Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.09.2009, Az.: 13 LA 136/08
Aufenthaltserlaubnis; Bindungswirkung; zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 21.09.2009
- Aktenzeichen
- 13 LA 136/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 45313
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:0921.13LA136.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 18.06.2008 - AZ: 6 A 2464/06
Rechtsgrundlagen
- 42 1 AsylVfG
- 25 III 1 AufenthG
- 60 VII AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Eine Ausnahmesituation, in der die Ausländerbehörde unter Durchbrechung der Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylVfG im Rahmen des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote zu prüfen hätte, kommt nicht (mehr) in Betracht, wenn dem Ausländer die begehrte Aufenthaltserlaubnis wegen einer Flüchtlingsanerkennung mittlerweile erteilt worden ist und es ihm alleine um die Sicherstellung eines ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts in der Vergangenheit geht.
Tatbestand:
I.
Der aus dem Irak stammende Kläger wurde mit Bescheid vom 13. Oktober 1997 als Flüchtling anerkannt. Nach dem Ende des Regimes von Saddam Hussein wurde mit Bescheid vom 24. August 2004 die Flüchtlingsanerkennung des Klägers widerrufen und zugleich festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die dagegen gerichtete Klage wurde mit Urteil vom 22. November 2004 rechtskräftig abgewiesen. Am 14. Juni 2005 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29. Mai 2006 ab. Die auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18. Juni 2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Hinblick auf die Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ausgeführt, dass der Beklagte an die Entscheidung des Bundesamtes über das Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG bzw. Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gebunden sei. Ein Ausnahmefall, in dem ausnahmsweise eine eigene Prüfung durch die Ausländerbehörden zulässig und geboten sei, liege nicht vor. Der Kläger könne sich als Christ aus dem Zentralirak ohne inländische Fluchtalternative auf die im Mai 2007 geänderte Entscheidungspraxis des Bundesamtes (Schreiben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge - Außenstelle Oldenburg - vom 30. Mai 2007 und Schreiben des Bundesministeriums des Innern an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg vom 15. Mai 2007) berufen, was das Bundesamt in seiner Stellungnahme vom 3. April 2008 auch angeraten habe. Der Kläger ist mittlerweile (wieder) als Flüchtling anerkannt. Mit seinem Berufungszulassungsantrag verfolgt der Kläger den von ihm geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab Ablauf der Geltungsdauer der früheren Aufenthaltserlaubnis bis zum Zeitpunkt der erneut erfolgten Flüchtlingsanerkennung weiter.
Gründe
II.
1.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es, wie sich aus den Ausführungen zu 2. ergibt.
2.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung kann nur aus den in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Gründen zugelassen werden. Die Zulassung setzt nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO voraus, dass einer der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe dargelegt ist und vorliegt. In der Begründung des Zulassungsantrages ist mithin darzulegen, ob die Zulassung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), wegen Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von einer Entscheidung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bezeichneten Gerichte oder wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) beantragt wird. Eine hinreichende Darlegung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert, dass in der Begründung des Zulassungsantrags im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, weshalb der benannte Zulassungsgrund erfüllt sein soll. Zwar ist bei den Darlegungserfordernissen zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden, welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats , Beschl.v. 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -; BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats , Beschl.v. 24.01.2007 - 1 BvR 382/05 -; BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats , Beschl.v. 21.01.2000 - 2 BvR 2125/97 -, jeweils zit. nach juris). Erforderlich sind aber qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen.
a) Der vom den Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wird nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils können nur dann bestehen, wenn gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gründe sprechen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl.v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458; BVerwG, Beschl.v. 10.03.2004 - 7 AV 4/03 -, juris).
Ernstliche Zweifel hinsichtlich der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass eine Situation nicht vorliege, in der die Ausländerbehörde ausnahmsweise im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (nach § 25 Abs. 3 AufenthG) trotz der entgegenstehenden Bindungswirkung einer Entscheidung des Bundesamts nach § 42 Satz 1 AsylVfG eine eigene Kompetenz zur Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote habe, hat der Kläger nicht darzulegen vermocht. Zu Unrecht macht der Kläger geltend, dass das angegriffene Urteil eine Auseinandersetzung mit dem geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Zeitraum vom Juni 2005 (Beantragung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis) bis zum Mai 2007 (Änderung der Entscheidungspraxis des Bundesamtes) vermissen lasse. In dem Urteil wird eine Differenzierung nach bestimmten Zeiträumen nämlich gar nicht vorgenommen, sondern das Vorliegen der Voraussetzungen für eine ausnahmsweise nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt.v. 27.06.2006 - 1 C 14/05 -, juris) mögliche und gebotene eigene Prüfung der hier in Betracht zu ziehenden zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG durch die Ausländerbehörde insgesamt verneint. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine eigenständige Prüfungskompetenz bzw. -pflicht der Ausländerbehörden bei ehemaligen Asylbewerbern (einschließlich anerkannter Asylberechtigter und Flüchtlinge, deren Anerkennung widerrufen worden ist) in Betracht gezogen, wenn der Ausländer geltend macht, ihm drohe im Herkunftsland infolge einer allgemeinen Gefahrenlage eine extreme Gefahr für Leib und Leben, die in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG zur Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach dieser Vorschrift führen müsste, das Bundesamt aber eine solche Feststellung wegen Bestehens eines vergleichbaren Schutzes durch einen Abschiebestopp-Erlass, eine sonstige Erlasslage oder eine aus individuellen Gründen erteilte Duldung nicht treffen kann und darf (BVerwG, a.a.O., Rdnr. 13). Der Kläger hat sich im Rahmen der Begründung des Zulassungsantrags nicht näher damit auseinandergesetzt, dass nach Auffassung des Verwaltungsgerichts eine solche Ausnahmesituation nicht zu bejahen ist, wenn das Bundesamt - wie hier - ausdrücklich auf die Bindungswirkung seiner Entscheidung nach § 42 Satz 1 AsylVfG hingewiesen hat, dem Ausländer aber die Stellung eines Wiederaufgreifensantrags empfohlen hat. Weiterhin blendet der Kläger aus, dass es hier letztlich dadurch zu einer erneuten Flüchtlingsanerkennung gekommen ist.
Auch befasst sich der Kläger nicht mit dem Umstand, dass das Bundesamt in seinem Bescheid vom 24. August 2004 eine umfangreiche inhaltliche Prüfung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorgenommen und verneint hat und nur zusätzlich zu dieser Prüfung darauf verwiesen hat, dass eine Abschiebung irakischer Staatsangehöriger nach der Beschlusslage der Innenministerkonferenz nicht zu befürchten sei. Vielmehr setzt er sich in der Begründung seines Zulassungsantrags mit den - vom Verwaltungsgericht verneinten - Voraussetzungen für die Annahme einer nur ausnahmsweise denkbaren Prüfung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten durch die Ausländerbehörde überhaupt nicht auseinander. Der Kläger meint offenbar, die Ausländerbehörde müsse schon dann unter Durchbrechung der Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylVfG eine eigene Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse vornehmen, wenn ansonsten Lücken beim rechtmäßigen Aufenthalt drohen, die bei einer späteren Aufenthaltsverfestigung eine Rolle spielen. Dies überzeugt im Hinblick auf das Vorliegen einer Ausnahmesituation i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht. Vielmehr kommt nach Auffassung des Senats die Annahme einer solche Ausnahmesituation für einen vergangenen Zeitraum nicht mehr in Betracht, wenn dem Ausländer die begehrte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wegen einer erneut erfolgten Flüchtlingsanerkennung mittlerweile erteilt worden ist. In einer solchen Situation ist es nicht gerechtfertigt, die Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylVfG lediglich im Hinblick auf eine schnellere Aufenthaltsverfestigung zu durchbrechen. Ob gleichwohl die hier beim Kläger entstandene Lücke im rechtmäßigen Aufenthalt durch eine später aufgrund der erneuten Flüchtlingsanerkennung erfolgte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nachträglich geschlossen worden ist, beurteilt sich nach § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG (vgl. dazu BVerwG, Urt.v. 23.01.2007 - 1 C 1/06 -, juris, Rdnr. 12; Urt.v. 24.05.1995 - 1 C 7/94 -, juris, Rdnr. 27) und ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
b) Auch der vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wird nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor. Grundsätzliche Bedeutung weist eine Rechtsstreitigkeit dann auf, wenn sie eine rechtliche oder tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und im Sinne der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung einer Klärung bedarf. Die klärungsbedürftige Frage muss dabei mit Auswirkungen über den Einzelfall hinaus in verallgemeinerungsfähiger Form beantwortet werden können (vgl. Kopp/Schenke: VwGO-Kommentar, 15. Aufl. § 124 Rdn. 10; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO-Kommentar, 4. Auflage, § 124 Rdnr. 43; jeweils m.w.N.).
Die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Rechtsfrage,
"[ob ...] die Ausländerbehörde befugt und verpflichtet [ist], Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG zu prüfen, wenn das Bundesamt die Prüfung solcher Abschiebungshindernisse im Hinblick auf einen landesweiten Abschiebungsstopp (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG) verweigert"
würde sich in einem Berufungsverfahren so nicht stellen. Bereits die der aufgeworfenen Frage zugrunde liegenden Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Bundesamt hat die Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 AufenthG nämlich nicht verweigert, sondern in dem Bescheid vom 24. August 2004 eine umfangreiche inhaltliche Prüfung der Voraussetzungen der Vorgängerregelung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorgenommen und letztlich verneint. Wie bereits ausgeführt hat es nur zusätzlich zu dieser Prüfung darauf abgestellt, dass eine Abschiebung irakischer Staatsangehöriger nach der Beschlusslage der Innenministerkonferenz nicht zu befürchten sei. Nach Änderung der Entscheidungspraxis im Mai 2007 hat das Bundesamt dann sogar auf Antrag des Klägers die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Auch für den Zeitraum zwischen dem Erlass des Widerrufsbescheides und der Änderung der Entscheidungspraxis ist eine vom Kläger vorausgesetzte "Weigerung" des Bundesamtes zur Prüfung von Abschiebungshindernissen nicht gegeben, weil es mit einem entsprechenden Begehren des Klägers mangels Antragstellung nicht befasst war. Es hat in der im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens erfolgten Stellungnahme vom 3. April 2008 lediglich darauf verwiesen, dass es insoweit bereits eine (nach wie vor bindende) Entscheidung getroffen habe. Gleichzeitig hat es die Stellung eines Wiederaufgreifensantrags angeregt, was letztlich zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt hat, woraus ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erwachsen ist. Dass in einer solchen Situation die Ausländerbehörde nicht ausnahmsweise befugt ist, die Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylVfG für in der Vergangenheit liegende Zeiträume zu durchbrechen, folgt aus den obigen Ausführungen zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 24a Abs. 5 Satz 4 VwGO).