Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.03.2001, Az.: 1 L 3697/00

Belästigung; Eigentümer; Garage; Garagenanlage; Gebot der Rücksichtnahme; Geräusch; Grundstücksbezogenheit; Grundstückseigentümer; Lärm; Mieter; Ruhezone; Rücksichtnahme; Rücksichtnahmegebot; Verzicht; Wohnruhe; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.03.2001
Aktenzeichen
1 L 3697/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 40458
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 12.09.2000 - AZ: 2 A 161/99

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Bauaufsichtsbehörde hat § 46 Abs. 1 S. 2 NBauO auch dann zu beachten, wenn durch die Auswirkungen von Garagen nur das Grundstück des Bauherrn/Eigentümers selbst betroffen ist.


2. Der Bauherr/Eigentümer kann grundsätzlich nicht auf die in § 46 Abs. 1 S. 2 NBauO normierte Pflicht zur Rücksichtnahme verzichten, wenn die Belange einer größeren Zahl von Mietern betroffen sind.

Gründe

1

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung von 23 Garagen und 2 Müllboxen im rückwärtigen Bereich des Grundstücks B.straße 34 bis 36 bzw. B.2 bis 8, Flurstück 147/16, Flur 19, Gemarkung D., in der Stadt D.. Auf dem Grundstück befinden sich zwei Wohnblocks mit insgesamt etwa 78 Wohnungen. Die beiden Wohnblöcke stehen parallel zur B.straße (3 Gebäude) und zur Straße B. (4 Gebäude). Die Garagen sollen auf dem rückwärtigen Grundstücksteil errichtet werden, bei dem es sich zur Zeit um eine Rasenfläche mit Wäschetrockenpfählen handelt. Der Beklagte lehnte die Erteilung der Baugenehmigung ab wegen der von den Garagen und ihrer Zufahrt ausgehenden Belästigungen für die Bewohner der Wohnblocks. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 12. September 1999 die dagegen gerichtete Klage abgewiesen.

2

Dagegen richtet sich der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 VwGO gestützte Zulassungsantrag. Dieser hat keinen Erfolg.

3

An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Solche liegen nach ständiger Rechtsprechung des Senats erst dann vor, wenn für das vom Zulassungsantragsteller gewünschte Entscheidungsergebnis "die besseren Gründe" sprechen (vgl. Beschl. v. 31.7.1998 - 1 L 2696/98 -, NVwZ 1999, 431). Das ist hier nicht der Fall.

4

Das Verwaltungsgericht ist im vorliegenden Fall zu Recht davon ausgegangen, dass in § 46 NBauO eine spezialgesetzliche Normierung des Gebots der Rücksichtnahme enthalten ist, die objektiv-rechtlicher Natur ist und deshalb auch den Bauherrn selbst mit einbezieht. Die Pflicht zur Rücksichtnahme ist grundstücksbezogen zu sehen und kann deshalb durch subjektive Empfindungen oder Erklärungen einzelner Grundstückseigentümer nicht beeinflusst werden (vgl. zuletzt Beschl. d. Senats v. 28.2.2001 - 1 L 998/00 - m.w.N.). Daraus folgt, dass auch der Eigentümer des Garagengrundstücks selbst grundsätzlich nicht als "Rücksichtnahmeberechtigter" auf die in § 46 NBauO normierte Pflicht zur Rücksichtnahme verzichten kann, wenn die Belange einer größeren Zahl von Mietern betroffen sind. Dies erklärt sich daraus, dass andernfalls die Einhaltung der objektiv-rechtlichen Regeln des Baurechts von den persönlichen Umständen der Grundstückseigentümer zum Zeitpunkt der Entscheidung über einen Bauantrag abhängig gemacht würde, was der Aufgabe des öffentlichen Baurechts - eine dauerhafte und grundstücksbezogene Ordnung zu garantieren - zuwiderlaufen würde. Zur Feststellung der bauordnungsrechtlichen Unzumutbarkeit von Garagenanlagen ist deshalb grundsätzlich auch nicht zu differenzieren zwischen betroffenen Nachbarn und den Garagen(grundstücks)eigentümern selbst. Es gilt in jedem Fall zu beachten, dass nicht ein Störpotential in bis dahin bestehende Ruhezonen hineingetragen wird, auch wenn es sich in erster Linie um die Ruhezonen auf dem Grundstück des Bauherrn selbst handelt. Davon wäre aber im Falle des klägerischen Grundstücks auszugehen, denn die Garagen sollen auf dem Grundstücksteil errichtet werden, in dem bislang keine Fahrzeugbewegungen stattfanden. Ob dieser Teil gärtnerisch in bestimmter Weise "angelegt" ist oder ob es sich "nur" um eine Rasenfläche handelt, ist für die Einschätzung als Ruhezone unerheblich. Wesentlich ist insoweit, dass die Fläche dem Fahrzeugverkehr und ähnlich lärm- und immissionsträchtigen Nutzungen entzogen ist und eine Nutzung zu Erholungszwecken der Fläche selbst sowie der zu dieser Fläche ausgerichteten Wohnräume grundsätzlich möglich ist.  Die Nutzung als Spielgelände oder als Wäschetrockenplatz spricht ebenfalls nicht gegen die Qualifizierung als Ruhezone, da von dieser gerade nicht Belästigungen wie etwa von Garagenanlagen ausgehen. Eine Anlage mit 23 Garagen im Hintergelände führt in jedem Fall schon wegen der Zahl der Garagen zu einer erheblichen Störung der Wohnruhe (Grosse-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 6. Aufl. 1996, § 46 Rdnr. 12; OVG Lüneburg, Urt. v. 23.9.89  - 6 L 131/89 -, ZfBR 1992, 47 [BVerwG 27.06.1991 - BVerwG 4 B 138.90]). Dazu kommt im Einzelfall noch die Anordnung der Garagen selbst und ihrer Zufahrten. Wenn die Garagen so angeordnet sind, dass die Zufahrt rechtwinklig zur Garageneinfahrt verläuft, ist bereits mehrfaches Rangieren nicht ausgeschlossen. Die Zufahrt hat darüber hinaus in diesem Fall vom Straßenraum bis zur ersten Garage bereits eine Länge von ca. 45 m und bis zu den "letzten" Garagen eine weitere Länge von 29 m. Der Forderung, dass Garagen möglichst nahe und im unmittelbaren Anschluss an öffentliche Verkehrsflächen liegen sollen, wird damit in hohem Maße widersprochen (Grosse-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O.). Auch die Tatsache, dass es sich um Geschosswohnungsbau handelt, ist nicht geeignet, eine grundsätzliche Reduzierung der Zumutbarkeitsgrenzen für die Bewohner  zu begründen, wenn sich nicht bereits aus der Eigenart der Umgebung eine "Ortsüblichkeit" von Störungen der Wohnruhe auch in den sonst geschützten Bereichen ergibt. Dafür sind hier aber keine Anhaltspunkte ersichtlich. Außer der gewerblichen Nutzung auf dem Grundstück Bahnhofstraße Nr. 37 herrscht in dem Bereich Feldstraße/Bellmannsfeld Wohnnutzung vor. Dass von dem Grundstück Bahnhofstraße Nr. 37 Störungen ausgehen, die eine Ruhezone im rückwärtigen Grundstücksbereich der Wohnblocks Bahnhofstraße/Bellmannsfeld völlig ausschließen, ist aber nicht vorgetragen oder aus den Akten ersichtlich.

5

Nach alledem scheidet auch die Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Ziff. 2 und 3 VwGO aus, weil eine Klärungsbedürftigkeit der Frage der Unzumutbarkeit von 23 Garagen für die Grundstücksbewohner selbst nicht - mehr - besteht.

6

Eine Zulassung im Hinblick auf mangelhafte Sachaufklärung durch das Verwaltungsgericht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO kommt einmal deshalb nicht in Betracht, weil das Verwaltungsgericht seine Annahme unzumutbarer Belästigungen nicht nur auf Lärmbelästigungen, sondern auch auf sonstige Immissionen gestützt hat und schon deshalb die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Punkt der Lärmbelästigung nicht allein entscheidungserheblich gewesen wäre. Darüber hinaus hat die anwaltlich vertretene Klägerin im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht die Notwendigkeit eines Lärmgutachtens auch nicht geltend gemacht.