Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.06.2013, Az.: 10 LA 28/13

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.06.2013
Aktenzeichen
10 LA 28/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 39200
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0619.10LA28.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 19.02.2013 - AZ: 7 A 4030/12

Fundstellen

  • AUR 2013, 386-387
  • DÖV 2013, 741
  • NordÖR 2013, 396

Amtlicher Leitsatz

Mit dem Betrieb eines sog. "Kuhaltersheims" werden keine historischen Zwecke i. S. d. VO (EG) Nr. 644/2005 verfolgt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin,

die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen,

bleibt ohne Erfolg. Die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sowie der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind von der Klägerin nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt worden.

1.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn gegen die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts gewichtige Gründe sprechen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Für die Zulassung der Berufung genügt es aber nicht, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil des Verwaltungsgerichts gestützt ist. Vielmehr müssen zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung begründet sein (BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 -, Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 33 = NVwZ-RR 2004, 542 = DVBl. 2004, 838).

Hieran gemessen kann die Berufung nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen werden.

Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage abgewiesen, mit der die Klägerin die Anerkennung als Betrieb i. S. d. Verordnung (EG) Nr. 644/2005 begehrt; mit Hilfe dieser Anerkennung möchte die Klägerin erreichen, dass die Rinder ihres "Kuhaltersheims" keine Ohrmarken tragen müssen. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, dass die streitige Anerkennung eine Rinderhaltung für kulturelle und historische Zwecke voraussetze. Beide Voraussetzungen müssten kumulativ vorliegen. Vorliegend mangele es jedenfalls an der historisch verwurzelten kulturellen Zwecksetzung der Rinderhaltung. Rinder seien traditionell als Nutztiere gehalten worden. Die Klägerin halte Rinder jedoch bewusst nicht als Nutztiere, sondern stelle sich als Gnadenhof mit tierschutzrechtlichem Bildungs- und Aufklärungsauftrag dar. Diese Form der Rinderhaltung sei in Deutschland nicht historisch verankert.

Die von der Klägerin gegen die Richtigkeit dieser Entscheidung vorgetragenen Argumente greifen nicht durch. Mit der vom Verwaltungsgericht angeführten, die Entscheidung tragenden Definition "historisch" setzt sich die Klägerin nicht ausdrücklich auseinander; sie legt insbesondere nicht dar, welche abweichende Definition dieses Tatbestandsmerkmals insoweit zutreffend sein soll. Mit ihrer ersatzweisen Behauptung, der zeitliche Faktor sei unbedeutend, wird die vom Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und der Systematik des Art. 1 Verordnung (EG) Nr. 644/2005 getragene Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht ernstlich in Frage gestellt, die Rinderhaltung müsse kumulativ sowohl kulturellen als auch historischen Zwecken dienen. Die weitere Kritik der Klägerin an den vom Verwaltungsgericht aufgezeigten Beispielsfällen für eine Befreiung von der Ohrmarkenpflicht geht fehl, weil auch das Verwaltungsgericht daraus letztlich nicht den Schluss gezogen hat, diese Beispiele seien abschließend oder nur eine mit einer Haltung von Kampfstieren vergleichbare Rinderhaltung sei als (von der Ohrmarkenpflicht befreiter) Betrieb anerkennungsfähig.

Die übrigen Ausführungen der Klägerin setzen sich ebenfalls nicht hinreichend mit der tragenden Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts auseinander. Die Klägerin meint, die Ohrmarkenpflicht für Rinder sei nur für solche Tiere gerechtfertigt, deren Fleisch vermarktet werde. Es ist jedoch schon nicht ersichtlich, inwieweit dieses Vorbringen in diesem Verfahren, das nicht unmittelbar die Befreiung von der Ohrmarkenpflicht zum Streitgegenstand hat, überhaupt erheblich sein soll. Außerdem sehen die hier maßgeblichen Verordnungen (EG) Nrn. 1760/2000 und 644/2005 eben gerade nicht nur eine Ohrmarkenpflicht für Rinder vor, deren Fleisch später (ggf.) vermarktet wird, sondern für alle Rinder, und enthalten eine hier allenfalls in Betracht kommende Ausnahme nur unter den vom Verwaltungsgericht zutreffend genannten Voraussetzungen. Ebenso wenig ist Streitgegenstand dieses Verfahrens, ob die von der Klägerin gehaltenen Rinder nach § 45 Abs. 2 der Viehverkehrsverordnung (BGBl. I 2010, S. 203) von der Ohrmarkenpflicht befreit werden können und ob Ohrmarken eine geeignete, tierschutzgerechte Kennzeichnungsmethode für Rinder darstellen oder durch Mikrochips ersetzt werden dürfen. Weiterhin unerheblich sind die Ausführungen der Klägerin zu den insbesondere tierschutzrechtlichen Zielen ihres "Kuhaltersheims".

Sollte mit dem Zulassungsvorbringen der Klägerin zur historischen Verwurzelung des Tierschutzes und der geschichtlichen Bedeutung ihres "Kuhaltersheimes" die Richtigkeit der Subsumtion des Verwaltungsgerichts unter den Begriff "historisch" bezweifelt werden, träfe dies in der Sache nicht zu. Denn es ist weder von der Klägerin dargelegt worden noch sonst für den Senat zu erkennen, dass die von der Klägerin praktizierte Form der Rinderhaltung die vom Verwaltungsgericht insoweit für erforderlich erachtete Tradition im Bundesgebiet aufweist; die Klägerin trägt im Gegenteil selbst vor, dass ihre Einrichtung "einmalig und erstmalig" in Deutschland sei. Dass sie mit ihrem Konzept anzuerkennende Zwecke des Tierschutzes und ggf. auch der "Aufklärung" verfolgt, hat bereits das Verwaltungsgericht ausdrücklich ausgeführt; entscheidend ist jedoch, dass die Klägerin im Zulassungsverfahren nicht dargelegt hat, weshalb hierin zugleich der erforderliche "historische" Zweck liegen soll. Dazu reicht es nicht aus, eine - neuzeitliche - Alternative zu der von ihr kritisierten gegenwärtigen Form der Rindernutztierhaltung aufzuzeigen.

2.

Auch der Zulassungsgrund der besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist jedenfalls nicht hinreichend dargelegt.

Der Gesetzgeber hat mit diesem Zulassungsgrund (negativ) an die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheids (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und die Übertragung auf den Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) angeknüpft. Hiernach weist eine Streitsache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, wenn ihre Entscheidung voraussichtlich in tatsächlicher bzw. rechtlicher Hinsicht größere, d. h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursachen wird (Senatsbeschl. v. 28.1.2013 - 10 LA 19/11 -, [...], Rn. 54, m. w. N.).

Solche Schwierigkeiten ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen der Klägerin nicht. Sie legt schon nicht ausdrücklich dar, ob die besonderen Schwierigkeiten vorliegend bezogen auf die rechtliche Beurteilung und/oder hinsichtlich tatsächlicher Feststellungen gegeben sein sollen. Soweit die Klägerin stattdessen ggf. sinngemäß die Antwort auf die Frage für besonders schwierig hält, welche (Rinder-)Haltungen überhaupt historische oder (richtig: und) kulturelle Zwecke erfüllen, ist diese Fragestellung in dieser Allgemeinheit nicht erheblich und kann dem Rechtsstreit deshalb keine besonderen Schwierigkeiten vermitteln. Denn das Verwaltungsgericht hat die streitige Anerkennung letztlich an dem Fehlen des Merkmals "historisch" scheitern lassen und dafür in Übereinstimmung mit dem Wortlaut sowie der Systematik und der Entstehungsgeschichte der maßgeblichen unionsrechtlichen Normen die Anknüpfung an eine traditionelle Form der Rinderhaltung gefordert, an der es hier gerade mangelt. Welche anderen Formen der Rinderhaltung danach als "historisch" anzuerkennen sind, ist demnach vorliegend nicht zu entscheiden. Dass es solche Formen gar nicht gäbe - wie die Klägerin in den Raum stellt -, hat das Verwaltungsgericht nicht entschieden und ist auch sonst nicht zu erkennen. Zu denken wäre etwa an die extensive Haltung von traditionellen Rinderrassen als Kulturgut, zur Landschaftspflege oder zum Erhalt der Artenvielfalt.

3.

Schließlich kann die Berufung auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden.

Eine Rechtssache ist grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Zulassungsantragsteller eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage zu formulieren sowie zu erläutern, weshalb sie im anhängigen Verfahren klärungsfähig und klärungsbedürftig ist und warum ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. nochmals den o. a. Senatsbeschl. v. 28.1.2013, [...], Rn. 50, m. w. N.).

Die Klägerin bezeichnet jedoch keine Frage, der eine solche Bedeutung zukommen soll. Dass sie stattdessen umfangreich ihre Aufgaben umschreibt und deren anzuerkennende Bedeutung hervorhebt, ist insoweit unerheblich.