Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.05.2024, Az.: 1 LB 33/22

Ammoniakemissionen; Einzelfallprüfung; Ersatzbau; LAI-Leitfaden; schädliche Umwelteinwirkungen; Stickstoffdeposition; Waldausgleich; Genehmigungsrelevanz von Ammoniakimmissionen bei Ersatzbau für eine Tierhaltungsanlage

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.05.2024
Aktenzeichen
1 LB 33/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 16928
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0515.1LB33.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 29.03.2021 - AZ: 4 A 4667/17

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Jedenfalls wenn Ammoniakimmissionen und Stickstoffdepositionen eine Waldfläche im Wesentlichen nur in ihrer Nutzfunktion beeinträchtigen, sind diese keine schädlichen Umwelteinwirkungen i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB, sofern sie die Vorbelastung nicht überschreiten.

  2. 2.

    Zur Vorbelastung gehören auch die Immissionen, die von einer zerstörten, durch das Vorhaben zeitnah ersetzten Anlage ausgegangen sind.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 29. März 2021 geändert.

Die in der Baugenehmigung des Beklagten vom 4. August 2016 (Az. ...) enthaltene Auflage Nr. 10 und der Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2017 (Az. ...) werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in der Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine mit der Baugenehmigung zum Wiederaufbau eines abgebrannten Putenmaststalls verbundene Auflage, Ausgleichsmaßnahmen für die vorhabenbedingten Stickstoffeinträge in Waldflächen vorzunehmen.

Der Kläger betreibt im Außenbereich der Gemeinde G. -Stadt eine gewerbliche Putenmast. 1997 wurde ihm für zwei Mastställe mit Tierbeständen unterhalb der Schwelle zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit eine Baugenehmigung erteilt; 2006 wurde ihm bestätigt, dass eine mäßige Erhöhung der Tierplatzzahlen nicht genehmigungsbedürftig sei. Einer dieser Ställe wurde im August 2014 bei einem Brand zu großen Teilen zerstört. Unter dem 10. November 2014 beantragte der Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung für ein als "Teilweiser Wiederaufbau eines Putenmaststalls nach einem Brandschaden" bezeichnetes Vorhaben. Das 15,83 m breite und ursprünglich 99,67 m lange Gebäude soll unter Nutzung eines 25,83 m langen erhaltenen Restbestandes in den alten Dimensionen neu errichtet werden; die Tierplatzzahl soll nicht steigen und unter einer Gesamtzahl von 15.000 Plätzen in beiden Ställen bleiben.

Ein im Genehmigungsverfahren eingeholtes, in tatsächlicher Hinsicht unstreitiges Gutachten der Landwirtschaftskammer vom 24. September 2014 mit Ergänzung vom 31. Oktober 2014 kommt zu dem Schluss, dass auf zwei nordöstlich des Vorhabens gelegenen Fichten- bzw. Lärchenwaldflächen Ammoniak (NH3)-Zusatzbelastungen von bis zu 47 µg je Kubikmeter Luft, unter Berücksichtigung einer Hintergrundbelastung von 6 µg/m3 mithin eine Gesamtbelastung von bis zu 53 µg/m3 zu erwarten sei. Die Stickstoffdepositionen erreichten bis zu 233 kg/ha/a. Eine Sonderfallprüfung nach Nr. 4.8 der TA Luft (Ammoniakkonzentration) bzw. dem Leitfaden der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Immissionsschutz (LAI-Leitfaden) zur Ermittlung und Bewertung von Stickstoffdepositionen ergebe, dass auf der gesamten südlichen Waldfläche (1,44 ha) sowie auf einer Teilfläche (0,25 ha) der nördlichen Waldfläche erhebliche schädliche Beeinträchtigungen stickstoffempfindlicher Ökosysteme zu erwarten seien, die eine Waldumwandlung als Genehmigungsvoraussetzung erforderten.

Der im Übrigen antragsgemäß am 4. August 2016 erteilten Baugenehmigung fügte der Beklagte eine Auflage Nr. 10 bei, nach der der Kläger zum Ausgleich für die vorhabenbedingten Stickstoffemissionen eine - vom Kläger ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter dem Vorbehalt gerichtlicher Nachprüfung angebotene - Ersatzaufforstung im Umfang von 2,3 ha vorzunehmen habe. Wörtlich lautet die als Auflage bezeichnete Nebenbestimmung:

"Durch das geplante Vorhaben wird die zulässige Stickstoffdeposition auf 2 angrenzenden Waldflächen ganz bzw. teilweise überschritten (S. Gutachten Landwirtschaftskammer Dr. H., vom 31.10.2014). Sie haben für die betroffenen Waldflächen mit dem Bauantrag eine entsprechende Waldumwandlungsgenehmigung gem. § 8 NWaldLG beantragt und eine geeignete Ersatzfläche (Dienstleistungsvertrag mit den Niedersächsischen Landesforsten - Ersatzaufforstung 23.000 qm) angeboten.

Vor Inbetriebnahme dieses Stallgebäudes ist der bereits als Entwurf vorliegende Dienstleistungsvertrag in unterschriebener Form erneut vorzulegen. Soweit eine andere Ersatzaufforstungsfläche gewählt wird, bedarf diese der vorherigen Zustimmung meiner unteren Naturschutzbehörde."

Die isoliert gegen die Nebenbestimmung gerichtete, nach erfolglosem Widerspruchsverfahren am 12. Juni 2017 erhobene Anfechtungsklage des Klägers hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 29. März 2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Die angefochtene Nebenbestimmung sei i.S.d. § 36 Abs. 1 VwVfG erforderlich, um die gesetzlichen Voraussetzungen der Baugenehmigung, namentlich die Vereinbarkeit des Vorhabens mit öffentlichem Baurecht, sicherzustellen. Die angeordnete Ersatzaufforstung sei ein geeignetes Mittel, ein Entgegenstehen öffentlicher Belange nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 5 BauGB in Gestalt schädlicher Umwelteinwirkungen bzw. von Belangen des Naturschutzes zu verhindern. Von dem Vorhaben würden nach den im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eingeholten Gutachten schädliche Ammoniakemissionen ausgehen, die auf nahegelegene Waldflächen einwirkten und durch eine Ersatzaufforstung im angeordneten Umfang ausgeglichen werden könnten, aber auch müssten. Aus in der Vergangenheit für den Putenmaststall erteilten Baugenehmigungen und aus Bestandsschutzerwägungen könne der Kläger nichts für sich herleiten. Die "Altbaugenehmigungen" berechtigten nicht zum Wiederaufbau eines zerstörten Gebäudes; sie seien durch die Ausführung des ursprünglichen Baus verbraucht. Die Beibehaltung der Außenmaße des Gebäudes führe nicht zur Identität mit seinem Vorgänger, die die Annahme bloßer, möglicherweise genehmigungsfähiger Instandsetzungsarbeiten rechtfertige; entscheidend sei, dass das ursprüngliche Gebäude hier nicht mehr als Hauptsache erscheine. Damit entfalle auch ein etwaiger Bestandsschutz der bisher ausgeübten Nutzung, da die Genehmigung einheitlich Bauwerk und Nutzung erfasse. Auf ältere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 14 GG (Urt. v. 18.10.1974 - IV C 75.71 -) könne sich der Kläger nicht berufen, diese habe das Gericht ausdrücklich aufgegeben. Der Hinweis des Klägers auf die nachprägende Wirkung von früheren Anlagen bei Anwendung des § 34 BauGB gehe fehl, da er eine andere Fragestellung betreffe. Aus § 16 Abs. 5 BImSchG könne der Kläger nichts für sich herleiten, da sein Vorhaben nicht immissionsschutzrechtlich genehmigt sei. Zudem entbinde diese Norm lediglich von der Durchführung eines erneuten immissionsschutzrechtlichen Verfahrens, lasse aber die materiell-rechtlichen Vorgaben des Immissionsschutzrechts unberührt.

Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 14. März 2022 (Az. 1 LA 76/21) zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, öffentliche Belange stünden dem Vorhaben nicht entgegen. Die zuvor von dem abgebrannten Stall ausgehenden Emissionen seien bei Anwendung des § 35 Abs. 3 BauGB als "nachwirkende" Vorbelastung zu berücksichtigen, sofern die Verkehrsauffassung - wie hier - mit Wiederaufnahme der Nutzung rechne. Die Berücksichtigungsfähigkeit aufgegebener Emissionsquellen sei in der Rechtsprechung anerkannt, namentlich im Rahmen des § 34 BauGB sowie der "nachwirkenden Schicksalsgemeinschaft" benachbarter landwirtschaftlicher Betriebe. Ferner könne eine Parallele zur Berücksichtigungsfähigkeit der Bestandsanlagen bei Betriebserweiterungen i.R.d. "Hinweise zur Prüfung von Stickstoffeinträgen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung für Vorhaben nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz" vom 19.2.2019, Ziff. 2.1.1., sowie zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorbelastung i.R.d. Kumulationsprüfung im Habitatschutzrecht gezogen werden. Unter Berücksichtigung der Vorbelastung durch den untergegangenen Stall verschlechtere sich die Immissionssituation durch das Vorhaben nicht und sei daher zumutbar. Ein Vergleich zu Fällen, in denen die Gesundheitsgefährdungsschwelle überschritten werde, verbiete sich, da der betroffene Wald nicht besonders schutzwürdig sei. Da der Beklagte eine Waldumwandlung im Grundsatz zulasse, seien offenbar auch keine öffentlichen Güter beeinträchtigt; im Übrigen habe das Bundesverwaltungsgericht selbst bei Betroffenheit von FFH-Gebieten die Zulassung neuer Vorhaben nicht schlechthin ausgeschlossen. Zu bedenken sei auch, dass die "critical loads" (CL), mit deren Überschreitung hier die Erheblichkeit der Stickstoffeinträge begründet werde, vorsorgeorientiert seien. Sei hier jedoch eine Zumutbarkeitsgrenze überschritten, müssten nach dem Prioritätsgrundsatz vorrangig diejenigen Nachbarvorhaben beschränkt werden, die sich zeitlich nach dem untergegangenen Vorgängerbau angesiedelt hätten. Für die Richtigkeit des Vorstehenden spreche auch die Überlegung, dass auch die Voraussetzungen für den Erlass nachträglicher Anordnungen nach § 17 BImSchG nicht vorlägen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 29. März 2021 (VG ) abzuändern und die in der Baugenehmigung vom 4. August 2016 (Az. ...) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2017 (Az. ...) enthaltene Auflage Nr. 10 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er stellt nochmals die angewandte Prüfungsmethode dar und verweist darauf, dass bei der Vorgehensweise nach dem LAI-Leitfaden die Vorbelastung über die Heranziehung der Depositionswerte statistisch berücksichtigt und die Frage einer Schädigung über den Zuschlagsfaktor einbezogen werde. Eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur Hinnehmbarkeit von Immissionen im Umfang einer bisherigen Belastung schließe sich hier demnach eher aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die angegriffene, isoliert anfechtbare Auflage Nr. 10 zur Baugenehmigung vom 4. August 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Auflage hätte gemäß 36 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG nur dann mit der Baugenehmigung verbunden werden dürfen, wenn sie die Einhaltung von deren gesetzlichen Voraussetzungen sicherstellen würde. Daran fehlt es, da die Baugenehmigung auch ohne die Auflage rechtmäßig ist. Dem im Außenbereich verwirklichten, privilegierten Vorhaben des Klägers stehen insbesondere nicht im Sinne des § 35 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Nrn. 3, 5 BauGB öffentliche Belange entgegen, weil es schädliche Umwelteinwirkungen in Gestalt von Ammoniak- und Stickstoffemissionen hervorrufen kann oder aufgrund der Folgen dieser Emissionen Belange des Naturschutzes beeinträchtigt.

Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB entspricht demjenigen in § 3 Abs. 1 BImSchG (st. Rspr. seit BVerwG, Urt. v. 25.2.1977 - 4 C 22.75 -, BVerwGE 52, 122 = juris Rn. 22). Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Zur Ausfüllung dieser Begriffe kann auf die zur Konkretisierung des § 3 Abs. 1 BImSchG erlassenen Verwaltungsvorschriften zurückgegriffen werden. Dies ist für Ammoniakimmissionen und Stickstoffdepositionen Nr. 4.8 der TA Luft in der bei Erlass des Widerspruchsbescheids maßgeblichen Fassung vom 24. Juli 2002. Diese Vorschrift differenziert zwischen dem Verfahren zur Ermittlung, ob hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen erheblicher Nachteile bestehen, und der sich daran anschließenden Einzelfallprüfung.

Das Bestehen hinreichender Anhaltspunkte für das Vorliegen erheblicher Nachteile durch Ammoniakimmissionen ist nach Nr. 4.8 Abs. 5 i.V.m. Anhang 1 TA Luft 2002 zu prüfen, das Bestehen hinreichender Anhaltspunkte für das Vorliegen erheblicher Nachteile durch Stickstoffeinträge in empfindliche Ökosysteme nach Nr. 4.8 Abs. 6 TA Luft 2002; ergänzend kann für die letztgenannte Prüfung der Leitfaden zur Ermittlung und Bewertung von Stickstoffeinträgen der LAI vom 1. März 2012 herangezogen werden. Diese Prüfungen hat der Kläger in Gestalt des Gutachtens der Landwirtschaftskammer vom 24. September 2014 vornehmen lassen. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des Anhangs 1 TA Luft 2002 - Unterschreitung eines Mindestabstands, Zusatzbelastung von über 3 µg/m3 und Gesamtbelastung von über 10 µg/m3 Ammoniak - auf Teilen der Waldflächen nördlich des Vorhabens erfüllt sind. Mit Blick auf die Stickstoffdeposition bestehen Anhaltspunkte, weil (1.) eine Nutztierdichte von 2 GV/ha im Landkreis Cloppenburg überschritten ist (Nr. 4.8 Abs. 6 TA Luft), zudem (2.) aufgrund einer Überschreitung des Abschneidewertes von 5 kg N/ha/a (Nr. 7.2 Punkt 2 LAI-Leitfaden). Diese werden im Rahmen der nachfolgenden Prüfung, ob der aus der konkreten Beschaffenheit und Funktion der in Rede stehenden Waldflächen abgeleitete Beurteilungswert von 37,5 kg/ha/a (CL von 15 kg/ha/a x Zuschlagfaktor von 2,5, da der Wald (nur) in seiner Produktionsfunktion mit der Gefährdungsstufe "mittel" gefährdet ist) durch die Gesamtbelastung überschritten wird (vgl. Nr. 7.2 Punkte 3-7 i.V.m. Nr. 6 LAI-Leitfaden), nicht entkräftet, da bereits die Hintergrundbelastung 49 kg/ha/a beträgt. Die Grundsätze der Verbesserungsgenehmigung (§ 6 Abs. 3 BImSchG, Nr. 7.2 Punkt 8 LAI-Leitfaden) greifen ebenfalls nicht. Da die Zusatzbelastung auf den in Rede stehenden 1,69 ha Waldfläche 30 % des Beurteilungswertes (CL x Zuschlagsfaktor) von 37,5 kg/ha/a, mithin 11,25 kg/ha/a überschreitet, kann eine Baugenehmigung nicht ohne weitere Prüfung erteilt werden (Nr. 7.2 Punkt 9 LAI-Leitfaden).

Mit diesen Prüfschritten bereitet das Gutachten allerdings nur den Weg für die nach Nr. 4.8 Abs. 7 TA Luft 2002 und Nr. 7.2 Punkt 10 LAI-Leitfaden anzustellende Einzelfallprüfung, die nach Nr. 4.8 Abs. 2 Buchst. b) TA Luft 2002 u.a. das Ziel verfolgt, zu beurteilen, ob diese Einwirkungen als Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft anzusehen sind. Dabei sind nach Nr. 4.8 Abs. 3 Buchst. a) Satz 2 TA Luft 2002 Gefahren für u.a. Pflanzen nach den folgenden Buchstaben b) und c), d.h. ausschließlich als mögliche erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Allgemeinheit - mit dem Maßstab der Gemeinwohlbeeinträchtigung - oder die Nachbarschaft - mit dem Maßstab der Zumutbarkeit - zu beurteilen. Diese Beurteilung hat nach wertenden Gesichtspunkten zu erfolgen, in die insbesondere die in Nr. 4.8 Abs. 4 TA Luft 2002 aufgeführten Kriterien einzubeziehen sind. Zu diesen gehört eine etwaige Prägung des Anlagenstandorts durch die jeweilige Luftverunreinigung (3. Spiegelstrich).

Gemessen hieran stellen sich die auf die benachbarten Waldflächen einwirkenden Ammoniak- und Stickstoffimmissionen nicht als schädliche Umwelteinwirkungen dar. Zu berücksichtigen ist insoweit zunächst, dass bei dem in Rede stehenden Wald ausweislich des Gutachtens vom 24. September 2014 die Beeinträchtigung der Produktionsfunktion bestimmend ist. Eine nennenswerte Lebensraumfunktion wird dem Wald - nach der Bestandsuntersuchung auf S. 7 f. des Gutachtens nachvollziehbar - nicht beigemessen, mit Blick auf die Schutzkategorie Regulationsfunktion wird keine Gefährdung gesehen. Angesichts dessen sind die Nachteile und Belästigungen für die Allgemeinheit, die mit der Gefährdung der Waldflächen einhergehen, überschaubar und erreichen nicht das Niveau einer Beeinträchtigung des Gemeinwohls. Einschränkung der Produktionsfunktion sind in erster Linie als Belästigungen und Nachteile für die Nachbarschaft auf ihre Zumutbarkeit zu prüfen. Ist jedoch die Zumutbarkeit der Beeinträchtigung gegenüber benachbarten Waldeigentümern Prüfungsgegenstand, so spricht nichts gegen eine Übertragung der Grundsätze, die das Bundesverwaltungsgericht und ihm folgend der Senat für die Zumutbarkeit sonstiger nachbarschädlicher Immissionen, namentlich von Gerüchen aufgestellt hat, nämlich dass Immissionen im Umfang der Vorbelastung auch dann zumutbar sind, wenn sie in einem vergleichbaren, unvorbelasteten Gebiet nicht hinnehmbar wären, sofern - erstens - die Vorbelastung aus rechtmäßig betriebenen Anlagen folgt, - zweitens - die Schwelle zur - menschlichen - Gesundheitsgefährdung nicht überschritten ist und - drittens - das immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige Vorhaben den Anforderungen des § 22 Abs. 1 BImSchG genügt (BVerwG, Urt. v. 27.6.2017 - 4 C 3.16 -, BVerwGE 159, 187 = NVwZ 2018, 509 = juris Rn. 13; Senatsurt. v. 11.2.2020 1 LC 63/18 -, juris Rn. 35).

Diese Voraussetzungen sind hier - betrachtet man die Emissionen des abgebrannten Stalls nachwirkend als Vorbelastung - erfüllt; dieser Stall wurde unstreitig rechtmäßig betrieben, und auch die Konformität des Vorhabens mit § 22 Abs. 1 BImSchG hat der Beklagte nicht in Zweifel gezogen. Gefahren für die menschliche Gesundheit stehen nicht in Rede.

Die Emissionen des abgebrannten Stalls sind als Vorbelastung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung berücksichtigungsfähig, ungeachtet der Tatsache, dass der Stall zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids (Mai 2017) bereits nicht mehr bestand. Maßgeblich für die Berücksichtigungsfähigkeit einer Vorbelastung ist, dass sich die Nachbarschaft auf deren Fortbestand eingestellt und sie gleichsam den das nachbarliche Interessengleichgewicht prägenden "Nullfall" darstellt. Dies rechtfertigt es, kurzzeitige Schwankungen des Belastungsniveaus außer Betracht zu lassen und für die Frage, wie lange eine Vorbelastung die Umgebung noch prägt, darauf abzustellen, wie lange die Verkehrsauffassung noch mit einer Wiederaufnahme des alten Emissionsverhaltens rechnet. Das ist jedenfalls der Fall, wenn - wie hier - nach dem überraschenden Verlust eines funktionstüchtigen und wirtschaftlich tragfähigen Stalls binnen weniger Monate der Antrag für einen Ersatzbau gestellt wird.

Sind nach dem Vorstehenden die vorhabenbedingten Ammoniakimmissionen und Stickstoffdepositionen unter wertenden Gesichtspunkten nicht als schädliche Umwelteinwirkungen anzusehen, so stehen auch Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB dem Vorhaben nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.