Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.01.2018, Az.: 2 NB 1702/17

Exmatrikulation; Gerichtsmediziner; Immatrikulation; Schwund; Schwundberechnung; Schwundfaktor; vorläufige Studiumszulassung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.01.2018
Aktenzeichen
2 NB 1702/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74402
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 30.10.2017 - AZ: 8 C 225/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. In die Schwundberechnung sind auch die aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung nur vorläufig zugelassenen Studierenden ("Gerichtsmediziner") einzubeziehen, soweit sie den Studienplatz annehmen (Bestätigung der ständigen Senatsrechtsprechung, vgl. Beschl. v. 15.12.2011 - 2 NB 104/11 u.a. -, juris, Rdnr. 30).
2. In der Schwundberechnung sind die Studierenden, die innerhalb einer in der Immatrikulationsordnung der Hochschule normierten Frist nach Vorlesungsbeginn - hier: ein Monat - ihre Immatrikulation zurücknehmen mit der Folge, dass die Immatrikulation als von Anfang an nicht vorgenommen gilt, nicht zu berücksichtigen.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den sie betreffenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen – 8. Kammer – vom 30. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den sie betreffenden Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

Durch Beschlüsse vom 30. Oktober 2017 - 8 C 198/17 u.a. -, auf die wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der Begründung Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung antragsgemäß verpflichtet, drei Antragsteller näher bestimmter Verfahren nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2017/2018 vorläufig zum Studium der Psychologie/Bachelor im 1. Fachsemester außerhalb der festgesetzten Kapazität von 81 Studienplätzen zuzulassen. Die gleichlautenden Anträge der übrigen Antragsteller, unter anderem den Antrag der Antragstellerin (8 C 225/17), hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Im Beschwerdeverfahren verfolgt die Antragstellerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter.

Die von der Antragstellerin innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Beschwerdegründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Prüfungsumfang des Senats bestimmen, greifen nicht durch.

Die Antragstellerin wendet sich ohne Erfolg gegen die von der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht ihrer Berechnung der Studienplatzkapazität zugrunde gelegten Schwundberechnung. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, der von der Antragsgegnerin unter Vorlage ihrer den Bachelor-Studiengang Psychologie betreffenden Schwundausgleichsberechnung für sechs Fachsemester – beginnend ab dem Sommersemester 2013 und einschließlich des letzten Wintersemesters 2016/2017 – dargelegte und glaubhaft gemachte Schwundfaktor von 1,0410 (Schwundberechnung nach dem Stichtag 1.2.2017, Blatt G, Seite 1 der Anlage AG 2) sei rechtlich nicht zu beanstanden. Für das Wintersemester 2015/2016 weist die Schwundberechnung der Antragsgegnerin eine Studierendenzahl von 90 aus. Dies führt unter Berücksichtigung der von dem Verwaltungsgericht errechneten – und weder von der Antragsgegnerin noch der Antragstellerin angegriffenen – jährlichen Aufnahmekapazität des der Lehreinheit Psychologie zugeordneten Bachelor-Studiengang von 82,0208 Studienplätzen und einem Schwundfaktor von 1,0410 zu einer Kapazität im Bachelor-Studiengang von 85,3836 und gerundet 85 Studienplätzen, dem bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts lediglich 82 eingeschriebene Studierende gegenüberstanden.

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sind bei der Schwundberechnung im Wintersemester 2015/2016 statt 90 nicht richtigerweise 91 Studierende in Ansatz zu bringen. Das Verwaltungsgericht hatte zwar mit rechtskräftigem Beschluss vom 29. Oktober 2015 - 8 C 383/15 u.a. - die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, zwei weitere Antragstellerinnen vorläufig zum Studium der Psychologie im Bachelor-Studiengang im 1. Fachsemester zuzulassen. Dies führte nach übereinstimmender Darstellung der Antragstellerin und der Antragsgegnerin in der Summe zu einer Studierendenzahl von zunächst 91 im 1. Fachsemester des genannten Wintersemesters. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind in die Schwundberechnung auch die aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung nur vorläufig zugelassenen Studierenden („Gerichtsmediziner“) einzubeziehen, soweit sie den Studienplatz annehmen (Senatsbeschl. v. 15.12.2011 - 2 NB 104/11 u.a. -, juris, Rdnr. 30, v. 8.6.2011 - 2 NB 423/10 u.a. -, juris, Rdnr. 36 und v. 2.7.2009 - 2 NB 353/08 u.a. -). Nach der Beschwerdeerwiderung der Antragsgegnerin im vorliegenden Beschwerdeverfahren waren am 29. Oktober 2015 89 Studierende und nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2015 mit den zwei Antragstellerinnen der seinerzeitigen Verfahren im November 2015 zunächst tatsächlich 91 Studierende im 1. Fachsemester immatrikuliert.

Bei einer Studierendenzahl von 91 im 1. Fachsemester des Wintersemesters 2015/2016 wäre von einem Schwundfaktor von 1,0438 auszugehen:

Fachsemester

SS 2013

WS 2013/
2014

SS 2014

WS 2014/
2015

SS 2015

WS 2015/
2016

SS 2016

WS 2016/
2017

Übergangskoeffizent: q

Kapazitätsauslastung: r

1. FS 

2       

86    

1       

123     

0       

91

1       

86    

0,9506

1,0000

2. FS 

83    

1       

80    

1       

120     

0       

86    

1       

0,9676

0,9506

3. FS 

3       

79    

2       

78    

1       

116     

2       

81    

1,1850

0,9198

4. FS 

79    

15    

84    

18    

80    

15    

115     

6       

0,8497

1,0899

5. FS 

8       

64    

10    

66    

19    

63    

15    

108     

0,9306

0,9260

6. FS 

76    

8       

59    

6       

66    

17    

62    

10    

0,8617

Summe 

251     

253     

236     

292     

286     

302     

281     

292     

5,7480

Mittelwert:

5,7480 ./. 6 =

     0,9580

Schwundfaktor:

1 ./. 0,9580 =

1,0438

Die Differenz zwischen diesem und dem von der Antragstellerin errechneten Schwundfaktor von 1,0436 beruht darauf, dass der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht und der Antragsgegnerin und entgegen der Vorgehensweise der Antragstellerin die 4. Stelle nach dem Komma bei der Berechnung des Übergangskoeffizienten (z. B. q1 = 0,95065) nicht rundet. Angesichts der von dem Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Aufnahmekapazität von 82,0208 wäre unter Zugrundelegung des Schwundfaktors von 1,0438 von 85,6133 und gerundet 86 Studienplätzen auszugehen.

Die Antragsgegnerin hat in ihrer Schwundberechnung im Wintersemester 2015/20126 gleichwohl zu Recht die Anzahl von 90 und nicht von 91 Studierenden zugrunde gelegt. Sie hat in ihrer Beschwerdeerwiderung nachvollziehbar ausgeführt, dass die Immatrikulation derjenigen Studierenden, die innerhalb eines Monats nach Vorlesungsbeginn beantragen, ihre Immatrikulation zurückzunehmen, nach § 3 Satz 5 der Immatrikulationsordnung als von Anfang an nicht vorgenommen gilt. In diesem Fall werden diese Studierenden in der amtlichen Statistik zu den Studierendenzahlen nicht mehr erfasst. Wenn sich hingegen Studierende erst nach diesem Zeitpunkt exmatrikulieren, so werden sie als Immatrikulierte gezählt und mithin auch in der Studierendenstatistik für die Schwundberechnung berücksichtigt.

Ausgehend von dieser Sachlage folgt der Senat der ersten Schlussfolgerung der Antragsgegnerin, dass im Wintersemester 2015/2016 eine Studierende oder ein Studierender zwischen dem 29. Oktober 2015 und dem 25. November 2015 (Vorlesungsbeginn in diesem Semester war der 26.10.2015) ihre oder seine Immatrikulation zurückgenommen hatte mit der Folge, dass diese Immatrikulation als von Anfang an nicht vorgenommen galt. Auch die zweite Schlussfolgerung der Antragsgegnerin, dass diese oder dieser Studierende nicht in der Schwundberechnung zu berücksichtigen ist, ist frei von Rechtsfehlern. Das für die Schwundberechnung entwickelte sogenannte Hamburger Modell, nach dem die Antragsgegnerin den Schwundausgleichsfaktor berechnet hat, stellt ein rechentechnisches Verfahren dar, das seine prognostische Aussage über die Entwicklung der Bestandszahlen der Studierenden im Verlauf des Studiums - ohne Überlagerung durch normative Erwägungen - allein an das tatsächliche Bleibeverhalten der Studierenden knüpft. Die Ermittlung des Schwundausgleichsfaktors soll zu empirisch gesicherten Aussagen über einen in Zukunft bei regulärem Verlauf zu erwartenden Rückgang der Bestandszahlen führen. Hintergrund hierfür ist die Erkenntnis, dass erfahrungsgemäß nicht alle Studienanfänger ihr Studium tatsächlich abschließen. Die vorhandene Lehrkapazität soll gleichwohl im Mittel voll genutzt werden. Deshalb werden zu Beginn des Studiums etwas mehr Studierende zugelassen, als es die Kapazität „eigentlich“ hergibt (hierzu näher Zimmerling/Brehm, Hochschulkapazitätsrecht, Band 2, 2013, Rdnr. 693 m. w. N.). Es entspricht diesem Modell, exakt die Entwicklung zu betrachten, die die Bestandszahlen gerade des Studienverlaufs nehmen, zu dem der Zugang begehrt wird (vgl. hierzu zuletzt Senatsbeschl. v. 15.9.2017 - 2 LB 152/16 -, juris, Rdnr. 66). Diesem Abbilden des Bleibeverhaltens widerspräche es, Studierende des 1. Semesters, die bereits innerhalb eines Monats die Rücknahme ihrer erstmaligen Immatrikulation beantragen und mithin ihr Studium in der Regel tatsächlich noch gar nicht aufgenommen oder jedenfalls nach kurzer Zeit aufgegeben haben, in der Schwundberechnung zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).