Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.05.2024, Az.: 13 LC 165/23

Asylrechtlicher Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis; Notwendigkeit der Erfüllung der Auflaugen zum Bestreiten des Lebensunterhalts

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.05.2024
Aktenzeichen
13 LC 165/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 17473
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0530.13LC165.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 05.06.2023 - AZ: 11 A 4641/16

Amtlicher Leitsatz

Für die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 Satz 6, 3 AufenthG ist nicht erforderlich, dass die in dieser Regelung genannten Gründe für die fehlende Lebensunterhaltssicherung allein und ausschließlich ursächlich sind. In der Vergangenheit liegende weitere (Mit-)Ursachen schließen die Anwendung der Ausnahmeregelung nicht von vorneherein aus. Hinreichend ist vielmehr, dass der Ausländer die Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 6, 3 AufenthG nicht erfüllen kann.

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 11. Kammer - vom 5. Juni 2023 teilweise geändert. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin zu 2. auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vom 5. November 2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger zu 1. zu 1/4, die Klägerin zu 2. zu 1/8 und der Beklagte zu 5/8. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 1. zu 1/2 und die Klägerin zu 2. und der Beklagte zu je 1/4.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung von Niederlassungserlaubnissen.

Der 1970 geborene Kläger zu 1. und die 1974 geborene Klägerin zu 2., die im Besitz bis Ende 2031 gültiger serbischer Pässe sind, sind serbische Staatsangehörige, miteinander verheiratet und Eltern von fünf volljährigen (geb. ...1991 (J.), ...1992 (K.), ...1994 (L.), ...1995 (M.) und ...1996 (N.)) Kindern. Nach einem kurzen Voraufenthalt des Klägers zu 1. im Jahr 1993 reisten die Kläger 1995 gemeinsam mit ihren vier ältesten Kindern aus dem damaligen Jugoslawien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihre im November 1995 gestellten Asylanträge lehnte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) mit Bescheid vom 26. März 1996 als offensichtlich unbegründet ab. Ein von den Klägern angestrengtes Klageverfahren blieb erfolglos, Bestandskraft des Bescheides trat am 16. Juli 1998 ein. Anschließend hielten sich die Kläger geduldet im Bundesgebiet auf. Asylfolgeanträge blieben ebenfalls erfolglos.

Am 6. Januar 2009 erhielten die Kläger Aufenthaltserlaubnisse auf Probe nach der Altfallregelung gemäß § 104a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) und ab dem 1. Januar 2010 nach § 23 Abs. 1 AufenthG (Aufenthaltsgewährung durch die obersten Landesbehörden), die bis zum 31. Dezember 2015 fortlaufend verlängert wurden.

Am 5. November 2015 beantragten die Kläger über ihren Prozessbevollmächtigten bei dem Beklagten jeweils die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, hilfsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG, weiter hilfsweise die Verlängerung ihrer bisherigen Aufenthaltserlaubnisse. Zur Begründung führten sie aus, dass bei Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit, auch wenn keine vollständige Erwerbsunfähigkeit bestehe, unter Absehen von der Sicherung des Lebensunterhalts eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden könne. Hinsichtlich einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG sei zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 1. den Lebensunterhalt für die Bedarfsgemeinschaft jedenfalls überwiegend sichere. Überdies lägen die Voraussetzungen des § 25b Abs. 3 AufenthG vor. Am 10. November 2015 stellte der Beklagte den Klägern insoweit Fiktionsbescheinigungen aus.

Am 9. September 2016 haben die Kläger wegen Nichtbescheidung ihrer Anträge vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg jeweils Untätigkeitsklagen erhoben und zunächst beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihnen Niederlassungserlaubnisse zu erteilen,hilfsweiseihre Aufenthaltserlaubnisse zu verlängern oder ihnen Aufenthaltserlaubnisse nach § 25b AufenthG zu erteilen.

Zur Begründung ihrer Klagen haben sie unter Vorlage zahlreicher ärztlicher Unterlagen im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Kläger zu 1. seit August 2016 erwerbsunfähig und die Klägerin zu 2. aus gesundheitlichen Gründen bis auf Weiteres arbeitsunfähig sei.

Mit Bescheid vom 27. September 2016 hat der Beklagte den Klägern jeweils bis zum 26. September 2017 gültige Aufenthaltserlaubnisse nach § 25b AufenthG erteilt und zur Begründung ausgeführt, dass die Erteilung von Niederlassungserlaubnissen derzeit mangels Sicherung des Lebensunterhalts nicht in Betracht komme. Unabhängig davon, dass weder die Pflichtbeitragszeiten oder freiwilligen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erbracht, noch andere Ansprüche auf vergleichbare Leistungen nachgewiesen seien, fehle es an der nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Lebensunterhaltssicherung. Die Klägerin zu 2. sei nicht erwerbstätig und der Kläger zu 1. habe lediglich einen befristeten Arbeitsvertrag, dessen Verlängerung ebenso ungewiss sei wie die Begründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Der Kläger zu 1. erfülle jedoch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 AufenthG, da das derzeit von ihm - neben dem Bezug öffentlicher Leistungen - erwirtschaftete Einkommen den Lebensunterhalt überwiegend sichere und er einen Integrationskurs erfolgreich absolviert habe. Die Klägerin zu 2. erfülle die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25b Abs. 4 AufenthG. Den Nachweis über hinreichende mündliche Sprachkenntnisse auf dem Niveau A2 des gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen habe sie erbracht, indem sie am 13. September 2016 ein Gespräch in der Ausländerbehörde ohne Zuhilfenahme eines Dolmetschers geführt habe.

Hierauf haben die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 28. September 2016 (Beklagter) und 27. Oktober 2016 (Kläger) hinsichtlich der Hilfsanträge den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie hat mit Bescheid vom 13. Dezember 2017 bei dem Kläger zu 1. das Bestehen eines Grades der Behinderung (GdB) von 40 ab dem 19. September 2017 festgestellt. Die Entscheidung stütze sich auf folgende Funktionsbeeinträchtigungen: Hirnleistungsminderung nach Hirnhautentzündung (Einzel-GdB: 30) und Herzleistungsminderung (Einzel-GdB: 20).

Während des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Kläger am 30. August 2017 bei dem Beklagten jeweils die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG beantragt und diesbezüglich am 10. April 2019 Untätigkeitsklagen vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg (zunächst verbunden zum Az. 11 A 1056/19) erhoben. Mit Bescheid vom 18. April 2019 hat der Beklagte die Anträge der Kläger auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse nach § 25b AufenthG sowie die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen auf anderer Rechtsgrundlage abgelehnt. Diesen Bescheid haben die Kläger in den Rechtsstreit mit einbezogen und die vormalige Untätigkeitsklage als auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse gerichtete Verpflichtungsklage fortgeführt. Nach der Abtrennung des gerichtlichen Verfahrens betreffend den Kläger zu 1. (Blatt 368 der Gerichtsakte VG 11 A 1056/19 = Gerichtsakte OVG 13 LC 166/23) hat der Beklagte aufgrund einer entsprechenden Verpflichtungsentscheidung unter insoweit gleichzeitiger Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 18. April 2019 durch das Verwaltungsgericht Oldenburg mit rechtskräftigem Gerichtsbescheid vom 8. März 2022 (vgl. Blatt 369 ff. der Beiakte 11 zu 13 LC 166/23) die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu 1. gemäß § 25b AufenthG bis zum 12. Mai 2024 verlängert.

Im April 2019 wurde bei dem Kläger zu 1. eine HIV-Infektion diagnostiziert.

Die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung Niedersachsen und im Lande B-Stadt (MDK) haben für die Kläger jeweils eine Pflegebedürftigkeit nach dem Pflegegrad 3 festgestellt, für die Klägerin zu 2. mit Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) vom 19. Mai 2019 unbefristet seit dem 1. März 2019, für den Kläger zu 1. mit Gutachten vom 25. Juni 2019 ebenfalls unbefristet seit dem 1. Mai 2019.

Aufgrund einer vom Kläger zu 1. in einem sozialgerichtlichen Berufungsverfahren bezüglich einer ihn betreffenden Erwerbsminderungsrente vorgelegten Stellungnahme des sozialärztlichen Dienstes der Deutschen Rentenversicherung vom 22. Juli 2019, die die Empfehlung enthält, bei ihm ab April 2019 für zwei Jahre von einem unter dreistündigen Leistungsvermögen auszugehen und danach eine Reevaluierung durchzuführen, haben der Kläger zu 1. und die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Az. ...) im September 2019 einen Vergleich dahingehend geschlossen, dass ihm aufgrund eines mit dem 24. April 2019 eingetretenen Leistungsfalles eine für den Zeitraum vom 1. November 2019 bis 31. Oktober 2021 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt wurde. Nach den Ausführungen des Landessozialgerichts entspreche der Tag des maßgeblichen Leistungsfalles der vollen Erwerbsminderungsrente dem Datum der mit Endbefund des LADR Laborzentrums B-Stadt festgestellten Erstdiagnose einer HIV-Infektion.

Die Deutsche Rentenversicherung hat die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit mit Rentenbescheid vom 29. Juni 2021 zunächst bis zum 31. Oktober 2023 und mit Rentenbescheid vom 20. Oktober 2023 bis zum 31. Oktober 2025 verlängert und hinsichtlich der erneuten zeitlichen Befristung ausgeführt, dass die Möglichkeit der Behebung der vollen Erwerbsminderung des Klägers nach den medizinischen Untersuchungsbefunden nicht unwahrscheinlich sei.

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Brake vom ... wurde der Kläger zu 1. wegen versuchter Nötigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt. Danach hat er einer Mitarbeiterin einer Rechtsanwaltskanzlei in O.-Stadt fernmündlich angekündigt, dass er Albaner und gefährlich sei und an einem näher bezeichneten Tag in die Kanzlei kommen und alle umbringen werde. Hintergrund der Drohung sei gewesen, dass auf seine vorherige Aufforderung, eine durch die Kanzlei aufgrund einer zivilrechtlichen Forderung gegen seine Ehefrau durchgeführte Kontopfändung aufzuheben, die Kanzleimitarbeiterin ihm zuvor unmissverständlich klargemacht habe, seine Einwände schriftlich einzureichen, was er nicht gewollt habe.

Betreffend die Klägerin zu 2. hat der Beklagte mit Bescheid vom 28. Februar 2023 den Ablehnungsbescheid vom 18. April 2019 rückwirkend zum 14. April 2022 zurückgenommen und ihr eine bis zum 13. April 2025 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt, nachdem das Amtsgericht - Familiengericht - Brake (Unterweser) mit Beschluss vom 14. April 2022 den Klägern die Gesundheitssorge, das Recht zur Entscheidung in schulischen und Kindergartenangelegenheiten, die Vermögenssorge, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten für ihre drei im Bundesgebiet lebenden minderjährigen Enkelkinder serbischer Staatsangehörigkeit und ihren Neffen deutscher Staatsangehörigkeit als Pflegepersonen mit den Rechten und Pflichten aus § 1630 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) übertragen hatte.

In der hier streitgegenständlichen Rechtssache haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 5. Juni 2023 noch beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihnen Niederlassungserlaubnisse zu erteilen, und den Bescheid des Beklagten vom 27. September 2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er vorgetragen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht vorlägen. Hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts der Bedarfsgemeinschaft sei auch die Klägerin zu 2. zu berücksichtigen. Zwar werde nicht verkannt, dass die Klägerin zu 2. gesundheitliche Probleme habe, ihre Erwerbsunfähigkeit sei aber nicht belegt. Die Kläger bezögen öffentliche Leistungen. Hinsichtlich der zukünftigen Lebensunterhaltssicherung gebe es keine günstige Prognose. Eine nachhaltige wirtschaftliche Integration sei ihnen nicht gelungen. Der Kläger zu 1. habe erst ab dem Jahr 2000 Pflichtbeitragszeiten erworben. Der Rentenversicherungsverlauf sei lückenhaft. Die streng auszulegende Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG könnten die Kläger nicht in Anspruch nehmen. Umstände für ein Absehen von der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG seien nicht hinreichend belegt. Eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit des Klägers zu 1. lasse sich aus den ärztlichen Unterlagen nicht herleiten. Überdies sei ihm schon vor der - ohnehin nur befristeten - Feststellung der Erwerbsunfähigkeit eine vollständige Lebensunterhaltssicherung nicht gelungen. Spätestens seit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Jahr 2009 sei ihm die Ausübung einer Erwerbstätigkeit möglich gewesen sei. Nachweise für eine damalige körperliche Beeinträchtigung lägen nicht vor. Dennoch sei eine vollständige Lebensunterhaltssicherung nie erreicht worden; stets seien jedenfalls ergänzend Leistungen bezogen worden. Es fehle daher an der Kausalität der vorgetragenen Erkrankungen für die fehlende (vollständige) Lebensunterhaltssicherung. Selbst wenn die Klägerin zu 2., die sich in der Vergangenheit um ihre inzwischen längst volljährigen Kinder gekümmert und keine Beschäftigungszeiten nachgewiesen habe, nur noch eingeschränkt erwerbsfähig wäre, müsse sie Bestrebungen darlegen, die verbliebene Erwerbsfähigkeit zur Erzielung von Einkommen zu nutzen. Daran fehle es.

In dem Verfahren 11 A 1056/19 (= 13 LC 166/23) hat das Verwaltungsgericht den Beklagten mit Urteil vom 5. Juni 2023 unter Abweisung der Klage im Übrigen verpflichtet, über den Antrag der Klägerin zu 2. auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG betreffend den Zeitraum vom 27. September 2017 bis zum 13. April 2022 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, den Bescheid des Beklagten vom 18. April 2019 aufgehoben, soweit er dem entgegensteht, und die Berufung zugelassen.

In der hier streitgegenständlichen Rechtssache hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 11. Kammer - die Klage mit Urteil vom 5. Juni 2023 abgewiesen, soweit noch über sie zu entscheiden war. Zwar seien die Klagen weiterhin als Untätigkeitsklagen im Sinne von § 75 VwGO zulässig, da der Beklagte mit dem von den Klägern in das Verfahren einbezogenen Bewilligungsbescheid vom 27. September 2016 keine abschließende (ablehnende) Entscheidung über den Antrag der Kläger auf Erteilung von Niederlassungserlaubnissen getroffen habe; Ausführungen in der Bescheidbegründung reichten dafür mangels entsprechender Tenorierung nicht aus. Die Klagen seien aber unbegründet. Die Kläger könnten die Erteilung von Niederlassungserlaubnissen, die sich nach § 26 Abs. 4 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG richte, nicht beanspruchen. Ein entsprechendes Verpflichtungsbegehren der Kläger scheitere bereits daran, dass die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis - selbst bei Vorliegen aller Tatbestandsvoraussetzungen - gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG in das Ermessen der Ausländerbehörden gestellt sei. Aber auch ein Anspruch der Kläger auf fehlerfreie Ermessensausübung bestehe nicht, da sie die wirtschaftlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG aufgrund des Bezugs (aufstockender) Grundsicherungsleistungen unstreitig nicht erfüllten und die grundsätzlich eng auszulegende Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG nicht einschlägig sei. Insoweit fehle es an der Monokausalität der von den Klägern geltend gemachten Erkrankungen für die fehlende Lebensunterhaltssicherung. Selbst wenn aufgrund der von der Deutschen Rentenversicherung seit April 2019 bis zum 21. Oktober 2023 befristet gewährten Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit und fehlender Anhaltspunkte für eine zukünftige Verbesserung des gesundheitlichen Zustands des Klägers zu 1. eine nahezu dauerhaft bestehende Erwerbsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen anzunehmen sei, scheitere eine Anwendung des § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG daran, dass die geltend gemachten Erkrankungen bzw. Behinderungen nicht die alleinige Ursache für die fehlende Lebensunterhaltssicherung seien.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Berufung. Sie stützen sich auf die derzeit bestehende Erwerbsunfähigkeit des Klägers zu 1. und machen geltend, dass ihnen etwaige Ansprüche der Klägerin zu 2. in der Vergangenheit auf ergänzende Leistungen nach dem Zweiten (SGB II) oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), deren Bestehen ohnehin bestritten werde, heute nicht mehr vorgehalten werden könnten. Unabhängig davon, dass die Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichts, die Lebensunterhaltssicherung im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erfasse auch den Lebensunterhalt der Familienangehörigen (Bedarfsgemeinschaft), eine erhebliche Benachteiligung von verheirateten Ausländern mit Kindern bedeute und mit Art. 6 GG nicht vereinbar sei, sei ein "Einfrieren" der Betrachtung auf einen Jahre zurückliegenden Zeitpunkt der letzten Erwerbstätigkeit nicht realitätsgerecht, da dieses sowohl Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und der Lohnhöhen als auch Veränderungen der sozialrechtlichen Bedarfe nach dem SGB II bzw. SGB XII, beispielsweise durch den Auszug unterhaltsberechtigter Familienangehöriger, nicht berücksichtige, sodass die aktuelle Arbeitsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen als neue und ausschließliche Ursache der fehlenden Lebensunterhaltssicherung anzusehen sei.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 11. Kammer - vom 5. Juni 2023 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, ihnen Niederlassungserlaubnisse zu erteilen, und den Bescheid des Beklagten vom 27. September 2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

Mit Urteil im Parallelverfahren 13 LC 166/23 vom 30. Mai 2024 hat der Senat den Beklagten unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Oldenburg (- 11 A 1056/19 -) vom 5. Juni 2023 verpflichtet, der Klägerin zu 2. rückwirkend ab dem 1. März 2019 bis zum 13. April 2022 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG zu erteilen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten dieses Verfahrens und des Verfahrens 13 LC 166/23 verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Berufung der Kläger hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg und führt zur teilweisen Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Die Klage ist als Untätigkeitsklage zulässig, da der Beklagte unverändert ohne zureichenden Grund nicht über den Antrag der Kläger auf Erteilung von Niederlassungserlaubnissen vom 5. November 2015 entschieden hat. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts in der angefochtenen Entscheidung (Urt. v. 5.6.2023, S. 6 f.), dass der Beklagte in seinem Bescheid vom 27. September 2016 nicht über den Antrag auf Erteilung von Niederlassungserlaubnissen entschieden hat.

Die Klage ist aber nur begründet, soweit die Klägerin zu 2. die Verpflichtung des Beklagten zur Bescheidung ihres Antrags begehrt. Im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Die Berufung der Kläger bleibt ohne Erfolg, soweit sie den mit ihr weiterverfolgten Antrag auf Verpflichtung zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis betrifft. Diesbezüglich hat das Verwaltungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 26 Abs. 4 Satz 1, 2 AufenthG kann einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach dem fünften Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen oder nach § 9 Abs. 2 Satz 2 bis 6 AufenthG von ihnen abzusehen ist. Da es sich um eine Ermessensregelung handelt, könnten die Kläger bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nur dann einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis geltend machen, wenn das dem Beklagten eingeräumte Ermessen "auf Null" reduziert wäre. Eine Ermessenreduktion kommt in Betracht, wenn angesichts der besonderen Umstände des konkreten Falles jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre. Dafür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte. Insbesondere begründet das durch Art. 6 des Grundgesetzes (GG) geschützte Familienleben keine solche Ermessensreduzierung "auf Null", da die Kläger ihre familiäre Lebensgemeinschaft mit ihren drei minderjährigen Enkeln und ihrem minderjährigen deutschen Neffen, für die ihnen die Pflegschaft nebst wesentlichen Teilen des Sorgerechts übertragen wurde, auch ohne die Erteilung von Niederlassungserlaubnissen in Deutschland führen können. Die Klägerin zu 2. ist im Besitz einer bis zum 13. April 2025 gültigen Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG; der Kläger zu 1. hat voraussichtlich einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG, der jedoch nicht Gegenstand dieses Berufungsverfahrens ist.

2. Soweit sie den im Antrag auf Verpflichtung zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auch ohne insoweit ausdrücklich gestellten, regelmäßig aber als Minus enthaltenen Antrag auf Verpflichtung zur Neubescheidung betrifft, hat die Berufung der Klägerin zu 2. Erfolg. Diesbezüglich hat das Verwaltungsgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin zu 2. kann beanspruchen, dass der Beklagte über ihren Antrag vom 5. November 2015 auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (neu) entscheidet. Die Berufung des Klägers zu 1. bleibt hingegen auch insoweit erfolglos.

Nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach Abschnitt 5 (des Aufenthaltsgesetzes) besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. § 9 Abs. 2 Satz 2 bis 6 AufenthG gilt entsprechend. Die hiernach erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis liegen zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt bei aufenthaltsrechtlichen Verpflichtungsklagen BVerwG, Urt. v. 25.1.2018 - BVerwG 1 C 7.17 -, juris Rn. 11 m.w.N.) nur bei der Klägerin zu 2. vor.

Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis voraus, dass 1. der Ausländer seit fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis besitzt, 2. sein Lebensunterhalt gesichert ist, 3. er mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet hat oder Aufwendungen für einen Anspruch auf vergleichbare Leistungen einer Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder eines Versicherungsunternehmens nachweist, wobei berufliche Ausfallzeiten auf Grund von Kinderbetreuung oder häuslicher Pflege entsprechend angerechnet werden, 4. Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder der Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Bundesgebiet nicht entgegenstehen, 5. ihm die Beschäftigung erlaubt ist, sofern er Arbeitnehmer ist, 6. er im Besitz der sonstigen für eine dauernde Ausübung seiner Erwerbstätigkeit erforderlichen Erlaubnisse ist, 7. er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, 8. er über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt und 9. er über ausreichenden Wohnraum für sich und seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen verfügt.

a) Nach § 26 Abs. 4 Satz 1 und § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis voraus, dass der Ausländer seit fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis besitzt.

aa) Der Kläger zu 1. erfüllt die Voraussetzung des § 26 Abs. 4 Satz 1 bzw. 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht, da er zum maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist. Die ihm vom Beklagten aufgrund dessen Verpflichtung durch das Verwaltungsgericht Oldenburg mit Gerichtsbescheid vom 8. März 2022 zuletzt erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG ist am 12. Mai 2024 abgelaufen. Zwar gilt die Aufenthaltserlaubnis aufgrund des vom Kläger zu 1. am 30. April 2024 und damit rechtzeitig vor ihrem Ablauf gestellten Verlängerungsantrages gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vom Zeitpunkt ihres Ablaufs bis zur Entscheidung des Beklagten über den Verlängerungsantrag als fortbestehend. Die Fiktionszeiten des § 81 Abs. 4 AufenthG sind den Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aber nur dann gleichgestellt, wenn sie zur Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels geführt haben, mithin zwischen zwei Titelbesitzzeiten liegen, nicht aber, wenn - wie hier - das Bestehen eines Anspruchs auf Verlängerung oder Erteilung des Aufenthaltstitels noch streitig bzw. ungeklärt ist. Der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gilt als Beleg für das Vorliegen humanitärer Gründe (vgl. auch § 26 Abs. 2 AufenthG). Diese gesetzliche Vermutung gilt bei Zeiten der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG aber gerade nicht. Der Beklagte hat über den Verlängerungsantrag des Klägers zu 1. bis zum Schluss der Berufungsverhandlung noch nicht entschieden. Jedenfalls dann, wenn letztendlich die Verlängerung oder Neuerteilung eines Aufenthaltstitels abgelehnt wird, wäre es nicht nachvollziehbar, wenn derartige Zeiten zur Verfestigung des Aufenthalts führten (vgl. dahingehend auch § 55 Abs. 3 AufenthG). Nach ihrem Sinn und Zweck soll die Fortbestandsfiktion nur vorläufigen Charakter bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde haben und sich auf die Beurteilung des materiellen Anspruchs auf Verlängerung oder Neuerteilung eines anderen Aufenthaltstitels nicht auswirken. Daher hat auch die Fiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG besitzstandswahrende, nicht aber rechtsbegründende Wirkung (grundlegend dazu vgl. BVerwG, Urt. v. 30.3.2010 - BVerwG 1 C 6.09 -, juris Rn. 18 ff.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 12.2.2024 - 19 ZB 23.1976 -, juris Rn. 13 m.w.N.).

Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und des fairen Verfahrens. Denn für den Fall eines fortbestehenden Verlängerungsanspruchs, dem die Behörde zu Unrecht nicht nachkommt, kann dieser im Klagewege verfolgt werden und damit letztlich auch ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine Niederlassungserlaubnis durchgesetzt werden. Denn in diesem Fall wären sowohl die Zeiten eines inzident festzustellenden Anspruchs auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis anzurechnen als auch das Erfordernis des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch die Feststellung eines solchen Rechtsanspruchs als erfüllt anzusehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.3.2010 - BVerwG 1 C 6.09 -, juris Rn. 24 ff., 26). Für die (inzidente) Feststellung eines solchen Anspruchs des Klägers zu 1. auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG durch den Senat besteht hier jedoch kein Raum, da ein solcher Anspruch weder streitgegenständlich ist, noch im Hinblick auf § 75 VwGO zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ein Rechtsschutzbedürfnis für seine klageweise Geltendmachung bestünde.

Nur klarstellend weist der Senat deshalb darauf hin, dass der Kläger zu 1. für den Fall, dass der Beklagte seine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG wie beantragt verlängert, unter dann erfolgender Anrechnung der Fiktionszeit seit - mehr als - fünf Jahren eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen besitzt, zunächst nach § 23 Abs. 1 AufenthG, seit 27. September 2016 nach § 25b AufenthG, mithin die nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 AufenthG erforderliche Voraufenthaltszeit erfüllen würde.

bb) Die Klägerin zu 2. hingegen ist zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung seit fünf Jahren im Besitz eines humanitären Aufenthaltstitels im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, da sie seit dem 14. April 2022 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist und der Senat den Beklagten verpflichtet hat, ihr für den davorliegenden Zeitraum ab dem 1. März 2019 bis zum 13. April 2022 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG zu erteilen (vgl. Senatsurt. v. 30.5.2024 - 13 LC 166/23 - V.n.b.; für das Ausreichen dieser noch nicht rechtskräftigen Verpflichtungsentscheidung vgl. BVerwG, Urt. v. 30.3.2010 - BVerwG 1 C 6.09 -, juris Rn. 26).

b) Die Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erfüllen die Kläger nicht. Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann, wobei der Bezug von in Satz 2 Nummern 1 bis 7 näher konkretisierten, hier aber nicht einschlägigen Leistungen nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt. Die Klägerin zu 2. war und ist nicht erwerbstätig und der Kläger zu 1. bezieht seit November 2019 Rente wegen voller Erwerbsminderung und aufstockend Sozialleistungen.

Von der nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Lebensunterhaltssicherung ist jedoch gemäß § 26 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG abzusehen.

Nach § 9 Abs. 2 Satz 3, 6 AufenthG, der gemäß § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG entsprechend gilt, wird von den Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Ausländer (nahezu) dauerhaft erwerbsgemindert ist, also - aufgrund einer Krankheit - (nahezu) dauerhaft nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Zur Bestimmung der krankheits- oder behinderungsbedingten Erwerbsunfähigkeit wird auf die sozialrechtlichen Bestimmungen über die (teilweise) Erwerbsunfähigkeit nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 und Satz 2 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) zurückgegriffen, wonach teilweise erwerbsgemindert derjenige ist, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, und voll erwerbsgemindert derjenige ist, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (vgl. Senatsurt. v. 16.7.2020 - 13 LC 41/19 -, juris Rn. 32). Dabei bedeutet "auf nicht absehbare Zeit" länger als sechs Monate (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 20.1.2021 - 2 L 102/19 -, juris Rn. 30 m.w.N.).

aa) Aufgrund der ihm von der Deutschen Rentenversicherung seit November 2019 bewilligten und mit Bescheid vom 20. Oktober 2023 erneut bis zum 31. Oktober 2025 verlängerten Rente wegen vollständiger Erwerbsminderung liegen diese Voraussetzungen bei dem Kläger zu 1. fraglos vor.

bb) Die Klägerin zu 2. ist seit dem 1. März 2019 ebenfalls dauerhaft erwerbsunfähig aus gesundheitlichen Gründen. Dies ergibt sich unter Anwendung der eingangs genannten Maßstäbe zur Überzeugung des Senats aus einer Gesamtschau der von den Medizinischen Diensten der Krankenversicherung Niedersachsen und im Lande B-Stadt (MDK) ab dem 1. März 2019 für die Klägerin festgestellten Pflegebedürftigkeit mit dem Pflegegrad 3 mit den Ausführungen des Gutachters im Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI vom 19. Mai 2019 (Blatt 9 ff. der Beiakte 3), die zur Feststellung des Pflegegrades geführt haben.

Nach dem gutachterlichen Befund bestehen bei der Klägerin mit den Diagnosen nach ICD-10 depressive Episode mit Antriebsstörung (F32) und Harninkontinenz (N39.4) "kognitive Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses mit Vergesslichkeit und Merkfähigkeitsstörungen. Termine und Absprachen können nicht mehr selbstständig eingehalten werden. (...) Mit punktueller Hilfe werden Handlungsabläufe selbstständig umgesetzt. Einfache Sachverhalte und Informationen aus der Umgebung werden aufgenommen und logisch umgesetzt. Personen aus dem näheren Umfeld werden erkannt und können sicher zugeordnet werden. Es besteht kein ausreichender Antrieb und keine ausreichende Motivation zur selbstständigen Beschäftigung. (...)" (vgl. Pflegegutachten v. 19.5.2019, S. 4 f., Blatt 13, 30 der Beiakte 3). Hinsichtlich der Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte stellt der Gutachter fest, dass die Gestaltung des Tagesablaufs und die Anpassung an Veränderungen überwiegend unselbständig erfolge. Gleiches gelte für das Sichbeschäftigen, das Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen und die Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfeldes (vgl. Pflegegutachten S. 10, Blatt 18 der Beiakte 3). Die Teilnahme an sonstigen Aktivitäten mit anderen Menschen, beispielsweise Besuche, organisierte Freizeitaktivitäten, Selbsthilfegruppen oder Vereine sei nur mit unterstützender Begleitung möglich. Die Haushaltsführung, wozu die Zubereitung einfacher Mahlzeiten, einfacher Aufräum- und Reinigungsarbeiten, aufwändige Aufräum- und Reinigungsarbeiten, einschließlich Wäschepflege, die Nutzung von Dienstleistungen, der Umgang mit finanziellen und Behördenangelegenheiten gehöre, erfolge nur unselbstständig (vgl. Pflegegutachten S. 12, Blatt 20 der Beiakte 3). Dementsprechend erfolgten die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen, behandlungspflegerischen Maßnahmen, pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung durch die Pflegeperson. Aufgrund dieses Befundes kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass prognostisch eine Verbesserung des Gesundheitszustandes und eine daraus resultierende Zunahme der Selbstständigkeit nicht zu erwarten sei, weshalb auch eine Wiederholungsbegutachtung nicht erforderlich sei (vgl. Pflegegutachten S. 14, Blatt 22 der Beiakte 3), und empfiehlt eine unbefristete Feststellung des Pflegegrades 3 (vgl. Pflegegutachten S. 11, Blatt 19 der Beiakte 3).

Wenngleich sich das Pflegegutachten nicht zur Erwerbsfähigkeit der Klägerin zu 2. verhält, steht nach dem vom Gutachter gezeichneten Krankheitsbild, das durch eine selbst im häuslichen Umfeld überwiegend nur noch unselbstständig mögliche Lebensführung gekennzeichnet ist, zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin zur Ausübung einer geregelten Erwerbstätigkeit im Sinne der genannten sozialrechtlichen Maßstäbe (vgl. oben S. 13) dauerhaft nicht in der Lage ist.

cc) Der Senat verkennt nicht, dass dieses Ergebnis in einem gewissen Widerspruch zur Bestellung der Kläger als Pflegepersonen für ihre drei minderjährigen Enkel und ihren Neffen mit einer weitgehenden Sorgerechtsübertragung und der damit einhergehenden Verantwortlichkeit für die Kinder zu stehen scheint. Einzustellen in die Gesamtbetrachtung ist jedoch, dass das Familiengericht die Einrichtung der Pflegschaft für die Kinder durch die Kläger unter Zurückstellung der auch von ihm gesehenen und berücksichtigten Bedenken aufgrund der emotionalen Verbundenheit der Kinder mit den Klägern, die deren Hauptbezugspersonen darstellen (vgl. die Stellungnahme der Verfahrensbeiständin im familiengerichtl. Verfahren v. 26.9.2021, Blatt 80 ff. der Akte AG Brake (Unterweser) - ... -; Vermerk über die Anhörung der Kinder v. 11.10.2021, Blatt 86 ff. der Akte ebenda) und die Kinder nach Einschätzung des Jugendamtes trotz der eigenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen adäquat versorgen, zum Wohle der Kinder vorgenommen hat (vgl. AG Brake (Unterweser), Beschl. v. 14.4.2022 - ... -, Umdruck S. 4 f., Blatt 1903 f. der Beiakte 7). Aufgrund eines vollständigen Kontaktabbruchs durch die Kindesmutter und der vollzogenen Abschiebung des Vaters der drei Enkelkinder wurde durch die Einrichtung dieser Pflegschaft nach Einschätzung des Senats die aus Kindeswohlgesichtspunkten grundsätzlich zu vermeidende Fremdunterbringung der Kinder verhindert. Zudem werden die Kläger von Pflegekräften und ihrer Tochter J. nicht nur betreffend ihre eigene Versorgung, sondern auch betreffend die Versorgung der Kinder unterstützt (vgl. Verhandlungsniederschriften v. 14.4.2021, Blatt 1003 f., und v. 5.8.2021, Blatt 1014 ff., jeweils der Beiakte 7 zu 13 LC 166/23).

dd) Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die vollständige Erwerbsminderung der Kläger auch kausal für die fehlende Lebensunterhaltssicherung. Der Umstand, dass die Kläger den Lebensunterhalt auch in der Vergangenheit nie vollständig durch Erwerbstätigkeit selbst gesichert, sondern regelmäßig zumindest aufstockende Leistungen nach dem SGB II bezogen haben, weshalb davon ausgegangen werden müsste, dass sie auch unter Hinwegdenken ihrer vollständigen Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht in der Lage wären, steht der Einschlägigkeit von § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG nicht entgegen. Denn der Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die in § 9 Abs. 2 Satz 6, 3 AufenthG genannten Gründe für die fehlende Lebensunterhaltssicherung allein und ausschließlich ursächlich sein müssen und in der Vergangenheit liegende weitere (Mit-)Ursachen die Anwendung der Ausnahmeregelung von vorneherein ausschließen, folgt der Senat nicht. Hinreichend ist vielmehr, dass der Ausländer die Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 6, 3 AufenthG nicht erfüllen kann.

(1) Für das Vorliegen der Voraussetzungen sowohl eines Anspruchs als auch einer Ausnahmeregelung, nach der zwingend von einer einzelnen Anspruchsvoraussetzung abzusehen ist, kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung über den Antrag an, wenn das materielle Recht keine abweichende Regelung enthält (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.6.2014 - BVerwG 10 C 2.14 -, juris Rn. 13). Für einen von diesem Grundsatz abweichenden Regelungswillen des Gesetzgebers gibt der Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG keinerlei Anhalt. Insbesondere die Formulierung im Präsens ("erfüllen kann") spricht für die Maßgeblichkeit gerade der gegenwärtigen Situation im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Gleiches gilt für die hinsichtlich der Lebensunterhaltssicherung im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG anzustellende Prognose, ob der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.4.2013 - BVerwG 10 C 10.12 -, juris Rn. 13; als abschließendes Ergebnis wohl auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 20.1.2021 - 2 L 102/19 -, juris Rn. 46).

(2) Auch nach ihrem Sinn und Zweck ist die Norm nicht im Sinne einer alleinigen oder ausschließlichen Ursächlichkeit der in ihr aufgeführten Gründe zu verstehen. Nach der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 5. August 2004 (BT-Drs. 15/420, S. 72) wollte der Gesetzgeber mit dieser Ausnahmevorschrift den durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gebotenen besonderen Schutz von kranken und behinderten Menschen Rechnung tragen und diese nicht von einer ansonsten möglichen weiteren Aufenthaltsverfestigung durch Versagung einer Niederlassungserlaubnis wegen Fehlens dieser besonderen Integrationsvoraussetzung ausschließen. Eine rückschauende Betrachtung ist deshalb allein ein Aspekt bei der anzustellenden Prognose im Rahmen des § 2 Abs. 3 AufenthG, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Ausländer den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel aufbringen kann, betrifft aber nicht die Frage, ob der Tatbestand des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG bereits in der Vergangenheit hätte erfüllt werden können (so auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 15.10.2014 - 17 A 1150/13 - juris Rn. 67; VG Münster, Urt. v. 25.8.23 - 3 K 1371/20 -, juris Rn. 15 ff.; Müller, in: Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 9 Rn. 18 a. E.).

Zwar führt das Verwaltungsgericht zutreffend aus, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 28.10.2008 - BVerwG 1 C 34.07 -, juris Rn. 16; Beschl. v. 22.11.2016 - BVerwG 1 B 117.16 -, juris Rn. 5) seien Ausnahmen von der Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG grundsätzlich eng auszulegen, was sich aus der schon im Ausländergesetz 1990 getroffenen gesetzgeberischen Wertung ergebe, die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Ausländerrecht als eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichen Interesse anzusehen (vgl. BT-Drs. 15/420 S. 70), weshalb sie durch die Neuregelung des Aufenthaltsrechts im Zuwanderungsgesetz für alle Aufenthaltstitel von einem (Regel-)Versagungsgrund zu einer (Regel-)Erteilungsvoraussetzung heraufgestuft worden sei. Dennoch ist auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift, eine Belastung der öffentlichen Haushalte durch Inanspruchnahme von öffentlichen Mitteln zu verhindern (vgl. insoweit zur Historie des § 25b AufenthG und dem Ziel, eine dauerhafte Zuwanderung in die Sozialsysteme zu vermeiden: Senatsurt. v. 8.2.2018 - 13 LB 43/17 -, juris; § 1 AufenthG), § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht darauf angelegt, eine fehlende Unterhaltssicherung in der Vergangenheit zu sanktionieren. Anderes gilt auch für die Ausnahmevorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 3, 6 AufenthG nicht.

(3) Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 22. November 2016 (- BVerwG 1 B 117.16 u.a. -, juris Rn. 5) ausführt, aus der gesetzgeberischen Wertung, die Lebensunterhaltssicherung als Voraussetzung von grundlegendem staatlichen Interesse anzusehen, folge, dass allein eine auf einem vorgerückten Lebensalter beruhende allgemeine Minderung der Leistungsfähigkeit - auch durch alterstypische Erkrankungen - keinen gesetzlich anerkannten Grund darstelle, vom Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts abzusehen, und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Beschl. v. 13.4.2021 - 3 M 30/21 -, juris Rn. 3) daraus wiederum folgert, dass aktuell vorliegende Erkrankungen für die fehlende Lebensunterhaltssicherung allein ursächlich sein müssten und insoweit eine rückwirkende Betrachtung der Erwerbsbiografie vornimmt, folgt der Senat dieser Auslegung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg nicht. Denn Ziel der Niederlassungserlaubnis ist es, Ausländern, die sich in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland bereits hinreichend integriert haben, durch Erteilung eines Daueraufenthaltsrechts eine Aufenthaltsverfestigung zu gewähren. Gerade normsystematisch wird in den Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zwischen solchen unterschieden, die die wirtschaftliche Integration in der Vergangenheit betreffen (Nr. 3) oder für die Zukunft sichern sollen (Nrn. 2, 5 und 6). Dass die Integrationserwartung in wirtschaftlicher Hinsicht nicht erfüllt ist, nimmt er in den Fällen des § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG ausdrücklich hin, gerade ohne daran anzuknüpfen, ob der Lebensunterhalt des Ausländers zu einem früheren Zeitpunkt gesichert war oder der Ausländer zumindest Anstrengungen hierzu unternommen hat. Durch die Schaffung der Ausnahmetatbestände wird deutlich, dass der Gesetzgeber nicht immer eine wirtschaftliche Vollintegration als Voraussetzung für eine Aufenthaltsverfestigung verlangt, sondern in bestimmten Fällen auch Teilintegrationsleistungen ausreichen lässt. Für dieses Verständnis spricht schließlich auch die Gesetzessystematik, setzt doch § 25b AufenthG, der eine taugliche Aufenthaltserlaubnis für eine Aufenthaltsverfestigung ist und schließlich in eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG münden kann, seinerseits keine vollständige Lebensunterhaltssicherung voraus, sondern lediglich eine positive Prognose für die Zukunft. Zudem können schuldhafte Versäumnisse bei der Lebensunterhaltssicherung in der Vergangenheit jedenfalls für die Zeiträume, für die die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 Satz 3, 6 AufenthG nicht gilt, im Rahmen der nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Ermessensausübung berücksichtigt werden (so auch Bayerischer VGH, Beschl. v. 30.10.2013 - 10 ZB 11.1390 -, juris Rn. 11).

(4) Ein anderes Verständnis ergibt sich auch nicht aus einem Vergleich mit den einbürgerungsrechtlichen Vorschriften des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG), nach denen die fehlende selbstständige Lebensunterhaltssicherung auch bei aktueller Erwerbsminderung und einer daraus (mit-)resultierenden Inanspruchnahme von Sozial(hilfe)leistungen einer Einbürgerung entgegenstehen kann, wenn der Einbürgerungsbewerber in der Vergangenheit in einem solchen Maße gegen die Obliegenheit, durch Einsatz seiner Arbeitskraft für seine Lebensunterhaltssicherung, zu der auch die Altersversorgung zählt, vorzusorgen, verstoßen hat, dass ihm Fernwirkungen auf die spätere Lebensunterhaltssicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG zuzurechnen sind, wobei es nicht darauf ankommt, dass der Einbürgerungsbewerber den Leistungsbezug in vollem Umfang und ausnahmslos zu vertreten hat, vielmehr eine maßgebliche Mitursächlichkeit des Verhaltens des Einbürgerungsbewerbers in der Vergangenheit ausreicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.2.2009 - BVerwG 5 C 22.08 -, juris Rn. 15 ff.). Denn im Gegensatz zu § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ist das Erfordernis des Nichtvertretenmüssens des Bezugs von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch schon nach dem Wortlaut der Norm in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG ("den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat") enthalten. Überdies ist im Einbürgerungsrecht von dem Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung auch nicht im Falle ihrer Nichterfüllbarkeit wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung abzusehen, weil sich die in § 10 Abs. 6 StAG genannten Absehensgründe ausdrücklich nur auf die Erlangung ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache und der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland beziehen, nicht aber auf die Lebensunterhaltssicherung. Krankheitsbedingte Erwerbsminderungen finden im Einbürgerungsrecht demnach nur im Rahmen der Prüfung des Vertretenmüssens der fehlenden Lebensunterhaltssicherung Berücksichtigung oder es kann im Zuge einer Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG zur Vermeidung einer besonderen Härte von ihr abgesehen werden.

Unabhängig davon hat aber auch ein Einbürgerungsbewerber für ein ihm zurechenbares und für aktuelle Sozialleistungen mitursächliches Verhalten aufgrund des Gegenwartsbezugs des Vertretenmüssens des Leistungsbezugs in § 10 Abs.1 Satz 1 Nr. 3 StAG nach Ablauf einer Frist von acht Jahren nicht mehr einzustehen. Denn auch eine strenge Auslegung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG darf nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Obergerichte nicht dazu führen, dass der nach einem langjährigen und rechtmäßigen Daueraufenthalt regelmäßig (bei Erfüllung weiterer Anforderungen) vorgesehene Einbürgerungsanspruch praktisch leerläuft, was aber der Fall wäre, wenn aktuell nicht rückgängig zu machende Fernwirkungen vergangenen zurechenbaren Verhaltens einem Einbürgerungsbewerber ohne jede zeitliche Grenze entgegengehalten werden könnten. Der von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG geforderte Zusammenhang zwischen zu verantwortendem vergangenen Verhalten und späteren Fernwirkungen verliert vielmehr nach Sinn und Zweck der Regelung, einer Zuwanderung in die Sozialsysteme entgegenzuwirken, im Zeitverlauf an Gewicht und Dichte und tritt hinter dem Anliegen zurück, Personen mit langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt einen Anspruch auf Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit einzuräumen. Für eine solche Gewichtsveränderung abwägungserheblicher Belange allein durch Zeitablauf spricht etwa der Umstand, dass auch Verurteilungen wegen Straftaten nach Ablauf der Tilgungsfrist dem Einbürgerungsanspruch nicht mehr entgegenstehen. Mit der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StAG genannten Mindestdauer des rechtmäßigen und gewöhnlichen Aufenthalts hat der Gesetzgeber selbst einen Anhaltspunkt dafür gesetzt, wie lang der Zeitraum zu bemessen ist, der zur Auflösung des Zurechnungszusammenhangs seit dem zu vertretenden Verhalten verstrichen sein muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.2.2009 - BVerwG 5 C 22.08 -, juris Rn. 26 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 26.11.2021 - 19 A 1245/20 -, juris Rn. 12).

Selbst wenn man mit dem Verwaltungsgericht annähme, dass den Klägern die aktuell fehlende Lebensunterhaltssicherung zuzurechnen wäre, weil sie auch in der Vergangenheit nicht in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit vollständig zu sichern und regelmäßig zumindest aufstockende Leistungen nach dem Zweiten bzw. Zwölften Sozialgesetzbuch bezogen haben, ließe sich der vom Bundesverwaltungsgericht im Staatsangehörigkeitsrecht entwickelte Rechtsgedanke des Nichtmehreinstehenmüssens für vergangenes Verhalten aufgrund Zeitablaufs auf die Erteilung der von den Klägern begehrten Niederlassungserlaubnisse aus denselben Gründen wie im Falle der Einbürgerung, die die stärkste Form der Aufenthaltsverfestigung darstellt, übertragen. In dem danach in Anlehnung an den für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG maßgeblichen Zeitraum des rechtmäßigen Voraufenthalts von fünf Jahren, hätten die Kläger die fehlende Lebensunterhaltssicherung nicht mehr zu vertreten, da der Kläger zu 1. seit April 2019 und die Klägerin zu 2. seit März 2019 vollständig erwerbsunfähig sind.

(5) Mit diesem Normverständnis weicht der Senat auch nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ab. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht in seinem ebenfalls die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis betreffenden Beschluss vom 30. November 2011 (- 8 PA 186/11 -, juris Rn. 9 f.) aufgrund des in der Vergangenheit fehlenden Einflusses der vom Kläger geltend gemachten Erkrankungen auf seine Erwerbsfähigkeit Zweifel daran geäußert, ob die derzeit fehlende Lebensunterhaltssicherung überhaupt maßgeblich, geschweige denn ausschließlich auf körperliche, geistige oder seelische Krankheiten oder Behinderungen des Klägers zurückzuführen sei, dieser Umstand nicht vielmehr in erster Linie auf die mangelnde Berufsausbildung des Klägers und die Betreuung seiner behinderten Tochter zurückzuführen sei. Das Erfordernis der Alleinursächlichkeit einer Erkrankung für die fehlende Lebensunterhaltssicherung war hingegen nicht Gegenstand der Entscheidung, da sich schon aus dem Vorbringen des Klägers keine belastbaren Anhaltspunkte für das tatsächliche Bestehen einer seine Erwerbsfähigkeit derart einschränkenden körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung, die ihm eine eigenständige Lebensunterhaltssicherung unmöglich machte, ergaben. Und auch in dem dem Senatsbeschluss vom 21. August 2019 (- 13 PA 240/19 -, V.n.b.) zugrundeliegenden Sachverhalt fehlte es bereits an der Darlegung, dass die vom Kläger geltend gemachten Erkrankungen überhaupt ursächlich für die fehlende Lebensunterhaltssicherung waren, ohne dass die Problematik eines etwaigen Erfordernisses der Alleinursächlichkeit zu thematisieren gewesen wäre.

c) Entgegen der Ansicht des Beklagten erfüllen die Kläger auch die Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Danach muss der eine Niederlassungserlaubnis begehrende Ausländer mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet haben oder Aufwendungen für einen Anspruch auf vergleichbare Leistungen einer Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder eines Versicherungsunternehmens nachweisen; berufliche Ausfallzeiten auf Grund von Kinderbetreuung oder häuslicher Pflege werden entsprechend angerechnet. Dabei genügt es bei Ehegatten, die in häuslicher Gemeinschaft leben, nach § 9 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wenn die Voraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG durch einen Ehegatten erfüllt werden. Auf § 9 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird zwar in § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht verwiesen. § 9 Abs. 3 Satz 3 AufenthG erklärt § 9 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aber auch "in den Fällen des § 26 Abs. 4 entsprechend" anwendbar (vgl. hierzu Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), BT-Drs. 15/420, S. 73).

aa) Der Kläger zu 1. hat - mehr als - 60 Monate Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet. Der Senat kann insoweit offenlassen, ob Rentenversicherungsbeiträge, die in der Vergangenheit wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld II erbracht worden sind, im Hinblick auf die Erfüllung des Beitragserfordernisses zu berücksichtigen sind (vgl. dazu verneinend: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 13.4.2021 - OVG 3 M 30/21 -, juris Rn. 4; Bayerischer VGH, Beschl. v. 7.12.2015 - 19 ZB 14.2293 -, juris Rn. 7 ff.; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 9 Rn. 48; a.A. Maor, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 40. Ed., Stand: 1.1.2024, AufenthG § 9 Rn. 11). Denn der Kläger zu 1. hat - auch unter Nichtberücksichtigung der vom Bund gezahlten Pflichtbeiträge während des Bezugs von Arbeitslosengeld II in den Monaten Januar bis November 2005 - im Zeitraum von August 2000 bis Februar 2018 jedenfalls 84 Monate Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet (vgl. Versicherungsverlauf v. 13.7.2018, Blatt 11 f. der Beiakte 6), wobei gemäß § 122 Abs. 1 SGB VI nur teilweise mit Pflichtbeiträgen belegte Kalendermonate als volle Monate gelten (Gürtner, in: Rolfs/Körner/Krasney/Mutschler, BeckOGK, SGB VI, Stand: 1.7.2020, § 43 Rn. 14).

bb) Diese vom Kläger zu 1. nachgewiesenen Pflichtbeitragszeiten zählen aufgrund der von ihnen geführten häuslichen Lebensgemeinschaft gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Satz 1 AufenthG auch für seine Ehefrau, die Klägerin zu 2.

d) Dem - bezüglich des Klägers zu 1. nur hypothetisch, nämlich nur für den Fall der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis bestehenden - Anspruch der Kläger auf Bescheidung ihrer Anträge auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis stehen auch im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht entgegen.

§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG setzt für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis voraus, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder der Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Bundesgebiet nicht entgegenstehen. Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sind - jedenfalls auch - Ausweisungsgründe (§ 54 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG). Anders als etwa bei § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG schließt ihr bloßes Vorliegen die Erteilung der Niederlassungserlaubnis noch nicht aus. Vielmehr soll darüber aufgrund einer umfassenden Abwägung der in der Regelung genannten Rechtsgüter entschieden werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - BVerwG 1 C 21.09 -, juris Rn. 13). Abzuwägen sind danach das durch den Ausweisungsgrund berührte öffentliche Interesse auf der einen Seite und das private Interesse des Ausländers an der Gewährung eines nationalen Daueraufenthaltsrechts auf der anderen Seite (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 22.7.2009 - 11 S 2289/08 -, juris Rn. 38).

Gemessen daran stehen Gründe öffentlicher Sicherheit oder Ordnung der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach der maßgeblichen Sachlage im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung nicht entgegen.

aa) Solche Gründe sind für die Klägerin zu 2. vom Beklagten weder vorgetragen noch für den Senat anderweitig ersichtlich.

bb) Die durch den Kläger zu 1. begangene Straftat hat nach ihrer Art und Schwere kein solches Gewicht, dass sie der begehrten Erteilung einer Niederlassungserlaubnis entgegengehalten werden dürfte. Es handelt sich um eine versuchte Nötigung als Einzeltat geringer Intensität, die ganz offensichtlich spontan und fernmündlich begangen wurde. Sie liegt mittlerweile zwei Jahre zurück und wurde mit einer nur geringen Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen geahndet. All das mindert und relativiert ihr Gewicht nach der gesetzlichen Wertung des § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG jedenfalls im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung erheblich. Die vom Kläger zu 1. ausgehende Wiederholungsgefahr erachtet der Senat aufgrund der aufgezeigten Parameter als gering. Demgegenüber wiegen die privaten Interessen des Klägers zu 1. am Erhalt des nationalen Daueraufenthaltsrechts deutlich schwerer. Der Kläger zu 1. hält sich seit 25 Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er ist zwar beruflich nicht voll integriert, war aber die überwiegende Zeit seines Aufenthalts in Deutschland erwerbstätig, bis er krankheitsbedingt seine letzte Anstellung verlor und schließlich vollständig erwerbsunfähig wurde. Besonderes Gewicht hat die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Bindung an seine ebenfalls rechtmäßig im Bundesgebiet lebende Ehefrau sowie seine ihm und seiner Frau gerichtlich anvertrauten (vgl. Beschluss des AG Brake (Unterweser) v. 14.4.2022 zur Einrichtung der Pflegschaft mit der Übertragung wesentlicher Bereiche des Sorgerechts, Blatt 421 ff. der Gerichtsakte VG 11 A 1056/19) drei minderjährigen Enkelkinder und seinen minderjährigen deutschen Neffen, mit denen der Kläger zu 1. in häuslicher Gemeinschaft lebt.

e) Die Voraussetzungen der § 9 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 5 und 6 AufenthG werden von den Klägern erfüllt. Die dem Kläger zu 1. erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG, die aufgrund des vom Kläger zu 1. rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG insoweit als fortbestehend gilt (zur Sicherstellung der Fortsetzung der Erwerbstätigkeit während eines noch ungeklärten Anspruchs auf Verlängerung oder Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Sinn und Zweck der Fiktionswirkung in § 81 Abs. 4 AufenthG vgl. BVerwG, Urt. v. 30.3.2010 - BVerwG 1 C 6.09 -, juris Rn. 21; Bayerischer VGH, Beschl. v. 12.2.2024 - 19 ZB 23.1976 -, juris Rn. 13), und die der Klägerin zu 2. erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erlauben ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG (vgl. zur grundsätzlichen Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt: § 4a AufenthG). Dass sie die sonstigen für eine Erwerbstätigkeit erforderlichen Erlaubnisse im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 AufenthG nicht besäßen, wurde vom Beklagten nicht vorgetragen und ist für den Senat auch sonst nicht ersichtlich.

f) Die Kläger verfügen auch über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG, die gemäß § 2 Abs. 11 AufenthG dem Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen.

aa) Der Kläger zu 1. hat dieses Erfordernis durch das Bestehen des Deutschtests für Zuwanderer auf dem Niveau B1 (vgl. Zertifikat v. 15.1.2010, Blatt 466 der Beiakte 1) und das selbstständige Führen von Verhandlungen mit der Ausländerbehörde ohne Zuhilfenahme eines Dolmetschers (vgl. die Verhandlungsniederschriften v. 14.4.2021, Blatt 1693 der Beiakte 8) nachgewiesen.

bb) Auch die Klägerin zu 2. verfügt zur Überzeugung des Senats über ausreichende Sprachkenntnisse im vorgenannten Sinne. Nach der Definition des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (abgerufen unter www.europaeischer-referenzrahmen.de am 28.5.2024) erfordert das Niveau B1 eine fortgeschrittene Sprachverwendung. Danach kann der die Sprache Anwendende Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht; er kann die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet; kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern; kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben. Wenngleich die Klägerin zu 2. keine Unterlagen über das (erfolgreiche) Absolvieren eines Deutschkurses vorgelegt hat, ergibt sich bei ihr ausgehend von der vorgenannten Definition das Vorhandensein des erforderlichen Sprachniveaus B1 zur Überzeugung des Senats aus folgenden Umständen: Mit Bescheid vom 27. September 2016 hat der Beklagte den Nachweis über jedenfalls hinreichende mündliche Sprachkenntnisse auf dem nur eine Stufe unter B1 liegenden Niveau A2 (vgl. § 2 Abs. 10 AufenthG) durch das Führen eines Gesprächs der Klägerin zu 2. ohne Zuhilfenahme eines Dolmetschers am 13. September 2016 in der Ausländerbehörde ausdrücklich als erbracht angesehen. In diesem Zusammenhang findet sich im Verwaltungsvorgang des Beklagten ein Vermerk über die Vorsprache der Klägerin zu 2. und ihres Ehemannes in der Ausländerbehörde vom 13. September 2016 (Blatt 838 der Beiakte 2), in dem festgehalten wurde, dass sie einen Deutschtest auf dem Niveau A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (zu den Anforderungen an die sprachlichen Fähigkeiten vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 44) in der Vergangenheit zwar nicht bestanden habe, aber "gut deutsch spreche, teils sogar verständlicher als ihr Ehemann", der den Deutsch-Test für Zuwanderer auf dem Niveau B1 erfolgreich absolviert hat (vgl. Zertifikat vom 15.1.2010, Blatt 466 der Beiakte 1). Seit diesen Feststellungen, an denen sich der Beklagte festhalten lassen muss, sind zwischenzeitlich mehr als sieben Jahre vergangen, sodass der Senat unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung davon überzeugt ist, dass sich die Sprachkenntnisse der Klägerin zu 2. im zeitlichen Verlauf noch weiter verbessert haben. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, dass die Klägerin zu 2. das für die Erstellung ihres Pflegegutachtens erforderliche Gespräch mit der begutachtenden Pflegefachkraft, das bereits im Jahr 2019, mithin vor fünf Jahren stattfand, selbst flüssig und gut verständlich geführt hat. Nach den Ausführungen im Gutachten besteht bei der Klägerin zu 2. die Fähigkeit zu einer sinnvollen interpersonellen Kommunikation, wobei sie Wünsche äußern und Ablehnungen deutlich machen kann (vgl. Pflegegutachten der MDK v. 19.5.2019, S. 3, 5 und 6). Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Begutachtung nicht nur Alltagsdinge, sondern auch - deutlich bessere Sprachkenntnisse erfordernde - medizinische Sachverhalte erörtert wurden.

g) Die Kläger verfügen auch über die nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 AufenthG erforderlichen Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensführung im Bundesgebiet.

aa) Bei dem Kläger zu 1. ergibt sich dies bereits aus der erfolgreichen Teilnahme am Integrationskurs gemäß § 17 Abs. 2 Integrationskursverordnung (IntV; vgl. Zertifikat Integrationskurs v. 25.3.2010, Blatt 573 der Beiakte 2), der nach § 3 Abs. 1 IntV zum einen der erfolgreichen Vermittlung von ausreichenden Kenntnissen (Niveau B1, vgl. § 3 Abs. 2 IntV) der deutschen Sprache (Nr. 1) und zum anderen gerade der Vermittlung von Alltagswissen sowie von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte Deutschlands, insbesondere auch der Werte des demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit dient (Nr. 2). Darüber hinaus hat er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt (vgl. Erklärung vom 13.9.2016, Blatt 834 der Beiakte 2).

bb) Obschon die Klägerin zu 2. hierfür keine Nachweise vorgelegt hat, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass auch sie über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt. Denn in seinem Bescheid vom 27. September 2016 hat der Beklagte für die Klägerin zu 2. bejaht, dass alle Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AufenthG, die Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet beinhalten (§ 25b Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), vorliegen. Daran muss sich der Beklagte festhalten lassen.

h) Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte geht der Senat auch davon aus, dass die Kläger über ausreichenden Wohnraum für sich und ihre mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen verfügen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 AufenthG). Insbesondere wurde die gemeinsame Wohnsituation der Kläger mit ihren Enkeln sowie ihrem Neffen im familiengerichtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht Brake (Unterweser) vor der Pflegschaftsübertragung auf die Kläger durch die Verfahrensbeiständin der minderjährigen Enkel und des Neffen der Kläger in Augenschein genommen (vgl. Stellungnahme der Verfahrensbeiständin v. 26.9.2021, S. 2, Blatt 81 der Akte AG Brake - ... -) und vom Amtsgericht in der nicht öffentlichen Sitzung vom 29. Dezember 2021 thematisiert (vgl. Protokoll der nicht öffentlichen Sitzung v. 29.12.2021, S. 3 f., Blatt 113 f. der Akte AG Brake - ... -), ohne dass diese trotz kritischer Betrachtungsweise durch das Amtsgericht (vgl. AG Brake (Unterweser), Beschl. v. 14.4.2022, S. 5, Blatt 142 der Akte AG Brake - ... -) einer Einrichtung der Pflegschaft entgegenstand.

i) Erfüllt die Klägerin zu 2. danach die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 i.V.m. § 9 Abs. 2 AufenthG, kann ihr eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden.

Im Rahmen der insoweit von der Ausländerbehörde nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidung ist eine Abwägung des Interesses des Ausländers an der Verfestigung seines Aufenthalts mit dem öffentlichen Interesse an einer Begrenzung der Einwanderung ins Bundesgebiet erforderlich. Dabei ist zwar auch das öffentliche Interesse an der Verhinderung einer Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme zu berücksichtigen, das Ausdruck in dem Erfordernis des Gesichertseins des Lebensunterhalts nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gefunden hat (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 14.5.2009 - 19 ZB 09.985 -, juris Rn. 15). Neben diesen wirtschaftlichen Aspekten hat der Beklagte - unabhängig davon, dass die Klägerin zu 2. die fehlende Lebensunterhaltssicherung aus den oben genannten Gründen nicht mehr zu vertreten hat - in die von ihm zu treffende Ermessensentscheidung insbesondere aber auch die inzwischen fast 30jährige, überwiegend rechtmäßige Aufenthaltsdauer der Klägerin zu 2. im Bundesgebiet sowie die ihr - gemeinsam mit dem Kläger zu 1. - für ihre minderjährigen Enkelkinder und ihren minderjährigen Neffen deutscher Staatsangehörigkeit übertragene Pflegschaft mit wesentlichen Teilen des Sorgerechts ebenso einzustellen wie die Hilfe- und Pflegebedürftigkeit der Klägerin zu 2. aus gesundheitlichen Gründen.

Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass diese Erwägungen für den Kläger zu 1. entsprechend gelten, sofern seine Aufenthaltserlaubnis verlängert wird.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 1 und 161 Abs. 3 VwGO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

IV. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß 132 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die bei Anwendung der Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG zu stellenden Anforderungen an die Kausalität geltend gemachter Erkrankungen für die fehlende Lebensunterhaltssicherung im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt sind bislang höchstrichterlich nicht geklärt und betreffen eine Vielzahl von Fällen.