Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.09.2009, Az.: 4 PA 51/09
Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder Unterhaltsausfallleistung für ein Kind im Falle der Zusammenlebens der beiden Elternteile
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.09.2009
- Aktenzeichen
- 4 PA 51/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 37795
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:0908.4PA51.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 27.01.2009 - AZ: 4 A 879/07
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 1 UVG
- § 2 Abs. 1 UVG
- § 2 Abs. 2 UVG
- § 7 Abs. 3 SGB II
Fundstellen
- DVBl 2009, 1400
- DÖV 2009, 1011
- FamRZ 2010, 331-332
- FuR 2012, 533
Verfahrensgegenstand
Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen
- PKH-Beschwerde -
Redaktioneller Leitsatz
Von einem Zusammenleben der Elternteile im Sinne des § 1 Abs. 3 Alt. 1 UVG ist auszugehen, wenn - unter Berücksichtigung der verschiedenen Formen familiären Zusammenlebens - eine faktisch vollständige Familie besteht. Das ist zumindest dann der Fall, wenn eine häusliche Gemeinschaft beider Elternteile und derer Kinder besteht.
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 4. Senat -
am 8. September 2009
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer - vom 27. Januar 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen den Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade vom 27. Januar 2009 ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 146 Abs. 1, 147 VwGO).
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Verwaltungsgericht dem Kläger zu Recht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage vom 25. Juni 2007, mit der er die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfalleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz - UVG) ab März 2007 und die Aufhebung des die Gewährung dieser Leistungen ablehnenden Bescheides des Beklagten vom 15. Februar 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2007 begehrt, versagt hat. Denn die Klage hat keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO.
Dem Kläger steht nach der im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu.
Nach § 1 Abs. 1 UVG hat Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder -ausfallleistung (Unterhaltsleistung), wer das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat (Nr. 1), im Geltungsbereich des Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt (Nr. 2), und nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil oder, wenn dieser oder ein Stiefelternteil gestorben ist, Waisenbezüge mindestens in der in § 2 Abs. 1 und 2 UVG bezeichneten Höhe erhält (Nr. 3). Diese Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UVG liegen hier vor. Der am ... geborene Kläger hat das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet. Er lebt bei seiner Mutter, Frau B. Diese führt mit dem Vater des Klägers, Herrn D., keine Ehe, so dass die tatbestandliche Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG vorliegt, ohne dass es auf ein Zusammen- oder Getrenntleben der Kindeseltern ankommt. Denn nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung besteht dieses Erfordernis nur bei Ehegatten oder Lebenspartnern (vgl. Senatsbeschl. v. 24.1.1985 - 4 B 261/83 -, FEVS 36, 71 f.). Schließlich erhält der Kläger nach den Angaben seiner Mutter von seinem Vater auch keinen Unterhalt.
Der Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen ist aber gemäß § 1 Abs. 3 1. Alt. UVG ausgeschlossen. Danach besteht ein Anspruch auf Unterhaltsleistungen nicht, wenn der in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bezeichnete Elternteil, bei dem das Kind lebt, mit dem anderen Elternteil zusammenlebt. Die an ein Zusammenleben im Sinne dieser Vorschrift zu stellenden Anforderungen sind nach dem Sinn und Zweck der Regelung zu bestimmen. Danach ist zu berücksichtigen, dass die Unterhaltsleistung nach dem UVG primär nicht den Ausfall von Unterhaltsleistungen des nicht mit dem Kind zusammenlebenden, zum Barunterhalt verpflichteten Elternteils kompensieren soll. Vielmehr wird eine Begünstigung nur der Kinder erstrebt, deren alleinerziehende Eltern Alltag und Erziehung auf sich gestellt bewältigen müssen (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.6.2005 - 5 C 24/04 -, NJW 2005, 2938, 2939; BVerwG, Urt. v. 7.12.2000 - 5 C 42/99 -, BVerwGE 112, 259, 260). Fälle, in denen "faktisch eine vollständige Familie vorhanden ist" (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zum Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfalleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz), BT-Drs. 8/2774, S. 12), sollen hingegen von den Leistungen des UVG ausgeschlossen sein. Der Gesetzgeber ist mithin von einer besonderen, über die Unterhaltsleistung hinausgehenden Belastung alleinerziehender Elternteile kleiner Kinder ausgegangen, die sich bei Ausbleiben des Barunterhalts verschärft und deren Milderung Sinn und Zweck des Gesetzes ist (vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 20/2005 Anm. 4).
Nach diesem Gesetzeszweck ist von einem Zusammenleben der Elternteile im Sinne des § 1 Abs. 3 1. Alt. UVG daher dann auszugehen, wenn - unter Berücksichtigung der verschiedenen Formen familiären Zusammenlebens - eine faktisch vollständige Familie besteht. Das ist zumindest dann der Fall, wenn eine häusliche Gemeinschaft beider Elternteile und derer Kinder besteht (vgl. Senatsbeschl. v. 24.1.1985 - 4 B 261/83 -, FEVS 36, 71, 72; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes, Stand: 1.1.2007, Tz. 1.9.1). Haben die Eltern eines Kindes hingegen allenfalls in der Weise Kontakt, die der Situation eines alleinerziehenden Elternteils entspricht, fehlt es an einem Zusammenleben im Sinne des § 1 Abs. 3 1. Alt. UVG.
Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte in dem die Gewährung von Unterhaltsleistungen ablehnenden Bescheid vom 15. Februar 2007 und im Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2007 ein Zusammenleben der Eltern des Klägers, Frau B. und Herrn D., voraussichtlich zu Recht bejaht.
Für den hier maßgeblichen Zeitraum ab März 2007 steht auch nach den Einlassungen des Klägers fest, dass im Haus im E.-Weg 13 nicht nur der Kläger und seine Mutter wohnen, sondern auch der Kindesvater D. Der Kläger selbst hat sich in der Klageschrift vom 20. Juni 2007 und im Schriftsatz vom 22. November 2007 dahingehend eingelassen, dass Herr D. im Haus der Kindesmutter wohne, dort aber über einen abgetrennten Wohnbereich verfüge. Dass innerhalb der gemeinsamen Wohnung der Kindeseltern tatsächlich getrennte Lebensbereiche bestehen, die ein Zusammenleben im o.g. Sinne ausschließen würden, ist derzeit aber nicht ersichtlich. Dagegen spricht bereits, dass der Kindesvater zumindest seine gemeinsamen Kinder mit der Kindesmutter regelmäßig betreut und diese aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit auch auf diese Betreuungsleistungen angewiesen ist. Auch der Hausbesuch des Beklagten am 14. Mai 2007 hat keinerlei Anhaltspunkte für die Trennung der Haushalte der Kindeseltern hervorgebracht. Neben einer gemeinsamen Benutzung von Küche, Bad und WC war auch eine Trennung der Schlaf- und Wohnräume nicht erkennbar. Auch die Haushaltsführung erfolgte offenbar nicht getrennt, wie die seinerzeit gemeinsame Erledigung der Wäsche zeigte. Wenn der Kläger demgegenüber meint, die Ergebnisse des Hausbesuchs könnten mit Nichtwissen bestritten werden, geht er fehl. Es handelt sich um Umstände, die Gegenstand der eigenen Wahrnehmung des Klägers sind, so dass ein Bestreiten mit Nichtwissen von vorneherein unbeachtlich ist. Auch die schlichte Einlassung des Klägers, der Kindesvater habe einen abgetrennten Wohnbereich im Hause für sich, ist nicht hinreichend substantiiert, um das Bestehen der nach den erkennbaren tatsächlichen Umständen zu vermutenden häuslichen Gemeinschaft der Kindeseltern zu widerlegen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass Herrn D. mit Bescheid vom 6. Juli 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bewilligt worden sind, und zwar für die zusammen mit B., F., G. und dem Kläger bestehende Bedarfsgemeinschaft. Die Annahme einer solchen Bedarfsgemeinschaft setzt nach § 7 Abs. 3 SGB II aber unter anderem voraus, dass der Hilfebedürftige und die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in einem Haushalt zusammen leben. Dieser Bescheid vom 6. Juli 2007 ist offenbar nicht mit Rechtsbehelfen angegriffen worden; der Kläger hat die in diesem Bescheid getroffenen tatsächlichen Feststellungen im hiesigen Verfahren jedenfalls nicht in Frage gestellt.
Nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist daher von einem Zusammenleben beider Elternteile des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum auszugehen, so dass ein Anspruch auf Unterhaltsleistungen gemäß § 1 Abs. 3 1. Alt. UVG ausgeschlossen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 188 VwGO und § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Malinowski
Dr. Weichbrodt