Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.03.2001, Az.: 1 MA 755/01
Gebietsart; gebietsübergreifender Nachbarschutz; Verweisung auf andere Schriftsätze; vorläufiger Rechtsschutz; Zulassungsantrag
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 26.03.2001
- Aktenzeichen
- 1 MA 755/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 39436
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 30.01.2001 - AZ: 4 B 4402/00
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs 1 BauNVO
- § 8 BauNVO
- § 124a Abs 2 Nr 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Der Rechtsanspruch auf Bewahrung der Gebietsart beschränkt sich auf Grundstücke in demselben Bebauungsplan und dort nur, soweit die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke durch dieselbe Gebietsfestsetzung verbunden sind.
2. Ein Zulassungsantrag muss aus sich selbst heraus verständlich sein, so dass Verweisungen unzulässig sind.
Gründe
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen die dem Beigeladenen durch den Antragsgegner am 29. September 2000 erteilte befristete Baugenehmigung für den "Neubau/Umbau eines Baumarktes und eines Verkaufsgewächshauses" sowie für den Neubau von 156 Einstellplätzen auf verschiedenen Flurstücken der Flur 48 der Gemarkung C. (L. R.).
Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. Januar 2001 abgelehnt.
Der Zulassungsantrag, der auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 iVm § 146 Abs. 4 VwGO gestützt wird, ist unbegründet.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 iVm § 146 Abs. 4 VwGO bestehen nach ständiger Senatsrechtsprechung erst dann, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis - auf dieses, nicht auf einzelne Begründungselemente kommt es an - die "besseren Gründe" sprechen, d.h. wenn sein Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als sein Unterliegen (Beschl. d. Sen. v. 31.7.1998 - 1 L 2696/98 -, NdsVBl. 1999, 93). Diese Vorraussetzungen sind nicht gegeben.
Allein der Umstand, dass ein nachbarschützender Anspruch der Antragsteller zu 3) und zu 4) auf Bewahrung der Gebietsart nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BRS 55, Nr. 110; Urt. v. 24.2.2000 - 4 C 23.98 -, NVwZ 2000, 1054) nicht auszuschließen sei, rechtfertigt entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht die Zulassung der Beschwerde gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 iVm § 146 Abs. 4 VwGO. Das Verwaltungsgericht führt in seiner den Antragstellern Eilrechtsschutz versagenden Entscheidung aus, eine Verletzung von Nachbarrechten der Antragsteller durch die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sei weder auszuschließen noch offensichtlich, sondern offen, wenn auch im Ergebnis nicht überwiegend wahrscheinlich. Ob das angegriffene Vorhaben Nachbarrechte verletze, sei im Hauptsacheverfahren näher zu prüfen, insbesondere, ob der Bebauungsplan Nr. 105 "Östlich L. R." der Stadt C. in der Fassung seiner 2. Änderung rechtswirksam sei, auf deren Grundlage die angefochtene Genehmigung erteilt worden sei. Die danach vorzunehmende allgemeine Interessenabwägung gehe zu Lasten der Antragsteller aus, weil ihnen die vorläufige Hinnahme der genehmigten Nutzung des Baumarktes bis zu einer abschließenden Entscheidung über ihren Widerspruch bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles zumutbar sei. Mit dieser Begründung gesteht das Verwaltungsgericht den Antragstellern zu 3) und zu 4) nicht einen Rechtsanspruch auf Einhaltung der für ihr Grundstück festgesetzten Nutzungsart "Gewerbegebiet" auch für das westlich gelegene Grundstück des Beigeladenen auf der anderen Seite der A.-E.-Straße zu, für das der Bebauungsplan Nr. 105 in der Fassung seiner 2. Änderung Sondergebiet festsetzt.
Aus der von den Antragstellern zitierten Formulierung auf Seite 4 und 5 des Beschlussabdruckes ist zu entnehmen, dass ein solcher Rechtsanspruch nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts nur im Falle der Nichtigkeit des Bebauungsplanes Nr. 105 - 2. Änderung - gegeben ist. In diesem Fall lägen die Grundstücke der Antragsteller zu 3) und zu 4) und des Beigeladenen in demselben Bebauungsplan Nr. 105 in der Fassung der 1. Änderung mit der Festsetzung eines Gewerbegebietes für beide Grundstücke, so dass sich die Frage der nachbarschützenden Funktion der Gebietsfestsetzung auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2000 (- 4 C 23.98 -, aaO) stellen könnte. Die Prüfung der Rechtswirksamkeit der 2. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 105 verweist das Verwaltungsgericht jedoch in das Hauptsacheverfahren, so dass das Zulassungsvorbringen der Antragsteller, das Verwaltungsgericht argumentiere widersprüchlich, nicht haltbar ist.
Der Senat folgt dem Verwaltungsgericht auch in seiner Bewertung, dass es im Regelfall nicht Aufgabe eines Eilverfahrens sei, offene Fragen zur Gültigkeit eines Bebauungsplanes zu klären. Die richtige Verfahrensart hierfür ist die Normenkontrolle, die die Antragsteller mit Antrag vom 27. November 2000 (1 K 4055/00) eingeleitet haben. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist gerechtfertigt, wenn die Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung so offensichtlich und eindeutig sind, dass im Hauptsacheverfahren mit großer Wahrscheinlichkeit eine andere rechtliche Beurteilung nicht zu erwarten ist. In einem solchen Fall kann auch gemäß § 47 Abs. 6 VwGO aus wichtigen Gründen die vorläufige Außervollzugsetzung des Bebauungsplanes dringend geboten sein. Schlüssige Argumente für eine Rechtsposition des Inhalts, der Bebauungsplan Nr. 105 - 2. Änderung - sei offensichtlich unwirksam und könne daher nicht Grundlage der angefochtenen Genehmigung sein, tragen die Antragsteller mit dem Zulassungsantrag nicht vor. Soweit die Antragsteller am Ende der Zulassungsschrift auf die Begründung der Normenkontrolle Bezug nehmen, genügt dies nicht den Darlegungsanforderungen gemäß § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO. Ein Zulassungsantrag muss aus sich selbst heraus verständlich sein. Verweisungen sind deshalb unzulässig (Meyer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2000, § 124 a, Anm. 48).
Das Verwaltungsgericht hat in seiner Eilrechtsentscheidung hinsichtlich der Antragsteller zu 1) und zu 2) auch nicht die Bedeutung des sogenannten gebietsüberschreitenden Nachbarschutzes verkannt. Der Rechtsanspruch auf Einhaltung der festgesetzten Nutzungsart beschränkt sich nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf Eigentümer von Grundstücken in demselben Bebauungsplan und dort nur, soweit die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke durch dieselbe Gebietsfestsetzung verbunden sind. Das wechselseitige Austauschverhältnis, auf dem ein solcher Nachbarschutz beruht, besteht zwischen den Antragstellern zu 1) und zu 2) und dem Baugrundstück nicht, da sie im Bereich verschiedener Bebauungspläne gelegen sind und zudem unterschiedliche Gebietsfestsetzungen bestehen. Im Grenzbereich unterschiedlicher Baugebiete beschränkt sich der Nachbarschutz auf die Einhaltung des in § 15 Abs. 1 BauNVO konkretisierten Rücksichtnahmegebotes. Ob dieses im vorliegenden Fall verletzt ist, lässt das Verwaltungsgericht offen. Die daran anknüpfende Interessenabwägung ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Es liegt auf der Hand, dass das Grundstück des Antragstellers zu 2) im Vergleich zu dem Nachbargrundstück des Antragstellers zu 1) geringeren Lärmimmissionen durch die Nutzung des Baugrundstücks des Beigeladenen ausgesetzt sein wird, weil es weiter entfernt liegt und zudem durch den Baukörper auf dem Grundstück des Antragstellers zu 1) abgeschirmt wird. Hinsichtlich des Antragstellers zu 1) verweist das Verwaltungsgericht zutreffend darauf, dass sein Grundstück, das am Rande des allgemeinen Wohngebietes liegt, dadurch vorbelastet ist, dass es schon vor der 2. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 105 in Nachbarschaft, lediglich getrennt durch die Straße L. R., zu dem eingeschränkten Gewerbegebiet des Plans in seiner Ursprungsfassung bzw. in der Fassung seiner 1. Änderung gelegen hat. Dort wurde mit einer von dem Antragsteller zu 1) nicht angegriffenen Baugenehmigung ein Verkaufs-Gewächshaus mit 74 Einstell-Plätzen betrieben. Diese Vorbelastung ist unter dem Blickwinkel des Rücksichtnahmegebots in die Gesamtbetrachtung einzustellen, auch wenn durch das hier angegriffene Vorhaben die Genehmigungsfrage neu aufgeworfen wird.
Die Antragsteller haben auch nicht dargelegt, dass eine vorläufige Hinnahme der von ihnen befürchteten Umwelteinwirkungen durch eine sondergebietstypische Einzelhandels- und Parkplatznutzung auf dem Grundstück des Beigeladenen unzumutbar ist. Nach dem von der Stadt C. im Zuge der Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 105 - 2. Änderung - eingeholten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dipl.-Ing. J. vom 28. Januar 2000 zu den zu erwartenden Schallimmissionen werden die Beurteilungspegel von 55 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts für ein allgemeines Wohngebiet in dem angrenzenden WA-Gebiet mit den Grundstücken der Antragsteller zu 1) und zu 2) eingehalten. Die Begutachtung geht von 1504 Pkw-Bewegungen am Tag auf dem Parkplatz des Baumarktes aus. Diese Annahme wird mit dem Zulassungsantrag nicht in Frage gestellt. Ob der Sachverständige auch eine hinsichtlich der Verkehrsgeräusche auf dem Parkplatz von den Antragstellern angenommene reflektierende Wirkung der Außenwände des Verkaufsgebäudes bei der Ermittlung der Beurteilungspegel berücksichtigt hat, lässt sich der Begründung zu dem Gutachten nicht entnehmen. Dieser Frage muss in dem vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren nicht weiter nachgegangen werden, denn es ist unwahrscheinlich, dass der von dem Gutachter an dem Immissionsort L. R. 16/C. D. 57, also an der südwestlichen Außenwand des Wohngebäudes des Antragstellers zu 1), ermittelte Beurteilungspegel von 49 dB(A) tags dadurch wesentlich erhöht wird. Jedenfalls liegen keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Richtwert von 55 dB(A) tags überschritten werden könnte. Das Verwaltungsgericht gelangt deshalb zu Recht zu der Einschätzung, dass die Antragsteller, namentlich der Antragsteller zu 1), die Nutzung des Grundstückes des Beigeladenen für den Baumarkt voraussichtlich nicht werden verhindern können, so dass die Interessenabwägung zu Gunsten des Beigeladenen ausfällt.
Der Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 iVm § 146 Abs. 4 VwGO ist nicht gegeben. Nach den vorstehenden Ausführungen wirft die vorliegende Rechtssache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf.
Weiterhin greift die erhobene Grundsatzrüge gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 iVm § 146 Abs. 4 VwGO nicht durch. Einmal abgesehen davon, dass in Eilverfahren die grundsätzliche Bedeutsamkeit einer Rechtsfrage nur sehr eingeschränkt geltend gemacht werden kann, ist die von den Antragstellern für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob und inwieweit sich der Eigentümer eines Gewerbebetriebes innerhalb eines planungsrechtlich ausgewiesenen Gewerbegebiets auf diesen Schutzanspruch auf Gebietswahrung berufen kann, um sich gegen die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung objektiv unvereinbaren Vorhabens subjektiv erfolgreich wehren zu können, durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 24. Februar 2000 (- 4 C 23.98 -, aaO) geklärt. Die von den Antragstellern zitierte Entscheidung des Senats vom 29. März 1996 (- 1 M 6354/95 -, BRS 58, Nr. 163) ist in diesem Gesichtspunkt überholt.
Schließlich bleibt auch die Divergenzrüge gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 iVm § 146 Abs. 4 VwGO erfolglos. Das Verwaltungsgericht weicht mit seiner Begründung, die Maßstäbe an hinzunehmenden Immissionen seien in einem Gewerbegebiet für alle Grundstücke gleich, da sie sich an dem Hauptzweck von Gewerbegebieten, "Gewerbebetriebe aller Art" aufzunehmen, orientierten, nicht von dem erwähnten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2000 (- 4 C 23.98 -, aaO) ab. In der wörtlich wiedergegebenen Passage geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die Grundstücke des Nachbarn und des Bauherrn in demselben Bebauungsplan mit der Gebietsfestsetzung Industriegebiet liegen. Eine solche Ausgangssituation liegt den Erwägungen des Verwaltungsgerichts nach dem Vorgesagten gerade nicht zugrunde. Mit der zitierten Begründung stellt das Verwaltungsgericht lediglich die von den Antragstellern trotz der Lage ihres Grundstückes in einem Gewerbegebiet vorgetragene besondere Schutzwürdigkeit wegen der speziellen Art der Nutzung als Tanzschule in Abrede. Diese Begründung lässt eine Abweichung von der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht erkennen, zumal das Verwaltungsgericht hierauf auch nicht Bezug nimmt.
Das Verfahren auf Erlass einer Zwischenentscheidung ist nach Rücknahme des Antrages entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.