Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.09.2009, Az.: 5 ME 186/09
Pfändbarkeit der Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten und der Wechselschichtzulage nach der Erschwerniszulagenverordnung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 17.09.2009
- Aktenzeichen
- 5 ME 186/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 37469
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:0917.5ME186.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 850a Nr. 3 ZPO
- § 3 EZulV
- § 20 Abs. 1 EZulV
Fundstellen
- DÖV 2009, 1007
- NVwZ-RR 2010, 75
- RENOpraxis 2011, 106
- VuR 2010, 273-274
- ZAP 2011, 186
- ZAP EN-Nr. 115/2011
- ZBR 2010, 60-61
Amtlicher Leitsatz
Die Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten und die Wechselschichtzulage nach der Erschwerniszulagenverordnung sind gemäß § 850 a Nr. 3 ZPO unpfändbar.
Gründe
Der Antragsteller bezieht neben seinem Grundgehalt unter anderem eine Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten (§ 3 der Erschwerniszulagenverordnung - EZulV -) und eine Wechselschichtzulage (§ 20 Abs. 1 EZulV). Gegen den Antragsteller bestehen von dritter Seite Forderungen in Form von Abtretungen, Aufrechnungen sowie Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen. Aufgrund einer Abtretungserklärung des Antragstellers überweist der Antragsgegner der Beigeladenen den pfändbaren Teil der Dienstbezüge des Antragstellers. Nachdem sein Begehren, unter anderem die beiden von ihm bezogenen Erschwerniszulagen (Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten und Wechselschichtzulage) bei der Berechnung der pfändbaren Dienstbezüge nicht zu berücksichtigen, erfolglos geblieben war, hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht um Gewährung vorläufigen Rechtschutzes nachgesucht. Das Verwaltungsgericht hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 15. Juni 2009 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig und mit Wirkung von April 2009 die beiden dem Antragsteller gewährten Erschwerniszulagen als unpfändbare Bezüge zu behandeln. Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde.
Die Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antragsgegner zu Recht verpflichtet, bei der Berechnung der an die Beigeladene zu überweisenden Bezüge die beiden dem Antragsteller gewährten Erschwerniszulagen (Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten und Wechselschichtzulage) als unpfändbar zu behandeln. Die Prüfung der mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) erfordert es nicht, den Beschluss des Verwaltungsgerichts insoweit zu ändern.
Nach § 11 Abs. 1 BBesG kann der Beamte, wenn bundesgesetzlich nichts Anderes bestimmt ist, Ansprüche auf Bezüge nur abtreten oder verpfänden, soweit sie der Pfändung unterliegen. Die Vorschrift des § 850 a Nr. 3 ZPO bestimmt, dass Erschwerniszulagen unpfändbar sind, soweit sie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass die Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten und die Wechselschichtzulage, die der Antragsteller gemäß § 3 und § 20 Abs. 1 EZulV bezieht, im Sinne des § 850 a Nr. 3 ZPO den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen. Vielmehr besteht zwischen den Beteiligten allein Streit darüber, ob es sich bei den genannten Zulagen um Erschwerniszulagen im Sinne des § 850 a Nr. 3 ZPO handelt. Der Senat teilt die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten und die Wechselschichtzulage Erschwerniszulagen im Sinne des § 850 a Nr. 3 ZPO und deshalb nicht pfändbar sind.
Die gegenteilige Rechtsauffassung wird entgegen der Ansicht des Antragsgegners und wohl auch des Verwaltungsgerichts nicht von der einhelligen Kommentarliteratur vertreten. Insoweit findet sich vielmehr ein uneinheitliches Bild.
Zutreffend ist, dass in den Kommentierungen zur Zivilprozessordnung überwiegend die Auffassung vertreten wird, dass eine Erschwerniszulage nur dann gemäß § 850 a Nr. 3 ZPO unpfändbar ist, wenn sie nicht nur dazu dient, einen Ausgleich für die ungünstige oder unbequeme Lage der Arbeit zu schaffen, sondern darüber hinaus das Ziel verfolgt, eine Erschwernis abzugelten, die durch die Art der Arbeit verursacht wird (vgl. Baumbach/ Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 67. Aufl. 2009, § 850 a Rn 10; Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 850 a Rn 10; Münchener Kommentar, 2. Aufl. 2001, § 850 a Rn 15; Musielak, ZPO, 2. Aufl. 2000, § 850 a Rn 5; Stein-Jonas, ZPO, 20. Aufl. 1986, § 850 a Rn 25; Wieczorek/Schütze, ZPO, 2. Aufl. 1981, § 850 a Anm. B III b). Die Kommentierungen verweisen insoweit teilweise und ohne nähere Begründung auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt/Main vom 25. November 1988 (- 13 Sa 359/88 -, DB 1989, 1732), in dem diese Rechtsauffassung - ebenfalls ohne nähere Begründung - vertreten worden ist (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, a.a.O.; Zöller, a.a.O.; Musielak, a.a.O.). Teilweise verweisen die Kommentierungen zusätzlich (so Zöller, a.a.O.) oder ausschließlich (so Münchener Kommentar, a.a.O.; Stein/Jonas, a.a.O.) auf einen Bescheid des Bundesministers der Justiz vom 13. August 1952 (- 3742 - 13 281/52 -). In diesem Bescheid soll der Bundesminister der Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit ausweislich eines in der Zeitschrift "Der BetriebsBerater" (Jahrgang 1952 S. 859) enthaltenen Hinweises den Begriff der Schmutz- und Erschwerniszulagen im Sinne des § 3 Nr. 3 der Verordnung zur einheitlichen Regelung des Pfändungsschutzes für Arbeitseinkommen - Lohnpfändungsverordnung 1940 - vom 30. Oktober 1940 (RGBl. I S. 1451) in der Fassung des Gesetzes vom 22. April 1952 (BGBl. I S. 247) dahin erläutert haben, dass "darunter nur solche Lohnzuschläge zu verstehen sind, die zur Abgeltung einer durch die Eigentümlichkeit der Arbeit verursachten Erschwernis gewährt werden." Dazu sollen "Zuschläge für Hitze-, Wasser-, Säure-, Staub-, Schacht- und Tunnel-, Druckluft- und Taucher-sowie Stacheldrahtarbeit" gehören. Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit sollen hingegen nicht als Erschwerniszulagen angesehen werden können. Diese Auffassung entspreche, so die Veröffentlichung, "auch der tariflichen Praxis, die Erschwerniszulagen von Nacht-, Sonn- und Feiertags- und ähnlichen Zuschlägen klar unterscheidet."
In der Kommentierung von Thomas/Putzo zur Zivilprozessordnung (28. Aufl. 2007, § 850 a Rn 4) werden dagegen nicht bestimmte Erschwerniszulagen von der Anwendbarkeit des § 850 a Nr. 3 ZPO ausgenommen. Eine dahingehende Einschränkung ist auch nicht in der Kommentierung von Saenger zur Zivilprozessordnung (2. Aufl. 2007, § 850 a Rn 5) vorgenommen worden. Dort heißt es vielmehr, der Arbeitgeber zahle diese Beträge zum Ausgleich für tatsächliche Aufwendungen des Arbeitnehmers oder dafür, dass dieser besonders unangenehme Tätigkeiten für ihn ausübe.
In den Kommentierungen zum Bundesbesoldungsgesetz wird zwischen den verschiedenen Erschwerniszulagen, die in der gemäߧ 47 BBesG erlassenen Erschwerniszulagenverordnung geregelt worden sind, differenziert. In dem Kommentar von Schwegmann/ Summer zumBundesbesoldungsgesetz (Stand: Mai 2009) wird die Auffassung vertreten, Erschwerniszulagen nach § 47 BBesG seien mit Ausnahme der Zulagen für Dienst zu ungünstigen Zeiten gemäߧ 850 a Nr. 3 ZPO unpfändbar. Die gemäß § 850 a Nr. 3 ZPO unpfändbaren Erschwerniszulagen werden in der Kommentierung als "Erschwerniszulagen im engeren Sinne" bezeichnet. Eine solche Differenzierung findet sich auch in der Kommentierung von Kümmel/Pohl (Besoldungsrecht Niedersachsens, Stand: Juni 2009). Danach sei der Begriff der Erschwerniszulage nach § 850 a Nr. 3 ZPO enger zu verstehen als nach der Erschwerniszulagenverordnung. Nach der Zivilprozessordnung seien Erschwerniszulagen Entschädigungen für eine in der Arbeit, nicht aber in der Arbeitszeit begründete Erschwernis (vgl. Kümmel/Pohl, a.a.O., § 47 BBesG Rn 22). Unter Bezugnahme auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt/Main vom 25. November 1988 (a.a.O.) heißt es insoweit in der Kommentierung von Kümmel/Pohl (a.a.O.), Sonn-, Feiertags- und Nachtzulagen zählten nicht zu den Erschwerniszulagen im Sinne des § 850 a Nr. 3 ZPO. Die Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten gehöre danach zu den pfändbaren Bezügen. Anders seien dagegen die Zulage für Wechselschichtdienst und für Schicht-dienst zu beurteilen, da diese Zulagen auch dem Umstand Rechnung trügen, dass die Arbeit in wechselnden Schichten mit besonderen Erschwernissen verbunden sei (vgl. Kümmel/Pohl, a.a.O.).
Bei Zugrundelegung der Kommentierungen von Schwegmann/Summer und Kümmel/Pohl (a.a.O.), die der Antragsgegner nicht in seine Überlegungen einbezogen hat, wäre somit zumindest die Wechselschichtzulage, die der Antragsteller monatlich gemäߧ 20 Abs. 1 EZulV bezieht, gemäß § 850 a Nr. 3 ZPO unpfändbar.
Der Senat hält jedoch nicht nur die Wechselschichtzulage, sondern darüber hinaus auch die auf § 3 EZulV beruhende Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten für unpfändbar. Nach der Überzeugung des Senats ist es nicht zulässig, diese Erschwerniszulagen von dem Anwendungsbereich des § 850 a Nr. 3 ZPO auszunehmen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, spricht schon der Wortlaut des § 850 a Nr. 3 ZPO gegen eine Differenzierung zwischen verschiedenen Erschwerniszulagen, da die Vorschrift ausdrücklich neben Erschwerniszulagen noch Gefahrenzulagen und Schmutzzulagen anführt, die aber gerade an die Art der ausgeübten -gefährlichen oder schmutzigen - Tätigkeit anknüpfen. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich für unpfändbare Erschwerniszulagen so gut wie kein Anwendungsbereich mehr finden würde, wenn im Rahmen des § 850 a Nr. 3 ZPO an die Art der ausgeübten Tätigkeit angeknüpft würde.
Auch die Entstehungsgeschichte des § 850 a Nr. 3 ZPO lässt es nicht zu, Zulagen nach der Erschwerniszulagenverordnung von dem Anwendungsbereich des § 850 a Nr. 3 ZPO auszunehmen. Die Vorschrift des § 850 a ZPO ist durch Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 20. August 1953 (BGBl. I S. 952) in die Zivilprozessordnung eingefügt worden. Dem Gesetz liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. April 1952 (BT-Drucks. 1/3284 S. 1 ff.) zugrunde. In dem Gesetzentwurf finden sich keinerlei Hinweise dahingehend, dass der Gesetzgeber den eindeutig gewählten Begriff der "Erschwerniszulagen" nicht umfassend, sondern - wie einige der genannten Kommentierungen ohne Auseinandersetzung mit den Gesetzgebungsmaterialien mutmaßen - in einem engeren, zivilprozessualen Sinne verstanden wissen wollte. Dahingehende Anhaltspunkte finden sich auch nicht in der Stellungnahme des Bundesrates vom 29. Februar 1952 zu dem genannten Gesetzentwurf (vgl. Anlage 2 zum Gesetzentwurf vom 5.4.1952, a.a.O.). Falls der Gesetzgeber beabsichtigt gehabt hätte, im Rahmen der neu geschaffenen Vorschrift des § 850 a Nr. 3 ZPO bestimmte Erschwerniszulagen von dem Begriff der Erschwerniszulagen auszunehmen, hätte es nahe gelegen, dies in den Gesetzgebungsmaterialien deutlich zu machen. Das ist indes nicht geschehen (vgl. dazu auch Seite 20 des Gesetzentwurfs vom 5.4.1952, a.a.O.).
Die Versuche des Antragsgegners, zur Stützung der von ihm vertretenen Rechtsauffassung den Bescheid des Bundesministers der Justiz vom 13. August 1952 (a.a.O.), die Lohnpfändungsverordnung 1940 vom 30. Oktober 1940 (a.a.O.) oder gar den Erlass des Reichspostministeriums vom 22. April 1926 - IV/VI Q 131 - heranzuziehen, führen nicht zum Erfolg der Beschwerde. Nach der Überzeugung des Senats ist insoweit neben der schon geschilderten Entstehungsgeschichte des § 850 a Nr. 3 ZPO von wesentlicher Bedeutung, dass die Bundesregierung in Art. 1 Nr. 12 des Gesetzentwurfs vom 5. April 1952 (a.a.O.) die Änderung des § 3 Nr. 3 der Lohnpfändungsverordnung 1940 übernommen hat, die als Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über den Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen vom 22. April 1952 (BGBl. I S. 247) beschlossen worden sind. Mit der vorgenannten Änderung des § 3 Nr. 3 der Lohnpfändungsverordnung 1940 war ein Änderungsvorschlag des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem genannten Gesetz vom 22. April 1952 (a.a.O.) aufgegriffen worden (vgl. Anlage 2 zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über den Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen vom 7.12.1951, BT-Drucks. 1/2917 S. 5). Danach sollten nicht nur Gefahrenzulagen, sondern auch Schmutz- und Erschwerniszulagen zu unpfändbaren Bezügen erklärt werden. Der Berichterstatter des zuständigen Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht des Deutschen Bundestages, der dem Änderungsvorschlag des Bundesrates zugestimmt hatte (vgl. den mündlichen Bericht des genannten Ausschusses vom 18.3.1952, BT-Drucks. 1/3209 S. 1 ff.), hatte diese Neuregelung ausdrücklich zu den "nicht sehr bedeutenden Erweiterungen" des Gesetzes in Bezug auf den Pfändungsschutz gezählt (vgl. Protokoll der 201. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 26.3.1952, Stenographische Berichte der 1. Wahlperiode des Deutschen Bundestages Band 11 S. 8637, 8666). Auch vor diesem Hintergrund erscheint eine Argumentation mit dem zuvor maßgeblich gewesenen Rechtszustand zweifelhaft. Die Auslegung muss sich vielmehr von der Frage nach der inneren Berechtigung der Gewährung von Pfändungsschutz leiten lassen. Diese Berechtigung aber bejaht der Senat auch für die hier streitigen Erschwerniszulagen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergibt sich aus den §§ 166 VwGO,
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat setzt den Streitwert in Anlehnung an die so genannte Teilstatusrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und wegen des Umstandes, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, auf die Hälfte des 24-fachen Monatsbetrags der streitigen Erschwerniszulagen fest. Die Wechselschichtzulage beläuft sich monatlich auf 51,13 Euro. Die Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten variiert monatlich. Der Senat hält es für sachgerecht, sie ebenso wie das Verwaltungsgericht pauschalierend mit monatlich 100 Euro anzusetzen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren beträgt danach 12 x 151,13 Euro, mithin 1.813,56 Euro.