Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.03.2001, Az.: 11 LA 565/01
Ausländer; Ausweisung; Befristung; Ermessen; Runderlass; Sperrwirkung; Verwaltungsvorschrift
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.03.2001
- Aktenzeichen
- 11 LA 565/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 40329
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 20.11.2000 - AZ: 10 A 1024/00
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs 2 S 3 AuslG
- § 47 Abs 1 Nr 2 AuslG
- § 47 Abs 1 Nr 3 S 1 AuslG
- § 48 Abs 1 S 1 Nr 2 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der eine Ermessensdirektive darstellende Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 27. Mai 1999 - 45-12230/1-1 (§ 8)-2 - (Nds.MBl. 1999, 406) zur "Befristung der Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung" in § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG, der nach Ausweisungstyp differenzierte Regelfristen enthält, lässt im Wege der Abweichung hinreichend Raum für eine angemessene Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil bleibt ohne Erfolg.
Es ist bereits zweifelhaft, ob die Antragsbegründung, die keinen der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO ausdrücklich bezeichnet, den Darlegungserfordernissen des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO genügt. Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass mit der Wendung, die Sache habe "besondere Bedeutung", der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache), mit den Angriffen gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils) und mit dem Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 1980 -- 1 C 19.78 -- der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenz) hinreichend deutlich in Bezug genommen werden, ist eine Berufungszulassung nicht gerechtfertigt.
1. a) Der Rechtssache kommt entgegen der Ansicht des Klägers grundsätzliche Bedeutung nicht im Hinblick auf die Frage zu, "ob die Entscheidung des Beklagten durch den Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 27. Mai 1999 (Nds. MBl. S. 406) dermaßen eingeschränkt ist, dass ein pflichtgemäßes Ermessen nicht erfolgen kann." Diese Frage zu stellen, heißt sie zu verneinen, was schon ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens gesagt werden kann. Denn es versteht sich von selbst, dass der Runderlass als eine die Ermessensentscheidung zur im (hier gegebenen) Regelfall vorzunehmenden Befristung der Ausweisungswirkungen nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG lenkende Verwaltungsvorschrift (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 20.12.2000 -- 11 L 2543/00 --) unbeachtlich wäre, wenn eine an ihm ausgerichtete Verwaltungspraxis wesentliche, nach dem Gesetz zu beachtende Ermessensgesichtspunkte unberücksichtigt lassen würde.
b) Vor diesem Hintergrund hat der Senat erwogen, ob die vom Kläger zur Entscheidung gestellte Grundsatzfrage i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zulassungsfähig dahin umformuliert werden kann, ob die Ermessensdirektiven des Runderlasses, soweit sie für den Fall des Klägers einschlägig sind, mit den gesetzlichen Vorgaben des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG vereinbar sind. Auch insoweit kommt eine Berufungszulassung aber nicht in Betracht.
Dass im Fall des Klägers keine Ausnahme von der Regelbefristung zu machen ist, ist zwischen den Beteiligten unbestritten. Soweit es die sich anschließende Frage angeht, nach welchen Kriterien die Befristung zu bemessen ist, sind diese in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits dahin geklärt, dass maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erreichens des Ausweisungszwecks unter Berücksichtigung der mit der Ausweisung verfolgten spezial- und/oder generalpräventiven Ziele sowie auf die konkreten Einzelfallumstände abzustellen ist (vgl. zuletzt Urt. vom 11. 8. 2000 -- 1 C 5.00 -- DVBl. 2001, 212 m.w.N.). Diesen Ermessensdirektiven trägt der Runderlass erkennbar Rechnung, indem er Regelfristen gestaffelt danach festsetzt, ob eine Ermessens-, Regel- oder Ist-Ausweisung in Rede steht, die Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände im Wege der Verkürzung oder Verlängerung der Regelfristen um bis zu drei Jahren zulässt und festlegt, dass eine weitere Verkürzung der Frist grundsätzlich nur in Betracht kommt, wenn ohne eine Ausweisung ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Wiedereinreise bestünde. Der Senat ist schließlich in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass auch gegen die im Runderlass für die Bemessung von Befristungen nach Ausweisungstyp differenzierten Regelfristen rechtlich nichts zu erinnern ist, zumal sie lediglich Ausgangswerte darstellen, von denen -- wie dargelegt -- weitgehende Abweichungen je nach Lage der Dinge im Einzelfall möglich sind (vgl. Senatsbeschluss vom 20.12.2000 -- 11 L 2543/00 --). Der Antragsbegründung ist nichts zu entnehmen, was diesbezüglich Anlass zu einer weitergehenden grundsätzlichen Klärung geben könnte. Richtig ist zwar der Hinweis, dass bundesrechtlich -- auch im Wege der Verwaltungsvorschrift (vgl. dazu Nr. 8.2 der Allg. VwV zum AuslG vom 28.6.2000, BAnz. v. 6.10.2000, Nr. 188 a; siehe ferner Walter, NVwZ 2000, 274, 279 f. m.w.N.) -- Regelfristen nicht vorgegeben sind. Das bedeutet jedoch entgegen der Ansicht des Klägers keineswegs, dass auch auf Landesebene zur Sicherstellung einer einheitlichen Verwaltungspraxis solche Regelfristen nicht durch Verwaltungsvorschriften statuiert werden können, soweit solche Fristen -- wie dies in Niedersachsen der Fall ist -- für sich gesehen nicht unverhältnismäßig sind und im Wege der Abweichung hinreichend Raum für eine angemessene Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände geben. Derartige sachgerechte Ermessensdirektiven zu erlassen, liegt gerade mangels bundesrechtlicher Vorgaben im Gestaltungsspielraum des landesrechtlichen Vorschriftengebers (vgl. dazu für Anordnungen der obersten Landesbehörde nach § 32 AuslG auch BVerwG, Urteil vom 19.9.2000 -- 1 C 19.99 -- DVBl. 2001, 214).
c) Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache legt die Antragsschrift des weiteren nicht mit den Hinweisen dar, der Kläger habe seinen Befristungsantrag bereits hilfsweise in seinem Widerspruchsschreiben vom 2. März 1999 betr. die Ausweisungsverfügung vom 23. Februar 1999 gestellt und auf eine Entscheidung über diesen Antrag ohne Berücksichtigung der Vorgaben des erst später in Kraft getretenen Runderlasses vom 27. Mai 1999 vertrauen dürfen, auch komme der Rechtssache "besondere Bedeutung" zu, weil in Ansehung der Befristungsentscheidung im Falle seines Bruders auf zwei Jahre, der ebenfalls aufgrund der Verurteilung wegen Rauschmitteldelikten (allerdings zu wesentlich höherer Freiheitsstrafe) ausgewiesen worden sei, ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorliege.
Zum ersten Einwand genügt die Bemerkung, dass die Rechtsordnung kein Vertrauen davor schützt, eine während des Verfahrens in Kraft gesetzte, das Ermessen ordnungsgemäß lenkende Verwaltungsvorschrift werde bei der Fallentscheidung keine Anwendung finden (vgl. dazu schon die Fallkonstellation im bereits zitierten Senatsbeschluss vom 20.12.2000); dies gilt hier um so mehr, als Antragsteller, die wie der Kläger vor Erlass des streitigen Runderlasses angesichts der vom Verwaltungsgericht festgestellten unterschiedlichen Praxis der Ausländerbehörden (mag diese überwiegend mit dem Inkrafttreten des Erlasses auch deutlich verschärft worden sein) Befristungsanträge gestellt hätten, ohnehin gerade wegen der unterschiedlichen Verwaltungspraxis nicht auf eine aus ihrer Sicht "milde" Befristungsentscheidung bauen durften; hierfür fehlte es an jeglicher schutzwürdigen Vertrauensgrundlage. Außerdem kann hier entgegen der Ansicht des Klägers von einer verzögerlichen Behandlung des Befristungsantrags schon deshalb nicht die Rede sein, weil bei dieser Entscheidung auch die Tatsache, ob ein Ausländer nach seiner Ausweisung freiwillig ausreist, rechtsfehlerfrei in Betracht genommen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.8.2000, a.a.O., S. 213).
Soweit der Kläger zweitens meint, die angegriffene Befristung widerspreche dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG im Hinblick auf die Befristungsentscheidung im Fall seines Bruders, weist diese Rüge -- was allerdings nicht der Fall ist (vgl. unter 2.) -- allenfalls auf potenzielle Rechtsanwendungsfehler im konkreten Einzelfall hin, für die eine Grundsatzberufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht eröffnet ist.
2. Die Angriffe gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zeigen ferner keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.
Aus dem unter 1. Gesagten folgt, dass das Verwaltungsgericht die angegriffene Befristungsentscheidung, die durch den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung vom 9. Februar 2000 auf fünf Jahre herabgesetzt worden ist, zu Recht anhand des niedersächsischen Runderlasses vom 27. Mai 1999 auf Ermessensfehler hin überprüft hat. Die dagegen gerichteten Einwände des Klägers gehen somit fehl.
Angesichts des Gewichts des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgten Ziele ist weiterhin nichts dafür erkennbar, dass eine Befristung der Ausweisungswirkungen auf fünf Jahre (die wegen der Ausreise des Klägers am 31. Juli 1999 Ende Juli 2004 ausläuft) ermessensfehlerhaft ist. Denn es ist zum einen nicht wegzudiskutieren, dass der Kläger wegen seiner Bestrafung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung wegen unerlaubter Einfuhr von Haschisch in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Haschisch den Ist-Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG verwirklicht hat, der wegen des ihm zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG zur Regelausweisung herabgestuft war. Zum anderen ist zwar zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass sich in seinem Fall durch die in der Haft absolvierte Berufsausbildung und die Eheschließung die Gefahr, erneut einschlägig straffällig zu werden, deutlich gemindert haben mag. Das berührt jedoch nur die mit der Ausweisung verfolgten spezialpräventiven Ziele, nicht dagegen auch die verfolgten generalpräventiven Zwecke, die grundsätzlich verlangen, dass anderen Ausländern klar vor Augen geführt wird, dass eine Verstrickung in die Rauschgiftkriminalität in aller Regel zu einem langjährigen Verbot einer Wiedereinreise in das Bundesgebiet führt. Auch Art. 6 Abs. 1 GG gebietet hier nicht eine Verkürzung der Frist auf weniger als fünf Jahre. Eine derartige weitere Verkürzung wäre angesichts des Runderlasses zwar prinzipiell möglich, da der Kläger wegen seiner Ehe ohne die erfolgte Ausweisung nach § 17 AuslG einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis haben dürfte. Indessen ist hier zu berücksichtigen, dass die Eheschließung erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung erfolgt ist und die Eheleute -- wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat -- durch wechselseitige Besuche (vgl. für den Kläger insoweit § 9 Abs. 3 AuslG) die jedenfalls eingeschränkte Möglichkeit haben, Kontakt miteinander zu halten. Für den Senat ist es weiterhin zwar nachvollziehbar, dass der Kläger sich wegen der Befristungsentscheidung im Fall seines Bruders unverhältnismäßig behandelt fühlt. Er muss sich jedoch in diesem Zusammenhang vor Augen halten, dass die Befristungsentscheidung im Fall seines Bruders vor Inkrafttreten des Runderlasses getroffen worden ist und sie im Hinblick auf die Ermessenskriterien des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG eine Fehlentscheidung darstellen dürfte. Von einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz zu Lasten des Klägers kann daher nicht die Rede sein.
3. Das angefochtene Urteil weicht schließlich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von dem von ihm angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 1980 -- 1 C 19.78 -- (BVerwGE 61, 105) ab. Das gilt schon deshalb, weil sich jene Entscheidung nicht auf das Problem der Befristung der Ausweisungswirkungen bezieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.