Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.05.2024, Az.: 12 LA 29/24

Antrag auf Zulassung der Berufung und hilfsweise mündliche Verhandlung im Rahmen einer Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis; Medizinisch-psychologisches Gutachten zur Ungeeignetheit zum Führen eines KfZ

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.05.2024
Aktenzeichen
12 LA 29/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 15899
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0529.12LA29.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 12.03.2024 - AZ: 7 A 3124/23

Fundstelle

  • DÖV 2024, 760

Amtlicher Leitsatz

Beantragt ein anwaltlich vertretener Beteiligter nach dem Ergehen eines Gerichtsbescheids die Zulassung der Berufung und hilfsweise mündliche Verhandlung, so ist der Zulassungsantrag wirksam, aber der Hilfsantrag unzulässig.

Tenor:

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 7. Kammer (Einzelrichter) - vom 12. März 2024 zuzulassen, wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 7.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Mit seinem Zulassungsantrag wendet sich der 1975 geborene Kläger dagegen, dass die Vorinstanz seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 2023 (Bl. 4 [Rückseite] ff. der Gerichtsakte - GA -) abgewiesen hat. Durch diesen Bescheid wurde ihm die Fahrerlaubnis u. a. der Klassen C und CE (vgl. auch Mitteilung d. Antragsgegnerin v. 27.5.2024) entzogen. Denn er hatte nach einer mit Strafbefehl des Amtsgerichts A-Stadt vom ... - AZ: ... - (S. 17 ff. der Beiakte - BA - 1) rechtskräftig geahndeten Trunkenheitsfahrt auf einem Fahrrad (BAK mindestens 2,25 ‰) vom ... eine auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV gestützte Anordnung der Beklagten vom 29. August 2022 (S. 129 ff. BA 1) nicht befolgt, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Kraftfahreignung beizubringen. Daraufhin sah ihn die Beklagte unter Berufung auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV (i. V. m. § 46 Abs. 3 FeV) als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen an.

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines Gerichtsbescheids "nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids insgesamt auf dessen zutreffende Gründe, § 117 Abs. 5 VwGO, und zudem insbesondere entsprechend vorgenannter Vorschrift auf den Beschluss vom 8.12.2023 im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (7 B 3125/23)" verwiesen. Gesichtspunkte, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, seien seither von dem Kläger nicht vorgetragen worden, und auch ansonsten sei für eine abweichende Entscheidung im Hauptsacheverfahren nichts ersichtlich.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 12. März 2024 bleibt ohne Erfolg.

Die Bezeichnung des Zulassungsantrags als - schon infolge der rechtlichen Konstruktion der Zulassungsberufung (vgl. nur §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 124a Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 sowie Abs. 5 Satz 1 und 5 VwGO) nicht in Betracht kommende - "Nichtzulassungsbeschwerde" in der Antragsbegründungsschrift vom 29. April 2024 ist zwar entsprechend den Rechtsgedanken des § 88 Halbsatz 2 VwGO und des § 300 StPO unschädlich. Der Antrag ist aber unzulässig, da es bereits an der gemäß den §§ 84 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 Alt. 1, 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO erforderlichen (ordnungsgemäßen) Darlegung eines Zulassungsgrundes fehlt.

Nach den §§ 84 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 Alt. 1, 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Gerichtsbescheids die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Dabei obliegt es nicht dem Oberverwaltungsgericht, sondern gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dem Rechtsbehelfsführer, einzelne Zulassungsgründe ausdrücklich oder konkludent zu bezeichnen und ihnen jeweils diejenigen Elemente seiner Kritik an der erstinstanzlichen Entscheidung klar zuzuordnen, mit denen er das Vorliegen des jeweiligen Zulassungsgrundes darlegen möchte. Im Falle der Geltendmachung mehrerer Zulassungsgründe müssen diese daher grundsätzlich jeweils selbständig dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 18.6.2014 - 7 LA 168/12 -, NdsRpfl 2014, 260 ff., hier zitiert nach juris, Rnrn. 3 f., m. w. N.).

Im vorliegenden Falle ist schon fraglich, ob eine hinreichend klare Bezeichnung geltend gemachter Zulassungsgründe vorliegt. Denn deren ausdrückliche Benennung fehlt, und neben dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO könnten sich Teile des Vorbringens des Klägers auch dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuordnen lassen.

Selbst wenn man jedoch - zugunsten des Klägers - davon ausgeht, dass hier nur der Zulassungsgrund des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheids (§§ 84 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 Alt. 1, 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird, sind die Darlegungen unzureichend.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458 [1459]). Die Richtigkeitszweifel müssen sich allerdings auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen gerichtlichen Entscheidung führen wird.

Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheids darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substanziell mit der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist ein Gerichtsbescheid mehrfach selbständig tragend begründet, müssen in der Regel alle diese Begründungen erschüttert werden (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 13.1.2012 - 7 LA 138/11 -, juris, Rn. 21). Je intensiver die Entscheidung begründet ist, umso eingehender muss der Zulassungsantragsteller die sie tragende Argumentation entkräften (Nds. OVG, Beschl. v. 28.3.2017 - 12 LA 25/16 -, RdL 2017, 181 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 15, m. w. N.). Es reicht deshalb grundsätzlich nicht aus, wenn er lediglich seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und/oder eine eigene Würdigung der Sach- und Rechtslage vorträgt, die im Ergebnis von derjenigen des Verwaltungsgerichts abweicht. Vielmehr muss er in der Regel den einzelnen tragenden Begründungselementen der angefochtenen Entscheidung geeignete Gegenargumente konkret gegenüberstellen und - soweit möglich - die Vorzugswürdigkeit dieser Gegenargumente darlegen (Nds. OVG, Beschl. v. 28.3.2017 - 12 LA 25/16 -, a. a. O.).

Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen des Klägers in seiner Antragsbegründungsschrift vom 29. April 2024 nicht.

Der Kläger macht geltend, aus verschiedenen Gründen sei die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens "ermessensfehlerhaft" gewesen. Damit trägt er keine zur Erschütterung der Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheids geeigneten Argumente vor, weil die Anordnung der Beibringung eines medizinisch psychologischen Gutachtens in den Fällen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV - und damit auch hier - nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Norm nicht im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde steht, sondern zwingend zu erfolgen hat.

Soweit der Kläger diesbezüglich zudem beanstandet, dass das Verwaltungsgericht "ohne weitere Nachprüfung in der mündlichen Verhandlung" entschieden habe, bestand für die Nachprüfung einer Ermessensausübung der Beklagten (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) schon deshalb kein Raum, weil nicht nur die Gutachtenanordnung, sondern auch die an ihre Nichtbefolgung anknüpfende Anwendung des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV (i. V. m. § 46 Abs. 1 und 3 FeV) eine gebundene Entscheidung ist (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 30.4.2024 - 12 ME 19/24 -, juris, Rn. 43, m. w. N.). Außerdem ergibt sich bereits aus § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO, dass der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine mündliche Verhandlung vorauszugehen hat, wenn - wie hier - die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid vorliegen.

Die Kritik daran, dass die Vorinstanz auf den Beschluss im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO (also nicht nach § 123 VwGO) verwiesen hat, liegt ebenfalls neben der Sache. Zum einen hat das Verwaltungsgericht selbständig tragend unmittelbar den angefochtenen Bescheid der Beklagten in Bezug genommen. Da dieser Bescheid keine nur "überschlägige Prüfung" enthält und die Vorinstanz seiner Begründung folgt (§§ 84 Abs. 1 Satz 3, 117 Abs. 5 VwGO), kann insoweit der Gerichtsbescheid nicht durch die Bezugnahme auf die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit einem unrichtigen Prüfungsmaßstab "infiziert" worden sein. Im Übrigen spricht aber auch nichts dafür, dass das Verwaltungsgericht bei seiner erneuten Prüfung der Sach- und Rechtslage hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids den Prüfungsmaßstab im Hauptsacheverfahren verkannt hätte; es wollte sich lediglich nicht unnötig wiederholen.

Die Kritik des Klägers, dass genaue gerichtliche Feststellungen bezüglich der "Sonderwirkung von Glühwein" anzustreben gewesen wären, geht ebenfalls fehl. Insoweit verkennt oder unterschätzt der Kläger die Rechtswirkungen des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV (i. V. m. § 46 Abs. 3 FeV). Diese Norm beinhaltet nämlich der Sache nach eine Beweisregel, der zufolge bei Weigerung eines Beteiligten, seinen notwendigen Teil zur Sachaufklärung beizutragen, die als möglicher (Kraft-)Fahreignungsmangel im Raum stehende und daher aufzuklärende Tatsache als erwiesen angesehen werden kann (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 30.4.2024 - 12 ME 19/24 -, juris, Rn. 45, m. w. N.; Bay. VGH, Beschl. v. 9.2.2023 - 11 ZB 22.261 -, juris, Rn. 24; BVerwG, Urt. v. 4.12.2020 - 3 C 5.20 -, BVerwGE 171, 1 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 26). Folglich ist es weder erforderlich, Einzelheiten oder Begleitumstände des zurückliegenden Alkoholkonsums des Klägers zu betrachten, noch ihm für den maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Entziehungsverfügung vom 5. Oktober 2023 einen übermäßigen oder fortdauernd problematischen Alkoholkonsum nachzuweisen; denn seine Nichtbefolgung der Gutachtenanordnung vom 29. August 2022 kann - kraft der Regel des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV (i. V. m. § 46 Abs. 3 FeV) - in ihrer Wirkung an die Stelle eines hinreichend aktuellen direkten Nachweises von Alkoholmissbrauch im Sinne der Nr. 8.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV treten. Die Darlegungen des Klägers gehen auch dann fehl, wenn man sie als Kritik an der Rechtmäßigkeit der an ihn ergangenen Gutachtenanordnung versteht. Denn § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV, der die Rechtsgrundlage für diese Anordnung bildet, stellt allein auf das Führen eines Fahrzeugs mit einer BAK von mindestens 1,6 ‰ ab, ohne nach den Ursprüngen oder Ursachen für diesen Alkoholisierungsgrad zu differenzieren.

Soweit der Kläger hilfsweise "mündliche Verhandlung beantragt", ist unklar, was genau er damit erreichen möchte. Das kann jedoch offenbleiben, weil hier weder im zweiten noch im ersten Rechtszug die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Betracht kommt.

Für eine mündliche Verhandlung im Zulassungsverfahren besteht kein Anlass. Die Entscheidung über den Zulassungsantrag erfolgt gemäß § 124a Abs. 5 Satz 1 VwGO durch einen Beschluss. Da die Prüfung eines solchen Antrags grundsätzlich nur anhand des schriftlichen Vortrags in der Begründungsschrift erfolgt und nach dem Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO Gründe für ernstliche Richtigkeitszweifel ohnehin nur noch ergänzt werden könnten, soweit sie - anders als hier - bereits in offener Frist den Mindestanforderungen entsprechend dargelegt worden sind (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 28.3.2017 - 12 LA 25/16 -, a. a. O., m. w. N.), ist nicht zu erkennen, worüber in dem vorliegenden Zulassungsverfahren (ausnahmsweise) mündlich zu verhandeln sein sollte.

Soweit der Kläger mit seinem Hilfsantrag - etwa - darauf abzielt, bei einem Misserfolg des Zulassungsantrags möge nun wieder das Verwaltungsgericht tätig werden und eine mündliche Verhandlung anberaumen, ist dies schon nach den §§ 84 Abs. 3 Halbsatz 1, 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO ausgeschlossen. Denn mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird der angefochtene Gerichtsbescheid rechtskräftig. Anderes ergibt sich auch nicht aus § 84 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 2 VwGO. Die Vorschrift betrifft nämlich (nur) den Fall, dass verschiedene Beteiligte unterschiedliche Rechtsbehelfe gegen denselben Gerichtsbescheid ergreifen. Sie räumt also nicht etwa demselben Rechtsbehelfsführer die Möglichkeit ein, gegen einen Gerichtsbescheid von beiden Rechtsbehelfen (Zulassungsantrag und Antrag auf mündliche Verhandlung) gleichrangig oder im Verhältnis von Haupt- und Hilfsantrag Gebrauch zu machen. Vielmehr ist gerade bei anwaltlicher (nur) hilfsweiser Beantragung einer mündlichen Verhandlung der Hilfsantrag unzulässig und bleibt ein gleichzeitig (vorrangig) gestellter Zulassungsantrag wirksam (vgl. Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 84 Rn. 20 [am Ende]).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an dem Vorschlag unter Nr. 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).