Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 16.04.2007, Az.: 11 B 716/07
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 16.04.2007
- Aktenzeichen
- 11 B 716/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 62294
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2007:0416.11B716.07.0A
Amtlicher Leitsatz
Die Sperrwirkung der Abschiebung (§ 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG) ist auch bei der Entscheidung über die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zu beachten (im Anschluss an VGH Mannheim InfAuslR 2001, 432).
Die Sperrwirkung wird nicht durch bloßen Zeitablauf (hier: nach 13 Jahren Auslandsaufenthalt) gegenstandslos, sondern nur nach Ablauf einer Befristung (§ 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die abweichend von § 11 AufenthG zugesprochen werden darf (für die Verlängerung gleichartiger Aufenthaltstitel).
Eine sofortige Befristung der Sperrwirkungen der Abschiebung scheidet auch bei deutschverheirateten Ausländern in der Regel aus, wenn sie (erneut) ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind und auch die Abschiebungskosten nicht gezahlt haben.
Sind seit der Abschiebung mehr als zwölf Jahre Auslandsaufenthalt verstrichen, muss deutschverheirateten Ausländern nach (illegaler) Wiedereinreise in der Regel eine (nachrangige) Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden.
Gründe
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil der Antragsteller trotz Aufforderung des Gerichts keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§§ 166 VwGO, 117 Abs. 2 ZPO) eingereicht und damit seine Bedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht hat (§§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO).
Das nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilende Begehren, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (11 A 715/07) gegen die mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Februar 2007 verfügte Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und Androhung der Abschiebung anzuordnen, ist begründet.
Das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers ist gegenüber seinem Interesse, bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf in der Bundesrepublik Deutschland zu verbleiben, nachrangig, weil der genannte Bescheid wahrscheinlich rechtlich zu beanstanden ist.
1. Die Antragsgegnerin geht allerdings zutreffend davon aus, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Verlängerung seiner erstmals am 24. Oktober 2006 von der Freien Hansestadt Bremen für die Dauer eines Monats erteilten Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht zusteht.
Er ist zwar seit dem 24. August 2006 mit der deutschen Staatsangehörigen K. verheiratet und mit ihr in ehelicher Lebensgemeinschaft verbunden. Einer Verlängerung stehen aber derzeit die Sperrwirkungen der am 30. April 1993 durchgeführten Abschiebung des Antragstellers entgegen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG darf einem Ausländer in diesem Falle selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs kein Aufenthaltstitel erteilt werden.
Die Sperrwirkung ist auch bei einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu berücksichtigen. Nach § 8 Abs. 1 AufenthG gelten hierfür dieselben Voraussetzungen wie für die Ersterteilung des Titels. Unberücksichtigt bleiben hierbei lediglich sog. einreisetypische Bestimmungen (wie etwa Visumsverstöße, § 5 Abs. 2 AufenthG), nicht jedoch Regelungen, die auch den Aufenthalt betreffen. So liegt es aber bei den Wirkungen der Abschiebung, die nach § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG nicht nur ein Einreise-, sondern auch ein Aufenthaltsverbot begründen (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 31. Mai 2001 - 11 S 700/01 - InfAuslR 2001, 432).
Diese Wirkungen sind nicht - wie die Kammer erwogen hat - bereits durch den recht langen Zeitraum zwischen der Abschiebung und der Wiedereinreise des Antragstellers im Juni 2006 gegenstandslos geworden. Nach den gesetzlichen Bestimmungen endet die Sperrwirkung nur bei Ablauf ihrer Befristung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG oder wenn einer Aufenthaltserlaubnis, die abweichend von § 11 erteilt werden darf (etwa nach § 25 Abs. 5 AufenthG), zugesprochen wird (vgl. Vormeier in: GK-AuslR, Stand: April 2001, Rn. 68 zu § 8 AuslG; Discher a.a.O., Stand: November 2003, Rn. 254 zu § 13; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, Rn. 3 zu § 11 AufenthG; Kloesel/Christ/Häußer, Ausländerrecht, Stand: Juli 2006, Rn. 2 zu § 11 AufenthG). Letzteres führt dann nach Ansicht der Kammer auch lediglich dazu, dass die Sperrwirkung für die Verlängerung gleichartiger Aufenthaltstitel entfällt.
Hieraus ergibt sich, dass die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis durch die Freie Hansestadt Bremen am 24. Oktober 2006 nicht zum Wegfall der Sperrwirkung der Abschiebung geführt hat. Denn diese ist ausdrücklich auf § 28 AufenthG gestützt worden.
Es ist auch nicht erkennbar, dass die Freie Hansestadt Bremen mit der Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis das Aufenthaltsverbot mit sofortiger Wirkung befristen wollte. Eine ausdrückliche Entscheidung ist diesbezüglich nicht getroffen worden. Ausweislich eines in den Verwaltungsvorgängen (Bl. 230) enthaltenen Vermerks vom 27. November 2006 über ein Telefongespräch mit dem zuständigen Sachbearbeiter konnte dieser nicht erklären, warum er trotz der Abschiebung eine Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. Ein entsprechender Eintrag im Ausländerzentralregister ist nicht erfolgt. In dem vorangegangen Verwaltungsverfahren, welches mit dem ausdrücklichen Antrag des Antragstellers vom 12. Oktober 2006 begonnen hat, ist die Frage der Befristung der Wirkungen der Abschiebung nicht erörtert worden. In dem vom Antragsteller am 24. Oktober 2006 ausgefüllten Antragsformular (Bl. 214 der VV) wurden in der Rubrik, in der u.a. frühere Abschiebungen einzutragen sind, keine Angaben gemacht. Nach einem Vermerk vom 29. August 2006 (Bl. 187 der VV) hat der Sachbearbeiter der Freien Hansestadt Bremen bei einer Vorsprache des Antragstellers lediglich auf die illegale Einreise und damit ersichtlich den Verstoß gegen die Visumspflicht hingewiesen.
Auch ist die Antragsgegnerin nicht verpflichtet, die durch die Abschiebung eingetretene Aufenthaltssperre nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG mit sofortiger Wirkung zu befristen. Zwar kann dies in Ausnahmefällen auch ohne Ausreise aus dem Bundesgebiet erfolgen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140151). Bei der erforderlichen Ermessensentscheidung sind neben den zu Gunsten des Ausländers sprechenden Gesichtspunkten die spezial- und generalpräventiven Zielrichtungen des durch die Abschiebung bewirkten Einreise- und Aufenthaltsverbots zu berücksichtigen. Der betroffene und andere Ausländer sollen vor allem zur Beachtung ihrer aufenthaltsrechtlichen Pflichten angehalten werden (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 26. März 2003 - 11 S 59/03 - InfAuslR 2003, 333336 f.). Im Grundsatz soll nach den von der obergerichtlichen Rechtsprechung gebilligten (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. März 2001 - 11 LA 565/01 - InfAuslR 2001, 290) in Niedersachsen geltenden ermessensleitenden Richtlinien (Ziff. 11.1.5.1 der Vorl. Nds. VV zum AufenthG) im Falle der Abschiebung von einem Zeitraum von zwei Jahren ausgegangen werden. Diese Frist ist allerdings - wovon die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 11. April 2007 zu Recht ausgeht - wegen der Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen erheblich zu verkürzen. Zu Gunsten des Antragstellers wird aber auch zu berücksichtigen sein, dass er sich nach der Abschiebung mehr als 13 Jahre nicht in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat. Auch die zwischenzeitliche Erteilung der Aufenthaltserlaubnis kann nicht unberücksichtigt bleiben. Gegen eine sofortige Befristung der Wirkungen der Abschiebung spricht indes maßgeblich, dass der Antragsteller im Juni 2006 vorsätzlich erneut ohne das erforderliche Visum und auch - mindestens grob fahrlässig - entgegen dem Einreiseverbot des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Auch ist nicht erkennbar, dass er die Kosten der Abschiebung bereits gezahlt hätte. Hieraus ist zu entnehmen, dass die Beachtung aufenthaltsrechtlicher Regelungen für den Antragsteller auch heute noch keinen hohen Stellenwert besitzt. Das Gericht weist allerdings darauf hin, dass angesichts der obigen Ausführungen eine Befristung der Wirkungen der Abschiebung auf ein Jahr, wie sie die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 11. April 2007 erwogen hat, hier unverhältnismäßig wäre; vielmehr kann insoweit nur eine Frist von wenigen Wochen in Frage kommen.
2. Die Antragsgegnerin ist aber dennoch voraussichtlich verpflichtet, dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer auch abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
Rechtlich unmöglich kann eine Ausreise etwa dann sein, wenn sich dies aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 GG oder Völkervertragsrecht (hier: Art. 8 EMRK) ergibt (vgl. grds. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 - InfAuslR 2007, 46). Hierbei ist eine Abwägung zwischen diesen Belangen und den für eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden Gesichtspunkten vorzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 - 1 C 9.95 - BVerwGE 105, 3543 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 29. November 2005 - 10 LB 84/05 - jurisRn. 40).
Hier ist ein Überwiegen des Interesses des Antragstellers an einem Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland festzustellen. Es ist zum einen zu berücksichtigen, dass es der Ehefrau des Antragstellers als deutscher Staatsangehörigen grds. nicht zugemutet werden kann, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen (vgl. BVerwG a.a.O.). Zwar wäre eine Trennung der Eheleute nach den obigen Ausführungen nur von vergleichsweise kurzer Dauer; auch besteht die Ehe erst seit dem 24. August 2006. Andererseits ist zu beachten, dass die gegen den Aufenthalt des Antragstellers sprechenden Gesichtspunkte zwar, wie oben zu 1. ausgeführt, nicht zur sofortigen Befristung der Wirkungen der Abschiebung führt, im Rahmen der nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu treffenden Abwägung aber nur gering zu veranschlagen sind. Denn der Antragsteller hat lediglich gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen. Es ist davon auszugehen, dass auch schon die Erteilung einer bloß nachrangigen Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG mit den damit für den Antragsteller verbundenen rechtlichen Nachteilen in Zukunft dazu führen wird, dass er die Vorgaben der Rechtsordnung beachtet.
Hier muss - wie es § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ausdrücklich zulässt - die Aufenthaltserlaubnis auch abweichend von der Sperrwirkung des § 11 AufenthG erteilt werden. Diese Möglichkeit des Absehens von dem durch die Abschiebung bewirkten Einreise- und Aufenthaltsverbot führt nach der Rechtsprechung der Kammer (Beschluss vom 26. Oktober 2005 - 11 B 3935/05 -) zwar nicht dazu, dass die Sperrwirkungen in diesen Fällen regelmäßig außer Betracht zu bleiben hätten. Denn anderenfalls würde § 25 Abs. 5 AufenthG in einen Wertungswiderspruch zu § 11 AufenthG geraten, der in vielen Fällen zur Umgehung deren Regelungen führte (vgl. Dienelt in GK-AuslG, Stand: Juli 2001, Rn. 135.1 zu § 30). Die Kammer (a.a.O.) hat deshalb eine Abschiebung, die knapp sieben Jahre vor der erneuten Einreise erfolgte, als entgegenstehend bewertet. Im Falle des Antragstellers ist indes zu beachten, dass zwischen der Abschiebung und der Wiedereinreise mehr als 13 Jahre verstrichen sind. Die durch § 11 AufenthG beabsichtigte Fernhaltung des Antragstellers vom Bundesgebiet ist damit bereits vor der Einreise faktisch erreicht worden. Die Dauer des Auslandsaufenthalts übersteigt sogar die höchste nach den Vorl. Nds. VV (a.a.O.) regelmäßig vorgesehene Sperrfrist von 12 Jahren, von der im Falle einer zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG ausgegangen werden soll.
Im Hinblick auf den Vorrang des Art. 6 GG ist das der Antragsgegnerin zustehende Ermessen auch dahingehend reduziert eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Auch eine etwaige Sozialhilfebedürftigkeit steht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht entgegen, weil deshalb ein Ausnahmefall von dieser regelmäßig zu erfüllenden Erteilungsvoraussetzung gegeben ist (vgl. BVerwG a.a.O.).
Da dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, ist er nicht ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), so dass ihm auch die Abschiebung nicht angedroht werden darf.