Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 01.07.2020, Az.: 4 StE 1/17

Antrag auf allgemeine Zeugenerstattung umfasst auch Zeitversäumnis; Zumutbarkeit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel am Gerichtsort; Erstattungsfähigkeit von Taxikosten nur im Ausnahmefall; Notwendigkeit von Übernachtungskosten bei Anreise vom Wohnort vor 6 Uhr

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
01.07.2020
Aktenzeichen
4 StE 1/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 34366
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2020:0701.4STE1.17.00

Fundstelle

  • JurBüro 2020, 428-431

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 20 JVEG ist einem Zeugen grundsätzlich auch dann zu gewähren, wenn eine solche nicht ausdrücklich geltend gemacht worden ist, der Zeuge aber allgemein Zeugenentschädigung beantragt hat und aus den von ihm erteilten Auskünften hervorgeht, dass die Voraussetzungen für eine Entschädigung für Zeitversäumnis gegeben sind.

  2. 2.

    Von Zeugen kann, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, eine Benutzung regelmäßig verkehrender öffentlicher Verkehrsmittel am Gerichtsort erwartet werden, und zwar auch bei fehlender Ortskenntnis. Daher kann für entstandene Taxikosten regelmäßig nur eine Entschädigung nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 JVEG in Höhe von 0,25 € pro Fahrtkilometer gewährt werden.

  3. 3.

    Übernachtungskosten sind zu erstatten, sofern eine auswärtige Übernachtung am Gerichtsort notwendig war. Der Erstattungsanspruch ist nicht davon abhängig, dass der Zeuge im Vorfeld beim Gericht eine Genehmigung für die Übernachtung eingeholt oder die Übernachtung zumindest vorab dem Gericht angezeigt hat.

Tenor:

Die Entschädigung des Zeugen M. J. aus Anlass seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung vor dem 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle am 27. Mai 2020 wird auf 231,63 € festgesetzt.

Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Kostenbeamtin des 4. Strafsenats - Staatsschutzsenat - hat dem Senat mit Zuschrift vom 23. Juni 2020 einen Antrag des in einer erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom Senat am 27. Mai 2020 vernommenen Zeugen M. J. auf Zeugenentschädigung mit der Anregung vorgelegt, die Entschädigung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG durch Beschluss gerichtlich festzusetzen.

Denn es sei nach erhobenen Einwänden der Vertreterin der Staatskasse gegen die bisherige Praxis der Festsetzung von Zeugenentschädigungen klärungsbedürftig, ob einem Zeugen Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 20 JVEG auch dann zu zahlen sei, wenn der Zeuge zwar unter Verwendung des ihm vom Gericht zur Verfügung gestellten und von ihm vollständig ausgefüllten Formblatts pauschal Entschädigung beantragt hat, nicht aber ausdrücklich auch einen Antrag auf Gewährung von Entschädigung für Zeitversäumnis gestellt hat. Ferner bestehe nach erhobenen Einwänden der Vertreterin der Staatskasse Unsicherheit, ob einem Zeugen Übernachtungskosten auch dann zu erstatten sind, wenn dieser im Vorfeld seiner Vernehmung keinen Antrag auf gerichtliche Genehmigung einer Hotelübernachtung am Vernehmungsort gestellt hatte.

II.

Die gerichtliche Festsetzung der Vergütung für den Zeugen M. J. ist veranlasst. Zwar hat die Kostenbeamtin kein eigenes Antragsrecht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG. Es ist ihr aber unbenommen, zur Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage oder - wie hier - eines Disputs mit der Vertreterin der Staatskasse und damit zu ihrer Entlastung eine gerichtliche Festsetzung anzuregen (Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 4 JVEG Rn. 4). Eine solche - in den vorgenannten Fällen regelmäßig sachgerechte - Anregung bewirkt, dass das Gericht zu prüfen hat, ob es (ausnahmsweise) eine Festsetzung der Zeugenvergütung, die grundsätzlich der Kostenbeamtin obliegt, durch das Gericht für angemessen hält.

Hier ist eine gerichtliche Festsetzung angemessen, denn insbesondere die Frage, ob eine Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 20 JVEG nur bei einem ausdrücklich auch hierauf gerichteten Antrag des Zeugen gewährt werden darf, ist zwischen den Kostenbeamtinnen der hiesigen Strafsenate und der Vertreterin der Staatskasse umstritten. Während die Kostenbeamtinnen der Strafsenate es als Grundlage für die Gewährung einer Entschädigung für Zeitversäumnis genügen lassen, dass allgemein unter Vorlage des vom Gericht zur Verfügung gestellten und vom Zeugen ausgefüllten Formulars ein Antrag auf Zeugenentschädigung gestellt worden ist, hat die Vertreterin der Staatskasse diese Praxis unter Hinweis darauf moniert, eine Entschädigung für Zeitversäumnis müsse vom berechtigten Zeugen explizit beantragt werden. Die gerichtliche Festsetzung der Zeugenentschädigung dient damit der rechtskonformen und zügigen Entschädigungsfestsetzung im vorliegenden Fall und bei zukünftigen Anträgen auf Zeugenentschädigung in Verfahren der Strafsenate des Oberlandesgerichts Celle.

Da der Zeuge J. in einer erstinstanzlichen strafrechtlichen Hauptverhandlung vor dem 4. Strafsenat - Staatsschutzsenat - des Oberlandesgerichts Celle vernommen wurde, ist dieser gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 JVEG für die Entscheidung zuständig, wobei der Unterzeichner gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG als Einzelrichter zu befinden hat. Zwar könnte die Regelung des § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG bei einem streng am Wortlaut orientierten Verständnis dahingehend interpretiert werden, dass keine originäre Einzelrichterzuständigkeit gegeben ist, wenn eine gerichtliche Festsetzung nicht aufgrund eines hierauf - also einer gerichtlichen Entscheidung - gerichteten Antrages, sondern - wie hier - allein deshalb erfolgt, weil das Gericht sie für angemessen erachtet (so LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. September 2004 - L 12 RJ 3686/04 KO-A, Justiz 2005, 91; Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 4 JVEG Rn. 18). Ein derart enges Verständnis der Einzelrichterzuständigkeit würde aber dem Ziel der Regelung, nachrangige Nebenentscheidungen wie Kostenentscheidungen grundsätzlich einem Einzelrichter zu überlassen und den gesamten Spruchkörper nur zu aktivieren, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten aufweist oder grundsätzliche Bedeutung hat, nicht gerecht. Gerade der vorliegende Fall, in dem eine gerichtliche Festsetzung wegen eines Disputs zwischen der Kostenbeamtin und der Vertreterin der Staatskasse über die Rechtslage erfolgt, zeigt, dass eine gerichtliche Festsetzung auch dann angemessen sein kann, wenn die Sache weder besonders schwierig ist noch grundsätzliche Bedeutung hat, also nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich in der Regelung des § 4 Abs. 7 JVEG manifestiert, der Einzelrichter entscheiden soll (wie hier, also Einzelrichterentscheidung auch bei Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 1 letzte Variante, z.B. auch LSG Bayern, Beschluss vom 1. März 2016 - L 15 RF 28/15; BeckRS 2016, 67298).

Eine Übertragung des Verfahrens an den Senat nach § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG ist nicht veranlasst, da die Sache weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist noch die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die inmitten stehenden Rechtsfragen sind vielmehr bereits wiederholt auch obergerichtlich entschieden worden.

Eine Anhörung der Angeklagten und ihrer Verteidiger vor Ergehen der Entscheidung war nicht veranlasst, da dieser Beschluss gemäß § 4 Abs. 9 JVEG nicht zu Lasten des Kostenschuldners wirkt (Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 4 JVEG Rn. 6). Die Vertreterin der Staatskasse wurde gehört; sie hat nach Vorlage der Anregung der Kostenbeamtin, die Zeugenentschädigung gerichtlich festzusetzen, Stellung genommen. Einer vorherigen Anhörung des Zeugen bedurfte es ausnahmsweise nicht, da seinem Entschädigungsanspruch im geltend gemachten Gesamtumfang entsprochen wird.

III.

Dem Zeugen M. J. ist auf seinen Antrag vom 31. Mai 2020 hin eine Zeugenentschädigung in Höhe von 231,63 € zu zahlen. Zur Begründung nimmt der Senat zunächst Bezug auf die im Ergebnis zutreffende Berechnung der Kostenbeamtin in ihrer Zuschrift an den Senat vom 23. Juni 2020. Hinsichtlich der Punkte, die eine gerichtliche Festsetzung der Zeugenentschädigung angemessen erscheinen lassen, ist Folgendes auszuführen:

1. Dem Zeugen ist eine Entschädigung für Zeitversäumnis gemäß § 20 JVEG zu gewähren. Zwar darf einem Zeugen Entschädigung nach dem JVEG nur auf einen Antrag hin und nicht von Amts wegen gewährt werden; das Erfordernis einer ausdrücklichen Geltendmachung von Entschädigung folgt bereits aus § 2 JVEG (vgl. Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 2 JVEG Rn. 1; Schneider, JVEG, 3. Aufl. 2018, § 2 Rn. 2; Weber, in: Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 49. Aufl. 2019, § 2 JVEG Rn. 1, 4). Es genügt aber, wenn der entschädigungsberechtigte Zeuge allgemein und pauschal einen Antrag auf Entschädigung stellt und die für die Feststellung der in Betracht kommenden Entschädigungstatbestände im Sinne des § 19 Abs. 1 JVEG und die Ermittlung der Höhe der Einzelansprüche und des Gesamtanspruchs erforderlichen Informationen mitteilt (ThürLSG, Beschluss vom 30.10.2012 - L 6 SF 1252/12 E, BeckRS 2012, 76006; Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 2 JVEG Rn. 3; Schneider, JVEG, 3. Aufl. 2018, § 2 Rn. 3; Weber, in: Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 49. Aufl. 2019, § 2 JVEG Rn. 4, 14). Eine darüberhinausgehende konkrete Bezeichnung einzelner Entschädigungstatbestände im Sinne des § 19 Abs. 1 JVEG, insbesondere eine explizite Beantragung einer Entschädigung für einzelne Entschädigungstatbestände, kann von Zeugen, von denen keine Kenntnis des JVEG erwartet werden kann, nicht verlangt werden. Es ist Aufgabe des Kostenbeamten beziehungsweise der Kostenbeamtin, auf der Basis der vom Zeugen mitgeteilten Informationen festzustellen, welche Entschädigung im Sinne des § 19 Abs. 1 JVEG in welcher Höhe zu gewähren ist, sofern überhaupt ein (allgemeiner) Antrag auf Gewährung von Zeugenentschädigung gestellt worden ist.

Dies gilt insbesondere auch für den vorliegenden Fall, denn dem Zeugen wurde vom Gericht ein vom Zeugen auszufüllendes Antragsformular zur Verfügung gestellt, welches keine ausdrückliche Beantragung einer Entschädigung für Zeitversäumnis vorsieht. Vielmehr enthält das Formular lediglich den allgemein gehaltenen Satz, dass Zeugenentschädigung beantragt wird, und werden sodann Informationen erfragt, die zur Bestimmung der in Betracht kommenden Entschädigungstatbestände und zur Ermittlung der Höhe der einzelnen Entschädigungsansprüche benötigt werden. Wenn aber dem Zeugen von der Justizverwaltung ein solches Formular - das nach dem obenstehenden nicht zu beanstanden ist - ausgehändigt wird, darf ihm, wenn er dieses im Vertrauen darauf, mit dem vollständigen Ausfüllen des Formulars seine Rechte umfassend geltend zu machen, ausgefüllt einreicht, erst recht eine Entschädigung für Zeitversäumnis nicht mit dem Argument versagt werden, er habe eine solche Entschädigung nicht ausdrücklich beantragt (zur abweichenden rechtlichen Beurteilung, wenn ein Formular ein Ankreuzfeld für eine Entschädigung für Zeitversäumnis vorsieht, der Antragsteller dieses aber nicht angekreuzt hat, vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 6. November 2013 - L 15 SF191/11 B E, BeckRS 2013, 74227; LSG Bayern, Beschluss vom 4. November 2014 - L 15 SF 198/14, BeckRS 2014, 74010).

Hier hat der Zeuge mit der Vorlage des von ihm ausgefüllten Formulars allgemein Entschädigung beantragt und (auch) die Informationen übermittelt, die für die Feststellung eines Anspruches auf Entschädigung für Zeitversäumnis dem Grunde nach sowie für die Ermittlung der Entschädigungshöhe erforderlich sind.

Danach kann festgestellt werden, dass der Zeuge einen Anspruch auf Entschädigung für Zeitversäumnis hat. Denn er hat im Antragsformular angegeben, arbeitssuchend zu sein und keinen Verdienstausfall erlitten zu haben. Angaben, die einen (höheren) Anspruch auf Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung (§ 21 JVEG) begründen könnten, hat der Zeuge nicht gemacht. Das genügt (vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 4. November 2014 - L 15 SF 198/14, BeckRS 2014, 74010).

Denn die Entschädigung für Zeitversäumnis setzt keine finanzielle Einbuße durch die Heranziehung als Zeuge voraus (LSG Bayern, Beschluss vom 30. Juli 2012 - L 15 SF 439/11, BeckRS 2012, 72162; LSG Bayern, Urteil vom 24. November 2016 - L 15 RF31/16, BeckRS 2016, 74513). Vielmehr ist bereits ein eingetretener Verlust an Freizeit ausreichend, um einen Entschädigungsanspruch entstehen zu lassen (LSG Bayern, Urteil vom 24. November 2016 - L 15 RF31/16, BeckRS 2016, 74513; Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 20 JVEG Rn. 2). Auch bei nichterwerbstätigen Personen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie ihre Zeit sinnvoll nutzen und daher eine (immaterielle) Einbuße durch ihre Heranziehung als Zeuge erlitten haben (Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 20 JVEG Rn. 2; Schneider, JVEG, 3. Aufl. 2018, § 20 Rn. 6; a.A. BeckOK-KostR/Bleutge, 30. Ed. 2020, § 20 JVEG Rn. 10). Zudem ist die Verwendung von Freizeit sehr vielgestaltig und steht sie im Belieben des Einzelnen, weshalb es weder dem Kostenbeamten noch dem Kostenrichter zusteht, die Wertigkeit der Freizeitgestaltung des Zeugens zu beurteilen (LSG Bayern, Urteil vom 24. November 2016 - L 15 RF31/16, BeckRS 2016, 74513). Daher kann von einem Zeugen auch nicht verlangt werden darzulegen, welche (sinnvolle) Tätigkeit er nicht ausüben konnte (LSG Bayern, Beschluss vom 30. Juli 2012 - L 15 SF 439/11, BeckRS 2012, 72162).

Zwar ist gemäß § 20 JVEG ist keine Entschädigung für Zeitversäumnis zu leisten, wenn dem Zeugen durch seine Heranziehung ersichtlich kein Nachteil entstanden ist. Dies bedeutet aber nicht, dass der Zeuge gehalten wäre vorzutragen, dass ihm durch seine Inanspruchnahme Nachteile entstanden sind. Es besteht vielmehr eine widerlegbare gesetzliche Vermutung dahingehend, dass ein Nachteil entstanden ist (LSG Bayern, Beschluss vom 30. Juli 2012 - L 15 SF 439/11, BeckRS 2012, 72162; LSG Bayern, Urteil vom 24. November 2016 - L 15 RF31/16, BeckRS 2016, 74513; Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 20 JVEG Rn. 2). Die Einschränkung in § 20 JVEG ist dahingehend zu verstehen, dass ausnahmsweise keine Entschädigung für Zeitversäumnis zu leisten ist, wenn Umstände offensichtlich sind - etwa aufgrund des Akteninhalts, aufgrund von Angaben des Zeugen oder durch Aussagen anderer Personen -, aus denen sich ergibt, dass dem Zeugen ausnahmsweise keinerlei Nachteil durch seine Inanspruchnahme als Beweisperson entstanden ist. Dies gilt etwa bei Gefangenen oder bei Zeugen, die von ihrem Arbeitgeber unter Fortzahlung ihres Lohnes für die Zeit der Zeugenvernehmung von der Arbeit freigestellt werden, ohne die versäumte Arbeitszeit nacharbeiten zu müssen (vgl. Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 20 JVEG Rn. 2). Solche ausnahmsweise einen Nachteil ausschließende Umstände sind hier jedoch nicht ersichtlich. Generell gilt, dass die Anforderungen an die Prüfungspflicht des Kostenbeamten und des Kostenrichters angesichts der gesetzlichen Vermutung für das Vorliegen eines Nachteils sehr gering sind (LSG Bayern, Beschluss vom 30. Juli 2012 - L 15 SF 439/11, BeckRS 2012, 72162; LSG Bayern, Urteil vom 24. November 2016 - L 15 RF31/16, BeckRS 2016, 74513).

Hinsichtlich der Höhe des Anspruchs auf Entschädigung für Zeitversäumnis gilt: Unter Berücksichtigung des erforderlichen Beginns der Anreise des Zeugen am 26. Mai 2020 und der erforderlichen Zeit für seine Rückreise nach Abschluss seiner Vernehmung sowie der gesetzlichen 10-Stunden-Beschränkung des § 19 Abs. 2 JVEG ist von insgesamt 12,5 zu berücksichtigenden Stunden auszugehen. Angesichts des gesetzlichen Stundensatzes von 3,50 € beträgt die Höhe des Anspruchs für Zeitversäumnis 43,75 €.

2. Übernachtungskosten am Gerichtsort sind einem auswärtigen Zeugen gemäß § 6 Abs. 2 JVEG dann zu erstatten, wenn eine Übernachtung notwendig war, um den Termin der Ladung entsprechend wahrzunehmen. Darauf, ob der Zeuge im Vorfeld um eine Genehmigung der Übernachtung ersucht oder eine Übernachtung angekündigt hat, kommt es nicht an. Eine Erstattung von Übernachtungskosten darf nicht von einer Genehmigung oder zumindest Anzeige im Vorfeld abhängig gemacht werden. Entscheidend ist allein, ob die mit dem Entschädigungsantrag geltend gemachten Übernachtungskosten in der Sache notwendig waren. Davon ist auszugehen, wenn der auswärtige Zeuge ohne Übernachtung seine Anreise an seinem Wohn- beziehungsweise Aufenthaltsort bei Benutzung von regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmitteln vor 06.00 Uhr morgens am Vernehmungstag hätte antreten müssen oder wenn der Zeuge - im Falle einer Anschlussübernachtung - bei einer Rückreise noch am Vernehmungstag nach Abschluss seiner Vernehmung erst nach 24.00 Uhr, also erst am Folgetag, wieder an seinem Wohn- beziehungsweise Aufenthaltsort zurückgekehrt wäre (vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 4. November 2014 - L 15 SF 198/14, BeckRS 2014, 74010; LSG Bayern, Beschluss vom 1. März 2016 - L 15 RF 28/15; BeckRS 2016, 67298; Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 6 JVEG Rn. 4).

Der Zeuge reiste zu seiner Vernehmung in Celle am 27. Mai 2020, zu der er für 9.15 Uhr geladen war, von seinem Wohnort D. aus an. In D. hätte er seine Reise vor 06.00 Uhr morgens am Vernehmungstag antreten müssen, um rechtzeitig mit öffentlichen Verkehrsmitteln beim Oberlandesgericht in Celle zu sein. Daher waren seine Anreise schon am Vortag und seine Übernachtung vom 26. Mai 2020 auf den 27. Mai 2020 in Celle notwendig. Der Zeuge hat daher einen Anspruch auf Erstattung der erforderlichen Übernachtungskosten. Irrelevant ist - wie ausgeführt - dass der Zeuge im Vorfeld seiner Vernehmung weder um eine Bewilligung der Übernachtung oder eine Zusicherung der Erstattung von Übernachtungskosten beim Oberlandesgericht Celle ersucht hatte noch seine beabsichtigte Übernachtung im Vorfeld mitgeteilt hatte.

Dem Zeugen sind daher antragsgemäß die von ihm geltend gemachten, nachgewiesenen und auch in der Höhe notwendigen Übernachtungskosten in Höhe von 69,- € zu erstatten.

3. Der Zeuge hat mit seinem Entschädigungsantrag - neben einer ihm gemäß § 5 Abs. 1 JVEG in vollem Umfang zu erstattenden Bahnfahrkarte für die Bahnfahrt von seinem Wohnort D. zum Gerichtsort Celle und zurück - Taxikosten in Höhe von 8,80 € für eine Fahrt vom Bahnhof Celle zum etwa zwei Kilometer Fußweg und drei Kilometer mit dem Auto vom Bahnhof entfernen Hotel geltend gemacht. Diese Kosten können ihm - wie die Kostenbeamtin in ihrer Zuschrift an den Senat in Übereinstimmung mit der Vertreterin der Staatskasse zu Recht ausgeführt hat - nicht wie beantragt erstattet werden.

Einen Anspruch auf volle Erstattung von Taxikosten haben Zeugen grundsätzlich nicht. Es ist Zeugen, die kein eigenes oder ihnen zur unentgeltlichen Nutzung überlassenes Kraftfahrzeug verwenden, grundsätzlich zuzumuten, für notwendige Fahrten am Gerichtsort (etwa Fahrten zwischen Bahnhof und Hotel oder Gericht beziehungsweise zwischen Hotel und Gericht) regelmäßig verkehrende öffentliche Verkehrsmittel (Bus, U-Bahn, Stadtbahn, Straßenbahn) zu nutzen; die hierfür aufgewendeten Kosten sind nach § 5 Abs.1 JVEG zu ersetzen.

Taxikosten sind demgegenüber gemäß § 5 Abs. 3 JVEG nur im Ausnahmefall in vollem Umfang erstattungsfähig, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine Benutzung regelmäßig verkehrender öffentlicher Verkehrsmittel unmöglich oder unzumutbar machen, etwa bei erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen (Mobilitätseinschränkungen) oder wenn die betreffenden Örtlichkeiten generell oder zur betreffenden Uhrzeit nicht an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sind (vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 8. Mai 2014 - L 15 SF 42/12, BeckRS 2014, 69676; Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 5 JVEG Rn. 10). Insofern ist ein strenger Maßstab anzulegen. Kürzere Wegstrecken, jedenfalls solche von bis zu einem Kilometer Wegstrecke, können regelmäßig zumutbar fußläufig zurückgelegt werden. Auf fehlende Ortskenntnis kann sich ein Zeuge regelmäßig nicht berufen; vielmehr ist es Zeugen ebenso wie sonstigen Verfahrensbeteiligten grundsätzlich zumutbar, sich Orientierung auch an ihnen unbekannten Orten zu verschaffen (vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 4. November 2014 - L 15 SF 198/14, BeckRS 2014, 74010), zumal dies im "Zeitalter des Smartphones und der mobilen Internetnutzung" in aller Regel unschwer möglich ist.

Sofern gleichwohl - also ohne das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 5 Abs. 3 JVEG - ein Taxi benutzt wird, hat der Zeuge gemäß § 5 Abs. 2 Satz 3 JVEG lediglich Anspruch auf (Teil-)Erstattung der gezahlten Taxikosten bis zur Höhe der Fahrtkosten, die bei (fiktiver) Zurücklegung der Strecke mit einem eigenen Kraftfahrzeug gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG erstattungsfähig gewesen wären (0,25 € pro Fahrtkilometer) (vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 8. Mai 2014 - L 15 SF 42/12, BeckRS 2014, 69676; LSG Bayern, Beschluss vom 4. November 2014 - L 15 SF 198/14, BeckRS 2014, 74010; Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 5 JVEG Rn. 6; BeckOK-KostR/Bleutge, 30. Ed. 2020, § 5 JVEG Rn. 27 f.; Schneider, JVEG, 3. Aufl. 2018, § 5 Rn. 58).

Hier hätte der nicht mobilitätseingeschränkte Zeuge mit dem öffentlichen Stadtbus vom Bahnhof zur Haltestelle am Schlossplatz im Stadtkern von Celle fahren und von dort aus sein Hotel unschwer zu Fuß (Wegstrecke etwa 500 Meter) erreichen können. Die Fahrtkosten der Taxinutzung waren mithin nicht notwendig im Sinne des § 5 Abs. 3 JVEG. Der Zeuge hat in Bezug auf die Auslagen für die Taxifahrt (drei Kilometer Fahrtstrecke) daher lediglich einen Erstattungsanspruch in Höhe von 0,75 €.

Zwar hat die Kostenbeamtin in ihrer Berechnung diesen Erstattungsanspruch in Höhe von 0,75 € nicht berücksichtigt. Da aber der Zeuge in einem Schreiben, mit dem er das ausgefüllte Antragsformular vorgelegt hat, seinen Anspruch selbst mit 231,63 € beziffert hat und ihm jedenfalls - auch nach der Berechnung der Kostenbeamtin - eine Entschädigung in dieser Höhe zusteht, wirkt sich dies nicht aus. Eine Entschädigung ist generell in ihrer Höhe beschränkt auf den im Antrag geltend gemachten Gesamtanspruch (Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 2 JVEG Rn. 1; § 4 JVEG Rn. 6; BeckOK-KostR/Bleutge, 30. Ed. 2020, § 2 JVEG Rn. 5; Schneider, JVEG, 3. Aufl. 2018, § 2 Rn. 2; Weber, in: Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 49. Aufl. 2019, § 2 JVEG Rn. 4).

4. Der Zeuge hat mit seinem Antrag auf Gewährung von Zeugenentschädigung diverse Essens- und Getränkequittungen eingereicht und die Erstattung seiner so belegten Verpflegungskosten (Ausgaben für Nahrungsmittel und Getränke während der Zeit seiner An- und Abreise von seinem Wohnort D. an den Gerichtsort Celle und zurück sowie während seines Aufenthaltes in Celle) beantragt. Eine solche Einzelabrechnung sieht das Gesetz indes nicht vor. Vielmehr sind (Mehr-)Ausgaben für Nahrungsmittel und Getränke durch die Pauschbeträge des dem Zeugen zu gewährenden Tagegelds nach § 6 Abs. 1 JVEG abgedeckt (LSG Bayern, Beschluss vom 4. November 2014 - L 15 SF 198/14, BeckRS 2014, 74010; LSG Bayern, Beschluss vom 1. März 2016 - L 15 RF 28/15; BeckRS 2016, 67298).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).