Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.05.2024, Az.: 14 LA 18/24

Verwerfung des Antrags auf Zulassung der Berufung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.05.2024
Aktenzeichen
14 LA 18/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 15400
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0515.14LA18.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 16.11.2023 - AZ: 4 A 54/22

Fundstelle

  • AK 2024, 128

Redaktioneller Leitsatz

Ein Urteil ist auch ohne Empfangsbekenntnis des Rechtsanwalts zu dem Zeitpunkt zugestellt, der durch die EGVP-Eingangsbestätigung ausgewiesen ist, wenn der Rechtsanwalt offensichtlich selbst von diesem Zeitpunkt ausgeht und sein Verhalten nicht für einen späteren Zustellungszeitpunkt spricht.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 16. November 2023 wird verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig und daher zu verwerfen, weil er nicht fristgerecht begründet worden ist.

Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen (§ 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO). Die Begründung des Zulassungsantrags der Klägerin ist am 2. Februar 2024 und damit nicht innerhalb dieser Frist beim Senat eingegangen. Denn das angefochtene Urteil ist der Klägerin - hier: ihrem Prozessbevollmächtigten - bereits am 28. November 2023 zugestellt worden. Mithin ist die Frist zur Begründung des Zulassungsantrags mit Ablauf des 29. Januar 2024 (einem Montag) verstrichen.

Auf den Hinweis des Senats vom 30. Januar 2024, das Rechtsmittel dürfte als unzulässig zu verwerfen sein, weil das angefochtene Urteil am 28. November 2023 zugestellt worden sei und eine Begründung nicht vorliege, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zwar folgendes vorgetragen:

"Tatsächlich hat der Unterzeichner und alleinige Sachbearbeiter das eEB am 05.12.2023 um 12:18 Uhr (versucht) abzugeben. Der Übermittlungsstatus ist mit fehlerhaft gekennzeichnet. Der Meldungstext lautet: "Die Nachricht konnte nicht an den Intermediär des Empfängers übermittelt werden." Der Unterzeichner und alleinige Sachbearbeiter hat das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 28.11.2023 tatsächlich erstmals am 05.12.2023 zur Kenntnis genommen, sodass eine Zustellung am 05.12.2023 erfolgt sein dürfte. Für den Fristbeginn maßgeblich ist nicht der tatsächliche Posteingang, sondern die Kenntnisnahme durch den Prozessbevollmächtigten. Das elektronisch zurückgesandte Empfangsbekenntnis (eEB) erbringt nach Maßgabe der §§ 371a, 416 ZPO als (privates) elektronisches Dokument ebenso wie ein auf dem Postweg zurückgesandtes Empfangsbekenntnis Beweis sowohl für die Entgegennahme des bezeichneten Schriftstücks als auch für den Zeitpunkt des Empfangs (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 10.11.2020 - 2 B 1263/20). Die Beweiswirkung kann unter den von der bisherigen Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen entkräftet werden, d. h. es muss ein Gegenbeweis erbracht werden, der belegt, dass jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angabe auf dem Empfangsbekenntnis richtig sein könnte. Zweifel an der Richtigkeit des Zustellungsdatums genügen nicht."

Dem folgt der Senat bezogen auf das maßgebliche Zustelldatum allerdings nicht. Der Senat ist nach der maßgeblichen Aktenlage vielmehr davon überzeugt, dass das angefochtene Urteil dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits am 28. November 2023 zugestellt worden ist.

Zwar trifft es zu, dass der öffentliche Glaube eines (elektronischen) Empfangsbekenntnisses für die Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis streitet. Ein elektronisch zurückgesandtes Empfangsbekenntnis erbringt nach Maßgabe des § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO ebenso wie ein auf dem Postweg zurückgesandtes Empfangsbekenntnis Beweis sowohl für die Entgegennahme des in ihm bezeichneten Schriftstücks als auch für den Zeitpunkt von dessen Empfang (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.9.2022 - 9 B 2.22 -, juris Rn. 12). Ein Rechtsanwalt ist verpflichtet, das Empfangsbekenntnis mit dem Datum zu versehen, an dem er das zuzustellende Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es zu behalten. Allerdings kann die Beweiswirkung des ausgewiesenen Zustellungsdatums unter bestimmten Voraussetzungen entkräftet werden. An den - grundsätzlich zulässigen - Nachweis eines falschen Datums sind dabei strenge Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist, dass die Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis nicht nur erschüttert, sondern jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, die Angaben könnten richtig sein (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.9.2022 - 9 B 2.22 -, juris Rn. 7; OVG NRW, Beschl. v. 10.11.2020 - 2 B 1263/20 -, juris Rn. 7).

Ein elektronisches Empfangsbekenntnis, das das Zustelldatum des 5. Dezember 2023 ausweist, liegt hier indessen nicht vor, sondern lediglich der Ausdruck eines Protokolls aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Aus diesem Ausdruck ergibt sich, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 5. Dezember 2023 erfolglos versucht hat, ein elektronisches Empfangsbekenntnis abzugeben. Es ist bereits zweifelhaft, ob die von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin bemühten und zuvor dargestellten beweisrechtlichen Grundsätze in einem solchen Fall überhaupt heranzuziehen sind. Jedenfalls wäre aber eine (unterstellte) durch dieses Protokoll begründete Beweiskraft hinreichend erschüttert.

Dafür streiten zahlreiche Umstände. Das Urteil ist ausweislich der EGVP-Eingangsbestätigung am 28. November 2023 um 11:25:31 Uhr auf dem Server des beA des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingegangen. Nachdem dieser das elektronische Empfangsbekenntnis nicht wie gefordert an das Verwaltungsgericht übersandt hatte, wurde ihm folgende gerichtliche Verfügung vom 11. Dezember 2023 übermittelt:

"(...) ist das elektronische Empfangsbekenntnis für das hiernach genannte, gem. § 5 Abs. 2 VwZG, zugestellte Schriftstück hier bisher nicht eingegangen.

- Urteil und Sitzungsniederschrift vom 16.11.2023 -

Es wird um umgehende Rücksendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses oder um Bestätigung gebeten, wann das zugestellte Schriftstück bei Ihnen eingegangen ist."

Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf nicht reagiert hatte, ließ ihm das Verwaltungsgericht mit Verfügung vom 15. Dezember 2023 nochmals eine Aufforderung mit demselben Wortlaut zukommen. Hierauf schrieb der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter dem 21. Dezember 2023:

"(...) nehmen wir Bezug auf die Verfügungen des Gerichts vom 11.12.2023 und 15.12.2023 und teilen mit, dass das Urteil und die Sitzungsniederschrift vom 16.11.2023 hier elektronisch am 28.11.2023 eingegangen ist.

Eine erneute elektronische Abgabe des Empfangsbekenntnisses war aufgrund der bereits bekannten technischen Probleme des beAs nicht möglich."

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragte sodann am 27. Dezember 2023 die Zulassung der Berufung mit folgendem Wortlaut:

"(...) beantragen wir hiermit namens und in Vollmacht der Klägerin, die Berufung gegen das am 16.11.2023 verkündete und am 28.11.2023 zugestellte Urteil der 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Osnabrück, Az. , zuzulassen."

Am 29. Januar 2023 (einem Montag) - also exakt an dem Tag, an dem die Frist zur Begründung des Zulassungsantrags bei einer Zustellung des Urteils am 28. November 2023 ablief -, beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit folgendem Wortlaut eine Fristverlängerung:

"(...) beantragen, die Frist zur Begründung um einen Monat, bis zum 29. Februar 2024, zu verlängern (...)"

Sämtliche Schriftsätze zeigen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bis dahin selbst davon ausging, die Zustellung des Urteils sei am 28. November 2023 bewirkt und die Frist zur Begründung des Zulassungsantrages laufe am 29. Januar 2024 ab. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang seinem Schriftsatz vom 21. Dezember 2023 zu. Da das Verwaltungsgericht ein Empfangsbekenntnis vermisste und es sich nunmehr (alternativ zur Übersendung des Empfangsbekenntnisses) nach dem Zeitpunkt des Eingangs des zugestellten Schriftstücks erkundigte, lag für den Prozessbevollmächtigten der Klägerin klar auf der Hand, dass er den Zeitpunkt benennen musste, an dem die Zustellung an ihn als Rechtsanwalt bewirkt worden war. Seine Mitteilung sollte ersichtlich an die Stelle des nicht vorhandenen Empfangsbekenntnisses treten, um die Berechnung der Rechtsmittelfrist zu ermöglichen. Dies entspricht im Übrigen gängiger Praxis. Offenbleiben kann, ob es sich bei diesem Schriftsatz nunmehr seinerseits um ein Empfangsbekenntnis im Sinne des § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 173 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 130a ZPO handelte. Hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin das Urteil tatsächlich erst am 5. Dezember 2023 empfangsbereit entgegengenommen, hätte nichts nähergelegen, als die zutreffenden zeitlichen Abläufe in diesem Schriftsatz darzustellen. Im Übrigen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auch in seinem Schriftsatz vom 2. Februar 2024 an den Senat keine Erklärung dafür geboten, warum er das seit dem 28. November 2023 abholbereit auf seinem Server vorhandene Urteil erst eine Woche später entgegengenommen haben will. Auch das hätte nahegelegen.

Aus den zuvor dargestellten Umständen ergibt sich zugleich, dass der Nachweis einer Kenntnisnahme des Urteils durch den Prozessbevollmächtigen der Klägerin mit dem erforderlichen Annahmewillen am 28. November 2023 für den Senat erbracht ist (vgl. hierzu die von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zitierte Entscheidung: OVG NRW, Beschl. v. 10.11.2020 - 2 B 1263/20 -, juris; dort offengelassen). Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass das Fehlen des elektronischen Empfangsbekenntnisses für eine Zustellung auf elektronischem Wege keinen Mangel der Zustellung begründet, sondern lediglich die Frage des Nachweises derselben betrifft (vgl. nur BayVGH, Beschl. v. 10.7.2023 - 12 BV 23.293 -, juris Rn. 3 ff. m.w.N.).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).