Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 08.01.2013, Az.: 3 A 168/11
Rechtliche Ausgestaltung einer Ausweisung nach § 54 Nr. 5 a AufenthG wegen Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 08.01.2013
- Aktenzeichen
- 3 A 168/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 38481
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2013:0108.3A168.11.0A
Rechtsgrundlage
- § 54 Nr. 5 a AufenthG
Fundstelle
- AUAS 2013, 41-44
Amtlicher Leitsatz
Eine Ausweisung nach § 54 Nr 5a AufenthG wegen Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung setzt voraus, dass das Verhalten des Ausgewiesenen einen konkreten Bezug zur Beseitigung dieser Prinzipien besitzt, dass sie in aggressiver Weise bekämpft werden und die Möglichkeit eines Schadenseintritts auf Tatsachen gestützt ist.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland, eine Ausreiseaufforderung unter Fristsetzung und Abschiebungsandrohung sowie die Nichterteilung einer beantragten Aufenthaltserlaubnis.
Der Kläger ist ägyptischer Staatsangehöriger und hielt sich seit Dezember 2001 wiederholt und für längere Zeiträume zwecks Promotion und Studien in der Bundesrepublik Deutschland auf. Zuletzt wurde ihm am 27.07.2007 eine Aufenthaltserlaubnis zu Ausbildungszwecken bis zum 31.12.2009 erteilt. Am 17.11.2009 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis bis zum 31.12.2011, um am Seminar für Arabistik/ Islamwissenschaft der K. -L. -Universität F. an einer Studie zur vergleichenden Phonologie der semitischen Sprachen zu arbeiten. Die Beklagte stellte dem Kläger daraufhin eine Fiktionsbescheinigung aus und verlängerte wiederholt deren Gültigkeit. Mit Schreiben vom 07.04.2011 teilte das Nds. MI der Beklagten mit, dass sicherheitsmäßige Bedenken i.S.d. § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5a AufenthG gegen eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sprechen würden. Vorliegende Erkenntnisse würden belegen, dass der Kläger die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) gefährde. Die Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers gemäß § 54 Nr. 5a, 1. Alternative AufenthG würden als gegeben angesehen. Er sei den Verfassungsschutzbehörden seit dem Jahr 2002 bekannt geworden, weil er von April 2002 bis Anfang 2004 als Imam im "Islamischen Zentrum" (IZ) in M. tätig gewesen sei, welches als Zweigstelle der "Islamischen Gemeinschaft Deutschland e.V." (IGD) N., dem Sitz der Muslimbruderschaft in Deutschland, gelte. Durch seine Reden sei der Kläger als Verfechter intensiver islamistischer Positionen aufgefallen. Besucher von Moscheen, in denen der Kläger gepredigt habe, seien dem salafistischen Spektrum zuzuordnen. Eine Freitagspredigt als Gastimam in N. am 11.01.2008 sei vom Landesamt für Verfassungsschutz O. aufgezeichnet, übersetzt und ausgewertet worden. Danach wiesen seine Thesen starke Parallelen zu Ansichten eines einflussreichen Mitglieds der Muslimbruderschaft sowie salafistische Argumentationsmerkmale auf. Ein Referat des Klägers in N. vom 20.02.2009 mit Auslegungen zur Scharia lasse rechtlich den Schluss zu, dass der Kläger zugleich die FDGO gefährde.
Durch Bescheid vom 15.06.2011, der damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 23.06.2011, lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 17.11.2009 ab, wies ihn aus dem Bundesgebiet aus und forderte ihn unter Fristsetzung von einem Monat unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise auf. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5a AufenthG, weil er die FDGO gefährde. Zur Begründung bezog sie sich auf die vorstehend dargestellten verfassungsschutzbehördlichen Erkenntnisse. Die Scharia-Auslegung des Klägers widerspreche Grundwerten der Verfassung. Seine Vorträge würden die FDGO und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte gefährden, insbesondere das Recht auf Leben und die körperliche Unversehrtheit. Auch der Grundsatz der Volkssouveränität sei betroffen, weil der Kläger dafür eintrete, dass es keine Trennung zwischen Religion und Politik gebe; die Staatsgewalt gehe von Gott, nicht vom Volk aus. Die zum Kläger vorliegenden Informationen ließen zwar nicht beweisbar den Schluss zu, dass er die Gefährdungshandlung, das öffentliche Werben für extremistisches Gedankengut, als Teil einer Organisation vorgenommen habe. Seine gedankliche Nähe zu maßgeblichen Protagonisten der Muslimbrüderschaft beweise noch nicht, dass er diese extremistische Bestrebung unterstützen wolle. Es sei jedoch anzunehmen, dass die von ihm vertretenen Positionen geeignet seien, die Radikalisierung einzelner Muslime zu fördern. Es sei bekannt, dass sich radikalisierte Einzeltäter für den bewaffneten Kampf gegen Feinde des Islam ausbilden ließen, um sich daran zu beteiligen. Von ihnen könnten erhebliche Gefahren ausgehen. Nicht nur deren Taten, sondern auch die zur Radikalisierung geeigneten und führenden verbalen Beiträge seien als Gefährdungshandlungen zu bewerten; sie konkretisierten sich in den vom Kläger gehaltenen Predigten und Reden, indem er die Legitimität der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung Deutschlands bestritten habe. Die FDGO könne auch in einem Verhalten gefährdet werden, dass sie zwar formal unangetastet lasse, inhaltlich jedoch missachte und dadurch in der Verfassungswirklichkeit untergrabe. Dabei seien die Äußerungen nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, weil sie nach Inhalt, Art und Form von so erheblichem Gewicht seien, dass sie erkennbar zumindest Bestrebungen gegen die FDGO fördern könnten. Infolge dessen seien wegen § 11 AufenthG auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht erfüllt. Außerdem sei unklar, ob sich der Kläger noch im Bundesgebiet aufhalte und er deshalb noch ein Sachbescheidungsinteresse habe. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung stützten sich auf § 59 AufenthG.
Am Montag, dem 25.07.2011, hat der Kläger Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Nach seiner freiwilligen Ausreise im September 2011 hat er diesen Antrag zurückgenommen, worauf das Verfahren eingestellt worden ist (Beschluss vom 28.11.2011 - 3 B 170/11 -).
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte keine konkrete Gefährdung i.S.d. § 54 Nr. 5a AufenthG durch seine Äußerungen dargelegt habe. Vermutungen oder eine entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts würden hierfür nicht ausreichen. Er habe niemals, auch nicht ansatzweise, dafür plädiert, in Deutschland eine islamische Gesellschaftsordnung zu errichten. Während seines zehnjährigen Aufenthalts in Deutschland habe er oft in verschiedenen islamischen Zentren und Moscheen gepredigt und referiert. Dabei sei er immer für die korrekte Behandlung von Nichtmuslimen, die Gleichheit aller Bürger, den Rechtsstaat, den Schutz der Freiheit der Anderen, den Schutz des Glaubens und gegen Extremismus und Gewalt eingetreten. Der Jihad sei nur im Falle eines Angriffs eines Staates auf einen anderen Staat gerechtfertigt. Die Todesstrafe habe in Deutschland keine Gültigkeit und werde dies auch in Zukunft nicht haben. Den Vortrag zur Scharia habe er über den historischen Hintergrund der islamischen Gesetzgebung gehalten. Textstellen daraus seien aus dem Zusammenhang gerissen und als seine persönliche Auffassung dargestellt worden. Seine zehnjährige intellektuelle und literarische Tätigkeit sei außer Acht gelassen worden. Er sei ausgereist, um in P. seinen Verpflichtungen als Hochschullehrer an der Q. -Universität nachzukommen. Er beabsichtige, auch zukünftig seine Forschungstätigkeit an der Universität F. fortzusetzen, werde dafür allerdings nur noch Visa-Aufenthalte benötigen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Bescheid der Beklagten vom 15.06.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt den angegriffenen Bescheid und führt aus, auch durch den Vortrag des Klägers im Klageverfahren hätten sich in Bezug auf die Bewertung durch die Sicherheitsbehörden keine Änderungen ergeben.
Nach Anhörung der Beteiligten hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Wegen der Einzelheiten des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet, soweit der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden ist, im Übrigen jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 15.06.2011, soweit der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Ausweisung sind die Be-stimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 25.02.2008 (BGBl I S. 162, zuletzt geändert durch Art. 1 und 6 des Gesetzes vom 01.06.2012, BGBl. I. S. 1224), die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten. Auch in tatsächlicher Hinsicht ist die Ausweisung nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, [...], Rn 13, m.w.N.). Dass der Kläger bereits im September 2011 aus Deutschland ausgereist ist, ändert hieran nichts.
Vorliegend sind die Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers gemäß § 54 Nr. 5a AufenthG nicht erfüllt. Nach § 54 Nr. 5a AufenthG wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht. Da sich der Kläger unstreitig nicht an Gewalttätigkeiten beteiligt oder zur Gewaltanwendung aufgerufen oder damit gedroht hat, auch der angefochtene Bescheid zu Recht nicht darauf abstellt, dass der Kläger die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden würde, könnte hier ein Ausweisungsgrund ausschließlich in der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegen.
Die freiheitliche demokratische Grundordnung erfasst die grundlegenden Verfassungsprinzipien wie die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit der politischen Parteien (vgl. z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, [...], Rn 28). Eine Gefährdung kann nur angenommen werden, wenn die Handlungen einen konkreten Bezug zur Beseitigung dieser Prinzipien besitzen. Bei Äußerungen im Rahmen einer Religionsgemeinschaft in Predigten, Referaten oder Reden kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteil vom 19.12.2000 - 2 BvR 1500/97 -, BVerfGE 102, 370, 394; Beschluss vom 02.10.2003 - 1 BvR 536/03 -, [...], Rn 19ff) die bloße Überzeugung eines Ausländers, die Gebote einer Gottheit gingen dem staatlichen Gesetz vor, keine Eingriffsmaßnahmen rechtfertigen; maßgeblich ist ausschließlich das äußere tatsächliche, nach weltlichen Kriterien zu beurteilende Verhalten der Akteure, nicht aber deren religiöse oder weltanschauliche Überzeugung, die zu bewerten dem Staat aufgrund seiner Verpflichtung zur weltanschaulichen Neutralität verwehrt ist. Darum muss der Ausländer persönlich und konkret eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darstellen (Nds. OVG, Urteil vom 15.09.2009 - 11 LB 487/07 -, [...], Rn 38ff m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 -, [...], Rn 24; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08.10.2009, aaO., Rn 26, 29ff; ebenso VG Augsburg, Urteil vom 05.07.2011 - Au 1 K 10.1876 -, [...], Rn 65f; VG Berlin, Urteil vom 12.05.2011 - 14 K 237.09 V -, [...], Rn 32). Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, [...], Rn 7 und 28) und der Bayrische Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 22.02.2010 - 19 B 09.929 -, [...], Rn 101 m.w.N.) konkretisieren dieses Erfordernis dahingehend, dass die bloße Ablehnung der realen politischen und sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik schon aufgrund der durch Art. 4 und 5 GG garantierten Glaubens-, Meinungs- und Weltanschauungsfreiheit nicht geeignet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu gefährden. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn etwa die Vorstellung eines islamischen (Gottes-)Staates der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes unter Wahrung der Bereitschaft zu rechtskonformem Handeln nicht mehr nur kritisch oder ablehnend gegenübergestellt, sondern die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat sowie der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Menschenwürde in aggressiver Weise bekämpft werden. Nicht schon die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen als solche bildet die Grenze der freien politischen Auseinandersetzung, sondern erst die aggressiv-kämpferische Haltung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Entsprechend gewährleistet Art. 5 GG die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit, rechtlichen Durchsetzbarkeit oder Gefährlichkeit und erlaubt infolgedessen nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des bloßen Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutsverletzungen oder konkrete Rechtsgutsgefährdungen umschlagen.
Darum muss auch eine auf Tatsachen gestützte, nicht lediglich entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts bestehen. Reine Vermutungen oder der Verdacht der Verwirklichung eines Gefährdungstatbestandes reichen für die Regelausweisung nach § 54 Nr. 5a AufenthG nicht aus. Bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts ist eine Differenzierung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlich. Die Gefahr muss zudem gegenwärtig sein. Das ist der Fall, wenn zu erwarten ist, dass sie sich entweder aktuell oder in Zukunft verwirklicht. Vergangene Aktivitäten können eine Gefährdung nur begründen, wenn aus ihnen und ggf. anderen Umständen abgeleitet werden kann, der Ausländer werde auch zukünftig eine Gefahr bilden.
Gemessen an diesen Maßstäben kann in dem für die Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Vorliegen einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch den Kläger nicht festgestellt werden. Die Beklagte hat keine Erkenntnisse, nach denen der Kläger einer extremistischen, islamistischen oder konservativ-islamischen Organisation angehört, für eine solche wirbt, dass von ihm oder von seinen Zuhörern eine konkrete Gefahr von Gewaltakten ausginge oder dass er Aktivitäten zur Errichtung eines islamischen "Gottesstaates" in Deutschland entfaltet oder zu ihnen aufgerufen hätte. Anhand der vorgelegten Unterlagen kann auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger dafür eingetreten wäre oder andere dazu aufgefordert hätte, eines der grundlegenden Verfassungsprinzipien, die unter dem Begriff der FDGO zusammengefasst sind, in Deutschland zu beseitigen. Dies gilt insbesondere auch für seine Ausführungen zur Auslegung der Scharia; eine Ausweitung ihres Anwendungsbereichs auf das deutsche Rechtssystem wurde vom Kläger weder unmittelbar noch mittelbar gefordert. Die Annahme der Beklagten, dass die von ihm vertretenen Positionen geeignet seien, die Radikalisierung einzelner Muslime zu fördern, auf dass sie sich dem bewaffneten Kampf gegen "Feinde des Islam" anschließen könnten, beruht nicht auf Tatsachen, sondern ist eine Kette von Mutmaßungen, welche Folgen es schlimmstenfalls haben könnte, wenn die Äußerungen des Klägers von Zuhörern (miss-)verstanden worden sein könnten, ohne dass berücksichtigt worden wäre, ob diese überhaupt radikalisierungsbereiten Muslimen zur Kenntnis gelangt sind. Diese erforderlichen Tatsachen können nicht dadurch ersetzt werden, dass alle Muslime, die Versammlungsstätten aufsuchen, welche von Verfassungsschutzbehörden dem salafistischen oder einem anderen radikal-orthodoxen Spektrum des Islam zugerechnet werden (ohne dass diese Bewertung in irgendeiner Weise nachvollziehbar gemacht würde), unter Generalverdacht gestellt werden.
Die in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten vorhandenen Äußerungen des Klägers, deren Urheberschaft er nicht bestreitet, sind sicherlich geeignet, plausibel seine Zugehörigkeit zu einem orthodoxen Islamverständnis zu belegen. Sie verbleiben indessen inhaltlich im Rahmen der Darlegung theologischer Auslegungen und religiöser Meinungsäußerungen und sind mithin durch Art. 4 und 5 GG geschützt. Solange nicht nachgewiesen ist, dass Personen aus dem Zuhörerkreis des Klägers für Bestrebungen offen waren und sind, in Deutschland eine Herrschaft des Islam im Sinne einer göttlichen und weltlichen Herrschaft zu errichten, und sie aufgrund der Äußerungen gerade des Klägers bereit waren oder sind, ihre Vorstellungen in die Tat umzusetzen, fehlt eine Tatsachengrundlage für die Annahme, in den Äußerungen des Kläger könnten die erforderlichen kämpferisch-aggressiven Elemente liegen, die für eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erforderlich sind (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08.10.2009, aaO., Rn 29).
Im Übrigen erweist sich der angefochtene Bescheid vom 15.06.2011 jedoch als rechtmäßig, insbesondere hat der Kläger keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Dies hat seinen Grund offensichtlich bereits darin, dass sich der Kläger seit fast anderthalb Jahren im Ausland aufhält und er derzeit weder vorgetragen hat, dass er eine konkrete Absicht hat, nach Deutschland zurückzukehren, noch zu erkennen ist, zu welchem Aufenthaltszweck eine Aufenthaltserlaubnis begehrt wird. Im Übrigen hat der Kläger mitgeteilt, dass er für künftige Forschungsvorhaben an der Universität F. Aufenthaltstitel nur noch in Form von Visa (vgl. §§ 4 Abs. 1 und 6 AufenthG) benötigen wird, so dass auch insoweit kein Bedürfnis für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis dargetan ist. Unter diesen Umständen sind auch unabhängig vom Bestand der Ausweisung die Voraussetzungen der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (vgl. §§ 50 Abs. 1 und 2, 58 Abs. 1, 59 AufenthG) erfüllt. Insoweit ist allerdings bereits höchst zweifelhaft, ob der Kläger für diesen Teil der Klage ein Rechtsschutzinteresse besitzt. Denn er ist am 12.09.2011 freiwillig aus Deutschland ausgereist, weshalb die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung keine Rechtswirkungen mehr entfalten und sich erledigt haben (vgl. VG Saarland, Urteil vom 30.11.2011 - 10 K 549/11 -, [...], Rn 27 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO, wobei der Einzelrichter die Versagung der Aufenthaltserlaubnis einschließlich der darauf beruhenden, aber nicht wesentlich ins Gewicht fallenden Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung einerseits sowie die Ausweisung andererseits als gleich gewichtig erachtet.