Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.05.2020, Az.: 4 LA 163/18
Biotop; Biozönose; Kartierschlüssel; Lebensgemeinschaft; Lebensraum; Moor, naturnahes; Parteigutachten; Pflanzenarten, wild lebende; Privatgutachten; Torf; Vegetation, moortypische; Verhandlung, mündliche; Verzicht; Widerruf
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.05.2020
- Aktenzeichen
- 4 LA 163/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 71993
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 15.06.2018 - AZ: 4 A 1677/16
Rechtsgrundlagen
- § 30 Abs 2 S 1 Nr 2 BNatSchG
- § 7 Abs 2 Nr 4 BNatSchG
- § 101 Abs 2 VwGO
- § 86 Abs 1 S 1 Halbs 1 VwGO
- § 128 Abs 2 S 1 ZPO
- § 397 ZPO
- § 402 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ist eine grundsätzlich unwiderrufliche Prozesshandlung.
2. Ein Moor im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG liegt vor, wenn ein abgrenzbarer Lebensraum auf Torfboden durch eine Lebensgemeinschaft von bestimmten wild lebenden Pflanzen, die an diesen Standort angepasst und somit für ihn charakteristisch sind, geprägt oder zumindest mitgeprägt wird und sich der Lebensraum aus diesem botanischen Blickwinkel betrachtet deshalb in einem natürlichen oder naturnahen Zustand befindet. Für die nähere Bestimmung der an diesen Standort angepassten Lebensgemeinschaften spielt die Vegetation, die gemäß der Anlage „Definition und Erläuterungen der in Artikel 1 § 30 Abs. 1 genannten Biotope“ (BT-Drs. 14/6378, S. 66) dem Feuchtbiotop „Moore“ zuzurechnen ist, eine hervorgehobene Rolle.
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 15. Juni 2018 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge jeweils auf 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, ist unbegründet. Denn die von ihr geltend gemachten Berufungszulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 3 und 5 VwGO liegen sämtlich nicht vor.
I. Die Berufung ist nicht wegen der von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.
1. Das Verwaltungsgericht hat nicht gegen § 101 Abs. 1 und 2 VwGO verstoßen, indem es sein Urteil ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung gefällt hat, nachdem die Klägerin zuvor den von ihr erklärten Verzicht auf eine weitere mündliche Verhandlung widerrufen hatte.
a) Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung ist eine grundsätzlich unwiderrufliche Prozesshandlung, die in § 101 Abs. 2 VwGO für den Verwaltungsprozess eigenständig und abschließend geregelt worden ist. Für eine Anwendung von § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO (i. V. m. § 173 Satz 1 VwGO), wonach die Zustimmung der Parteien zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerrufen werden kann, ist deshalb daneben kein Raum (BVerwG, Beschl. v. 4.6.2014 - 5 B 11.14 -, NVwZ-RR 2014, 740, v. 13.12.2013 - 6 BN 3.13 -, Buchholz 310 § 101 VwGO Nr. 38 u. v. 1.3.2006 - 7 B 90.05 -; zu § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO: BVerwG, Beschl. v. 9.9.2009 - 4 BN 4.09 -, BauR 2010, 205 u. v. 29.12.1995 - 9 B 199.95 -, DÖV 1996, 700 m. w. N.). Somit hat der Widerruf der Klägerin an der Wirksamkeit ihres Einverständnisses mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nichts geändert.
b) Der von der Klägerin erklärte Verzicht auf eine weitere mündliche Verhandlung war zum Zeitpunkt der Urteilsfindung des Verwaltungsgerichts auch nicht „verbraucht“. Denn das Verwaltungsgericht hat nach dem Verzicht der Beteiligten auf eine weitere mündliche Verhandlung keine weitere Entscheidung mehr getroffen, die dem abschließenden Urteil vorausgegangen ist (vgl. zu den Fallkonstellationen, in denen ein „Verbrauch“ des Verzichts auf mündliche Verhandlung anzunehmen ist: BVerwG, Beschl. v. 4.6.2014, a. a. O.).
c) Im Übrigen war die Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch nicht erforderlich, um den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör zu wahren (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 13.12.2013 u. v. 1.3.2006, a. a. O.).
Die Klägerin hat die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung beantragt, nachdem der Beklagte ein von ihm in Auftrag gegebenes Privatgutachten in den Prozess eingeführt hat, das sich aus geologischer und landschaftsökologischer Sicht mit der Frage befasst, ob es sich bei den Flächen, auf die sich die von der Klägerin angefochtene naturschutzrechtliche Untersagungsverfügung bezieht, um ein regenerierbares Moor handelt. Die Klägerin wollte die von ihr gewünschte weitere mündliche Verhandlung nutzen, um den vom Beklagten beauftragten Gutachter zu den Ergebnissen seines Gutachtens zu befragen, und beantragte deshalb zugleich mit dem Widerruf des Verzichts auf mündliche Verhandlung, den Gutachter zur mündlichen Verhandlung zu laden.
Diesem Antrag musste das Verwaltungsgericht nicht Folge leisten. Zwar ist das Tatsachengericht in der Regel gemäß § 98 VwGO i. V. m. §§ 402, 397 ZPO verpflichtet, das Erscheinen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung anzuordnen, wenn ein Beteiligter dies beantragt, weil er dem Sachverständigen Fragen stellen will; die Verletzung dieser Pflicht begründet eine Gehörsverletzung (BVerwG, Beschl. v. 26.6.2009 - 8 B 56.09 -). Die genannten Regelungen geben einem Beteiligten aber nicht das Recht, die persönliche Vernehmung eines „Privatgutachters“ zur Erläuterung seines Gutachtens zu verlangen (BVerwG, Beschl. v. 26.11.1980 - 6 B 16.80 -, BayVBl. 1982, 158 u. Urt. v. 6.2.1985 - 8 C 15.84 -, BVerwGE 71, 38 <45>).
Auch sonst bestand für das Verwaltungsgericht unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des rechtlichen Gehörs keine Notwendigkeit, der Klägerin die von ihr gewünschte Möglichkeit einzuräumen, den vom Beklagten beauftragten Gutachter im Rahmen einer weiteren mündlichen Verhandlung zu befragen. Das Verwaltungsgericht hat der Klägerin das Parteigutachten zur Kenntnis gegeben und ihr die Möglichkeit eingeräumt, sich schriftlich mit dessen Inhalt auseinanderzusetzen. Das hat die Klägerin auch getan. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs war dies genügend, zumal die Klägerin im Kern keine Einwände gegen die in dem Privatgutachten enthaltenen Tatsachenfeststellungen sowie geologischen und landschaftsökologischen Bewertungen erhoben hat. Sie hat sich die Aussagen in dem Gutachten im Wesentlichen sogar zu Eigen gemacht, um damit ihren eigenen Rechtsstandpunkt zu untermauern, dass die in Rede stehende entwässerte und teilweise abgetorfte Fläche nicht unter den in § 30 Abs. 2 Nr. 2 BNatSchG aufgeführten Rechtsbegriff „Moor“ subsumiert werden könne.
2. Das Verwaltungsgericht hat auch nicht gegen die Pflicht verstoßen, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO), indem es ohne mündliche Befragung des vom Beklagten beauftragten Gutachters entschieden hat. Eine Sachaufklärungsrüge greift nur dann durch, wenn im erstinstanzlichen Verfahren ein entsprechender Beweisantrag gestellt worden ist oder sich dem erstinstanzlichen Gericht eine solche Beweiserhebung auch ohne weiteres Hinwirken hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.9.2007 - 4 B 38/07 -; Senatsbeschl. v. 26.5.2015 - 4 LA 23/15 - u. v. 14.10.2013 - 4 LA 176/13 -). Einen förmlichen Beweisantrag, der ein konkretes Beweisthema und Beweismittel bezeichnet, hat die Klägerin weder in der mündlichen Verhandlung noch in ihren folgenden schriftlichen Äußerungen gestellt. Wie oben bereits ausgeführt worden ist, war das Verwaltungsgericht auch nicht gemäß § 98 VwGO i. V. m. §§ 402, 397 ZPO verpflichtet, der Klägerin ihrem Wunsch entsprechend Gelegenheit zu geben, den Privatgutachter mündlich zu befragen. Dem Verwaltungsgericht hätte sich eine mündliche Befragung des Parteigutachters zu den Ergebnissen seines Gutachtens auch nicht aufdrängen müssen, zumal die Klägerin in ihrem erstinstanzlichen Vorbringen keine substantiierten Einwände gegen die Tatsachenfeststellungen und geologischen und landschaftsökologischen Bewertungen in dem Gutachten formuliert hat, sondern sich diese im Wesentlichen sogar zu Eigen gemacht hat. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang problematisierte Frage, ob die in Rede stehende entwässerte und teilweise abgetorfte Fläche unter den in § 30 Abs. 2 Nr. 2 BNatSchG aufgeführten Begriff des Moors gefasst werden kann, betrifft im Kern die Auslegung dieser Norm und somit eine Rechtsfrage, nicht einen Gesichtspunkt der Sachverhaltsaufklärung.
II. Die Berufung ist auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zuzulassen.
Das Verwaltungsgericht hat sein klageabweisendes Urteil u. a. tragend darauf gestützt, dass es sich bei der von der Untersagungsverfügung des Beklagten betroffenen Fläche um ein Moor im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG handelt. Die Klägerin wendet hiergegen ein, dass sich das Grundstück aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht in einem naturnahen Zustand befinde und daher nicht dem gesetzlichen Biotopschutz unterliege. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeben sich hieraus nicht.
1. Gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG sind Handlungen, die zu einer Zerstörung oder einer sonstigen erheblichen Beeinträchtigung der in dieser Norm aufgezählten Biotope führen können, verboten. Zu den gesetzlich geschützten Biotopen zählen nach Nr. 2 dieser Regelung auch Moore. In der Rechtsprechung des Senats ist bereits geklärt, dass dies nur für Moore gilt, die sich in einem natürlichen oder naturnahen Zustand befinden (Senatsurt. v. 30.6.2015 - 4 LC 285/13 -). In der zitierten Entscheidung hat der Senat dies einzelfallbezogen für eine bereits in der Vergangenheit intensiv als Grünland genutzte Fläche verneint, ohne sich abschließend zu den Kriterien zu äußern, nach denen sich bestimmt, ob sich ein Moor in einem natürlichen oder naturnahen Zustand befindet.
Einen ersten Aufschluss hierfür ergibt die gesetzliche Definition des in § 30 BNatSchG als Oberbegriff verwendeten Terminus „Biotop“, die in § 7 Abs. 2 Nr. 4 BNatSchG geregelt ist. Danach ist ein Biotop ein Lebensraum einer Lebensgemeinschaft wild lebender Tiere und Pflanzen. Prägend für den Begriff des Biotops ist somit, dass auf einem bestimmten abgrenzbaren Lebensraum mehrere für einen bestimmten Biotoptyp charakteristische wild lebende Tier- oder Pflanzenarten vorkommen, die untereinander eine Lebensgemeinschaft (Biozönose) bilden, wobei die einzelnen Arten in zahlreichen Wechselbeziehungen zueinander stehen (siehe dazu den Wikipedia-Eintrag „Biozönose“). Da es sich nach dem Gesetzeswortlaut bei der Lebensgemeinschaft ausdrücklich um „wild lebende“ Tiere oder Pflanzen handeln muss, spricht dies dafür, auch die Antwort auf die Frage, ob sich ein bestimmter Biotoptyp in einem natürlichen oder naturnahen Zustand befindet, davon abhängig zu machen, ob der Lebensraum von den für ihn charakteristischen wild lebenden Tier- oder Pflanzenarten (in Gegenüberstellung zu Kulturpflanzen oder Nutztieren) geprägt oder jedenfalls mitgeprägt wird.
Bestätigt wird dieses Verständnis durch die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs für das Bundesnaturschutzgesetz 2002, mit dem die heute in § 30 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG geregelte Aufzählung der einzelnen gesetzlich geschützten Biotope geschaffen worden ist, wenn auch seinerzeit noch als Rahmengesetz des Bundes. Danach handelt es sich bei den Biotopen um einen Katalog „wertvoller Lebensräume“ (BT-Drs. 14/6378, S. 52), womit die Gesetzesbegründung den auch in der Legaldefinition des § 7 Abs. 2 Nr. 4 BNatSchG verwendeten Begriff des Lebensraums aufnimmt. Ferner ist der Begründung des Gesetzentwurfs eine Anlage zur „Definition und Erläuterungen der in Art. 1 § 30 Abs. 1 genannten Biotope“ angefügt, auf die zur näheren Bestimmung der einzelnen Biotope zurückgegriffen werden kann (Senatsurt. v. 29.11.2016 - 4 KN 93/14 - u. v. 30.6.2015 - 4 LC 285/13 -). Darin heißt es zum hier in Rede stehenden Feuchtbiotop der „Moore“ (a. a. O., S. 66):
„Vom Regen- oder Mineralbodenwasser abhängige Lebensgemeinschaften auf Torfböden in natürlichem oder naturnahem Zustand einschließlich bestimmter Degenerations- und Regenerationsstadien. Überwiegend waldfreie Formationen aus moortypischer Vegetation.
Dazu gehören: Hoch- und Übergangsmoore einschließlich Moorwälder, z. B. aus Birke (Betula pubescens, B. carpatica), Waldkiefer (Pinus sylvestris), Spirke (Pinus rotundata), Latsche (Pinus mugo), Fichte (Picea abies), ferner Schwingrasen, Moorkolke, regenerierende Torfstiche, pfeifengras-, zwergstrauch- und moorbirkenreiche Hochmoordegenerationsstadien, weiterhin intakte, völlig oder überwiegend unbewaldete Niedermoore (z. B. Seggenriede, Röhrichte, Weidenbüsche auf Torfböden) sowie Komplexe aus diesen Einheiten (…).“
Auch diese Definition und Erläuterung knüpft mit dem im ersten Satz verwendeten Begriff der Lebensgemeinschaften an die Terminologie des § 7 Abs. 2 Nr. 4 BNatSchG an. Und die Erwähnung der „Formationen aus moortypischer Vegetation“ im nachfolgenden Satz spricht dafür, dass es sich bei natürlichen oder naturnahen Mooren um Lebensgemeinschaften bestimmter wild lebender Pflanzenarten handelt. Bestätigt wird das durch den zweiten Absatz der Erläuterung. Denn die dort aufgezählten Typen von natürlichen oder naturnahen Mooren werden mit Ausnahme der Moorkolke und der regenerierenden Torfstiche durchgehend anhand der für sie prägenden Vegetation beschrieben.
Dies alles spricht dafür, dass ein Moor im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG dann vorliegt, wenn ein abgrenzbarer Lebensraum auf Torfboden durch eine Lebensgemeinschaft von bestimmten wild lebenden Pflanzen, die an diesen Standort angepasst und somit für ihn charakteristisch sind, geprägt oder zumindest mitgeprägt wird und sich der Lebensraum aus diesem botanischen Blickwinkel betrachtet deshalb in einem natürlichen oder naturnahen Zustand befindet. Für die nähere Bestimmung der an diesen Standort angepassten Lebensgemeinschaften spielt die Vegetation, die gemäß der Anlage „Definition und Erläuterungen der in Artikel 1 § 30 Abs. 1 genannten Biotope“ (BT-Drs. 14/6378, S. 66) dem Feuchtbiotop „Moore“ zuzurechnen ist, eine hervorgehobene Rolle. Im Übrigen ist der Anlage auch zu entnehmen, dass es sich jeweils um von Regen- oder Mineralbodenwasser abhängige Lebensgemeinschaften handeln muss.
Dagegen spielt es für sich genommen keine entscheidende Rolle, ob das Moor sich wegen menschlicher Eingriffe wie dem Abbau von Torf oder anderen Maßnahmen zur Trocknung und Durchlüftung des Torfbodens in einem degenerierten Zustand befindet und ob eine Renaturierung in ein lebendiges, intaktes Moor noch möglich bzw. erfolgversprechend ist und wie lange sie dauern würde. Vielmehr lässt sich der oben zitierten Definition und Erläuterung des Biotoptyps „Moore“ ausdrücklich und wiederholt entnehmen, dass auch bestimmte Degenerationsstadien ein naturnahes Moor darstellen können. Entsprechend führt eine Degeneration der Torfschicht erst dann dazu, dass nicht mehr von einem Moor im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG gesprochen werden kann, wenn infolgedessen die an diese Bodenart angepasste und von Regen- oder Mineralbodenwasser abhängige Lebensgemeinschaft wild lebender Pflanzen abstirbt oder derart zurückgedrängt wird, dass sie den Lebensraum nicht mehr mitprägt.
2. Bei Anwendung dieses Maßstabs ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem hier in Rede stehenden Grundstück um ein Moor im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG handelt.
Anders als das Verwaltungsgericht meint, ist dafür zwar nicht entscheidend, dass die Fläche gemäß dem vom Beklagten vorgelegten Parteigutachten noch die Fähigkeit besitzt, im Sinne eines natürlichen Moors regenerationsfähig zu sein. Jedoch ergibt sich aus den auch von der Klägerin nicht angezweifelten Feststellungen in dem Parteigutachten zur lokalen Vegetation zweifelsfrei, dass das Grundstück von Lebensgemeinschaften bestimmter wild lebender Pflanzen, die in ihrer Lebensweise an den Torfboden angepasst und daher für ein naturnahes Moor charakteristisch sind, mindestens mitgeprägt wird:
Unter Zugrundelegung des von Olaf C. erstellten und vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) herausgegebenen Kartierschlüssels für Biotoptypen in Niedersachsen, der für die Bestimmung der gesetzlich geschützten Biotope als sog. antizipiertes Sachverständigengutachten herangezogen werden kann, soweit er mit dem Gesetz und den Definitionen und Erläuterungen in der Gesetzesbegründung übereinstimmt (Senatsurt. v. 29.11.2016 - 4 KN 93/14 -; Nds. OVG, Urt. v. 10.3.2005 - 8 LB 4072/01 -), kommt das Privatgutachten zu dem Ergebnis, dass der westliche Teil des Grundstücks als Pfeifengras-Moorstadium einzuordnen sei, wobei feuchtere Stadien (MPF) und trockenere Stadien (MPT) kleinräumig verzahnt seien; östlich davon wechselten sich im Bereich des früheren Sodentorfabbaus Streifen von trockenem Glockenheide-Hochmoordegenerationsstadium (MGT) mit trockenem Pfeifengras-Moorstadium (MPT) ab; der östlichste Teil des Grundstücks werde insgesamt feuchter und Torfmoos-Wollgras-Moorstadien (MWT) nähmen die Fläche ein. Wie sich dem Kartierschlüssel von C. (aktueller Stand: Februar 2020) entnehmen lässt, sind für diese Moorstadien jeweils an den Standort angepasste Lebensgemeinschaften aus mehreren im Kartierschlüssel im Einzelnen benannten wild lebenden Pflanzenarten kennzeichnend (a. a. O., S. 213, 214, 216). Hinzu kommt, dass gemäß der oben zitierten Anlage zur amtlichen Gesetzesbegründung zu den gesetzlich geschützten Mooren ausdrücklich auch pfeifengras- und zwergstrauchreiche Hochmoordegenerationsstadien gehören, worunter fast alle der im Gutachten benannten Moorstadien fallen. Das gilt nur nicht für das sonstige Torfmoos-Wollgras-Moorstadium (MWT), bei dem es sich aufgrund des Vorkommens von Torfmoosen aber ersichtlich um die natürlichste Ausprägung der genannten Moorstadien handelt. Entsprechend teilt der Senat die Einschätzung in dem Kartierschlüssel, dass sämtliche der genannten Moorstadien dem gesetzlichen Biotopschutz unterliegen (a. a. O., S. 214 f., 217). Soweit das für das relativ artenarme trockenere Pfeifengras-Moorstadium (MPT) gemäß dem Kartierschlüssel nur als Bestandteil von Moorkomplexen gilt, in denen es ein Mosaik mit naturnäheren Moorstadien bildet (a. a. O., S. 217), ist diese Voraussetzung hier aufgrund des Vorkommens der anderen genannten Moorstadien ersichtlich gegeben.
III. Die Berufung ist schließlich auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 VwGO zuzulassen.
1. Die Klägerin hat in Bezug auf diese beiden Zulassungsgründe (zusammengefasst) die Frage aufgeworfen, ob eine Fläche, die über Jahrzehnte hinweg durch Entwässerungsgräben entwässert worden ist, auf der Torfabbau stattgefunden hat und die zur Wiedererlangung eines natürlichen Zustandes zunächst längerfristig über hundert Jahre hinweg durch Wiedervernässung renaturiert werden muss, ein Moor im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG sein kann.
Diese Frage verleiht der Rechtssache weder eine grundsätzliche Bedeutung, noch ist sie besonders schwierig zu beantworten. Sie kann nämlich, soweit sie entscheidungserheblich ist, auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens ohne weiteres bejaht werden. Denn ein Moor im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG liegt dann vor, wenn ein abgrenzbarer Lebensraum auf Torfboden durch eine Lebensgemeinschaft von bestimmten wild lebenden Pflanzen, die an diesen Standort angepasst und somit für ihn charakteristisch sind, geprägt oder zumindest mitgeprägt wird und sich der Lebensraum aus diesem botanischen Blickwinkel betrachtet deshalb in einem natürlichen oder naturnahen Zustand befindet. Für die nähere Bestimmung der an diesen Standort angepassten Lebensgemeinschaften spielt die Vegetation, die gemäß der Anlage „Definition und Erläuterungen der in Artikel 1 § 30 Abs. 1 genannten Biotope“ (BT-Drs. 14/6378, S. 66) dem Feuchtbiotop „Moore“ zuzurechnen ist, eine hervorgehobene Rolle. Im Übrigen ist der Anlage auch zu entnehmen, dass es sich jeweils um von Regen- oder Mineralbodenwasser abhängige Lebensgemeinschaften handeln muss. Diese Voraussetzungen sind auf der hier in Rede stehenden Fläche gegeben (siehe unter II.2.).
Dagegen ist für die Frage, ob ein Moorstandort dem gesetzlichen Biotopschutz unterliegt, für sich genommen nicht entscheidend, ob das Moor sich wegen menschlicher Eingriffe wie dem Abbau von Torf oder anderen Maßnahmen zur Trocknung und Durchlüftung des Torfbodens in einem degenerierten Zustand befindet und ob eine Renaturierung in ein lebendiges, intaktes Moor noch möglich bzw. erfolgversprechend ist und wie lange sie dauern würde. Entsprechend führt eine Degeneration der Torfschicht erst dann dazu, dass nicht mehr von einem Moor im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG gesprochen werden kann, wenn infolgedessen die an diese Bodenart angepasste und von Regen- oder Mineralbodenwasser abhängige Lebensgemeinschaft wild lebender Pflanzen abstirbt oder derart zurückgedrängt wird, dass sie den Lebensraum nicht mehr mitprägt.
Das ist hier aber nicht der Fall. Das vom Beklagten vorgelegte Parteigutachten enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die vorhandene moortypische Vegetation sich auf dem Rückzug befindet. Im Gegenteil heißt es dort, dass die vorhandene Vegetation deutlich erkennen lasse, dass der oligotrophe Standortcharakter des Hochmoores erhalten sei. Im Übrigen sind gemäß dem Gutachten nicht nur die stratigraphischen Voraussetzungen für eine Wiedervernässung des Moores gegeben; vielmehr sei an den aufkommenden Sphagnen (Torfmoosen) und Wollgrasarten zu erkennen, dass die aktuelle Situation der Fläche in einigen Teilbereichen bereits jetzt günstig sei.
2. Auch die weitere von der Klägerin in Bezug auf § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO aufgeworfene Frage, ob „nach der Erklärung eines Verzichts auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ein Verwaltungsgericht auf Antrag eines Prozessbeteiligten einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumen (muss), wenn der andere Prozessbeteiligte nach Erklärung des Verzichts auf die mündliche Verhandlung ein Privatgutachten vorlegt, welches für die Entscheidung des Rechtsstreites Bedeutung hat oder zumindest haben kann“, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Denn sie kann, soweit sie entscheidungserheblich ist, auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet und für den vorliegenden Fall verneint werden (siehe unter I.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).