Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.07.2020, Az.: 2 ME 288/20

andere Schule; Grundschule; Pflichtschule; Schulweg; unzumutbare Härte

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.07.2020
Aktenzeichen
2 ME 288/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71779
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 17.06.2020 - AZ: 6 B 2978/20

Fundstellen

  • DÖV 2020, 990
  • NVwZ-RR 2020, 1031-1032
  • NordÖR 2020, 491
  • SchuR 2024, 19-20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Auch Schulanfängern ist es grundsätzlich zumutbar, den Schulweg nach einer gewissen Einübungszeit ohne Begleitung der Eltern oder anderer Erwachsener zurückzulegen. Der Wunsch der Eltern, ihr Kind zur Schule zu begleiten, kann daher grundsätzlich keine unzumutbare Härte im Sinne von § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG begründen.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 6. Kammer - vom 17. Juni 2020 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Besuch einer außerhalb des Schulbezirks gelegenen Grundschule für ihren Sohn; die Beteiligten streiten vor allem darüber, ob der Besuch der Pflichtschule eine unzumutbare Härte darstellt.

Die Antragsteller, Eltern eines sechs Jahre alten Sohnes und einer drei Jahre alten Tochter, beantragten im März 2020 die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Besuch der Grundschule F. anstelle der dem Schulbezirk zugeordneten Grundschule G. in A-Stadt. Zur Begründung bezogen sie sich auf ungünstige Arbeitszeiten sowie die Möglichkeit, ihren Sohn früh morgens und nachmittags in einem in der Nähe der Wunschgrundschule gelegenen Hort betreuen zu lassen. Der Hort sei der Kindertagesstätte angeschlossen, die beide Kinder gegenwärtig besuchten. Es sei ihnen aufgrund ihrer Arbeitszeiten unmöglich, ihre Kinder in zwei verschiedene Einrichtungen zu bringen bzw. von dort abzuholen. Außerdem seien ihre Kinder sehr aufeinander bezogen und würden unter einer Trennung leiden.

Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 9. März 2020 ab. Sie verwies darauf, dass die Einschulung stets eine neue Lebenssituation bedeute, auf die sich ein Kind einstellen könne und müsse. Auch die Pflichtgrundschule liege in fußläufiger Entfernung von Wohnung und Hort (15 bzw. 17 Minuten Fußweg). Diesen Weg könne ein schulreifes Kind nach entsprechender Vorbereitung in absehbarer Zeit allein bewältigen.

Die Antragsteller haben daraufhin Klage erhoben und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. Juni 2020 abgelehnt hat. Dagegen richtet sich die Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt.

II.

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug nimmt, entschieden, dass die Antragsteller die begehrte Ausnahmegenehmigung nicht beanspruchen können.

§ 63 Abs. 3 Satz 1 NSchG bestimmt, dass die Schülerinnen und Schüler im Fall der Festlegung von Schulbezirken grundsätzlich diejenige Schule der von ihnen gewählten Schulform zu besuchen haben, in deren Schulbezirk sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Der Besuch einer anderen Schule kann gemäß § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG gestattet werden, wenn der Besuch der zuständigen Schule für die betreffenden Schülerinnen oder Schüler oder deren Familien eine unzumutbare Härte darstellen würde (1.) oder der Besuch der anderen Schule aus pädagogischen Gründen geboten erscheint (2.). Diese Voraussetzungen - insbesondere eine von den Antragstellern geltend gemachte unzumutbare Härte - liegen auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht vor.

Nach den vom Senat in ständiger Rechtsprechung angelegten und vom Verwaltungsgericht zutreffend wiedergegebenen Entscheidungsmaßstäben verlangt die Darlegung einer unzumutbaren Härte im Sinne des § 63 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 NSchG mehr als das Anführen sachlicher Gründe oder den Hinweis auf reine Unbequemlichkeiten, die sich mit dem Besuch der zuständigen, sich aus der Schulbezirksfestsetzung ergebenden Schule ergeben könnten. Eine solche Härte ist erst dann anzunehmen, wenn die Nachteile, die ein Schüler bei dem Besuch der zuständigen Pflichtschule zu erleiden hätte, ungleich schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an einer Beibehaltung der Schulbezirkseinteilung und der damit verbundenen sinnvollen Verteilung der Schüler auf die von einem Schulträger angebotenen Schule. Die Annahme einer unzumutbaren Härte muss sich aus der besonderen Situation des Einzelfalls ergeben, der es schließlich rechtfertigt, dem sich hierauf berufenden Schüler und/oder seinen Erziehungsberechtigten im Verhältnis zu dem öffentlichen Interesse an der Beachtung der Schulbezirkseinteilung ausnahmsweise eine Sonderstellung einzuräumen (vgl. Senatsbeschl. v. 2.8.2018 - 2 ME 432/18 -, juris Rn. 4 m.w.N.).

Die Antragsteller berufen sich in diesem Zusammenhang auf ihre schwierige Familiensituation, die von ungünstigen Arbeitszeiten beider Elternteile (Arbeitbeginn 6:00 Uhr bzw. spätestens 8:00 Uhr), fehlender familiärer Unterstützung, einer verschiedene Krankenhausaufenthalte erfordernden Erkrankung der Mutter sowie einer psychosozialen Belastung des Sohnes geprägt ist. Auch der Senat erkennt an, dass insoweit zahlreiche erheblich belastende Faktoren vorliegen. Zu einer Anerkennung einer unzumutbaren Härte im Fall des Besuchs der Pflichtschule führen diese jedoch nicht.

Die Antragsteller gehen erstens davon aus, dass ihr Sohn absehbar nicht in der Lage sein wird, den Schulweg bzw. den Weg zwischen Pflichtgrundschule und Hort ohne elterliche Begleitung zu bewältigen. Dem folgt der Senat ebenso wie bereits das Verwaltungsgericht nicht. Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist es auch Schulanfängern grundsätzlich zumutbar, den Schulweg nach einer gewissen Einübungszeit ohne Begleitung der Eltern oder anderer Erwachsener zurückzulegen (vgl. Senatsbeschl. v. 2.8.2018 - 2 ME 432/18 -, juris Rn. 5). Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nichts Gegenteiliges. Der Weg von der Wohnung zur Grundschule G. führt weitestgehend über verkehrsarme und geschwindigkeitsbegrenzte Wohnstraßen, deren Nutzung vergleichsweise ungefährlich ist. Lediglich an einer Stelle ist die Querung der verkehrsreichen H. erforderlich, auf der zudem die Stadtbahn verkehrt. In unmittelbarer Nähe zur Schule besteht jedoch eine ampelgesicherte Querungsmöglichkeit mit Aufstellflächen für Fußgänger, sodass es sich insgesamt um einen Schulweg handelt, der keine besonderen Schwierigkeiten oder Gefahrenpunkte aufweist und der auch von einem Erstklässler nach entsprechender Einübung in angemessener Zeit ohne elterliche Begleitung zu bewältigen ist. Gleiches gilt für den Weg von der Grundschule G. zum Hort.

Soweit sich die Antragteller demgegenüber auf ein fachärztliches Attest einer Kinder- und Jugendpsychiaterin berufen, das dem Sohn der Antragsteller eine Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung bescheinigt und daraus eine besondere Gefährdung auf dem Schulweg ableitet, gestattet dies keine andere Entscheidung. Wenn Aufmerksamkeit und Konzentration - wovon auch die Antragsteller ausgehen - den Schulbesuch ermöglichen, kann nach entsprechender Einübung auch ein keine besonderen Gefahrenstellen aufweisender Schulweg selbstständig bewältigt werden. Es ist insofern Aufgabe der Antragsteller, ihren Sohn rechtzeitig mit den Orten und Situationen vertraut zu machen, die seiner besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. Dass dies nicht möglich sein könnte, ist dem Attest nicht zu entnehmen. Andernfalls wäre - wofür im Moment jedoch nichts spricht - eine Anwendung von § 114 Abs. 2 Satz 3 NSchG in Erwägung zu ziehen.

Zweitens berufen sich die Antragsteller darauf, dass ihr Sohn die Nähe zu seiner Schwester suche und eine Trennung zu einer starken Belastung führe. Dementsprechend bescheinigt die Kinder- und Jugendpsychiaterin, dass ein bekanntes und haltgebendes Umfeld wie der dem bereits heute besuchten Kindergarten angegliederte Hort von besonderer Bedeutung sei. Auch dies kann eine unzumutbare Härte jedoch nicht begründen. Da es dem Antragsteller nach den obigen Feststellungen möglich ist, auch den Weg zwischen Schule und Hort in absehbarer Zeit eigenständig zu bewältigen, kann er nach Schulschluss den Hort aufsuchen und sein vertrautes Umfeld erhalten. Auf die vom Hort angebotene Begleitung von bzw. zur Grundschule F. ist er nicht zwingend angewiesen. Vor diesem Hintergrund liegen auch die geltend gemachten pädagogischen Gründe nicht vor.

Auf das weitere Vorbringen - insbesondere zu der in der Pflichtschule ebenfalls möglichen Ganztags- sowie Früh- und Spätbetreuung - kommt es angesichts dessen nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt hier nicht vor, sodass der Regelstreitwert in Orientierung an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11) zu halbieren ist (vgl. Senatsbeschl. v. 20.8.2018 - 2 OA 504/18 -, juris Rn. 8).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).