Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.05.2020, Az.: 1 LA 150/18
Anzeige; Ausfertigung; Bauaufsichtsbehörde; Bebauungsplan; Bekanntmachung; Beseitigungsanordnung; Beseitigungsverfügung; Erforderlichkeit; Erforderlichkeit eines Bebauungsplanes; Ermessen; Ermessen, intendiertes; Genehmigung; höhere Verwaltungsbehörde; realistisch; vollzugsfähig
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.05.2020
- Aktenzeichen
- 1 LA 150/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 72031
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 27.09.2018 - AZ: 4 A 5165/16
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs 3 BauGB
- § 11 Abs 3 BauGB
- § 11 KomVerfG ND
- § 6 GemO ND
- § 79 Abs 1 BauO ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Reihenfolge von Ausfertigung, Genehmigung/Anzeige und Bekanntmachung bei anzeige- bzw. genehmigungspflichtigen Bebauungsplänen.
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 27. September 2018 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen eine bauaufsichtliche Verfügung zur Beseitigung eines Imbissstandes.
Der Kläger errichtete auf dem Grundstück C. Straße 118 im Stadtgebiet der Beklagten im Jahr 2015 einen Imbissstand in Form eines Containers. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 17b der Beklagten in der Fassung der Neuaufstellung vom 13. Oktober 1997. Der Plan setzt für den Standort des Containers unter anderem ein Mischgebiet bei zwingender viergeschossiger Bauweise entlang bestimmter Baulinien fest; mit diesen Festsetzungen steht der Container nicht in Einklang. Aus diesen Grund lehnte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 12. Januar 2016 die Erteilung einer Baugenehmigung für das Vorhaben ab und ordnete mit der angegriffenen Verfügung vom 22. Februar 2016 dessen Beseitigung an. Den Widerspruch des Klägers wies die Region B-Stadt mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2016 zurück.
Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. September 2018 abgewiesen. Die Beseitigungsverfügung begegne keinen Bedenken. Das Vorhaben sei formell und auch materiell baurechtswidrig, weil es gegen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 17b verstoße. Der Plan sei wirksam und auch nicht funktionslos geworden. Eine Befreiung von seinen Festsetzungen könne nicht erteilt werden. Ihr Ermessen habe die Beklagte fehlerfrei betätigt. Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützten Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel und besonderer rechtlicher Schwierigkeiten greifen nicht durch.
§ 79 Abs. 1 Satz 1 NBauO sieht vor, dass die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen kann, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind, wenn bauliche Anlagen, Grundstücke, Bauprodukte oder Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht widersprechen oder dies zu besorgen ist. Nach Satz 2 Nr. 4 dieser Vorschrift kann sie namentlich die Beseitigung von Anlagen oder Teilen von Anlagen anordnen. Eine derartige Beseitigungsanordnung setzt mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich die formelle und materielle Baurechtswidrigkeit der Anlage voraus (vgl. nur Senatsurt. v. 21.1.2000 - 1 L 4202/99 -, NdsVBl. 2000, 142 = BRS 63 Nr. 120 = juris Rn. 27), soweit die Beseitigung nicht - dies hätte in diesem Fall in Betracht gezogen werden können - ohne einen (wesentlichen) Eingriff in die Substanz erfolgen kann (vgl. Senatsbeschl. v. 19.5.2010 - 1 ME 81/10 -, NdsVBl. 2010, 302 = BRS 76 Nr. 141 = juris Rn. 6). Davon ist auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen.
Soweit der Kläger dagegen meint, das Verwaltungsgericht habe sein Vorhaben zu Unrecht als materiell illegal angesehen, tatsächlich sei der Bebauungsplan Nr. 17b (Neuaufstellung) der Beklagten unwirksam, führt das nicht zur Zulassung der Berufung.
Der erste Einwand des Klägers bezieht sich auf die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Wirksamkeit des Bebauungsplans stehe nicht entgegen, dass dieser zunächst ausgefertigt, dann auf der Grundlage von § 11 Abs. 3 BauGB in der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung vom 8. Dezember 1986 gegenüber dem ehemaligen Landkreis B-Stadt angezeigt und nach Mitteilung, dass eine Verletzung von Rechtsvorschriften nicht geltend gemacht werde, bekanntgemacht worden ist. Er meint, das Verwaltungsgericht verkenne mit diesem Verständnis den Sinn und Zweck des Ausfertigungserfordernisses, welches die Ordnungsmäßigkeit des gesamten Planaufstellungsverfahrens beurkunden und dokumentieren solle. Die Ausfertigung habe daher erst nach Abschluss des Anzeigeverfahrens erfolgen dürfen.
Mit diesen Ausführungen sind weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils noch besondere rechtliche Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO ausreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zutreffend begründet, dass sich die Frage nach dem „richtigen“ Zeitpunkt der Ausfertigung mangels bundesrechtlicher Vorgaben (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.1993 - 4 C 22.92 -, NVwZ 1994, 1010 = juris Rn. 18; Beschl. v. 9.5.1996 - 4 B 60.96 -, NVwZ-RR 1996, 630 = BRS 58 Nr. 41 = juris Rn. 3) allein nach dem jeweiligen Landesrecht richtet. Es handelt sich mithin um eine Frage, die nicht anhand allgemeiner Grundsätze wie dem bundesverfassungsrechtlichen Rechtsstaatsgebot, sondern insbesondere anhand der Auslegung des jeweiligen Kommunalverfassungsrechts zu beantworten ist. Dies hat das Verwaltungsgericht unter sorgfältiger Auswertung von Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der maßgeblichen Bestimmungen getan. Sein Ergebnis, dass eine Ausfertigung dem Verfahren bei der höheren Verwaltungsbehörde vorangehen darf, entspricht der - soweit ersichtlich - einhelligen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in Niedersachsen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 9.5.2014 - 9 LA 147/12 -, NdsVBl. 2014, 316 = juris Rn. 8 ff.; VG Hannover, Urt. v. 17.11.2011 - 12 A 1397/11 -, juris Rn. 63 ff.) und auch der vom Senat in der Vergangenheit angedeuteten Tendenz (vgl. Senatsurt. v. 25.7.1988 - 1 C 33/86 -, juris Rn. 35). Vor diesem Hintergrund hätte es das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfordert, sich im Einzelnen mit den Maßgaben des Kommunalverfassungsrechts auseinanderzusetzen und aufzuzeigen, aus welchen Gründen die in jeder Hinsicht nachvollziehbare Begründung des Verwaltungsgerichts fehlerhaft sein könnte. Das fehlt.
Mit seinem zweiten Einwand macht der Kläger geltend, dem Bebauungsplan fehle die Erforderlichkeit gemäß § 1 Abs. 3 BauGB, weil das verfolgte Planungsziel von vornherein unrealistisch gewesen sei. Auch dieser Einwand führt nicht zur Zulassung der Berufung.
Nach § 1 Abs. 3 BauGB haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Diesem Kriterium der städtebaulichen Rechtfertigung kommt nach der vom Senat geteilten ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dieselbe Funktion zu wie demjenigen der Planrechtfertigung im Planfeststellungsrecht, nämlich die Planung, die ihre Rechtfertigung nicht in sich selbst trägt, im Hinblick auf die damit verbundenen Rechtseinwirkungen in Einklang mit den gesetzlich zulässigen Planungszielen zu bringen und auf diese Weise grundsätzlich zu rechtfertigen. Nicht erforderlich sind danach unter anderem Pläne, die aus tatsächlichen oder Rechtsgründen auf Dauer oder auf unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehren. In dieser Auslegung setzt § 1 Abs. 3 BauGB der Bauleitplanung eine erste, wenn auch strikt bindende Schranke, die lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt (vgl. zusammenfassend BVerwG, Urt. v. 5.5.2015 - 4 CN 4.14 -, NVwZ 2015, 1537 = BRS 83 Nr. 8 = juris Rn. 10 m.w.N.).
Wann einer Planung die Vollzugsfähigkeit fehlt, kann ebenfalls als geklärt gelten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es darauf an, ob der Realisierung des Bebauungsplans dauerhafte Hindernisse tatsächlicher oder rechtlicher Art entgegenstehen. Dies verlangt als Prognose keine letzte Gewissheit, dass der Vollzug der Regelung unter allen Umständen ausgeschlossen sein wird, sondern die von den konkreten Einzelfallumständen abhängige Prüfung, ob auf der Grundlage der Darlegungen des Planungsträgers in der Planbegründung die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Bebauungsplan bzw. einzelne seiner Festsetzungen realistischerweise umgesetzt werden können. Dabei ist nicht zuletzt die Art der in Rede stehenden Festsetzungen von Bedeutung. Flächenfestsetzungen tragen in aller Regel schon dadurch eine Vollzugswahrscheinlichkeit in sich, weil die Zulässigkeit neuer Vorhaben (§ 29 Abs. 1 BauGB) an ihnen zu messen ist (§ BauGB) und sich so zumindest langfristig ein Gebietswandel einstellen wird. Deswegen können und müssen unter Umständen auch auf längere Dauer andere als die festgesetzten Nutzungen hingenommen werden. Allein der Wille eines Grundeigentümers, die Realisierung einer bestimmten Festsetzung zu verhindern, ist regelmäßig nicht geeignet ist, eine Festsetzung außer Kraft treten zu lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.6.2014 - 4 CN 4.13 -, BVerwGE 150, 101 = BRS 82 Nr. 37 = juris Rn. 14 m.w.N.).
Nach diesen Maßgaben, deren Zusammenfassung keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, zeigt der Kläger mit seinem Zulassungsantrag nicht in ernstliche Zweifel begründender Weise auf, dass die Planung der Beklagten – hier konkret die Flächenfestsetzungen bezüglich der Solitärbauten - als ein grober und einigermaßen offensichtlicher Missgriff zu beurteilen sein könnte.
Es trifft zwar zu, dass die Planung, die die Errichtung von viergeschossigen Solitärgebäuden entlang der C. Straße vorsieht, seit dem Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. 17b nicht einmal ansatzweise realisiert worden ist und bereits zuvor eine ebenfalls eine viergeschossige, allerdings geschlossene Bauweise vorsehende Vorgängerplanung aus dem Jahr 1974 nicht umgesetzt werden konnte. Das führt jedoch nicht dazu, dass die hier allein maßgebliche Planung aus dem Jahr 1997 als nicht vollzugsfähig anzusehen wäre. Im Gegenteil hat sich die Beklagte ausweislich der Planbegründung der Frage gestellt, aus welchen Gründen der Vorgängerplan nicht vollzogen werden konnte. Die erkannten Defizite - Zwang zur Beseitigung denkmalgeschützter Gebäude und fehlende Orientierung an den Eigentumsverhältnissen - wurden beseitigt; das Maß der baulichen Ausnutzbarkeit wurde zur Schaffung eines wirtschaftlichen Anreizes erhöht. Festzustellen ist auch, dass entlang der C. Straße – nämlich auf dem gegenüberliegenden Klinikgelände – eine ambitionierte Neubebauung erfolgt ist. Diese Neubebauung zeigt, dass die planerische Annahme der Beklagten, die Grundstücke entlang der C. Straße verfügten über ein erhebliches Potenzial zu einer städtebaulichen Aufwertung, keineswegs unzutreffend war.
Vor diesem Hintergrund vermag die bloße Feststellung des Beklagten, der Plan sei seit seinem Inkrafttreten nicht realisiert worden, nicht zu begründen, dass die Planung bereits im maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses gänzlich unrealistisch war. Nicht jeder später nicht realisierte Plan war von vornherein nicht erforderlich im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB; es kommt vielmehr auf die einen Planvollzug hindernden Gründe im Einzelfall an. Dazu enthält der Zulassungsantrag entgegen § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO keine näheren Darlegungen; insbesondere wird nicht deutlich, dass nicht allein der Unwillen der Eigentümer dem Planvollzug im Wege steht. Es erscheint jedenfalls durchaus plausibel, dass schwierige Eigentumsverhältnisse, mangelnder Innovationswille oder fehlende Finanzkraft der Eigentümer den Planvollzug hindern; eben dies mag sich aber gerade angesichts der Aufwertung, die die gegenüberliegende Seite der C. Straße in jüngster Zeit erfahren hat, ändern.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht schließlich die Ermessensbetätigung der Beklagten unbeanstandet gelassen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat die Bauaufsichtsbehörde gegen baurechtswidrige Zustände regelmäßig einzuschreiten; es handelt sich daher um einen Fall von intendiertem Ermessen. Ein „Für und Wider“ braucht daher nur dann abgewogen zu werden, wenn der Fall so geartet ist, dass ganz bestimmte konkrete Anhaltspunkte für die Angemessenheit einer Ausnahme vorliegen (vgl. Senatsbeschl. v. 11.5.2015 - 1 ME 31/15 -, NdsVBl. 2015, 304 = BRS 83 Nr. 101 = juris Rn. 15 m.w.N.). Solche Umstände sind hier weder dargetan noch ersichtlich. Vor diesem Hintergrund erweist sich die um Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit ergänzte Feststellung der Beklagten in dem angegriffenen Bescheid, es könne angesichts der formellen und materiellen Illegalität nicht geduldet werden, dass das Gebäude rechtswidrig und ohne Aussicht auf Genehmigung gewerblich genutzt werde, als in jeder Hinsicht tragfähig und zugleich als gemessen an § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V. mit § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG ausreichend. Die Ausführungen des Klägers in seinem Zulassungsantrag zu einer „alternativen“ Begründung anhand der formellen bzw. materiellen Rechtmäßigkeit vermag der Senat hingegen nicht nachzuvollziehen. Weder die Beklagte noch das Verwaltungsgericht haben ihre Entscheidung „alternativ“ begründet, sondern beide sind von einer sowohl formell als auch materiell baurechtswidrigen Anlage ausgegangen.
Verhältnismäßigkeitserwägungen stehen dem angegriffenen Bescheid nicht entgegen. Dass der Kläger bereit ist, seinen Imbiss zu entfernen, sobald eine plankonforme Grundstücksnutzung konkret absehbar ist, ändert daran nichts. Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse daran, auch Zwischennutzungen, die ihren städtebaulichen Vorstellungen widersprechen, zu verhindern. Derartige Zwischennutzungen prägen die Umgebung in unerwünschter Weise; zudem mindern sie den wirtschaftlichen Druck auf die Grundeigentümer, den Bebauungsplan zu vollziehen. Beides musste die Beklagte nicht hinnehmen.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).