Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.05.2024, Az.: 1 LA 98/23

Streit um einen bauplanungsrechtlichen Bauvorbescheid für die Errichtung eines Lebensmitteldiscountmarktes; Wirksamkeit von Bebauungsplanfestsetzungen über Verkaufsflächenbeschränkung; Rechtsmissbräuchlichkeit der Berufung auf die Unwirksamkeit eines für das eigene Vorhaben aufgestellten Bebauungsplans

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.05.2024
Aktenzeichen
1 LA 98/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 14918
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0510.1LA98.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 11.07.2023 - AZ: 4 A 4286/18

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Erweist sich eine Festsetzung der Zahl zulässiger Betriebe in einem Sondergebiet als unwirksam, so kann eine gleichzeitig festgesetzte vorhabenbezogene Verkaufsflächenbeschränkung geltungserhaltend als grundstücksbezogene Verkaufsflächenbeschränkung ausgelegt werden, sofern im Plangebiet nur ein als Betriebsgrundstück geeignetes Grundstück vorhanden ist (BVerwG, Urt. v. 17.10.2019 - 4 CN 8.18 -, BVerwGE 166, 378). Das gilt auch dann, wenn auf dem Betriebsgrundstück mehrere Betriebe errichtet werden könnten, sofern diese Möglichkeit vom mutmaßlichen Willen des Plangebers gedeckt ist.

  2. 2.

    Zur Rechtsmissbräuchlichkeit der Berufung auf die Unwirksamkeit eines für das eigene Vorhaben aufgestellten Bebauungsplans.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 11. Juli 2023 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 256.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt einen bauplanungsrechtlichen Bauvorbescheid für die Errichtung eines Lebensmitteldiscountmarktes; die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob die dem entgegenstehenden Bebauungsplanfestsetzungen wirksam sind.

Die Klägerin betreibt einen Lebensmitteldiscountmarkt mit einer Verkaufsfläche von ca. 780 m2 im Geltungsbereich der 4. Änderung des Bebauungsplans Nr. 50 der Beklagten. Der Vorhabenstandort, Teil eines größeren, im Übrigen anders überplanten Grundstücks, ist in dem Plan als Sondergebiet SO 1 festgesetzt, zu dem die Textliche Festsetzung § 1 regelt:

"Im Sondergebiet gemäß § 11 (3) Baunutzungsverordnung (BauNVO) mit der Zweckbestimmung ,Großflächiger Einzelhandel' sind zulässig:

- Ein Lebensmitteleinzelhandel (Discounter) bis 780 m2 Grundstücksfläche (SO1)"

Die Bauvoranfrage der Klägerin zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Ersatzbaus mit 1.280 m2 Verkaufsfläche beschied die Beklagte negativ. Die hiergegen nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Klage sei unbegründet, da das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig sei. Die Festsetzungen des Bebauungsplans und insbesondere die für das SO 1 geregelte Verkaufsflächenbeschränkung seien wirksam. Zwar sei die Festsetzung einer baugebietsbezogenen, vorhabenunabhängigen Verkaufsflächenbeschränkung mangels Rechtsgrundlage unzulässig. Vorliegend sei die Festsetzung aber nach ihrem eindeutigen Wortlaut vorhabenbezogen. Auch die Rechtsprechung des BVerwG, wonach eine Beschränkung der Zahl zulässiger Vorhaben in einem sonstigen Sondergebiet mangels Rechtsgrundlage unwirksam sei (Urt. v. 17.10.2019 - 4 CN 8.18 -, juris Rn.12 ff.), bringe den Bebauungsplan der Beklagten vorliegend nicht zu Fall. Das Gericht habe nämlich zugleich entschieden, dass § 11 Abs. 2 Satz 1 BauNVO es auch zulasse, die höchstzulässige Verkaufsfläche für jeweils einzelne Grundstücke festzulegen, sofern dadurch die Ansiedlung bestimmter Einzelhandelstypen und damit die Art der Nutzung im Sondergebiet geregelt werden solle. Das Gericht habe ferner entschieden, dass eine unzulässige baugebietsbezogene zahlenmäßige Begrenzung auf nur einen Einzelhandelsbetrieb im Sondergebiet planerhaltend als zulässige grundstücksbezogene Festsetzung verstanden werden könne, wenn es im festgesetzten Sondergebiet nur ein vorhabengeeignetes Grundstück gebe. Das sei hier der Fall. Es sei der Beklagten bei der Planaufstellung um eine Umsiedlung des Discounters gegangen. In der Begründung sei die Verkaufsfläche in den Blick genommen und herausgearbeitet worden, dass negative Auswirkungen auf den Innenstadtbereich bzw. den sonstigen Einzelhandel nicht zu erwarten seien. Die erforderliche Typisierung sei durch die Bezeichnung "Lebensmitteleinzelhandel / Discounter" hinreichend präzise erfolgt. Im Plangebiet gebe es schließlich nur ein vorhabengeeignetes Grundstück. Auch weitere - im Berufungszulassungsverfahren nicht thematisierte - Festsetzungen seien wirksam. Eine Befreiungslage sei nicht gegeben. Ob die Berufung auf eine Unwirksamkeit des Plans gegen Treu und Glauben verstoße, weil dieser eigens für die Ansiedlung des Betriebs der Klägerin aufgestellt worden sei, könne angesichts dessen dahinstehen.

II.

Der dagegen gerichtete, auf die Zulassungsgründe einer Abweichung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), ferner ernstlicher Zweifel und besonderer Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1 bzw. 2 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1.

Die Divergenzrüge greift nicht durch.

Zur Darlegung einer Abweichung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz zu benennen, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte aufgestellten, tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift widersprochen hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtssatzes bestehen. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Oberverwaltungsgericht, das Bundesverwaltungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Darlegungsanforderungen nicht (st. Rspr., zuletzt Senatsbeschl. v. 18.4.2024 - 1 LA 1/24 -, juris Rn. 15 m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Der von der Klägerin unter 1.1.2 des Zulassungsvorbringens angeführte Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts, dass "eine Beschränkung der Zahl zulässiger Vorhaben in einem sonstigen Sondergebiet mangels Rechtsgrundlage unwirksam ist" (BVerwG, Urt. v. 17.10.2019 - 4 CN 8.18 -, BVerwGE 166, 378 = BRS 87 Nr. 35 = juris Rn. 12), wird vom Verwaltungsgericht nicht in Frage gestellt, sondern ausdrücklich anerkannt (UA S. 7 unten). In der Sache macht die Klägerin geltend, das Verwaltungsgericht habe die Auswirkungen dieses Rechtssatzes verkannt; das begründet jedoch keine Divergenz, sondern erfüllt allenfalls den - allerdings ebenfalls geltend gemachten - Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung (dazu unten 2.). Auch das nachfolgende Zulassungsvorbringen (1.1.3 und 1.1.4 sowie 1.2 ff.) läuft auf die Rüge fehlerhafter Anwendung, nicht aber eines grundsätzlichen Infragestellens der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssätze hinaus.

2.

Die Darlegungen der Klägerin begründen auch nicht den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Derartige Zweifel sind dann dargelegt, wenn es der Rechtsmittelführerin gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in dem angefochtenen Urteil mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich, es genügt, wenn sich diese auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens als offen darstellen. Das ist hier nicht der Fall.

a)

Keinen ernstlichen Zweifeln begegnet zunächst die Auslegung des Verwaltungsgerichts, die Antragsgegnerin habe keine - mangels Bezuges zur Art der baulichen Nutzung und aufgrund der Eröffnung eines "Windhundrennens" unwirksame - baugebietsbezogene, sondern eine vorhabenbezogene Verkaufsflächenbegrenzung festgesetzt. Zu Recht hat es insoweit darauf abgestellt, dass im Gebiet die Zulässigkeit nur eines Betriebs festgesetzt war und die Ansiedlung eines das gesamte Sondergebiet beanspruchenden Betriebes Planungsanlass war. Weder die Unwirksamkeit der Betriebszahlbeschränkung noch die Natur des Plans als Angebotsplan stehen der Heranziehung dieser Gesichtspunkte zur Ermittlung des gemeindlichen Planungswillens entgegen: Die Unwirksamkeit der Betriebszahlbeschränkung war dem Rat ersichtlich nicht bewusst, die Möglichkeit der Ansiedlung mehrerer Betriebe konnte er mit einiger Berechtigung als rein hypothetisch außer Acht lassen.

Das Vorbringen der Klägerin begründet im Übrigen auch deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung, weil das Verwaltungsgericht bei der Annahme einer vorhabenbezogenen Verkaufsflächenbeschränkung nicht stehen geblieben ist. Im Zusammenhang mit der Prüfung der Beschränkung der Betriebszahl hat er die Verkaufsflächenbeschränkung im Ergebnis als grundstücksbezogen verstanden; dies wäre auch ohne den "Zwischenschritt" über eine vorhabenbezogene Festsetzung möglich gewesen.

b)

Auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Beschränkung der Zahl zulässiger Vorhaben in einem sonstigen Sondergebiet unwirksam sei, bringe den Bebauungsplan der Beklagten nicht zu Fall, wird durch das Zulassungsvorbringen nicht ernstlich in Frage gestellt.

Klarstellend ist zwar anzumerken, dass aus dieser Rechtsprechung eine Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans, nämlich hinsichtlich der genannten Beschränkung der Betriebszahl, folgt. Das Verwaltungsgericht zielt mit seiner Würdigung jedoch auf die Frage einer Gesamtunwirksamkeit, namentlich die Unwirksamkeit der Verkaufsflächenbeschränkung ab, da nur diese zum Erfolg des Verpflichtungsbegehrens führen könnte. Die gegen die Wirksamkeit der Verkaufsflächenbeschränkung angeführten Rügen greifen nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat insoweit in nicht zu beanstandender Weise auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hingewiesen, nach der eine vorhabenbezogene planerhaltend als grundstücksbezogene Verkaufsflächenbeschränkung ausgelegt werden könne, wenn im Plangebiet nur ein für die Vorhabenverwirklichung geeignetes Baugrundstück vorhanden ist, und zutreffend festgestellt, dass das hier der Fall ist.

Dass auf diesem Grundstück theoretisch mehrere Lebensmitteldiscounter errichtet werden könnten, steht entgegen der Klägerin der Auslegung als grundstücksbezogene Verkaufsflächenbeschränkung nicht entgegen. Zunächst ist die Ansiedlung zweier Discounter, die zusammen nur 780 m2 Verkaufsfläche hätten, angesichts der heutigen, aber auch angesichts der bei Planaufstellung herrschenden wirtschaftlichen Gegebenheiten unrealistisch. Verkaufsflächen von 390 m2 oder darunter, die mindestens einer der Märkte aufweisen müsste, sind für Lebensmitteldiscounter keine marktgängige Größe, zumal dann nicht, wenn sie der unmittelbaren Konkurrenz eines weiteren Discounters auf demselben Baugrundstück ausgesetzt wären. Selbst wenn eine solche Ansiedlung aber denkbar wäre, spricht nichts dafür, dass diese von der Antragstellerin nicht akzeptiert worden wäre. Dieser kam es ersichtlich nur darauf an, überhaupt Lebensmitteleinzelhandel am Standort zu halten und gleichzeitig der Innenstadt keine Konkurrenz zu schaffen; für diese Zielsetzung ist es unerheblich, ob auf dem Grundstück ein oder zwei Märkte mit zusammen maximal 780 m2 Verkaufsfläche entstehen.

Ohne Erfolg rügt die Klägerin, der Festsetzung einer grundstücksbezogenen Verkaufsflächenobergrenze fehle hier die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 25.1.2022 - 4 CN 5.20 -, juris Rn. 31) notwendige Eignung zur Regelung der Art der baulichen Nutzung, diese erfolge ausschließlich durch die Angabe des Handelstypus "Lebensmitteleinzelhandel (Discounter)". Denn durch die Festsetzung einer Verkaufsfläche von maximal 780 m2 für das Baugrundstück begrenzt die Beklagte den Nutzungstyp weiter auf kleine Discounter mit einem beschränkten Höchstmaß an wirtschaftlicher Relevanz. Ob gerade die gewählte Beschränkung einem gängigen Anlagentyp entspricht, ist bei Artfestsetzungen nach § 11 BauNVO - anders als bei Festsetzungen nach § 1 Abs. 9 BauNVO - unerheblich (vgl. Senatsurt. v. 7.7.2022 - 1 KN 165/19 -, juris Rn. 34 m.w.N.).

c)

Angesichts des Vorstehenden nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die vom Verwaltungsgericht offen gelassene Frage, ob der Klägerin nach den Grundsätzen von Treu und Glauben die Berufung auf eine Unwirksamkeit der 4. Bebauungsplanänderung verwehrt wäre, zu deren Nachteil zu entscheiden sein dürfte (vgl. zu den rechtlichen Grundlagen näher Senatsurt. v. 2.6.2022 - 1 LB 109/20 -, NuR 2022, 654 = juris Rn. 23 ff.). Planungsanlass war unstrittig die Umsiedlung gerade des Betriebs der Klägerin; dass diese in die Definition der Bedürfnisse des neuen Vorhabens - und sei es mittelbar über ihre Vermieterin als Unterhändlerin - nicht einbezogen gewesen sein soll, ist fernliegend. Die weitgehende Beibehaltung der bisherigen Betriebsgröße war erkennbar maßgeblich für die Bewertung der Beklagten, die Planung sei raumordnungsrechtlich verträglich (vgl. Punkt II. der Planbegründung). Das dürfte ausreichen, bei der Beklagten schutzwürdiges Vertrauen darauf entstehen zu lassen, dass die Klägerin den ihre Betriebsumsiedlung ermöglichenden Plan dann auch in seinen Beschränkungen gegen sich gelten lassen würde.

3.

Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf. Zu tatsächlichen Schwierigkeiten fehlt jedes Zulassungsvorbringen; sie sind auch nicht erkennbar, da der überschaubare Sachverhalt unstrittig ist. In rechtlicher Hinsicht sind die vom Fall aufgeworfenen Probleme in ihrer Zahl überschaubar und mehrfach höchstrichterlich entschieden. Der Fall weist auch keine Besonderheiten auf, die die Subsumtion unter die zwischen den Beteiligten abstrakt unstreitigen Rechtssätze erschweren würden.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 3 b, 5 a der Streitwertannahmen der mit Bau- und Immissionsschutzsachen befassten Senate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts für ab dem 1. Juni 2021 eingegangene Verfahren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).