Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.03.2001, Az.: 1 K 2440/00

Normenkontrollantrag; Normenkontrolle; Normenkontrollverfahren; Verlängerung; Veränderungssperre

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.03.2001
Aktenzeichen
1 K 2440/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 40390
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Gemeinde darf die (erste) Verlängerung einer Veränderungssperre nicht zu einem Zeitpunkt (schon) beschließen, zu dem noch nicht verlässlich abgesehen werden kann, ob/dass der Sicherungszweck bei Ablauf der Zweijahresfrist noch besteht.

Erst recht darf sie (dann) nicht zugleich die zweite Verlängerung der Veränderungssperre beschließen. Das gilt auch dann, wenn die (erste) Veränderungssperre gegenüber einem der (künftigen) Planunterworfenen wegen § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB ihre Wirkung zu verlieren droht.

2. Der Rat kann sich die Beschlussfassung über die Aufstellung eines Bebauungsplanes durch tatsächlichen Aufstellungsbeschluss vorbehalten; einer gesonderten Anordnung, dies tun zu wollen, bedarf es nicht.

Tatbestand:

1

Der Antragsteller wendet sich noch gegen die erste und zweite Verlängerung der Veränderungssperre der Antragsgegnerin zur Sicherung ihres Verfahrens zur Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 64 "Gewerbegebiet Nord" im Wesentlichen mit der Begründung, die Antragsgegnerin verfolge mit dem zu sichernden Plan lediglich das Ziel, die optimale Verwertung eines eigenen, im Gebiet eines anderen Bebauungsplans gelegenen Grundstücks durch Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes durchzusetzen und ihm die Verfolgung des gleichen Ziels unmöglich zu machen.

2

Der Antragsteller ist Eigentümer zweier Grundstücke, die in einem überwiegend gewerblich genutzten, im Norden des Gemeindegebiets gelegenen Stadtteils der Antragsgegnerin liegen. Das Flurstück X ist mit einem Baumarkt bestanden; das nordwestlich angrenzende Flurstück y ist derzeit noch unbebaut. Der Antragsteller hegt für die Grundstücke mehrere miteinander konkurrierende Nutzungsabsichten. Zum Teil nur auf einem, teils unter Inanspruchnahme beider Grundstücke soll der Baumarkt in einen Lebensmittelmarkt mit einer Verkaufsfläche von knapp 3.000 qm umgenutzt werden. Eine dahingehende Bauvoranfrage vom 19. November 1996 lehnte der Landkreis ... durch Bescheid vom 15. Mai 1997 ab. Über die hiergegen geführte Klage hat das Verwaltungsgericht ... noch nicht entschieden. Außerdem soll der Baumarkt mit Garten- und Profimarkt von 2.700 qm auf 3.900 qm Verkaufsfläche nebst Lagerfläche von 1.000 qm erweitert werden. Des weiteren beabsichtigt der Antragsteller, einen Verbrauchermarkt für den periodischen Bedarf mit einer Fläche von 4.000 qm zu errichten. Die entsprechende Bauvoranfrage vom Juli 1997 lehnte der Landkreis ... durch Bescheid vom 26. August 1997 ab. Der Widerspruch blieb u.a. deshalb erfolglos, weil der Antragsteller nach Auffassung der Bezirksregierung ... die Vermutung nicht widerlegt hatte, sein Vorhaben habe nachteilige städtebauliche Auswirkung; außerdem könne der Antrag wegen der hier angegriffenen Veränderungssperre nicht positiv beschieden werden. Auch über die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht bislang nicht entschieden.

3

Die genannten Grundstücke liegen ("wieder") im nördlich des Innenstadtbereiches der Antragsgegnerin liegenden Geltungsbereich des Bebauungsplanes der Antragsgegnerin Nr. 6 a "Gewerbegebiet", der am 17. September 1980 bekannt gemacht worden ist. Dieser setzt für die Grundstücke Gewerbegebiet fest. Der Rat der Antragsgegnerin hatte am 14. September 1988 zwar den Bebauungsplan Nr. 6/2 "Gewerbegebiet" als Satzung beschlossen, der am 4. April 1990 öffentlich bekannt gemacht worden war. Diesen erklärte der Senat indes durch Urteil vom 26. Februar 1999 (-- 1 K 1539/97 --, BauR 1999, 1436) für nichtig, weil der darin textlich festgesetzte generelle Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben über 1200 qm und von Einzelhandelsbetrieben über 500 qm Geschossfläche für bestimmte Teile des Plangebietes städtebaurechtlich nicht zulässig sei.

4

Im März 1999 kündigte der Landkreis ... als untere Bauaufsichtsbehörde der Antragsgegnerin an, er müsse der Bauvoranfrage betreffend die Errichtung eines 3000 qm großen Lebensmittelmarktes auf Grund der Nichtigerklärung des Bebauungsplanes 6/2 alsbald stattgeben, sofern die Antragsgegnerin nicht eine Veränderungssperre beschließe.

5

Deren Rat fasste daraufhin unter dem 8. April 1999 zwei Beschlüsse. Zum einen beschloss er die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 64 "Gewerbegebiet Nord"; dieser Beschluss wurde am 10. April 1999 in verschiedenen Tageszeitungen bekannt gemacht. Zum anderen beschloss er die hier angegriffene Veränderungssperre als Satzung; diese machte er am 28. April 1999 im Amtsblatt des Regierungsbezirks ... (S. 294) bekannt. Hintergrund der Planungsabsichten ist ein Ratsbeschluss vom 16. Dezember 1998 über das sogenannte Zielkonzept Einzelhandel (Entwicklungsplan). Dieser basiert auf dem A-Gutachten über die Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelhandels aus dem Jahre 1998 sowie der Gemeinsamen Landesplanerischen Stellungnahme des Landkreises ... und des Großraumverbandes ... vom 24. März 1999. Darin war aus der Sicht der Raumordnung ausgeführt worden, im Süden des Gemeindegebiets der Antragsgegnerin könne die von dieser gehegte Absicht, einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb mit periodischem Bedarf zu errichten, nur dann verwirklicht werden, wenn ein solcher Betrieb in einem anderen Gemeindegebiet, namentlich nördlich des Kernstadtbereiches nicht verwirklicht werde. Die Antragsgegnerin verfolgte nunmehr das Ziel, großflächige Einzelhandelsbetriebe in dem östlich ihrer Innenstadt liegenden Bereich orientiert zur Autobahn hin anzusiedeln, im sogenannten zentralen Bereich das Dienstleistungsangebot für den Fremdenverkehr und ergänzende Versorgungseinrichtungen aufzunehmen und all dies durch Betriebe im Gewerbegebiet Nord ergänzen zu lassen, deren Geschäftsgegenstände nicht "zentrumsrelevant" sind. Ausweislich des Entwurfs zur Begründung für den Bebauungsplan Nr. 64 werden der Baumarkt des Antragstellers sowie ein dort eingerichteter Aldi-Markt zwar als Fremdkörper angesehen. Ihnen sollen nach dem Willen des Rats der Antragsgegnerin aber in gewissem Umfang flexibel weitere Nutzungsmöglichkeiten erhalten/geschaffen, großflächige Einzelhandelsbetriebe dort jedoch nicht zugelassen werden. Dafür soll nunmehr der Gemeindesüden reserviert sein, weil dieser verkehrlich optimal er- und an das überörtliche Straßennetz angeschlossen sei; außerdem ließen sich dort größeren Umfangs sogenannte Synergieeffekte erzielen.

6

Unter dem 3. Mai 2000 verlängerte der Rat der Antragsgegnerin die Geltungsdauer der Veränderungssperre zum ersten (bis zum 27. April 2002) und zugleich zum zweiten Mal (bis zum 27. April 2003). Dabei ließ er sich u.a. von dem Gedanken leiten, die erste Veränderungssperre werde bezogen auf das Grundstück des Antragstellers wegen der individuellen Berechnungsweise, d.h. der Dauer, in der seine Voranfragen mit der Folge faktischer Bausperre nicht positiv beschieden worden seien, alsbald enden und die Veränderungssperre so das ihr maßgeblich zugemessene Ziel nicht erreichen können, die Verwirklichung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes auf Flächen des Antragstellers zu verhindern.

7

Die Verlängerungen der Veränderungssperre wurden am 10. Mai 2000 im Amtsblatt des Regierungsbezirks ... (Nr. 10, S. 303) bekannt gemacht.

8

Zwischenzeitlich hatte der Rat der Antragsgegnerin beabsichtigt, den Bebauungsplan Nr. 64 "Gewerbegebiet Nord" als Satzung zu beschließen und noch im Februar 2001 bekannt zu machen. Dazu kam es indes nicht. Die Antragsgegnerin beabsichtigt nun nicht mehr, in dem Bebauungsplan Nr. 64 "Gewerbegebiet Nord" eine auf § 1 Abs. 5 BauNVO gestützte textliche Festsetzung des Inhalts aufzunehmen, Einzelhandelsbetriebe seien unzulässig mit Ausnahme solcher, die nach Art und Umfang in eindeutigem Zusammenhang mit einer vor Ort erbrachten Produktion, einer Ver- und Bearbeitung von Gütern einschließlich Reparatur und Serviceleistungen einer gewerblichen Betriebsstätte stehen und diese Nutzungen jeweils untergeordnet sind; Verkaufsflächenanteile von unter 20 v.H. der Bruttogeschossfläche der genannten Betriebsstätten gälten in der Regel noch als untergeordnet. Vielmehr soll nunmehr die textliche Festsetzung aufgenommen werden, dass in den Gewerbegebieten bauliche Nutzungen nach § 8 Abs. 2 BauNVO zulässig seien. Daraufhin wurde der Plan erneut öffentlich ausgelegt.

9

Der Normenkontrollantrag gegen die erste und zweite Verlängerung der Veränderungssperre hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe

10

Die erste und zweite Verlängerung der Veränderungssperre sind allerdings nicht bereits deshalb zu beanstanden, weil die am 8. April 1999 als Satzung beschlossene Veränderungssperre nichtig wäre. Hierzu ist folgendes auszuführen:

11

Der Rat der Antragsgegnerin dürfte den Planaufstellungs- und Satzungsbeschluss in einer Sitzung fassen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.2.1989 -- 4 B 236.88 --, ZfBR 1989, 171 = BRS 49 Nr. 21). Es ist aus kommunalrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, dass der Rat beide Beschlüsse gefasst hat. § 40 Abs. 1 Nr. 5 NGO in der hier schon anzuwendenden Fassung behält dem Rat einer Gemeinde zwar nur die abschließende Entscheidung bei Bauleitplanverfahren, nicht also den Planaufstellungsbeschluss vor. Diesen hat nach dem gesetzlichen Regelfall der Verwaltungsausschuss zu fassen. Der Rat der Antragsgegnerin war indes durch § 40 Abs. 2 Satz 1 NGO befugt, sich die Beschlussfassung hierüber vorzubehalten. Dafür bedarf es nicht eines gesonderten Beschlusses oder eines Passus im Beschlusstext, in dem der Rat die Angelegenheit bewusst und ausdrücklich "an sich zieht" (so aber Thieme-Gert Hoffmann, NGO 3. Aufl. 1997, § 40 Rdnr. 4). Es reicht vielmehr aus, wenn der Rat durch einen solchen Beschluss zum Ausdruck bringt, er wolle anstelle des Verwaltungsausschusses diese Entscheidung treffen (so zutreffend Thiele, NGO 5. Aufl. 1999, § 40 Anm. 3 S. 318).

12

Der Beschluss über die Veränderungssperre ist zutreffend zeitlich nach dem Beschluss über die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 64 bekannt gemacht worden.

13

Bei Erlass der Veränderungssperre war die beabsichtigte Planung ausreichend konkretisiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.9.1976 -- IV C 39.74 --, BVerwGE 51, 121; vgl. auch Beschl. v. 27.7.1990 -- 4 B 156.89 --, NVwZ 1991, 62 = BRS 50 Nr. 101). Aus den im Tatbestand wiedergegebenen Plankonzepten ergibt sich, dass bei Fassung der Beschlüsse vom 8. April 1999 mehr als nur ein Mindestmaß an konkretisierter gemeindlicher Planung und an positiver planerischer Aussage vorhanden gewesen ist. Dieses Konzept, das Gemeindegebiet grob in drei Teile mit unterschiedlichen Funktionen einzuteilen, war bereits seinerzeit in einer Weise ausgearbeitet worden, dass dies der Sache nach auch die erste und zweite Verlängerung einer Veränderungssperre hätte tragen können.

14

Es ist nicht ersichtlich, diese Planung könne wegen offensichtlichen Verstoßes gegen geltendes Städtebaurecht nicht verwirklicht werden. Die vom Antragsteller insoweit erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Die mit dem Bebauungsplan Nr. 64 -- wie im Übrigen auch mit der 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 49 -- verfolgten Planungsabsichten verstoßen weder eindeutig gegen § 1 Abs. 3 noch gegen § 1 Abs. 6 BauGB.

15

Es handelt sich namentlich nicht um eine Planung, welche allein von dem Bestreben getragen wäre, eine möglichst profitable Ausnutzung des im Eigentum der Antragsgegnerin stehenden Grundstücks zu sichern, für das die 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 49 ... mit der Festsetzung SO 3 die Ansiedlung der Einzelhandelsbetriebe ermöglicht, welche der Antragsteller auf seinen im Plangebiet Nr. 64 ... verwirklichen möchte. Das rechtfertigt nicht die Annahme, es fehle offensichtlich an der Erforderlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB. Maßgebend für die Erforderlichkeit im Sinne dieser Vorschrift ist die planerische Konzeption der Antragsgegnerin (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.1972 -- IV C 8.70 --, BVerwGE 40, 248, 263 [BVerwG 13.07.1972 - BVerwG III C 37.71]). Der Maßstab der Erforderlichkeit ist dementsprechend "grob". Sie ist bereits dann zu bejahen, wenn der Plan zumindest auch zur Erreichung städtebaulicher Ziele vernünftigerweise geboten ist (vgl. zusammenfassend BVerwG, Urt. v. 22.1.1993 -- 8 C 46.91 --, NVwZ 1993, 1102).

16

In Anwendung dieser Grundsätze kann der beabsichtigten Planung die Erforderlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB nicht abgesprochen werden. Sie mag zwar auch dazu führen, dass die Verwertung des im Eigentum der Antragsgegnerin stehenden Flurstücks mit der nunmehrigen Festsetzung SO 3, Bebauungsplan Nr. 49 1. Änderung, gefördert wird. Zugleich verfolgt die Antragsgegnerin damit jedoch das städtebauliche Ziel, ihr Gemeindegebiet grundsätzlich neu zu ordnen und solche Betriebe, die -- wie namentlich großflächige Einzelhandelsunternehmungen -- verstärkten Umfangs Verkehr anziehen, im Umfeld der Auffahrt zur Bundesautobahn ... und den Bundesstraßen ... zu konzentrieren. Das reicht zur städtebaulichen Rechtfertigung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB aus.

17

Der Umstand allein, dass das für die Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes vorgesehene Grundstück im Eigentum der Antragsgegnerin steht (Bebauungsplan Nr. 49, 1. Änderung), führt nicht als offensichtlich zu einer Verletzung des Abwägungsgebotes, dass die ursprüngliche Veränderungssperre unter diesem Gesichtspunkt zu beanstanden wäre. Es gibt keinen Rechtssatz, der eine Gemeinde verpflichtete, ihre Grundstücke ausschließlich für nicht lukrative Zwecke wie etwa die Anlegung von Kinderspiel- oder Sportplätzen zu verwenden. Zu beanstanden mag dies allenfalls dann sein, wenn sie sich bei der Abwägungsentscheidung allein und ausschließlich, d.h. fernab von zumindest ergänzenden städtebaulichen Erwägungen von eigenem Gewinnstreben leiten lässt. Ein solcher Fall ist hier nach den vorstehenden Ausführungen nicht gegeben. Weitergehende Überprüfungen sind nicht angezeigt. Die Veränderungssperre gibt keinen Anlass, eine volle, vorgezogene "Inzidentkontrolle" der Festsetzung des sich nur abzeichnenden Bebauungsplanes vorzunehmen.

18

Aus den vorstehenden Gründen ergibt sich zugleich, dass nicht eine offensichtlich unzulässige sogenannte Verhinderungsplanung beabsichtigt ist (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 14.7.1972 -- IV C 8.70 --, BVerwGE 40, 258, 262 = BRS 25 Nr. 12 sowie Urt. v. 16.12.1988 -- 4 C 48.86 --,BRS 49 Nr. 3 = NVwZ 1989, 655, 658). Es fehlen ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme, die Antragsgegnerin habe bei dem beabsichtigten Planvorhaben allein und ausschließlich im Auge gehabt, die Pläne des Antragstellers zu durchkreuzen. Das geschieht zwar auch, jedoch "nur" zur Erreichung des übergeordneten, positiven städtebaulichen Zwecks, das Gemeindegebiet in der oben schon mehrfach beschriebenen Weise neu zu ordnen. Dass dies aus Anlass der Pläne geschehen sein mag, welche der Antragsteller und die Kommanditgesellschaft, die seinen Namen trägt für ihre verschiedenen im Gemeindegebiet gelegenen Flächen beabsichtigen, führt nicht offensichtlich zur Abwägungswidrigkeit des beabsichtigten Planes Nr. 64 und damit zur Rechtswidrigkeit der Veränderungssperre.

19

Die erste und zweite Verlängerung der Veränderungssperre sind indes schon deshalb zu beanstanden, weil sie "unzeitig früh" beschlossen worden sind. Die erste Verlängerung einer Veränderungssperre ist nach dem Wortlaut sowie der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar nicht an besondere materielle Voraussetzungen geknüpft. Aus dem Sinn und Zweck einer Veränderungssperre, die Durchführung einer ganz bestimmten Planung bei Vorliegen eines entsprechenden Sicherungsbedürfnisses zu flankieren, sowie aus der Wertung, die aus § 17 Abs. 4 BauGB ersichtlich ist, ergibt sich jedoch, dass bei jeder Verlängerung der Veränderungssperre zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für ihren Erlass, namentlich das Sicherungsbedürfnis fortbesteht und zudem noch gesagt werden kann, dass das Planverfahren nicht innerhalb kürzerer Zeit werde abgeschlossen werden können. Auch/schon bei der ersten Verlängerung einer Veränderungssperre muss die planende Gemeinde daher prüfen, ob zur Zeit des Verlängerungsbeschlusses überhaupt ein Bedürfnis besteht, die in Kraft getretene Veränderungssperre zu verlängern.

20

Das konnte hier am 3. Mai 2000 nicht verlässlich beurteilt werden. Zu diesem Zeitpunkt war von der ursprünglichen, erst am 28. April 1999 in Kraft getretenen Veränderungssperre nur ein geringes Mehr als ein Jahr, d.h. in etwa die Hälfte der gesetzlichen Regelzeit verstrichen. Es konnte dementsprechend nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit abgesehen werden, ob das Sicherungsbedürfnis zum Auslaufen der Veränderungssperre (27. April 2001) überhaupt noch fortbestehen würde. Hätte sich die Antragsgegnerin nicht -- wie im Tatbestand dargestellt -- kurz vor der beabsichtigten endgültigen Beschlussfassung über den Bebauungsplan "umentschieden" und dessen neue öffentliche Auslegung beschlossen, hätte das Planaufstellungsverfahren innerhalb der zwei Jahre abgeschlossen sein können. Auch das zeigt, dass der bereits am 3. Mai 2000 gefasste Satzungsbeschluss über die erste Verlängerung deshalb erheblich zu früh gefasst wurde, weil das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses für die Zeit nach dem 27. April 2001 noch überhaupt nicht abgesehen werden konnte.

21

Erst recht gilt das Vorstehende für eine zweite Verlängerung nach § 17 Abs. 2 BauGB. Diese ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur unter verschärften Voraussetzungen, nämlich dann zugelassen, wenn besondere Umstände dies erfordern. Das setzt eine ins Einzelne gehende Prüfung der Gemeinde voraus, ob der Umstand, dass das Bebauungsplanverfahren nicht innerhalb der vom Gesetz vorgesehenen Regelzeit von drei Jahren abgeschlossen werden kann, durch eine ungewöhnliche Sachlage verursacht worden ist und die Gemeinde im Zusammenhang damit nicht der Vorwurf eines Fehlverhaltens zu machen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.7.1990 -- 4 B 156.89 --, NVwZ 1991, 62 = BRS 50 Nr. 101; vgl. grundlegend auch Urt. v. 10.9.1976 -- IV C 39.74 --, BVerwGE 51, 121 = NJW 1977, 400 = BauR 1977, 31). Eine solche für den Zeitraum nach dem 27. April 2002 vorzunehmende Prüfung konnte am 3. Mai 2000 nicht annähernd angestellt werden.

22

An den vorstehenden Ausführungen ändert sich auch nichts angesichts des Umstandes, dass die Veränderungssperre gegenüber den Vorhaben des Antragstellers aufgrund der vorherigen faktischen Zurückstellungen seiner Baugesuche wegen § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB keine Rechtswirkungen mehr zu zeitigen drohte. Denn § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB stellt nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Schutzvorschrift zu Gunsten desjenigen dar, der nicht nur von einer Veränderungssperre, sondern auch durch Behördenhandeln in einer Weise nachteilig betroffen wird, welche einer Veränderungssperre in ihren Wirkungen gleichkommt. Dieser Schutzzweck würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn die durch § 17 Abs. 1 Satz 2 gebotene individuelle Berechnung der Veränderungssperre dazu führte, die Voraussetzungen, unter denen allein eine Veränderungssperre erstmalig (§ 17 Abs. 1 Satz 3 BauBG) oder zum zweiten Mal (§ 17 Abs. 2 BauGB) verlängert werden darf, aufgeweicht würden. Für diese Auffassung kann sich die Antragsgegnerin auch nicht auf die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. September 1976 (aaO) berufen. Danach mag es zwar so sein, dass bei der individuellen Berechnung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB auch zu berücksichtigen ist, ob im Hinblick auf das Grundstück des entsprechenden Eigentümers die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Sperre nach § 17 Abs. 1 Satz 3 BauGB verlängert werden dürfte oder ob sogar besondere Umstände im Sinne des § 17 Abs. 2 BauGB eine neuerliche Veränderung der Veränderungssperre rechtfertigte. Das ändert nichts am Inhalt der Anforderungen, die zu stellen sind, wenn die Gemeinde mit Wirkung für und gegen alle gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 BauGB eine beschlossene Veränderungssperre verlängert. An das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschriften sind mit anderen Worten keine anderen/geringeren Anforderungen nur deshalb zu stellen, weil sie inzident auch dann zu prüfen sind, wenn die "individuelle Dauer" einer Veränderungssperre gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu prüfen ist. Dementsprechend kann die Antragsgegnerin den hohen Anforderungen, denen eine rechtmäßige zweite Verlängerung gemäß § 17 Abs. 2 BauGB genügen muss, nicht/allein mit dem Hinweis darauf genügen, ohne die (erste und zweite) Verlängerung der Veränderungssperre drohe der Antragsteller die künftigen Planfestsetzungen durch die Verwirklichung planwidriger Vorhaben torpedieren zu können.

23

Es kommt im Übrigen hinzu, dass auch keine ausreichend fundierten Umstände die zweite Verlängerung der Veränderungssperre zu rechtfertigen vermöchte. Die Antragsgegnerin macht dazu im Wesentlichen geltend, sie sei erst im Dezember 1999 über den Umfang der Flächen zuverlässig informiert worden, welche zum Bahngelände gehörten und auf dem sie Ausgleichsmaßnahmen durchführen möchte. Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin ist insofern nicht in entsprechender Anwendung von § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB auf die vier Monate abzustellen, welche im Hinblick auf den Antragsteller nur noch zurückzulegen gewesen sein möchten. Maßgeblich ist vielmehr, ob es der Antragsgegnerin nicht möglich war, innerhalb der vom Gesetz vorgesehenen Regelzeit einschließlich der ersten Verlängerung von insgesamt drei Jahren, d.h. bis zum April 2002, das Vorhaben zu Ende zu führen. Es liegt auf der Hand, dass die schmalen Randkorrekturen im Bereich des Bahngeländes eine derartige Verlängerung des Planaufstellungsverfahrens nicht zu rechtfertigen vermögen. Im Übrigen war nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 27.4.1998 -- 4 B 33.98 --, NVwZ-RR 1998, 542 = BRS 60 Nr. 155) von vornherein klar, dass die Antragsgegnerin zwar die Planaufstellungs- und Beschlüsse über Veränderungssperren würde fassen können, eine abschließende Beschlussfassung jedoch solange nicht würde vornehmen können, wie der Geländestreifen nicht mit der erforderlichen Publizitätswirkung aus dem Regime der spezifischen Bahnnutzung entlassen worden ist. Es ist den Aufstellungsvorgängen nicht zu entnehmen, was die Antragsgegnerin veranlasst hat, um den Bahnstreckenbetreiber zu veranlassen, diesem Geländestreifen seinen Charakter als Bahnanlage zu nehmen.