beauftragt wurde, die Rettungswache C. /D. zu betreiben, wobei die beiden Mitglieder der Bietergemeinschaft nach ihrer gemeinsam unterzeichneten Erklärung vom 4. April 2011 gesamtschuldnerisch "für die Erfüllung des Vertrages" haften, kann die Klägerin gerade wegen dieser rechtlichen Verflechtungen nicht zugleich Inhaber einer Genehmigungsurkunde für den qualifizierten Krankentransport im Rettungsdienstbereich des Beigeladenen sein. Anderenfalls wäre das bereits beschriebene "Trennungsmodell" des NRettDG im vorliegenden Fall in sein Gegenteil verkehrt.

Der von der Klägerin weiterhin geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wird ebenfalls nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor. Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich wäre und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum die Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren.

Abgesehen davon, dass die Klägerin eine grundsätzlich bedeutsame Frage bereits nicht näher bezeichnet hat, ist in der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Urt. v. 17. 4.1996 - 7 L 3226/95 -, a.a.O.) hinreichend geklärt, dass bereits nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 1 NRettDG eine Genehmigung für den qualifizierten Krankentransport nur eine natürliche oder juristische Person erhalten kann, die nicht zugleich auch Beauftragter nach § 5 NRettDG oder Träger des Rettungsdienstes ist. Die von der Klägerin umfangreich zitierte Gesetzesbegründung gibt insoweit nichts anderes her. Darin heißt es u.a.:

"Die Landesregierung hat sich entschlossen, Krankentransportunternehmen die Möglichkeit einzuräumen, außerhalb des organisierten Rettungsdienstes "Sonstige Beförderungsleistungen" anzubieten und zu erbringen, sofern die im Gesetz genannten Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind. Es werden in dem jetzt eingefügten Genehmigungsverfahren für das Tätigwerden von Dritten außerhalb des organisierten Rettungsdienstes objektive Genehmigungsvoraussetzungen vorgesehen" (LT-DRs 12/2281 S. 22).

Der Beigeladene weist zu Recht daraufhin, dass die Wortwahl ("...Tätigwerden von Dritten außerhalb des organisierten Rettungsdienstes...") eher dafür spricht, dass nur solchen natürlichen oder juristischen Personen die Durchführung von Krankentransporten außerhalb des Rettungsdienstes ermöglicht werden sollte, die nicht bereits mit der Durchführung von Rettungsdienstleistungen beauftragt sind. Ein Nebeneinander von Beauftragung nach § 5 NRettDG und einer Genehmigung nach § 19 NRettDG ist angesichts des unmissverständlichen Wortlauts der §§ 19 Abs. 1 Satz 1, 5 Abs. 3 Satz 2 NRettDG auch nach Auffassung des beschließenden Senats nicht zulässig. Auf die Gefahr eines vom Beigeladenen aufgezeigten Missbrauchs bei der Abrechnung der Krankentransportleistungen, die nach seiner Auffassung mit der Inkompatibilitätsregelung in § 19 Abs. 1 Satz 1 NRettDG ebenfalls ausgeschlossen werden sollte, kommt es danach nicht mehr an.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), soweit es den klageabweisenden Teil betrifft.