Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.09.2009, Az.: 11 LB 487/07

Ausweisungsgrund; Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung; IGMG; Niederlassungserlaubnis; Vorstand; Vorstandsmitglied; islamische Gemeinschaft Milli Görüs

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.09.2009
Aktenzeichen
11 LB 487/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 45306
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2009:0915.11LB487.07.0A

Fundstellen

  • AUAS 2009, 251-252
  • DVBl 2009, 1400
  • ZAR 2009, 396

Amtlicher Leitsatz

Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob ein Mitglied bzw. früheres Vorstandsmitglied einer Ortsgruppe der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet und damit der Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5a AufenthG der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis entgegen steht.

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

2

Die 1973 geborene Klägerin, die türkische Staatsangehörige ist, reiste 1993 mit einem Visum zum Ehegattennachzug in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie lebt mit ihrem türkischen Ehemann zusammen, welcher über eine Niederlassungserlaubnis verfügt. Ihr Ehemann ist seit 1996 mit einem Schuh- und Schlüsseldienst selbständig tätig und bestreitet so den Lebensunterhalt für die Familie. Am 15. Dezember 2005 wurde ihr gemeinsamer Sohn geboren, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

3

Der Beklagte erteilte der Klägerin erstmalig am 12. Oktober 1994 eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die in der Folgezeit wiederholt verlängert wurde, zuletzt bis zum 5. Juni 2005. Am 2. Juni 2005 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

4

Im Rahmen der Prüfung des Antrages wandte sich der Beklagte auch an das Niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz. Dieses erhob mit Schreiben vom 24. Juni 2005 Bedenken gegen die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis an die Klägerin. Zur Begründung gab es an, aus einer ihm vorliegenden internen Liste der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) gehe hervor, dass die Klägerin im Jahr 2002 im Vorstand der IGMG im Bezirk Hannover in der Filiale A. tätig gewesen sei. Die IGMG verfolge langfristig die Errichtung einer auf der Scharia, dem islamischen Recht, beruhenden Ordnung. Dieses Ziel stehe im Gegensatz zu demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien und verletze die Menschenwürde. Damit würden unantastbare Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung berührt. Der Tatbestand der aktiven Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 54 Nr. 5a AufenthG sei durch die Vorstandstätigkeit der Klägerin erfüllt. Sie müsse sich die verfassungsfeindlichen Ziele der Organisation zurechnen lassen, zumal Vorstandspositionen in der Regel nur den Personen übergeben würden, die loyal zu den Zielen der Organisation stünden.

5

Mit Schreiben vom 16. September 2005 hörte der Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten Ablehnung ihres Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sowie der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis an. Daraufhin erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 6. Oktober 2005, dass die IGMG in ihrer erklärten und praktizierten Politik keine verfassungsfeindlichen Ziele verfolge. Sie selbst habe weder innerhalb der IGMG noch außerhalb gegen die Bundesrepublik Deutschland oder gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gewirkt. Vielmehr habe sie immer die Werte der hiesigen Grundordnung unterstützt. Sie lebe seit über zehn Jahren in Deutschland und schätze die freiheitliche demokratische Grundordnung, die gewährleiste, dass Menschen aller Herkunft miteinander friedlich leben können. Ihre Tätigkeit in der IGMG sei sozialer Natur gewesen. Sie habe Wohnungs-, Feiertags- und Krankenbesuche abgestattet und für bedürftige Menschen in ihrer Umgebung gesorgt. Zudem habe sie Kindern Nachhilfeunterricht gegeben, soweit sie es gekonnt habe.

6

In der Stellungnahme des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport zu einer die Klägerin betreffenden Landtagseingabe vom 18. April 2006 wird ausgeführt, dass die IGMG auch aktuell als extremistisch einzuschätzen sei. Als Funktionärin der IGMG müsse sich die Klägerin die verfassungsfeindlichen Ziele der Organisation nicht nur zurechnen lassen, es sei nach der fachlichen Bewertung des Niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz vielmehr davon auszugehen, dass sie im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Umsetzung der Programmatik und zum Fortbestand der Organisation beigetragen habe. Sie habe eine karitative Tätigkeit und eine Mitarbeit im Frauenverband der IGMG eingeräumt. Ihr Ehemann habe angegeben, dass sie Koranunterricht für Frauen erteilt habe. Nach den Erkenntnissen des Niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz habe die Vorsitzende der Frauengruppe im Vorstand einen Sitz, um die Interessen der Familien zu vertreten. Die weiblichen Vorstandsmitglieder gingen ihrer Tätigkeit ideologisch genauso engagiert nach wie ihre männlichen Kollegen. Die Klägerin habe ihre Funktion in der IGMG seit ihrer Schwangerschaft wegen gesundheitlicher Probleme nicht mehr wahrgenommen. Dieser Sachverhalt allein lasse sich jedoch nicht als eine bewusste Abkehr von der Organisation werten.

7

Mit Bescheid vom 26. Juli 2006 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sowie die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis ab. Zudem forderte er sie unter Fristsetzung und Abschiebungsandrohung zur Ausreise auf. Zur Begründung führte er aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zwar erfüllt seien. Hier liege jedoch ein Ausweisungsgrund nach § 54 Nr. 5a AufenthG vor, so dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zwingend zu versagen sei. Durch die enge Beziehung der Klägerin zur IGMG und ihr Engagement in dieser Organisation sei der Tatbestand der aktiven Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfüllt. Wegen des damit bestehenden Ausweisungsgrundes komme auch eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nicht in Betracht. Aufgrund der Personensorge für ihr deutsches Kind sei jedoch beabsichtigt, ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland langfristig zu dulden.

8

Die Klägerin hat am 23. August 2006 Klage erhoben.

9

Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass sie wegen ihrer Verbindung zur IGMG nicht die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5a AufenthG erfülle. Unstreitig setze die IGMG keine Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele ein. Selbst bei einer Organisation, die zur Durchsetzung politischer Ziele Gewalt anwende und in der Bundesrepublik Deutschland verboten sei, reiche nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein die Mitgliedschaft in der Organisation nicht aus, um eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzunehmen. Vielmehr müsse sich die von der Mitgliedschaft in der Organisation ausgehende Gefahr in der Person des Betreffenden konkretisieren. Dies müsse erst recht gelten, wenn die Organisation überhaupt keine Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele anwende. Eine solche Gefahr ginge von ihr nicht aus.

10

Die Klägerin hat beantragt,

  1. den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 26. Juli 2005 zu verpflichten, ihr eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen,

  2. hilfsweise zu verpflichten, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern.

11

Der Beklagte hat beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

12

Zur Begründung hat er auf den angefochtenen Bescheid verwiesen und die darin dargelegten Erwägungen weiter vertieft.

13

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 26. Juli 2006 verpflichtet, der Klägerin eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.

14

Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Klägerin alle Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erfülle und in ihrer Person auch kein Ausweisungsgrund vorliege. Der Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass die Klägerin den Regelausweisungsgrund des § 54 Nr. 5a AufenthG erfülle. Zwar handele es sich bei der IGMG um eine Organisation, welche verfassungsfeindliche Ziele verfolge. Dies ergebe sich im Einzelnen aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Mai 2005 (7 A 10953/04.OVG ). Entgegen der Auffassung des Beklagten führe jedoch die Mitgliedschaft und auch die Vorstandstätigkeit der Klägerin in dieser verfassungsfeindlichen Organisation, die nicht nach dem Vereinsgesetz verboten sei, nicht automatisch zum Vorliegen einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, wie es § 54 Nr. 5a AufenthG verlange. Der Ausländer müsse persönlich eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Bei einer Betätigung für eine Vereinigung, die verboten sei oder verboten werden könne, müsse sich daher der vereinsrechtliche Verbotsgrund der Gefährdung der inneren Sicherheit nach polizeirechtlichen Grundsätzen in der Person des Ausländers konkretisiert haben. Eine solche Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch die Klägerin könne nicht erkannt werden. Die von ihr eingeräumte karitative und soziale Tätigkeit für die IGMG - auch als Vorsitzende des Frauenverbandes im Vorstand - sei nicht zwingend mit politischen oder sicherheitsrelevanten Inhalten verbunden. Der Beklagte habe hierzu in seinem Bescheid, ebenso wie das Niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz und das Niedersächsische Innenministerium in ihren Stellungnahmen, auch keine näheren Ausführungen gemacht, sondern im Ergebnis allein aus der Mitgliedschaft der Klägerin in der IGMG und ihrer Tätigkeit in deren Vorstand auf eine Gefährdung im Sinne des § 54 Nr. 5a AufenthG geschlossen. Konkrete Anhaltspunkte und nachvollziehbare Belege für eine von der Klägerin persönlich ausgehende Gefährdung seien nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.

15

Auf Antrag des Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 11 LA 194/07 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen.

16

Zur Begründung der Berufung trägt der Beklagte vor, dass dem Umstand besondere Bedeutung beizumessen sei, dass türkische Jugendliche, Studenten und Frauen im Mittelpunkt der zielgruppenorientierten Betreuungs- und Bildungsarbeit der IGMG stünden, so dass der Tätigkeit der Klägerin entsprechendes Gewicht zukomme. Zu berücksichtigen sei auch, dass sie nicht nur einfaches Mitglied, sondern Vorstandsmitglied der IGMG im Bezirk Hannover, Filiale A., sei. Sie sei als Frauenvorstand nicht gewählt, sondern durch den Vorstand des Dachverbandes bestimmt worden. Außerdem habe sie tatsächliche Basisarbeit geleistet und u.a. Koranunterricht erteilt. Es sei davon auszugehen, dass Vorstände, die nicht gewählt, sondern durch eine übergeordnete Institution ernannt würden, fest in der Organisation verankert seien und deren Ziele mittragen würden. Als mehrjährige Funktionärin müsse sich die Klägerin die verfassungsfeindlichen Ziele der Organisation zurechnen lassen. Dass sie derzeit nicht wesentlich in der IGMG aktiv sei, sei primär auf das anhängige Gerichtsverfahren zurückzuführen. Eine innere und äußere Abkehr von den extremistischen Zielen der IGMG sei nicht zu erkennen. Sofern sie erklärt habe, nicht mehr Mitglied der IGMG zu sein, habe sie dies nicht belegt. Im Rahmen der erforderlichen Abkehr sei weiter durch eine eidesstattliche Versicherung nachzuweisen, dass sie keinerlei Unterstützungsarbeit in persönlicher noch in finanzieller Hinsicht mehr leiste. Zudem nutze sie nach ihrem Vorbringen weiter die Moschee, so dass fraglich sei, inwiefern eine Abkehr überhaupt stattgefunden habe.

17

Der Beklagte beantragt,

  1. das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

18

Die Klägerin beantragt,

  1. die Berufung zurückzuweisen.

19

Zur Begründung trägt sie vor, dass die Zugehörigkeit zu einer Organisation, die in verfassungsrechtlicher Hinsicht unterschiedlich oder sogar als verfassungsfeindlich eingeschätzt werde, nicht ausreiche, um einen Gefährdungstatbestand im Sinne von § 54 Nr. 5a AufenthG annehmen zu können. Der Beklagte habe außer der Feststellung, dass sie in bestimmter Weise der IGMG verbunden sei, keine Tatsachen benannt, welche die Annahme einer konkreten Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung rechtfertigten. Es bleibe ihr im Rahmen der ihr verfassungsrechtlich verbürgten Religionsfreiheit überlassen, welche Moschee sie aufsuche, um dort ihre Gebete zu verrichten. Ebenso bleibe es ihr überlassen, in welchen Moscheen und Vereinigungen sie Koranlesungen vornehme. Sie sei derzeit kein Mitglied mehr in der IGMG, d.h. sie zahle auch keine Mitgliedsbeiträge. Dienstags und donnerstags leite sie jedoch in den Räumen der lokalen Moschee der IGMG Koranlesungen für Frauen. Die Koranlesungen seien offen für alle muslimisch interessierten Frauen unabhängig von ihrer jeweiligen Organisationszugehörigkeit.

20

Unabhängig von der Frage, wie die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs einzuschätzen sei, könne die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation als solche keinen Gefährdungstatbestand darstellen. Im Übrigen sei sie auch nicht zum Vorstandsmitglied ernannt, sondern durch die Organe ihres Vereins gewählt worden. Die Bestätigung durch die Zentrale der IGMG habe bloß deklaratorischen Charakter. Weiterhin unterstütze sie die Reformkräfte innerhalb der IGMG. Außerdem bestünden gewichtige und ernsthafte Zweifel an der Zuverlässigkeit und politischen Unvoreingenommenheit der Berichte der Verfassungsschutzbehörden in Ansehung der IGMG. Dies ergebe sich u.a. aus dem Gutachten von Prof. Dr. B.C. an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Dies gelte im Hinblick auf die darin angeführten Belege, welche die Bewertung der IGMG als verfassungsfeindlich tragen sollten und in Bezug auf die Gegenbelege vorgebracht worden seien, sowie für die auf Tatsachen beruhenden Einwände gegen die Behauptung eines fehlenden Reformprozesses.

21

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 27. Februar 2008 bestritten, dass die IGMG verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und dazu sechs Beweisanträge durch Einholung von Sachverständigengutachten angekündigt (siehe Bl. 11, 36 ihres Schriftsatzes).

22

Mit Schreiben vom 29. September 2008 hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport - Verfassungsschutz - eine ergänzende Stellungnahme zur IGMG sowie ein Gutachten von Frau Prof. Dr. D. -E. vorgelegt.

23

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 19. August 2009 ein Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 25. Juni 2009 zur Verfassungsfeindlichkeit der IGMG eingereicht.

24

Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung persönlich angehört (vgl. dazu die Sitzungsniederschrift v. 15.9.2009, Bl. 292 - 295 d. GA).

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

26

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

27

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten mit dem angefochtenen Urteil zu Recht verpflichtet, der Klägerin eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.

28

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG. Sie bzw. ihr Ehemann erfüllen die dafür nach § 9 Abs. 2 und 3 AufenthG erforderlichen Voraussetzungen. Insbesondere verfügt die Klägerin auch über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse. Nach § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist es bei Ausländern, die - wie die Klägerin - vor dem 1. Januar 2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis gewesen sind, bei der Entscheidung über die Niederlassungserlaubnis hinsichtlich der sprachlichen Kenntnisse nur erforderlich, dass sie sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen können. Wie sich aus dem angefochtenen Bescheid des Beklagten ergibt, hat dieser die mündlichen Sprachkenntnisse der Klägerin bei der Antragstellung am 2. Juni 2005 überprüft und für ausreichend befunden. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war die Klägerin dazu in der Lage, sich auf einfache Art in der deutschen Sprache zu verständigen. Dass bei komplizierteren Sachverhalten und Fragestellungen teilweise ihr Ehemann übersetzt hat, steht dem nicht entgegen. Den insoweit von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung erhobenen Bedenken kann daher nicht gefolgt werden.

29

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, liegen bei der Klägerin auch die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 5 AufenthG vor. Insbesondere steht der Erteilung der Niederlassungserlaubnis nicht § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 AufenthG entgegen. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist nach § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu versagen, wenn einer der Ausweisungsgründe nach § 54 Nr. 5 oder 5a AufenthG vorliegt. Entgegen der Auffassung des Beklagten erfüllt die Klägerin nicht den - hier allein in Betracht kommenden - Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5a AufenthG.

30

Nach § 54 Nr. 5a AufenthG wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht.

31

Da die Klägerin sich unstreitig nicht an Gewalttätigkeiten beteiligt oder zur Gewaltanwendung aufgerufen oder damit gedroht hat, könnte hier ein Ausweisungsgrund nur in der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland liegen.

32

Der Beklagte begründet eine entsprechende Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland mit den Tätigkeiten der Klägerin im Ortsverband der IGMG.

33

Für die Feststellung einer Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland reicht allein die bloße Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die ihrerseits wegen Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder der inneren Sicherheit verboten werden kann oder verboten ist, für sich genommen nicht aus (vgl. BVerwG, Urt.v. 13.1.2009 - BVerwG 1 C 2.08 -, NVwZ 2009, 727 [BVerwG 13.01.2009 - BVerwG 1 C 2.08]; Bay. VGH, Beschl.v. 17.7.2009 - 19 CS 08.2512 - u. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 -, jeweils juris; Hess. VGH, Beschl.v. 10.1.2006 - 12 TG 1911/05 -, NVwZ-RR 2007, 131 [VG Schleswig 07.11.2005 - 4 A 206/04]). Dies folgt unmittelbar aus der Systematik des § 54 AufenthG selbst. Nach § 54 Nr. 7 AufenthG erfüllt nämlich den Regel-Ausweisungstatbestand ohne weitergehende Feststellungen nur, wer zu den Leitern eines unanfechtbar verbotenen Vereins gehört. Bei einer sonstigen Betätigung für eine Vereinigung, die verboten oder zu verbieten ist, muss sich demnach der vereinsrechtliche Verbotsgrund der Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in der Person des Ausländers selbst konkretisiert haben. Der Ausländer muss daher selbst eine Gefahr darstellen (vgl. Bay. VGH, Beschl.v. 17.7.2009, a.a.O.; Hess. VGH, Beschl.v. 10.1.2006, a.a.O.; siehe auch Discher: in GK-AufenthG, Stand: Juni 2009, § 54 Rn. 603; Langeheine, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 5 Rn. 111).

34

Darüber hinaus muss eine auf Tatsachen gestützte, nicht lediglich entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts bestehen. Reine Vermutungen oder der Verdacht der Verwirklichung eines Gefährdungstatbestandes reichen für die Regelausweisung nach § 54 Nr. 5a AufenthG nicht aus. Bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts ist eine Differenzierung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlich (vgl. Discher, in: GK-AufenthG, a.a.O., § 54 Rn. 587, 590 m.w.N.).

35

Die Gefahr muss zudem gegenwärtig sein. Das ist der Fall, wenn zu erwarten ist, dass sich die Gefahr entweder aktuell oder in Zukunft verwirklicht. Vergangene Aktivitäten für eine Vereinigung können eine Gefährdung daher nur begründen, wenn aus ihnen und ggf. anderen Umständen abgeleitet werden kann, der Ausländer werde auch zukünftig eine Gefahr bilden (Discher, a.a.O., § 54 Rn. 593, 606).

36

Gemessen an diesen Maßstäben kann in dem für die Entscheidung des Senats maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Vorliegen einer Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch die Klägerin nicht festgestellt werden.

37

Allerdings geht der Senat im vorliegenden Verfahren ebenso wie die weit überwiegende Rechtsprechung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt.v. 11.6.2008 - 13 S 2613/03 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urt.v. 24.5.2005 - 7 A 10953/04.OVG - m.w.N.; VG Gelsenkirchen, Urt.v. 29.11.2007 - 17 K 5862/02 - ) davon aus, dass die IGMG als eine Organisation zu betrachten ist, die (jedenfalls: auch bzw. noch) gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Ziele verfolgt. Neuere Entwicklungen innerhalb der IGMG, die diesen Verdacht ausräumen könnten, sind zwar durchaus festzustellen; diese lassen die IGMG in heutiger Sicht aber eher als eine "diffuse", inhomogene oder im Umbruch befindliche Organisation erscheinen, von der Teile sich sowohl nach innen als auch nach außen um einen dauerhaften Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bemühen, andere Teile dagegen weiterhin verfassungsfeindliche Auffassungen vertreten.

38

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat dazu in seinem - nicht rechtskräftigen - Urteil vom 11. Juni 2008 (- 13 S 2613/03 -, juris; Revisionsverfahren anhängig beim BVerwG unter BVerwG 5 C 24.08) Folgendes ausgeführt:

"...dies ergibt sich aus ihrer Geschichte und ihrer (auch personellen) Verflechtung mit der türkischen Bewegung von Milli Görüs, mit deren Publikationsorganen und den diese Bewegung tragenden islamistischen Parteien in der Türkei. Bei dieser Bewertung zieht der Senat nicht nur die Selbstdarstellung der IGMG und ihre Satzungen oder offiziellen Verlautbarungen, sondern auch die tatsächliche Organisationspolitik, Äußerungen und Aktivitäten von Funktionären und Anhängern, Schulungs- und Propagandamaterial und der IGMG zurechenbare Publikationen als Entscheidungsgrundlage heran (vgl. dazu Bay. VGH, Beschluss vom 7.10.1993 - 5 CE 93.2327 -, NJW 1994, 748 [VGH Bayern 07.10.1993 - 5 CE 93.2327]; Hess. VGH, Beschluss vom 7.5.1998 - 24 DH 2498/96 -, NVwZ 1999, 904, jeweils zum Parteienrecht), und in diesem Zusammenhang sind auch Erkenntnisse des Verfassungsschutzes - wenn auch mit minderem Beweiswert - verwertbar (s. etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 7.4.2006 - 3 Bf 442/03 -, NordÖR 2006, 466 [OVG Hamburg 07.04.2006 - 3 Bf 442/03] und BVerfG, Beschluss vom 27.10.1999 - 1 BvR 385/90 -, BVerfGE 101, 126; s. auch Berlit a.a.O. Rn 76 f. und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.5.2001 a.a.O. betreffend ICCB; zur Beweislast im Verfassungsschutzrecht siehe auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.11.2006 - 1 S 2321/05 -, bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 21.5.2008 - 6 C 13.07, betr. IGMG). Als durch die Tätigkeit der Organisation gefährdete Verfassungsrechtsgüter kommen hier insbesondere das Demokratieprinzip, die Existenz und Geltung der Grundrechte, der Gedanke der Volkssouveränität und das Gebot der Bindung an Recht und Gesetz in Betracht (zum Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG und ihren Elementen s. Berlit a.a.O. Rn 108 f. insbesondere 111; s. auch Dollinger/Heusch a.a.O.m.w.N.).

Der Verdacht einer Gefährdung dieser Rechtsgüter folgt aus dem der IGMG nach ihrer Herkunft, Einbettung und Positionierung zuzurechnenden Ziel der absoluten Vorherrschaft islamischen Rechtsverständnisses bzw. des Vorrangs islamischer Ge- oder Verbote - etwa der Scharia - vor den nach den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaats zustande gekommenen Rechtsnormen der Bundesrepublik und dem allgemein von Milli Görüs (global) postulierten Konflikt zwischen der westlichen und der islamischen Welt, der alle Lebensbereiche umfassen und mit einem Sieg des Islam enden soll. Dieses Endziel ist als solches inzwischen in der IGMG zwar nicht mehr allein herrschend und sogar in Frage gestellt (s. dazu unten 2), andererseits jedoch noch nicht mit der einbürgerungsrechtlich erforderlichen Klarheit überwunden. Im einzelnen:

Der Senat geht davon aus, dass es für die Annahme entsprechender Einbürgerungsbedenken nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG noch nicht ausreicht, dass die IGMG durch die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder seit Jahren beobachtet wird (vgl. dazu aber auch BVerwG, Beschluss vom 13.10.1998 - 1 WB 86/97 -, NVwZ 1999, 300 zum Beamtenrecht); es kommt vielmehr zunächst auf eine eigene gerichtliche Gesamtbewertung der Organisation des Klägers an.

Wie in den zuletzt ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen im einzelnen dargestellt, in zahlreichen Darstellungen über die IGMG belegt und im wesentlichen auch bei Zugrundelegung des Klägervortrags unstreitig ist (s. dazu VG Gelsenkirchen a.a.O., S. 13 f. des Urteilsabdrucks; OVG Koblenz a.a.O., S. 8 ff. des Urteilsabdrucks; VG Berlin, S. 7 ff. des Urteilsabdrucks; vgl. auch ..., Die IGMG, Anlage Gutachten ...; Verfassungsschutzbericht - VB - Nordrhein-Westfalen 2007 , Nr. 6.12; VB Bad.-Württ. 2007 , Nr. 4.5 VB.Bund 2007 , Nr. 2.1; "IGMG-Selbstdarstellung" S. 9 f.) geht die IGMG auf türkische religiöse Gemeinden zurück, die Anfang der 70iger Jahre des letzten Jahrhunderts von türkischen Arbeitsimmigranten gegründet worden waren; zunächst herrschte ein starker Bezug zur Türkei und zu türkischen Parteien vor, wobei der Anschluss an dortige islamische Gruppierungen gesucht wurde. Dazu gehörte die 1972 gegründete religiöse Heilspartei (MSP) unter ihrem Führer N.... E...., der Mitte der 70iger Jahre die Parteiprogrammatik "Milli Görüs" in einem Buch mit diesem Titel konzipiert hatte. Es ging damals um die Entwicklung der Türkei und ihre Hinwendung zur islamischen Welt. Nach dem Verbot der MSP in der Türkei (1980) organisierten sich die Milli-Görüs-Gemeinden in der Türkei mit Unterstützung der MSP-Nachfolgepartei RP (Refah-Partisi; Wohlfahrtspartei), die ebenfalls von Necmettin Erbakan geführt wurde. 1996 bis Juni 1997 war Erbakan türkischer Ministerpräsident. Anfang 1998 wurde die RP wegen ihrer Bestrebungen gegen die laizistische Staatsordnung in der Türkei (Trennung Kirche - Staat) verboten; auch die Nachfolgepartei Fazilet Partisi (Tugendpartei) wurde aufgelöst (2001). Danach spaltete sich die Bewegung in die Saadet-Partisi (SP; Glückseligkeitspartei) unter Erbakan einerseits und die AKP unter der Führung von Erdogan andererseits; die IGMG verblieb im Lager der SP, die gegenwärtig in der Türkei allerdings praktisch keine politische Bedeutung mehr hat (Wahlergebnis 2007: unter 3 %, siehe VB Bund 2007 S. 197) und der Erbakan formell auch nicht mehr angehört. Er gilt allerdings nach wie vor als ihre Führungsfigur. Von der IGMG (Vorläufer: AMGT) spaltete sich 1984 die Bewegung um den sog. Kalifatsstaat (unter Kaplan) ab; zahlreiche Mitglieder und Funktionäre (nach Schätzungen ca. 2/3) verließen damals die IGMG. Zum Wiederaufbau der Organisation entsandte Erbakan Anhänger und Funktionäre nach Deutschland (VB Nordrhein-Westfalen 2007, S. 110). Im Jahr 1995 organisierte sich die IGMG vereinsrechtlich neu. Unter dem Namen EMUG existiert neben ihr eine weitere rechtsfähige Milli-Görüs-Vereinigung, die sich mit Grundstücksverwaltung und Moscheebau beschäftigt, aber (auch personell) mit der IGMG verflochten ist.

Die geschichtliche enge Verbindung zur Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei, die bereits in der Beibehaltung des Begriffs "Milli Görüs" im Namen der IGMG zum Ausdruck kommt, wird u.a. in engen und dauerhaften Kontakten deutlich, die nach wie vor zwischen der IGMG und dieser Bewegung in der Türkei bzw. der von ihr getragenen SP bestehen. Dies zeigt sich - wie die Verfassungsschutzberichte einheitlich belegen - nicht nur in der allgemeinen Zielsetzung der IGMG, die Milli-Görüs-Bewegung als solche zu stärken und zu unterstützen, sondern auch in der Teilnahme hoher Funktionäre der SP an Veranstaltungen der IGMG und umgekehrt, in dem Inhalt der Redebeiträge von SP-Funktionären bei Veranstaltungen der IGMG und in der häufigen Zuschaltung von Erbakan zu IGMG-Veranstaltungen, bei denen für Milli Görüs als Bewegung geworben wird. Auch existieren enge personelle Verbindungen zwischen Erbakan und seiner Familie und der IGMG. Ein Neffe Erbakans war längere Zeit Vorsitzender der IGMG in Deutschland, und der Generalsekretär der Parallelorganisation EMUG, ..., ist mit Erbakans Familie verschwägert (zu ihm siehe VB Bund 2007, S. 193 und Drobinski in SZ vom 13.3.2008). Es gehört schließlich auch zum "Besuchsprogramm" von IGMG-Angehörigen, wenn diese sich in der Türkei aufhalten, Erbakan und/oder Funktionäre der SP aufzusuchen (auch wenn dies konkret für den Kläger des vorliegenden Verfahrens nicht gilt). Die Funktion von Erbakan als in seiner Autorität unbestrittener "Doyen" der Milli-Görüs-Bewegung wird auch in der Einstellung der IGMG-Funktionärselite ihm gegenüber deutlich, die nicht nur von kulturell bedingtem Respekt gegenüber einer älteren Führungsfigur geprägt ist, sondern durchaus einkalkuliert, dass ein ernsthaftes Infragestellen der Person Erbakans und seiner Ziele die IGMG in die Gefahr einer Spaltung stürzen würde.

Hier findet offenbar die sonst bemerkenswert weit entwickelte Diskursfähigkeit der höheren Funktionäre der IGMG, z.B. ihres in der mündlichen Verhandlung angehörten Generalsekretärs, aber auch sonstiger sich öffentlich äußernder Führungspersönlichkeiten, ihre Grenze. Die durchaus nicht selten öffentlich bekundete Bereitschaft solcher Funktionsträger, sich sachlich/inhaltlich mit Erbakan kritisch auseinanderzusetzen, wird sozusagen in den von außen nicht einsehbaren internen Bereich verschoben; Erbakan wird nach wie vor als Integrationsfigur aufgefasst und verehrt (siehe etwa Ücüncü im Interview mit der taz vom 11.8.2004). Dies mag auch historisch erklärbar sein (zur Fähigkeit zu internen Auseinandersetzungen in der Milli Görüs anlässlich des Abfalls von Kaplan siehe etwa Schiffauer, Die Gottesmänner, 2000, S. 147), dient offenbar aber auch dazu, einen jedenfalls intern als ausreichend stark eingeschätzten "Erbakan-Flügel" nicht vor den Kopf zu stoßen. Jedenfalls ist die Folge dieser Zurückhaltung, dass Erbakan-Zitate und -Ziele der IGMG zuzurechnen sind. Das bedeutet andererseits nicht, dass mit der erforderlichen Distanzierung von Erbakan einbürgerungsrechtlich von der IGMG eine (möglicherweise integrationspolitisch kontraproduktive) "symbolische Unterwerfung" verlangt würde (vgl. dazu Schiffauer, zit. bei Minkmar in FASZ vom 17.12.2006).

Auf eine nach wie vor bestehende Milli-Görüs-Bindung deutet die Rolle hin, die der Tageszeitung "Milli Gazete" für die IGMG und ihre Mitglieder zukommt. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass die Milli Gazete als Zeitung - jedenfalls inzwischen - von der IGMG personell und redaktionell getrennt ist und dass die IGMG eine eigene Monatszeitschrift - "Milli-Görüs-Perspektive" -herausgibt und unter ihren Mitgliedern verteilt; dies ändert aber nichts daran, dass die Milli Gazete als Tageszeitung großen publizistischen Einfluss auf die Mitgliederschaft der IGMG ausübt. Sie ist nach Auffassung des Senats auch ohne offiziellen IGMG-Publikationscharakter doch als Sprachrohr der Milli-Görüs-Bewegung und jedenfalls insofern auch der IGMG zuzurechnen. In diesem Punkt folgt der Senat der entsprechenden Bewertung der Verfassungsschutzämter, die z.B. entsprechende (gegenseitige) Werbeaktionen und Inserierungen hervorheben (siehe etwa VB Nordrhein-Westfalen 2007 S. 111, 112). In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger selbst ohne weiteres eingeräumt, dass die Mitglieder seines Ortsverbandes generell die Milli Gazete beziehen und lesen. Selbst wenn die Milli Gazete eine kleinere Auflage als die "Milli-Görüs-Perspektive" haben mag, so hat sie doch als Tageszeitung gegenüber der monatlich erscheinenden offiziellen "Perspektive" ein traditionell hohes Gewicht bei der Information und Meinungsbildung der IGMG-Mitglieder. Das bedeutet nicht, dass sämtliche in der Milli Gazete abgedruckte Artikel ohne weiteres als Auffassung der IGMG gewertet werden können; die IGMG muss sich aber jedenfalls diejenigen Auffassungen zurechnen lassen, die sozusagen "milli-görüs-typisch" sind, also mit einer gewissen Regelmäßigkeit, Intensität oder Häufigkeit publiziert werden und ihrerseits mit den Auffassungen Erbakans oder der SP übereinstimmen oder diese propagieren. Das gleiche gilt für den (auch von dem Kläger benutzten) türkischen TV-Sender TV 5, soweit dieser die Ideologie der Milli Görüs transportiert und verbreitet; der Sender soll dafür sorgen, dass das Anliegen von Milli Görüs in der Türkei wieder den verdienten Platz einnehmen soll (s. VB Bad.-Württ. 2007, S. 64). TV 5 berichtet regelmäßig über Milli-Görüs-Vereine in Europa, z.B. darüber, dass Milli-Görüs-Vereine durch ihre Jugendarbeit auf eine Islamisierung Europas hinarbeiten (VB Bad.-Württ., a.a.O.S. 65). Ebenso sind der IGMG die unmittelbar von Erbakan stammenden Erklärungen und Publikationen zuzurechnen, insbesondere die - auch im Besitz des Klägers befindliche - programmatische Schrift "Milli Görüs" von 1975, das in den 70iger Jahren erstellte Konzept "Adil Düzen" - eine Art "Manifest" von Milli Görüs (siehe VB Nordrhein-Westfalen 2007, S. 109) - und die weiteren Äußerungen Erbakans, die teilweise auf türkische Parteien und allgemein die Milli-Görüs-Bewegung bezogen sind, teilweise aber auch im Zusammenhang mit Veranstaltungen der IGMG abgegeben wurden. Danach stellt sich die (auch) von der IGMG vertretene politische "Ideologie" von Milli Görüs wie folgt dar:

In ihren offiziellen Verlautbarungen (Selbstdarstellung, Satzungen) bezeichnet sich die IGMG als Gesellschaft zur "religiösen Wegweisung", deren Aufgabe es ist, den Mitgliedern bei der Erfahrung der Gottesnähe zu helfen, durch Sinnsetzungen, Erklärungen und Deutungen Halt im diesseitigen Leben zu geben und sie bei der Praktizierung der Gottesdienste zu unterstützen ("Selbstdarstellung" S. 16); die einzelnen Abteilungen der IGMG haben spezielle Aufgaben. Sowohl in ihrer "Selbstdarstellung" (S. 24) als auch in ihrer Satzung (Ziff. 3 Abs. 7) erklärt die IGMG, sie bekenne sich zu einer pluralistischen Gesellschaft, in der verschiedene Religionen und Kulturen zusammenleben, zur Rechtsstaatlichkeit und zur Religionsfreiheit und sehe die freiheitlich-demokratische Grundordnung als Basis für ein auf Frieden, Toleranz und Harmonie aufbauendes gesellschaftliches Leben an (Selbstdarstellung a.a.O.); die Satzung spricht ausdrücklich davon, die IGMG achte und schütze die verfassungsmäßig garantierten Rechte und sei loyal gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (a.a.O.). Sowohl die Äußerungen Erbakans als auch die nach den obigen Grundsätzen der IGMG zuzurechnenden publizistischen Äußerungen weisen jedoch (auch) in eine andere Richtung.

Die Wahlkampfauftritte Erbakans im Vorfeld der türkischen Parlamentswahlen im Juli 2007 verdeutlichen demgegenüber, dass Erbakan unverändert an seinen ideologischen Standpunkten festhält und nach wie vor Imperialismus, Rassismus und Zionismus als zerstörerische, gegen das türkische Volk gerichtete Kräfte anprangert; das Ziel von Milli Görüs ist danach, wieder eine "Großtürkei" zu etablieren und das türkische Volk erneut zum Herrn über die Welt zu machen (s. VB.Bund 2007, S. 195 mit Zitat Milli Gazete vom 19.7.2007, S. 9). Erbakan geht es nach wie vor um die "Befreiung" Istanbuls, der islamischen Welt und der Menschheit; Erbakan bezeichnet dies als "heiligen Krieg" (a.a.O.S. 196; Milli Gazete vom 15.6.2007, S. 1 und vom 20.7.2007, S. 1). Nach der von Erbakan entwickelten Ideologie "Adil Düzen" ist die Welt in die auf dem Wort Gottes fußende religiös-islamische Ordnung einerseits und die westliche Ordnung der Gewalt und Unterdrückung andererseits aufgeteilt; der letzteren (Batil Düzen) spricht Erbakan jede Existenzberechtigung ab. Die gerechte Ordnung (Adil Düzen) soll dagegen alle Lebensbereiche erfassen und zunächst in der Türkei und danach in der ganzen Welt verwirklicht werden. Zu den klassischen Feindbildern gehört außer der westlichen Welt auch der Staat Israel - meistens als "Zionisten" umschrieben -, ferner Kommunismus, Imperialismus, Kapitalismus und Christentum (s. Gutachten ..., S. 26; VG Nordrhein-Westfalen 2006 S. 208). Auch der der IGMG gegenüber eher vorsichtig-optimistisch eingestellte Gutachter ... räumt zur Schrift Adil Düzen von Erbakan ein, dass das Adil-Düzen-Konzept mit individuellen Freiheitsrechten, wie sie im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet werden (vgl. Berlit a.a.O. Rn 108 f. zu § 11), unvereinbar ist (Gutachten ..., S. 8). Auch nach ... knüpft das Rechtsverständnis Erbakans nicht an Gesetze an, die auf demokratischem Weg zustande gekommen sind, sondern an zeitlose islamische Prinzipien und kulturelle Vorstellungen (Schiffauer, a.a.O., S. 7 f.). Selbst wenn die Äußerungen Erbakans - soweit sie über bloße Grußbotschaften hinausgehen - in der letzten Zeit im Ton maßvoller und abstrakter/allgemeiner geworden sein mögen, wie der Generalsekretär der IGMG in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, lässt sich ein Sinneswandel jedenfalls in der Person dieses für Milli-Görüs-Mitglieder offenbar immer noch charismatischen Führers von Milli Görüs nicht feststellen.

Bestätigt wird dies durch Äußerungen von Mitgliedern und Funktionären der IGMG in Deutschland bzw. von Milli Görüs in der Türkei, die regelmäßig und in der Zielsetzung gleichlautend in der Milli Gazete veröffentlicht werden. Dass die Veröffentlichungen in der Milli Gazete Bestandteil der Milli-Görüs-Bewegung sind, ist bereits dargestellt worden, die Milli Gazete sieht sich selbst als "Kanal", um der Nation die "Rettungskonzepte" der Milli Görüs zu überbringen (s. Milli Gazete vom 27.6.2006, VB.Bund 2006 S. 245). Bezeichnend ist insofern das Zitat des Generaldirektors der Türkeiausgabe der Milli Gazete vom 20.7.2005 (VB-Bund 2005, 219): "Selbst wenn die Milli Gazete aus einem leeren weißen Blatt bestünde, auf dem nur Milli Gazete steht, müsst ihr die Milli Gazete kaufen, um Milli Görüs zu unterstützen ... Wir müssen Gott dafür danken, dass wir Leute der Milli Gazete und damit der Milli Görüs sind, die die Wahrheit sagt und sich auf die Seite der Wahrheit und desjenigen, der im Recht ist, stellt". Nach der Auffassung der Milli Görüs ist das Gesetz nicht weltlichen, sondern göttlichen Ursprungs; ein gesetzgebendes Organ ist nicht notwendig (s. VB Bund 2006, S. 247; Flyer der IGMG Nürtingen); das Ordnungssystem des Islam lehnt ein säkulares (weltliches) Rechtssystem ab (Milli Gazete vom 5.7.2005, VB Bund 2005, S. 217), und der langjährige Funktionär der IGMG ... sagte auf einer Veranstaltung der Jugendorganisation in der Türkei, die in Europa lebenden Auswanderer "folgen den Befehlungen unseres Hodscha Erbakan. Wir haben niemals unser Hemd ausgezogen und werden es auch nie tun" (Milli Gazete vom 29.5.2006, VB Nordrhein-Westfalen 2006, 213). Das Gutachten ... (S. 9 f.), dem der Senat hier folgt, führt aus, dass nach dem Islamverständnis der IGMG die Befolgung der Scharia in der Interpretation von Milli Görüs erforderlich sei; Ziel sei die Herrschaft des Islam in der politischen Ausrichtung von Erbakan. Seit langem wird dementsprechend in der IGMG die Auffassung vertreten, weltliche Herrschaft verfüge über kein Einspruchsrecht gegen einen einzigen Vers im Buch Gottes; wer ein anderes System als das System Gottes wolle, verursache im gesellschaftlichen Gefüge ein Erdbeben (Milli Gazete vom 27.7.2004, VB Bund 2004, 216).

Im Innern ist die Milli-Görüs-Bewegung - der Rolle Erbakans entsprechend - nach dem Führerprinzip aufgebaut; dies gilt jedenfalls für die Jugendorganisation (s. Milli Gazete vom 8.11.2007, VB Baden-Württemberg S. 69). Dementsprechend wurde auf dem ersten Internationalen Milli-Görüs-Symposium Ende Oktober 2006 in Istanbul der Leitgedanke vom Aufbau einer neuen Weltordnung auf der Grundlage der Milli Görüs propagiert; ihr Gegenbild ist die "rassistische unterdrückerische, kolonialistische Ordnung" (VB Baden-Württemberg S. 68 mit Hinweis auf eine Webseite vom 27.10.2006). In den Augen Erbakans (Äußerung auf einer SP-Veranstaltung in Istanbul) wird die Menschheit heute mit dem "Demokratie-Spiel" hereingelegt; die Demokratie sei kein Regime mehr, in dem sich das Volk selbst regiere, sondern sie werde zu einem Regime, das das Volk für seine Zwecke instrumentalisiere (Milli Gazete vom 15.10.2007, S. 1 und 8, VB.Bund 2007, 197). Sogar bei der aus Milli-Görüs-Sicht wesentlich gemäßigteren (und deshalb mehrfach von Erbakan angegriffenen) AKP scheint der Slogan, die Demokratie sei wie eine Straßenbahn, bei der man aussteige, wenn man sein Ziel erreicht habe, gängig zu sein (siehe Gutachten ... S. 37). Aufgabe des einzelnen Milli-Görüs-Anhängers ist es in dieser Sicht, die notwendigen Maßnahmen dafür zu treffen, dass der Islam zur Herrschaft gelangt (Milli Gazete vom 9.6.2007, S. 17, VB Bund 2007, 201). Insofern weist die Tätigkeit für Milli Görüs jedenfalls in den Augen eines Mitglieds der Jugendabteilung der IGMG Düsseldorf durchaus Elemente einer Mission und eines Kampfes (ohne Kompromisse) auf (Internetseite der Jugendabteilung der IGMG Düsseldorf, 16.10.2007, VB Bund 2007, S. 202).

Insgesamt ergibt sich aus diesen Verlautbarungen, dass jedenfalls wesentliche Strömungen innerhalb der IGMG den Leitideen Erbakans folgend einen Absolutheitsanspruch verfolgen, der mit der Ablehnung westlicher Werte, des westlichen Staatssystems, der Freiheitsrechte und insbesondere des grundgesetzlichen Prinzips der Volkssouveränität und der Geltung der verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetze nicht vereinbar ist. Zwar wirkt auch eine in traditionalistischen religiösen Überzeugungen gründende antiemanzipatorische und patriarchalische Grundhaltung als solche noch nicht einbürgerungshindernd (so Berlit a.a.O. Rn 109); die Milli-Görüs-Bewegung verlässt in den genannten Zielen jedoch den grundrechtlich durch Art. 4 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Raum. Wenn die weltliche Gewalt uneingeschränkt religiös-weltanschaulichen Geboten unterworfen wird, die ihrerseits verbindliche Vorgaben für die Gestaltung der Rechtsordnung enthalten, Auslegungsrichtlinien für die Auslegung und Anwendung staatlicher Rechtsgebote darstellen und im Konfliktfall sogar Vorrang vor dem staatlichen Gesetz genießen sollen, gefährdet dies im Sinn des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG die freiheitliche demokratische Grundordnung. Nach der Weltanschauung von Milli Görüs darf die Politik z.B. ihre Unabhängigkeit von der Scharia gerade nicht erklären (s. Milli Gazete von 5.7.2005, VB.Bund 2005, S. 217).

Allerdings ist nicht zu verkennen - und davon geht auch der Senat im vorliegenden Verfahren aus -, dass die IGMG trotz ihrer Verwurzelung in der türkischen Milli-Görüs-Bewegung, trotz der engen Verbindung mit deren eigenen Publikationen und trotz der oben dargestellten personellen und organisatorischen Kontakte zu Erbakan und zur SP zum gegenwärtigen (entscheidungserheblichen) Zeitpunkt nicht mehr als eine homogene und - bezogen auf die Frage der Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung - in ihrer Zielrichtung einheitliche Bewegung anzusehen ist. Die IGMG selbst nimmt für sich in öffentlichen Verlautbarungen - bekräftigt durch ihren Generalsekretär in der mündlichen Verhandlung - in Anspruch, hinsichtlich ihrer Verfassungsnähe verglichen mit der ersten Immigrantengeneration, also sozusagen den "Gründervätern", einen aus der Sicht der freiheitlichen demokratischen Grundordnung relevanten Wandel durchgemacht zu haben (vgl. auch dessen Interview in der TAZ vom 7.5.2004, S. 4-5), und die Existenz reformorientierter Kreise innerhalb der IGMG mit dem Ziel, sich von den ursprünglichen politischen Idealen der Milli-Görüs-Bewegung Erbakans abzusetzen und die Integration der türkischen Muslime in Deutschland auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes zu fördern, wird auch sonst anerkannt. Sie ergibt sich z.B. schon aus den im Gutachten ... herausgestellten Äußerungen des früheren Generalsekretärs M.S. Erbakan (s. Gutachten S. 11 ff., 14, 28, insbesondere 16-30), und auch das Gutachten ... stellt -wenngleich zurückhaltender - unterschiedliche Strömungen und Positionen innerhalb der IGMG fest (S. 48 f.). Wenn dieses Gutachten gleichwohl "reformatorische Ansätze ... von der Führungsspitze her" nicht erkennt (a.a.O.S. 48), so schließt sich dem der Senat in dieser Zuspitzung nicht an. Bereits die Abspaltung und Gründung der AKP von der SP und deren Niederlage bei den Parlamentswahlen in der Türkei im November 2002 haben innerhalb der IGMG zu Diskussionen über eine Neu- oder Umorientierung hin zum (wesentlich gemäßigteren) Kurs der AKP geführt (s. dazu VB Berlin 2003, 111, zitiert bei OVG Koblenz a.a.O. und VB Berlin 2005, S. 284 f., zitiert bei VG Berlin a.a.O., S. 11).

Der Generationenwechsel und die im Vergleich zur ersten Immigrantengeneration völlig veränderte Situation späterer, schon in Deutschland geborener und aufgewachsener türkischer Staatsangehöriger hatte nach der Literatur zur IGMG tiefgreifenden weltanschaulichen Neuentwicklungen innerhalb der IGMG zur Folge (s. dazu Kücükhüseyen, Türkische politische Organisationen in Deutschland, Broschüre der Konrad-Adenauer-Stiftung Nr. 45, August 2002, S. 23 m.w.N). Bei deren Bewertung war man allerdings eher vorsichtig (siehe etwa K. Schuller in FASZ vom 18.4.2004: "noch zu früh"). Auch die Verfassungsschutzberichte der neueren und neuesten Zeit erkennen eine solche Weiterentwicklung der IGMG insbesondere im Hinblick auf die Frage der Verfassungsfeindlichkeit an (s. insbesondere VB Nordrhein-Westfalen 2007 vom 29.3.2008, S. 110 und 112).

Ob es sich hier (nur) um einen Generationenkonflikt handelt oder ob die Grenzen zwischen den einzelnen Strömungen nicht vielmehr kulturell und mentalitätsbedingt sind, wie der Generalsekretär der IGMG in der Verhandlung andeutete, kann hier offenbleiben. Nach der Einschätzung des Landesamts für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen sind jedenfalls in der von ihm beobachteten IGMG trotz der noch immer vorhandenen Anhaltspunkte für den Verdacht extremistischer (islamistischer) Bestrebungen seit Jahren Tendenzen einer allmählichen Loslösung von islamistischen Inhalten zu beobachten. Der Einfluss Erbakans auf Personalentscheidungen der IGMG wird als "zurückgehend" beurteilt, und als ein Ergebnis des Symposiums Ende 2007 in Bonn geht der Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen davon aus, dass die IGMG von einem Anhängsel einer extremistischen politischen Bewegung mit religiöser Verankerung inzwischen zu einer eigenständigen religiösen Gemeinschaft geworden ist (a.a.O.); er spricht von "guten Gründen" für die Annahme, die neue Generation der Funktionärsebene teile die ideologischen Vorgaben Erbakans nicht mehr (a.a.O.S. 110). Der auch vom Senat in der mündlichen Verhandlung angehörte Generalsekretär der IGMG hat bei dem genannten Symposium nach der Wertung des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen in seinem Schlussvortrag "ein in seiner Klarheit und Offenheit bemerkenswertes Bekenntnis" abgelegt, das als "Absage an überkommene ideologische Vorstellungen" bewertet wird (a.a.O.S. 113: Es sei "nicht schmerzlich, sich einzugestehen, dass man auf der Suche nach vermeintlich islamischen Antworten auf gesellschaftliche Grundsatzfragen erkennt, dass bewährte Konzepte wie Demokratie und soziale Marktwirtschaft dem eigenen Ideal von einem auf Gerechtigkeit fußenden System am nächsten kommen..."). Auch der Senat hat in der mündlichen Verhandlung bei der ausführlichen Anhörung des Generalsekretärs, der immerhin ein entscheidendes Amt innerhalb der IGMG innehat und sie repräsentiert (s. dazu VB Bund 2007 S. 194 und "IGMG-Selbstdarstellung" S. 20: Pflege der Beziehungen der Gemeinschaft zu anderen gesellschaftlichen Gruppen; Ansprechpartner zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft) und von daher auch die Ausrichtung der IGMG mit Öffentlichkeitswirkung mitbestimmen kann, den Eindruck gewonnen, dass jedenfalls von seiner Seite aus keine Infragestellung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung befürchtet werden muss; dem Generalsekretär geht es vielmehr offensichtlich eher darum, im Interesse der nunmehr heranwachsenden Generation der Milli-Görüs-Mitglieder und ihrer Integration auf einen Konsens zum Demokratieprinzip und zu den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinzuwirken und die Vereinbarkeit dieser Grundprinzipien auch mit der religiösen Fundierung der IGMG im Islam zu verdeutlichen. Dass es sich hier um bloße taktische Manöver der IGMG-Spitze handelt ("vorsichtiger geworden", siehe Gutachten ... ... S. 47), nimmt der Senat nicht an, zumal die IGMG insofern - etwa was den Beitritt der Türkei zur EU angeht - auch Spannungen mit den Milli-Görüs-Anhängern in der Türkei in Kauf genommen hat (siehe Ehrhardt in FAZ vom 5.3.2008). Im Übrigen kann ohnehin davon ausgegangen werden, dass mehrfache und ausdrückliche Bekenntnisse zur Verfassung - wie sie mehrfach abgegeben worden sind - auch "nach innen" langfristige Wirkungen haben (zum Problem einer sog. "doppelten Agenda" siehe ... Gutachten S. 50; vgl. auch J. Miksch in FR vom 14.4.2005, speziell zur IGMG).

Die genannten Wandlungstendenzen sind - wenn auch mit unterschiedlicher Akzentuierung - auch von der Rechtsprechung anerkannt worden (VG Berlin a.a.O., S. 14 f.; VG Gelsenkirchen, a.a.O.S. 21 ff.; OVG Koblenz a.a.O., S. 16 des Urteilsabdrucks). Wenn auch diese Gerichtsentscheidungen noch nicht zu dem Ergebnis gekommen sind, dass der festzustellende Wandlungsprozess bereits zu einem im Sinn des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG positiven Abschluss gekommen ist, so ist doch jedenfalls nach Auffassung des Senats davon auszugehen, dass die IGMG inzwischen nicht mehr als homogen-einheitliche, im Sinn des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG einbürgerungsschädliche Organisation zu betrachten ist; sie erscheint vielmehr als eine islamisch fundierte Gemeinschaft, in der mehrere starke Strömungen, also durchaus auch vor § 11 Abs. 1 Nr. 1 StAG unverdächtige, festzustellen sind.

Dies entspricht auch der Einschätzung der IGMG durch den gegenwärtigen Bundesinnenminister, der einer pauschalen "Vorverurteilung" von Milli-Görüs- bzw. IGMG-Mitgliedern mehrfach öffentlich entgegengetreten ist und für eine differenzierte Bewertung eintritt ("verschiedene Strömungen", "heftige (interne) Spannungen" vgl. Interview in FASZ vom 2.3.2008 und schon vom 22.4.2004). Auch zeigt das Verhalten der IGMG bei der sog. Islamkonferenz trotz noch immer bestehenden Unklarheiten im Detail (zum dortigen Verhalten des IGMG-Mitglieds ... in der Diskussion der später verabschiedeten "Eckpunkte" - diese zit. in FR vom 14.3.2008 - s. Rüssmann in FR vom 26.6.2007 und Drobinski in SZ vom 13.3.2008), dass sich die IGMG jedenfalls nicht mehr durchweg einem ernsthaften Bekenntnis zu der verfassungsrechtlichen Grundordnung verweigert. Dass sie sich andererseits einer Forderung nach Assimilierung an eine deutsche "Leitkultur" oder einem Bekenntnis zu ihr (unabhängig von den verfassungsrechtlich verbindlichen Vorgaben der Einbürgerung) verweigert (vgl. dazu den Streit um die Begriffe "Werteordnung des GG" oder "Werteordnung, wie sie sich auch im GG widerspiegelt", zit. bei Ehrhardt in FAZ vom 5.3.2008, Mönch in Tagesspiegel vom 14.3.2008 und Preuß/Drobinski in SZ vom 13.3.2008), steht dem nicht entgegen; derartiges könnte einbürgerungsrechtlich auch nicht verlangt werden. Insofern sieht der Senat die IGMG nach den ihm vorliegenden Erkenntnisquellen inzwischen als eine Organisation an, die in relevanten Teilen gewissermaßen auf dem Weg zu einer Abwendung von ihren im Sinn des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StAG einbürgerungsschädlichen Wurzeln ist."

39

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an. Die der Einschätzung des VGH Baden-Württemberg zugrunde liegenden Erkenntnisse decken sich auch im Wesentlichen mit dem im vorliegenden Verfahren vorgelegten Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Verfassungsfeindlichkeit der IGMG vom 25. Juni 2009. In diesem Gutachten hat das Bundesamt für Verfassungsschutz nur offen zugängliche Erkenntnisse zu Strukturen, Zielen und Aktivitäten verwertet und ist auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gekommen, dass die IGMG integraler Bestandteil der islamistischen Milli-Görüs-Bewegung ist und beide die Abschaffung der laizistischen Staatsordnung in der Türkei und die weltweite Einführung einer islamischen Staats- und Gesellschaftsordnung mit Koran und Sunna als Grundlage des Staatsaufbaus und als Verhaltenskodex des gesellschaftlichen Zusammenlebens anstreben. Nach dem Gutachten liegen zahlreiche tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die IGMG verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Die im Rahmen der Jugend- und Bildungsarbeit vermittelten Vorgaben seien mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht in Einklang zu bringen. Zudem gebe es innerhalb der Bewegung vereinzelt, aber stetig die Bemühung, sich für die Ausweitung und alleinige Geltung der Scharia einzusetzen. Das vermittelte Verständnis von der Rolle der Frau verstoße gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung. Das in Anspruch genommene absolute Islamverständnis stehe im Widerspruch zur Religionsfreiheit. Die alleinige Akzeptanz religiöser Vorgaben und die dadurch bedingte Ablehnung demokratisch legitimierter Rechtsordnungen stehe im Widerspruch zum Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Weiterhin lägen Anhaltspunkte dafür vor, dass IGMG und Milli Görüs Bestrebungen verfolgten, die gegen den Grundsatz der Völkerverständigung verstießen. Innerhalb der IGMG möge es erste Ansätze für Bestrebungen geben, die in einen demokratischen Reformprozess münden könnten, die (bislang) jedoch nicht konkret greifbar seien. Auch seien die nur vereinzelt feststellbaren Kräfte nicht so stark, als dass sie den bisherigen verfassungsfeindlichen Kurs der IGMG in Frage stellen könnten.

40

Im vorliegenden Fall hat insbesondere die persönliche Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt, dass ihre Mitgliedschaft und ihre Aktivitäten in der IGMG nicht für die Annahme ausreichen, dass von ihr eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ausgeht.

41

Zwar ist die Klägerin, wie sie in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, auch derzeit noch Mitglied in der IGMG. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es in der IGMG unterschiedliche Strömungen gibt und in der Organisation sowohl Anhänger des strikt islamischen Kurses Erbakans als auch moderater eingestellte Kräfte vertreten sind (vgl. auch Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz v. 25.6.2009), kann allein aus der Mitgliedschaft in der IGMG noch nicht der Schluss gezogen werden, dass sich das jeweilige Mitglied mit den verfassungsfeindlichen Zielen der Milli-Görüs-Bewegung identifiziert. Auch der Umstand, dass die Klägerin von 2002 etwa bis zur Geburt ihres Sohnes im Dezember 2005 Vorstandsmitglied der Ortsgruppe A. der IGMG im Bezirk Hannover gewesen ist, lässt nicht mit hinreichender Sicherheit darauf schließen, dass die Klägerin die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Zwar kommt nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes der Vorsitzenden der Frauengruppe im Vorstand die Funktion zu, die Interessen der Familien zu vertreten (siehe Stellungnahme des MI v. 18.4.2006 zur Landtagseingabe), und sollen türkische Jugendliche, Studenten und Frauen im Mittelpunkt der zielgruppenorientierten Betreuungs- und Bildungsarbeit der IGMG stehen. Möglicherweise ist die Berufung der Klägerin in den Vorstand der Ortsgruppe auch von einem überörtlichen Gremium der IGMG bestätigt worden. Die Klägerin hat dazu in der mündlichen Verhandlung allerdings glaubhaft versichert, dass sie darüber keine Kenntnis habe, sondern nur wisse, dass sie von den anderen Frauen in den Vorstand gewählt worden sei.

42

Maßgebend ist jedoch, dass keine konkreten Erkenntnisse darüber vorliegen, dass die Klägerin als Mitglied oder Vorstandsmitglied der Ortsgruppe der IGMG zur Umsetzung verfassungsfeindlicher Ziele beigetragen hat. Weder ihre sozialen Aktivitäten während der Vorstandstätigkeit noch die von ihr auch jetzt noch abgehaltenen Koranlesungen für Frauen zeigen ein besonders herausragendes politisches Engagement der Klägerin in der IGMG, das für eine eindeutige Identifizierung mit den verfassungsfeindlichen Zielen der IGMG sprechen würde.

43

Ihrem glaubhaften Vorbringen nach sind ihre Aktivitäten während der Vorstandstätigkeit sozialer und karitativer Natur gewesen. So habe sie etwa Frauen der Ortsgruppe im Krankenhaus besucht und ihnen Geschenke mitgebracht oder sonstige Wohnungs-, Feiertags- und Krankenbesuche bei den Frauen gemacht. Außerdem habe sie Koranstunden gegeben und mit den Frauen gebetet.

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Aufgrund des Eindrucks, den der Senat von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie ihr soziales Betätigungsfeld genutzt hat, um Auffassungen zu verbreiten, die geeignet sind, die freiheitlich - demokratische Grundordnung zu gefährden. Die Klägerin hat die Fragen des Senats zu ihren Tätigkeiten für die IGMG offen und ohne zu zögern beantwortet und glaubhaft vermittelt, dass sie während ihrer Vorstandstätigkeit rein humanitär und religiös motivierte Hilfsdienste ausgeübt hat.

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Dass die Klägerin auch heute noch zweimal wöchentlich in der Moschee der IGMG in A. Koranlesungen für Frauen abhält, lässt ebenfalls nicht den Schluss darauf zu, dass sie dabei verfassungsfeindliche Inhalte vermittelt und die Frauen etwa mit islamistischen Ideen indoktriniert. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie in der Türkei eine religiöse Unterweisung in einer staatlich genehmigten Moschee erhalten und dort gelernt habe, den Koran zu lesen, und dass es ihr ein Anliegen sei, auch weiterhin Koranlesungen für Frauen anzubieten. Sie hat weiter glaubhaft dargelegt, dass sie bei den von ihr abgehaltenen Koranlesungen lediglich von ihr ausgewählte Texte aus dem Koran und die dazu vorhandenen Erläuterungen aus der vom türkischen Staat autorisierten Ausgabe vorliest und gemeinsam mit den Frauen betet. Der Senat sieht keinen Anlass, an diesen Angaben der Klägerin zu zweifeln. Dass sie nicht ideologisch motiviert ist, sondern auch gegenüber anderen Religionen Toleranz übt, zeigt sich auch daran, dass ihr Sohn einen evangelischen Kindergarten besucht.

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Hinzu kommt, dass die Klägerin ihre Vorstandstätigkeit aufgegeben und seit der Geburt ihres Sohnes im Dezember 2005 bis heute nicht mehr aufgenommen hat. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin in naher Zukunft ihr früheres Engagement fortsetzen wird. Dass sie ihre Betätigung nur vorübergehend aus taktischen Erwägungen im Hinblick auf das vorliegende Verfahren eingestellt hat, kann nicht festgestellt werden. Vielmehr stand die Beendigung der Tätigkeiten ganz offensichtlich im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft und der Geburt ihres Kindes. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass sie aus ihrer Sicht mit dem Haushalt und der Erziehung ihres Kindes voll ausgelastet sei und daher nicht beabsichtige, erneut eine Vorstandstätigkeit zu übernehmen.