Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.09.2009, Az.: 9 LB 50/09
Beteiligter; Erstattungszinsen; Gewerbesteuer; Gläubiger; Organgesellschaft; Organschaft; Organträger; Prozesszinsen; Zinsanspruch
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 24.09.2009
- Aktenzeichen
- 9 LB 50/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 45321
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:0924.9LB50.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 22.02.2006 - AZ: 1 A 2091/04
Rechtsgrundlagen
- 1 II AO
- 233a AO
- 236 AO
Amtlicher Leitsatz
Eine Organgesellschaft, der gegenüber eine Gewerbesteuer aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung herabgesetzt worden ist, kann wegen ihrer Beteiligtenstellung auch dann Prozesskosten beanspruchen, wenn die Gewerbesteuer innerhalb des Organkreises anfällt.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Prozesszinsen nach § 236 AO. Sie ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der C. GmbH. Mit dem Finanzamt D. führte sie vom 17. Dezember 1997 an einen Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit der ihr gegenüber für die Jahre 1988 bis 1992 ergangenen Gewerbesteuermessbescheide. Streitig war die Frage, ob die Klägerin im genannten Zeitraum gewerbesteuerpflichtig war oder ob zwischen ihr und der C. GmbH eine gewerbesteuerliche Organschaft mit der Folge bestand, dass die Klägerin Gewerbesteuer nicht zu entrichten hatte. Das Niedersächsische Finanzgericht hob die Gewerbesteuermessbescheide mit Urteil vom 31. Juli 2001 (6 K 821/97) auf. Der Bundesfinanzhof wies die Revision des Finanzamts mit rechtskräftigem Gerichtsbescheid vom 7. August 2002 (I R 83/01) zurück, weil eine gewerbesteuerliche Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG zwischen der Klägerin und der C. GmbH bestanden habe und Schuldnerin der Gewerbesteuer daher alleine die C. GmbH als Organträgerin, nicht aber die Klägerin als Organgesellschaft gewesen sei. Aufgrund dieser Entscheidungen hob das Finanzamt D. auch die gegenüber der Klägerin ergangenen Gewerbesteuermessbescheide für die Folgejahre (1993 bis 2000) auf.
Auf der Grundlage der erlassenen Gewerbesteuermessbescheide hatte die Beklagte gegenüber der Klägerin für die Jahre 1988 bis 1993 (nicht von der Vollziehung ausgesetzte) Gewerbesteuern in Höhe von 1 948 423,25 EUR festgesetzt. Mit Bescheiden vom 4. März 2003 änderte sie ihre Gewerbesteuerbescheide und setzte sie die Gewerbesteuer gegenüber der Klägerin u.a. für die Jahre 1988 bis 1993 auf Null fest. Am 7. März 2003 erstattete sie der Klägerin die nicht von der Vollziehung ausgesetzten und daher von der Klägerin gezahlten Gewerbesteuern, soweit nicht eine Verrechnung mit der Gewerbesteuerschuld der C. GmbH erfolgte. In den Erstattungsbetrag von 867 536,54 EUR waren für die Jahre 1988 bis 1993 von der Klägerin gezahlte Gewerbesteuern in Höhe von 3 810 784,- DM und Gewerbesteuerverpflichtungen der C. GmbH in Höhe von 3 795 583,- DM eingeflossen, so dass in Bezug auf diesen Zeitraum 15 201,- DM = 7 772,15 EUR erstattet worden waren.
Mit Schreiben vom 21. März 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Festsetzung von Prozesszinsen gemäß § 236 AO für die Zeit vom 17. Dezember 1997 bis zum 7. März 2003 in Bezug auf die Gewerbesteuern, die sie in den Jahren 1988 bis 1993 an die Beklagte gezahlt hatte. Da die Beklagte diesem Begehren nicht nachkam, hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Untätigkeitsklage erhoben.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, zu Gunsten der Klägerin Prozesszinsen in Höhe von 600 430,- EUR festzusetzen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin könne Prozesszinsen nach § 236 Abs. 1 Satz 1 AO beanspruchen, weil die Beklagte die Festsetzung der Gewerbesteuer u.a. für die Jahre 1988 bis 1993 aufgrund des rechtskräftigen Gerichtsbescheids des Bundesfinanzhofes herabgesetzt habe. Der Anspruch sei nicht aus Wertungs- oder Billigkeitsgesichtspunkten ausgeschlossen. Auf ihn sei die bei Erstattungszinsen gemäß § 233a AO vorgesehene Befristung auf vier Jahre nicht übertragbar. Unerheblich sei für den Anspruch auch, dass der Gewerbeertrag der Klägerin nunmehr der C. GmbH als Organträgerin zuzurechnen sei und daher Gewerbesteuer nicht mehr bei der Klägerin, wohl aber im Organkreis anfalle; denn § 236 AO knüpfe an die formelle Beteiligteneigenschaft der Klägerin an, die zur Erfüllung einer eigenen Steuerschuld für die Jahre 1988 bis 1993 gezahlt habe. Eine Unbilligkeit des Anspruchs auf Prozesszinsen lasse sich schließlich auch nicht daraus herleiten, dass die Abgabenordnung der Beklagten keinen korrespondierenden Zinsanspruch gegen den Organträger, die C. GmbH, einräume.
Auf den Antrag der Beklagten hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom 20. März 2009 (9 LA 11/07) wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zugelassen.
Die Beklagte hat die zugelassene Berufung mit Schriftsatz vom 22. April 2009 in Höhe von 2 403,- EUR zurückgenommen, weil sie einen Anspruch der Klägerin auf Prozesszinsen insoweit wegen der am 7. März 2003 vorgenommenen Erstattung von 7 772,15 EUR anerkenne. Mit der aufrechterhaltenen Berufung macht sie geltend, dass die Klägerin die noch streitige Festsetzung der Prozesszinsen in Höhe von 598 027,- EUR nach dem Sinn und Zweck des § 236 Abs. 1 AO nicht beanspruchen könne:
Die Vorschrift solle einen Ausgleich nur dafür schaffen, dass dem Steuerpflichtigen während der Prozessdauer Kapital vorenthalten worden sei. Davon könne indessen nur insoweit ausgegangen werden, als eine Steuerpflicht auch im Ergebnis nicht bestehe. Bei der - die Anerkennung einer Organschaft rechtfertigenden - wirtschaftlichen Betrachtungsweise müsse darauf abgestellt werden, dass der Organschaft wenigstens insoweit Kapital nicht entzogen worden sei, als die Organträgerin die Gewerbesteuer hätte entrichten müssen. § 236 AO sei bei einer gewerbesteuerlichen Organschaft einschränkend dahin auszulegen, dass die als Steuerpflichtige in Anspruch genommene Organgesellschaft nur dann eine Entschädigung in Form von Prozesszinsen beanspruchen könne, wenn Kapital zu Lasten der Organschaft tatsächlich vorenthalten worden sei. Es dürfe hingegen nicht ein der Organschaft gar nicht erwachsener Kapitalentzug ausgeglichen werden. Diese Gesichtspunkte lasse der sehr formale Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 10. November 1983 - V R 13/79 - unberücksichtigt, der sich zudem auf eine umsatzsteuerliche Organschaft beziehe und daher auf die - weitergehende Anforderungen stellende - gewerbesteuerliche Organschaft nicht anwendbar sei.
Eine einschränkende Anwendung des § 236 AO sei ferner deshalb geboten, weil bei einer ertragsteuerlichen Organschaft (anders als in dem Normalfall, dass ein einziges Zivilrechtssubjekt Steuerpflichtiger sei) die persönliche Gewerbesteuerpflicht von Organträger und Organgesellschaften zusammengefasst werde. Der Umstand eines einheitlichen Gewerbesteuerrechtssubjekts bei einer Mehrheit von Zivilrechtssubjekten zwinge in Organschaftsfällen zu einer korrigierenden Auslegung des § 236 AO. Die Klägerin und ihre Organträgerin, die C. GmbH, bildeten eine gewerbesteuerliche Unternehmenseinheit, die aufgrund der bestehenden Organschaft für die Gewerbesteuer ein einziges Steuersubjekt seien. Die Gewerbesteuerbelastung für die aus der Klägerin und der C. GmbH bestehende Einheit bleibe gleich, indem lediglich die Gesellschaft ausgetauscht werde, an die eine Gewerbesteuerpflicht anknüpfe (Organträgerin statt Organgesellschaft). Die Klägerin müsse deshalb im Rahmen des § 236 AO die Steuerverpflichtungen der C. GmbH für denselben Zeitraum gegen sich gelten lassen. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass Prozesszinsen nach dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung vom 2. Januar 2008 nicht schon bei einer Steuerherabsetzung, sondern nur bei der tatsächlichen Erstattung einer Steuer aufgrund eines finanzgerichtlichen Urteils gezahlt würden. Soweit Forderungen der Klägerin gegen die Beklagte mit Gewerbesteuerforderungen der Beklagten gegenüber der C. GmbH verrechnet worden seien, fehle es mangels Rückgewähr an einem Erstattungsanspruch der Klägerin. Zwar liege wegen der Verschiedenheit der handelnden juristischen Personen keine Aufrechnungslage vor; gleichwohl existiere eine dieser Aufrechnungslage sehr ähnliche Verrechnungslage, die dadurch bestimmt sei, dass die C. GmbH als Organträgerin im selben Zeitraum, für den eine Steuerpflicht der Klägerin nicht bestanden habe, und in nahezu gleichem Umfang wie die Klägerin steuerpflichtig gewesen sei.
Lehne man eine einschränkende Auslegung des § 236 Abs. 1 AO ab, so sei der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Prozesszinsen wegen § 233a AO jedenfalls auf die Zeit beschränkt, in der sie, die Beklagte, ihrerseits einen Verzinsungsanspruch gegen den Organträger, also die C. GmbH, habe. Da der Klägerin als Organgesellschaft ein unbefristeter Anspruch auf Prozesszinsen zustehe, während die Beklagte gegenüber der C. GmbH nur einen zeitlich beschränkten Anspruch aus § 233a AO habe, bestehe eine vom Gesetzgeber nicht erkannte Regelungslücke, die in den Fällen einer Organschaft nur dadurch geschlossen werden könne, dass der Zinsanspruch der Organgesellschaft in gleicher Weise zeitlich beschränkt werde wie der behördliche Zinsanspruch gegenüber dem Organträger.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit mit ihr noch die Festsetzung von Prozesszinsen in Höhe von 598 027,- EUR begehrt wird.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Beklagten mit im Wesentlichen folgenden Erwägungen entgegen:
Ein Anspruch auf Prozesszinsen stehe einer Organgesellschaft, gegen die eine Steuer zu Unrecht festgesetzt worden sei, auch dann zu, wenn die Aufhebung der Steuerfestsetzung zugleich zur Festsetzung gegenüber dem Organträger führe. Diese zur umsatzsteuerlichen Organschaft ergangene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes im Beschluss vom 10. November 1983 - V R 13/79 - sei auf den vorliegenden Fall einer gewerbesteuerlichen Organschaft ohne weiteres übertragbar. Die von der Beklagten befürwortete und auf Billigkeits- sowie Wertungsgesichtspunkte gestützte Korrektur des § 236 AO sei nicht geboten. Vielmehr widerspreche es dem Sinn und Zweck der Vorschrift, wenn bei ihrer Anwendung darauf abgestellt werde, ob und in welcher Höhe behördliche Ansprüche gegen andere Gesellschaften einer Unternehmensgruppe bestünden. Dass die Klägerin und die C. GmbH einer Verrechnung von Forderungen zugestimmt hätten, rechtfertige nicht die Annahme, die Prozesszinsen bezögen sich nur auf den nach Verrechnung tatsächlich an die Klägerin ausgezahlten Betrag. Aus der Beschränkung des Zinslaufs nach § 233a AO auf vier Jahre ergebe sich nicht die Notwendigkeit, über eine einschränkende Auslegung des § 236 AO den Anspruch auf Prozesszinsen entsprechend zu begrenzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und den vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
Gründe
II.
Das Berufungsverfahren ist in Höhe eines Betrages von 2 403,- EUR einzustellen, weil die Beklagte die zugelassene Berufung insoweit mit Schriftsatz vom 22. April 2009 zurückgenommen hat.
Über die - aufrechterhaltene und zulässige - Berufung entscheidet der Senat gemäß § 130a VwGO nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig als unbegründet ansieht und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte (auch) hinsichtlich des Betrages von 598 027,- EUR zu Recht verpflichtet, Prozesszinsen zu Gunsten der Klägerin festzusetzen. Ein Anspruch auf Prozesszinsen steht der Klägerin in dieser Höhe gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 5 AO in Verbindung mit § 236 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 AO zu.
Für den vorliegend gegebenen Fall, dass eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung (hier der Gerichtsbescheid des Bundesfinanzhofes vom 7. August 2002 - I R 83/01 - für die Jahre 1988 bis 1992) zur Herabsetzung der festgesetzten Gewerbesteuer - für das Jahr 1993 nach Änderung des Gewerbesteuermessbescheids durch das Finanzamt E. - führt (vgl. die Bescheide der Beklagten vom 4. März 2003), sehen die soeben genannten Vorschriften vor, dass der zu erstattende Betrag vom Tag der Rechtshängigkeit an (hier der 17. Dezember 1997) bis zum Auszahlungstag (hier der 7. März 2003) zu verzinsen ist. Diesem Zinsanspruch steht nicht entgegen, dass die Beklagte den der Klägerin nach Anerkennung der Organschaft geschuldeten Erstattungsbetrag nicht tatsächlich ausgezahlt, sondern im Wesentlichen durch Verrechnungen mit Forderungen gegenüber der C. GmbH, der Organträgerin, beglichen hat. Soweit § 236 Abs. 1 AO von "der zu erstattende Betrag" spricht, ist damit nicht etwa eine Barzahlung, sondern der Anspruch auf Erstattung gemeint. Die Art und Weise der geschuldeten Erstattung, also etwa eine unmittelbare Auszahlung oder eine Aufrechnung bzw. Verrechnung, ist für das Entstehen des Anspruchs auf Prozesszinsen ohne Belang (anders für den Fall der Organschaft F., in: StRK-Anm. AO 1977 § 236 R. 3 mit der Begründung, dass der Organträger die Steuer schulde und deshalb eine Erstattung der von der Organgesellschaft erbrachten Zahlung nicht erfolge). Erfasst wird derjenige Betrag, um den die Steuer herabgesetzt worden ist und der folglich zuviel entrichtet wurde und deshalb nunmehr in irgendeiner Form erstattet wird (vgl. Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand: September 2008, § 236 Rz. 25). In diesem Sinn ist auch Randziffer 2 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) in der Fassung vom 27. Juni 2008 (BStBl I 2008, 694) zu § 236 AO zu verstehen, die lautet:
Zu verzinsen ist nur der zuviel entrichtete Steuerbetrag oder die zuviel gewährte Steuervergütung. Sofern also der Rechtsbehelf zu einer Herabsetzung der Steuer oder zu einer Gewährung (Erhöhung) der Steuervergütung führt, nicht aber oder nicht in gleichem Umfang zu einer Steuererstattung oder Auszahlung einer Steuervergütung, kommt insoweit eine Verzinsung nicht in Betracht.
Demgemäß scheidet ein Anspruch auf Prozesszinsen in dem - hier nicht gegebenen - Fall aus, dass der Betrag, bezüglich dessen eine Herabsetzung erfolgt ist, gar nicht an den Fiskus gezahlt wurde (z.B. wegen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder Aussetzung der Vollziehung). Für die Gleichstellung von tatsächlicher Auszahlung und Verrechnung spricht schließlich auch, dass der Anspruch der Organgesellschaft auf Prozesszinsen nicht von der Zufälligkeit abhängen kann, ob gegenüber dem Organträger ein Gewerbesteueranspruch besteht oder z.B. wegen Zurechnung von Gewerbeverlusten anderer Organgesellschaften, entfallen ist.
Gläubiger des Zinsanspruchs nach § 236 Abs. 1 und 2 AO ist derjenige, gegen den die Behörde zu Unrecht Abgaben festgesetzt hat und der demgemäß Beteiligter des Finanzgerichtsprozesses war bzw. von der Aufhebung oder Änderung des Gewerbesteuerbescheids betroffen ist, soweit die gegen ihn festgesetzten Steuern herabgesetzt worden sind und er die Steuern gezahlt hat. Unerheblich ist, aus welchem Grund die Steuern herabgesetzt wurden und ob der Beteiligte überhaupt Steuersubjekt der herabgesetzten Steuer sein kann (so z.B. BFH, Urt.v. 10.11.1983 - V R 13/79 - BStBl II 1984, 185; Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Stand: Mai 2009, § 236 Rn. 28 m.w.N.). Bei Anwendung dieser Maßstäbe auf den vorliegenden Fall ist der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Prozesszinsen zuzuerkennen. Denn sie ist wegen der ihr gegenüber ergangenen Gewerbesteuermessbescheide Beteiligte des Finanzgerichtsprozesses gewesen und hat die in den später aufgehobenen Gewerbesteuerbescheiden festgesetzte Gewerbesteuer zunächst als eigene Schuld gezahlt.
Der Senat folgt der Beklagten nicht in deren Ansicht, dass die genannten Maßstäbe zum Innehaben des Anspruchs nach § 236 Abs. 1 und 2 AO nicht auf die Organgesellschaft innerhalb einer gewerbesteuerlichen Organschaft anwendbar seien. Dabei sind für ihn folgende Grundsätze maßgebend:
Eine spezielle Regelung für die Gewährung von Prozesszinsen im Rahmen von Organschaftsverhältnissen enthält weder § 236 AO noch eine andere gesetzliche Vorschrift. Der Bundesfinanzhof hat in seinem bereits erwähnten Urteil vom 10. November 1983 (a.a.O.) entschieden, dass einer Organgesellschaft, gegen die eine Steuer zu Unrecht festgesetzt wurde, (wie hier gegenüber der Klägerin) ein Anspruch auf Prozesszinsen auch dann zusteht, wenn die Aufhebung der Steuerfestsetzung gegenüber der Organgesellschaft dazu führt, dass die Steuer gegenüber dem Organträger festgesetzt wird. Die als Steuerschuldnerin herangezogene, im Prozess obsiegende Organgesellschaft soll Prozesszinsen also auch beanspruchen können, wenn sie nicht im materiellen Sinn Steuerschuldner ist und die Steuer im Organkreis anfällt (zustimmend Mathiak, LSW Gruppe 3, 2223, 3, 1984). Dieser - nicht näher begründeten - Auffassung schließt sich der Senat im Ergebnis an:
Der Übertragung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes auf Fälle der hier gegebenen Art steht nicht entgegen, dass der Bundesfinanzhof über eine umsatzsteuerliche Organschaft entschieden hat, während es vorliegend um eine gewerbesteuerliche Organschaft geht. Die für einen Anspruch der Organgesellschaft auf Prozesszinsen sprechenden Gesichtspunkte sind bei einer gewerbesteuerlichen Organschaft sogar noch stärker als bei der umsatzsteuerlichen Organschaft. Der Wegfall der Umsatzsteuerpflicht auf Grund einer Organschaft setzt nämlich voraus, dass die Organgesellschaft ihre Selbstständigkeit verloren hat, sie also als unselbstständiger Bestandteil des einheitlichen Unternehmens des Organträgers anzusehen ist. Bei der gewerbesteuerlichen Organschaft bilden Organgesellschaft und Organträger trotz der Fiktion des § 2 Abs. 2 GewStG (wonach die Organgesellschaft zwecks Zurechnung ihres Gewerbeertrags zum Organträger als dessen Betriebsstätte gilt) kein einheitliches Unternehmen (vgl.z.B. BFH, Urt.v. 28.1.2004 - I R 84/03 - BStBl II 2004, 539 [BFH 28.01.2004 - I R 84/03] m.w.N.); sie bleiben selbstständige Gewerbebetriebe, die einzeln für sich bilanzieren und deren Gewerbeerträge getrennt zu ermitteln sind; nur die persönliche, nicht auch die sachliche Steuerpflicht der Organgesellschaft geht für die Zeit des Bestehens der Organschaft auf den Organträger über (vgl. Nr 14 (2) der Gewerbesteuer-Richtlinien 1998; BFH, Urt.v. 27.6.1990 - I R 183/85 - BStBl II 1990, 916 [BFH 27.06.1990 - I R 183/85]; Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, 6. Aufl., § 2 Rz. 191; Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, Stand: 2009, § 2 Rn 3005 f., 3041; Heine, Organschaft im Gewerbesteuerrecht, KStZ 2009, 146 f., 151). Sieht man - wie der Bundesfinanzhof - sogar bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft die unselbstständig gewordene Organgesellschaft als Inhaber des Anspruchs auf Prozesszinsen an, so muss dieser Anspruch erst recht bei einer gewerbesteuerlichen Organschaft der selbstständig gebliebenen und sachlich steuerpflichtigen Organgesellschaft zuerkannt werden.
Entgegen der Ansicht der Beklagten steht es mit dem Sinn und Zweck des § 236 Abs. 1 und 2 AO in Einklang, der Organgesellschaft einen Anspruch auf Prozesszinsen einzuräumen. Die Gewährung von Prozesszinsen soll den formellen Steuerschuldner - also denjenigen, dem gegenüber die Steuer festgesetzt worden ist und der die Steuer deshalb zur Erfüllung einer eigenen Steuerschuld gezahlt hat - dafür entschädigen, dass ihm während des Gerichtsverfahrens Kapital, das ihm zurückerstattet werden muss, vorenthalten worden ist (vgl. Beschl.d. Sen. v. 2.3.2009 - 9 LA 379/07 - ZKF 2009, 93[OVG Niedersachsen 02.03.2009 - 9 LA 379/07] m. zahlr. Nachw. aus d. Rspr.d. BFH). Da der formelle Steuerschuldner den Kapitalentzug hinnehmen musste, entspricht es dem Entschädigungsgedanken, den Anspruch auf Prozesszinsen unmittelbar anzuknüpfen an die formelle Beteiligteneigenschaft. Diese Anknüpfung macht auch Sinn, wenn eine Organgesellschaft formelle Steuerschuldnerin und Prozessbeteiligte war. Zwar besteht zwischen Organträger und Organgesellschaft in gewissem Umfang eine Einheit, die vor allem in der rechnerischen Gewinnzusammenfassung bzw. dem Verlustausgleich zu Zwecken der Besteuerung zum Ausdruck kommt. Die zunächst getrennt ermittelten Gewerbeerträge der Unternehmen des Organkreises werden danach für die Ermittlung des gesamten Gewerbeertrags des Organkreises zusammengerechnet und dienen insoweit als Grundlage für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags gegenüber dem Organträger (vgl. Lenski/Steinberg, a.a.O., § 2 Rn. 3041).
Gleichwohl bildet der Organkreis kein einheitliches Unternehmen im Sinne des Gewerbesteuerrechts. Insbesondere hat der Organträger trotz der gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen keinen ungehinderten Zugriff auf das Vermögen der Organgesellschaft, so dass es sich insoweit um zwei voneinander zu trennende Vermögensmassen handelt, bezüglich derer jeweils eine - durch einen Zinsanspruch auszugleichende - Vorenthaltung von Kapital gegeben sein kann. Die am Organkreis beteiligten Gesellschaften bleiben - wie bereits dargelegt - rechtlich selbstständig (vgl. Lenski/Steinberg, a.a.O., § 2 Rn. 3005 f. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes). Steuerschuldner sind nicht die Unternehmenseinheit bzw. der Konzern, sondern die rechtlich selbstständig gebliebene Organgesellschaft und der Organträger. Die Organgesellschaft bleibt mithin als Steuerrechtssubjekt bestehen, wenn auch ihre persönliche Gewerbesteuerpflicht für die Dauer der Organschaft dem Organträger zugerechnet wird, als dessen Betriebsstätte sie gilt (vgl. Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl. 2006, § 33 Rn. 9 f.). Zur Gewerbesteuer veranlagt wird also lediglich der Organträger; gegenüber dem auch der Gewerbesteuermessbetrag für die zum Organkreis gehörenden Unternehmen festgesetzt wird (vgl. Lenski/Steinberg, a.a.O., § 2 Rn. 3005 f. und 3041). Verfehlt ist nach alledem insbesondere die von der Beklagten gewählte Argumentationsgrundlage, dass es sich bei der C. GmbH als Organträgerin und der Klägerin als Organgesellschaft um eine gewerbesteuerliche Unternehmenseinheit handele und daher nicht verschiedene Vermögensmassen von selbstständigen Unternehmen betroffen seien.
Die - bereits erwähnte - Möglichkeit des uneingeschränkten Verlustausgleichs innerhalb der Organschaft wird dadurch begründet, dass die Organgesellschaft gewerbesteuerrechtlich als Betriebsstätte des Organträgers gilt. Sie macht deutlich, dass die der Rechtsauffassung der Beklagten zu Grunde liegende Annahme, die gegenüber der Organgesellschaft festgesetzte Steuerschuld entstehe in gleicher Höhe beim Organträger und müsse von der eine wirtschaftliche Einheit bildenden Organschaft gezahlt werden, nicht zwingend ist. Da dem Organträger die Ergebnisse der Organgesellschaft zugerechnet und sie bei ihm mit den anderen Ergebnissen innerhalb der Organschaft verrechnet werden, kann die Steuerschuld des Organträgers vielmehr wesentlich niedriger sein als diejenige der Organgesellschaft. Auch dies rechtfertigt es, bei dem Zinsanspruch nach § 236 Abs. 1 und 2 AO allein auf die Rechtsbeziehung des Steuergläubigers zur Organgesellschaft als dem formellen Steuerschuldner abzustellen, zumal es nicht Aufgabe des Verfahrens betreffend den Zinsanspruch der Organgesellschaft sein kann, Feststellungen darüber zu treffen, ob der Steueranspruch gegenüber dem Organträger in derselben Höhe wie gegenüber der Organgesellschaft besteht oder aber auf Grund von Verrechnungsmöglichkeiten niedriger ist.
Aus den obigen Ausführungen zur Selbstständigkeit der Organgesellschaft folgt zugleich, dass der Beklagten auch nicht in deren Ansicht gefolgt werden kann, Billigkeits- und Wertungsgesichtspunkte erforderten die Ablehnung eines Anspruchs auf Prozesszinsen gemäß § 236 Abs. 1 und 2 AO. Das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten beruht ebenfalls auf der - wie dargelegt - fehlerhaften Annahme, bei der Organschaft bestehe eine Unternehmenseinheit. Sieht man die Organgesellschaft hingegen - zutreffend - als selbstständiges Unternehmen an, so rechtfertigt sich daraus zugleich die Annahme, dass der Organgesellschaft, hier der Klägerin, als eigenständigem Rechtssubjekt auf Grund bestehender Vorleistungspflicht Kapital in Höhe des nach Anerkennung der Organschaft zu erstattenden Betrags entzogen worden ist. Es erscheint nicht unbillig, sondern entspricht gerade dem Sinn und Zweck des § 236 Abs. 1 und 2 AO, durch die Gewährung von Prozesszinsen die Vorleistungspflicht der in Anspruch genommenen und deswegen am Prozess beteiligten Organgesellschaft auszugleichen und ihr eine Entschädigung für die Vorenthaltung von Kapital zu gewähren.
Der Beklagten kann schließlich auch nicht in ihrer Ansicht gefolgt werden, dass ein - aus den dargelegten Gründen gegebener - Anspruch der Klägerin auf Prozesszinsen wegen der Fristenregelung in § 233a Abs. 2 AO beschränkt sei auf die Zeit, in der sie, die Beklagte, ihrerseits einen Verzinsungsanspruch gegen den Organträger, also die C. GmbH, gehabt habe. Die Vorschrift besagt in der Fassung des für die Jahre 1989 bis 1993 maßgebenden Steuerreformgesetzes 1990 (BGBl I 1988, S. 1093, 1127), dass der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, beginnt und mit der Fälligkeit der Steuernachforderung oder Steuererstattung, spätestens vier Jahre nach seinem Beginn, endet. Die von der Beklagten geforderte Übertragung dieser Fristenregelung auf den Anspruch auf Prozesszinsen scheidet aus, es sowohl mit dem Sinn und Zweck der Einführung von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO als auch mit den durch die Befristung des Zinslaufs verfolgten Zielsetzungen unvereinbar wäre, wenn § 233a AO im Rahmen des § 236 Abs. 1 und 2 AO gelten würde. Letzteres zeigen folgende Erwägungen:
Bei der Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen gemäß § 233a AO einerseits und der Gewährung von Prozesszinsen nach § 236 AO andererseits handelt es sich von der Art und Ausgestaltung her um voneinander unabhängige Zinsansprüche, wobei die Erstattungszinsen gemäß § 233a AO nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 11/2157, S. 194 f.) neben die Prozesszinsen treten und diese daher ergänzen, nicht aber verdrängen sollen. Dem steht § 236 Abs. 4 AO (wonach Zinsen gemäß § 233a AO, die für denselben Zeitraum festgesetzt werden, auf die Prozesszinsen anzurechnen sind) nicht entgegen. Die Vorschrift regelt ausschließlich den Fall einer Überschneidung beider Zinsarten und sieht insoweit eine Anrechnung vor, um Doppelverzinsungen zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 11/2157, S. 197). Ihr lässt sich nicht entnehmen, dass dem Anspruch auf Prozesszinsen eine eigenständige Bedeutung nicht mehr zukommt oder er sich in der Ausgestaltung dem Anspruch auf Erstattungszinsen unterordnet. Eine entsprechende Anwendung der Fristenregelungen nach § 233a Abs. 2 AO auf den Anspruch auf Prozesszinsen wird gerade nicht vorgesehen. Sie würde den unterschiedlichen Zielsetzungen, die der Gesetzgeber einerseits mit dem Anspruch auf Prozesszinsen und andererseits mit der Gewährung von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO verfolgt hat, nicht Rechnung tragen. § 233a AO will zu Gunsten oder zu Ungunsten des Steuerpflichtigen Ungerechtigkeiten vermeiden, die darauf beruhen, dass die abschließende Festsetzung von Steuern durch Umstände verzögert wird, die ihre Ursache im Ablauf des Verwaltungsverfahrens der Finanzbehörden (insbesondere zeitaufwändige und verzögerte Außenprüfungen) haben.
In diesem Zusammenhang soll die Fristenregelung die zinsrechtlichen Folgen des zeitlichen Auseinanderfallens von Entstehen und Fälligkeit der Steuer einschränken. Durch die zeitliche Begrenzung des Zinslaufs sollen die Steuerpflichtigen im Hinblick auf die Verzinsung so gestellt werden, als sei die Steuerfestsetzung auf Grund der Außenprüfung zeitnah erfolgt. Diese gesetzgeberischen Absichten hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Bundestagsdrucksache 11/2157, S. 194 eingehend dargelegt, so dass auf seine Ausführungen verwiesen werden kann. Eine vergleichbare Interessenlage besteht nicht bei den Prozesszinsen, die - wie dargelegt - die mit der Vorleistungspflicht des Steuerschuldners verbundene Vorenthaltung von Kapital ausgleichen sollen und bei denen sich der Zinslauf maßgeblich nach der Dauer des gerichtlichen Verfahrens richtet. Schon aus diesem Grund fehlt es an der von der Beklagten angenommenen Regelungslücke. Soweit gewerbesteuerliche Organschaften betroffen sind, ist die unterschiedlich lange Gewährung von Prozesszinsen und Zinsen nach § 233a AO auch nicht unbillig, weil Organgesellschaft und Organträger rechtlich selbstständige Unternehmen geblieben sind und die Interessenlagen im Verhältnis der Beklagten einerseits zur Klägerin als Organgesellschaft wegen Prozesszinsen und andererseits zur C. GmbH als Organträgerin wegen Zinsen nach § 233a AO völlig verschieden sind.