Landgericht Göttingen
Beschl. v. 18.03.2002, Az.: 10 T 18/02

Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an eine Restschuldbefreiung

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
18.03.2002
Aktenzeichen
10 T 18/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 28916
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2002:0318.10T18.02.0A

Fundstellen

  • KTS 2002, 728-730
  • KTS 2003, 82 (amtl. Leitsatz)
  • Rpfleger 2002, 478-479
  • ZInsO 2002, 682-684 (Volltext mit red./amtl. LS)

Gründe

1

Die Schuldnerin hat am 15.11.2000 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen sowie auf Erteilung von Restschuldbefreiung gestellt. Mit Beschl. v. 21.12.2000 hat das AG das Insolvenzverfahren eröffnet und den Rechtsanwalt ... zum Treuhänder bestellt.

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In dem Beschl. v. 25.10.2001 hat das AG das schriftliche Verfahren angeordnet sowie den Schlusstermin zur Erörterung des Antrags auf Restschuldbefreiung auf den 8.1.2002 bestimmt. Ferner hat das AG ausgesprochen, dass Einwendungen gegen die Schlussrechnung, das Schlussverzeichnis und gegen die Ankündigung der Restschuldbefreiung schriftlich bis zum 1.1.2002 vorzubringen seien. Mit Schriftsatz v. 6.1.2002 hat der Gläubiger beantragt, der Schuldnerin die Restschuldbefreiung zu versagen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Schuldnerin handele unredlich, da sie einem Studium nachgehe und deshalb kein Einkommen erziele. Nach Beendigung ihrer Ausbildung sei sie dann schuldenfrei. Dies könne nicht redlich sein, denn wenn die Schuldnerin jetzt einer bezahlten Tätigkeit nachginge, könnte wenigstens ein Teil der Schulden getilgt werden. Das AG hat mit Beschl. v. 10.1.2002 den Antrag des Gläubigers auf Versagung der Restschuldbefreiung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Gläubiger keine Tatsachen dargelegt und glaubhaft gemacht habe, aus denen sich ein Versagungsgrund gem. § 290 Abs. 1 InsO ergebe.

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Mit Beschl. v. 11.1.2002 hat der Rechtspfleger beim Insolvenzgericht die Ankündigung der Restschuldbefreiung für die Schuldnerin ausgesprochen. Gegen den Beschl. v. 10.1.2002 wendet sich der Gläubiger mit der sofortigen Beschwerde, deren Begründung er nach Akteneinsicht angekündigt hat. Hierzu hat das AG mit Verfügung v. 24.1.2002 den Verfahrensbevollmächtigten des Gläubigers mitgeteilt, dass eine Aktenversendung während des laufenden Verfahrens nicht in Betracht komme, sondern die Akteneinsicht nur auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts möglich sei. Zur Begründung der sofortigen Beschwerde hat das AG eine Frist bis zum 18.2.2002 gesetzt. Der Gläubiger hat daraufhin nochmals Akteneinsicht beantragt unter Hinweis, dass die Rechtsauffassung des AG zur Aktenversendung unzutreffend sei. Ferner hat er Verlängerung der Begründungsfrist beantragt.

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Nachdem innerhalb der vom Insolvenzgericht gesetzten Frist keine Begründung des Gläubigers eingegangen ist, hat das AG mit Beschl. v. 19.2.2002 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und zugleich den Antrag auf Verlängerung der Beschwerdefrist zurückgewiesen. Zur Begründung hat das AG ausgeführt, die sofortige Beschwerde sei unbegründet, da die vorgetragenen Tatsachen einen Versagungsgrund gem. § 290 Abs. 1 InsO nicht rechtfertigen würden. Es komme allenfalls ein Versagungsgrund nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO in Betracht, der jedoch erst während der Laufzeit der Restschuldbefreiung geltend gemacht werden könne. Weiterhin hat das AG ausgeführt, dass der Antrag auf Fristverlängerung abzulehnen sei, da die eingeräumte Frist von mehr als zwei Wochen angemessen sei. I.Ü. stehe dem Verfahrensbevollmächtigten des Gläubigers auch kein Anspruch auf Akteneinsicht in seinem Büro oder im Wege der Rechtshilfe beim Insolvenzgericht Braunschweig zu. Im laufenden Verfahren komme eine Versendung der Akte nicht in Betracht.

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Die sofortige Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet. Wenngleich dem AG hier Verfahrensfehler unterlaufen sind, die grds. eine Aufhebung und Zurückverweisung rechtfertigten, braucht die Kammer diesen Weg nicht zu beschreiten, denn selbst wenn das AG das vorgesehene Verfahren bei nochmaliger Entscheidung einhalten würde, könnte dies im Ergebnis der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.

6

Dem AG ist bei der Entscheidung ein Verfahrensfehler unterlaufen, denn der Beschluss über die Ankündigung der Restschuldbefreiung hätte nicht vom Rechtspfleger, sondern gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG vom Richter getroffen werden müssen. Gem. § 289 Abs. 1 InsO entscheidet das Insolvenzgericht über den Antrag des Schuldners auf Erteilung der Restschuldbefreiung durch Beschluss. Der Inhalt dieses Beschlusses richtet sich nach § 291 InsO, d.h. dem Schuldner wird die Restschuldbefreiung für den Fall angekündigt, dass er während der Wohlverhaltensperiode seinen Obliegenheiten nach § 295 InsO nachkommt, keine Verurteilung wegen einer Insolvenzstraftat gem. § 297 InsO erfolgt und die Mindestvergütung des Treuhänders gedeckt ist. Grds. ist für den Beschluss der Ankündigung der Restschuldbefreiung der Rechtspfleger zuständig, etwas anderes gilt jedoch nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG, wenn ein Gläubiger die Versagung der Restschuld beantragt hat. Dieser Fall liegt hier vor. Der Gläubiger hat mit Schriftsatz v. 6.1.2002 beantragt, der Schuldnerin die Restschuldbefreiung zu versagen und sich insoweit darauf berufen, dass die Schuldnerin es unterlasse, einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen, um so wenigstens einen Teil der Verbindlichkeiten zu befriedigen. Unter Berücksichtigung dieses Antrags hat der Rechtspfleger die Akten zutreffend dem Insolvenzrichter zur Entscheidung vorgelegt. Dieser hätte also entweder die Restschuld versagen oder für den Fall, dass er - wie hier - den Antrag des Gläubigers für unbegründet erachtet, die Restschuldbefreiung durch Beschluss ankündigen müssen. Dieses Verfahren hat das AG nicht eingehalten. Vielmehr hat der Richter mit dem Beschl. v. 10.1.2002 den Antrag des Gläubigers auf Versagung der Restschuldbefreiung zurückgewiesen. Sodann hat der Rechtspfleger mit Beschl. v. 11.1.2002 die Erteilung der Restschuldbefreiung angekündigt. Einen Beschluss, wie ihn der Richter hier erlassen hat, sieht das Gesetz in dieser Form nicht vor. Vielmehr müsse der Richter gem. § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG selbst durch Beschluss über die Versagung der Restschuldbefreiung oder über die Ankündigung der Restschuldbefreiung entscheiden. Demzufolge war der Rechtspfleger für die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht zuständig.

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Nach § 289 Abs. 2 InsO steht jedem Insolvenzgläubiger, der im Schlusstermin die Versagung der Restschuld beantragt hat, gegen den die Restschuldbefreiung ankündigenden Beschluss die sofortige Beschwerde zu. Hier hat der Gläubiger die sofortige Beschwerde eingelegt gegen den Beschl. des Richters v. 10.1.2002, mit dem er den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung zurückgewiesen hat. Dies führt indes nicht zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels. Aus Sicht des Gläubigers war er durch diese vom Richter getroffene Entscheidung beschwert, denn der Beschluss des Rechtspflegers mit dem die Restschuldbefreiung angekündigt wurde, setzt sich mit dem Antrag des Gläubigers nicht mehr auseinander. Wenn jedoch der Richter in seiner Entscheidung unzutreffend im Zusammenhang mit dem Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung den Ausspruch über die Ankündigung der Restschuldbefreiung unterlässt, kann dies nicht zu Lasten des Gläubigers gehen. Er hat aus seiner Sicht den Beschluss angefochten, der seinen Antrag zurückwies und ihn damit beschwerte.

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Dem AG ist daneben ein weiterer Verfahrensfehler unterlaufen, denn es hat den Anspruch des Gläubigers auf rechtliches Gehör verletzt. Zwar hat das AG das rechtliche Gehör des Gläubigers nicht dadurch verletzt, indem es den Antrag auf Akteneinsicht durch Versendung der Akten an den Verfahrensbevollmächtigten des Gläubigers bzw. an das Insolvenzgericht Braunschweig abgelehnt hat. Die Regelung des Akteneinsichtsrechts erfolgt durch § 299 ZPO, denn die InsO enthält keine eigenständige Vorschrift, die das Recht auf Einsicht in die Insolvenzakten behandelt (Kübler/Prütting/Pape, Kommentar zur InsO, 8. Lfg. 11/00, § 20 Rn. 17). Gem. § 299 ZPO können die Parteien die Prozessakten einsehen, ihr Anspruch geht jedoch nur dahin, diese auf der Geschäftsstelle des Gerichts einzusehen. Dies hat das AG dem Verfahrensbevollmächtigten der Gläubigerin nicht verwehrt, sondern ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen. Ob Akten zur Einsichtnahme herausgegeben oder nach auswärts versandt werden, steht im Ermessen des Vorsitzenden des Prozessgerichts, hier also des Insolvenzrichters (BGH, MDR 1973, 580; Zöller/Greger, Kommentar zur ZPO, 22. Aufl., § 299 Rn. 4a). Dass jedoch der Richter sein Ermessen hier fehlerhaft ausgeübt hat, ist nicht feststellbar, denn das Verfahren war aufgrund des Rechtsmittels des Gläubigers noch nicht abgeschlossen, so dass die Akten noch benötigt wurden. Wenn der Richter im Hinblick darauf den jederzeitigen Zugriff auf die Akten sicherstellen wollte und deshalb die Versendung der Akten ablehnte, liegt darin kein Ermessensfehler.

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Das AG hat jedoch das rechtliche Gehör des Gläubigers verletzt, indem es den Antrag des Gläubigers auf Verlängerung der Begründungsfrist abgelehnt und zugleich den Nichtabhilfebeschluss erlassen und die Akten dem Beschwerdegericht vorgelegt hat. Das AG hatte dem Gläubiger eine Frist zur Begründung der sofortigen Beschwerde bis zum 18.2.2002 gesetzt. Mit Schriftsatz v. 12.2.2002 hatte der Gläubiger eine Verlängerung dieser Frist beantragt. Wenn das AG diesem Verlängerungsantrag, der nach § 224 Abs. 2 ZPO zulässig war, nicht entsprechen wollte, so hätte es dies dem Verfahrensbevollmächtigten des Gläubigers umgehend mitteilen müssen, um ihm so noch Gelegenheit zu geben, die Begründung des Rechtsmittels innerhalb der gesetzten Frist bis zum 18.2.2002 vorzunehmen. Keinesfalls durfte das AG den Antrag auf Verlängerung erst nach Ablauf der ursprünglich gesetzten Frist ablehnen und zugleich über die sofortige Beschwerde entscheiden. Hierin liegt ein klarer Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs.

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Gleichwohl kann hier die an sich infolge dieses Verstoßes gebotene Aufhebung und Zurückverweisung unterbleiben, denn die Verfahrensfehler haben sich auf das Ergebnis der Entscheidung nicht ausgewirkt. Tatsächlich ist die sofortige Beschwerde unbegründet, so dass das AG im Ergebnis zutreffend die Restschuldbefreiung angekündigt hat.

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Allerdings scheitert die sofortige Beschwerde des Gläubigers nicht schon daran, dass er den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung nicht innerhalb der vom AG insoweit gesetzten Frist bis zum 1.1.2002 gestellt hat. Gem. § 289 Abs. 1 InsO sind die Insolvenzgläubiger zum Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung im Schlusstermin zu hören. Die Versagung der Restschuldbefreiung ist mithin im Schlusstermin zu beantragen, ein allein schriftlich gestellter Versagungsantrag ist damit grds. unzulässig (Frankfurter Kommentar/Ahrens, 3. Auf., § 290 Rn. 58). Allerdings kann das Insolvenzgericht das schriftliche Verfahren anordnen, anstelle des Schlusstermins tritt dann der Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist (OLG Celle, NZI 2001, 596, 597; Frankfurter Kommentar/Ahrens, a.a.O.). Hier hat das AG mit Beschl. v. 25.10.2001 das schriftliche Verfahren angeordnet und dabei zum einen einen Schlusstermin im schriftlichen Verfahren auf den 8.1.2002 bestimmt und zum anderen eine Frist für Einwendungen gegen die Ankündigung der Restschuldbefreiung bis zum 1.1.2002 gesetzt. Der Gläubiger hat seine Einwendungen nicht innerhalb der gesetzten Frist bis zum 2.1.2002 vorgetragen, vielmehr ist der entsprechende Schriftsatz erst am 7.1.2002 bei Gericht eingegangen. Dies ist hier indes unbeachtlich, denn die vom AG durchgeführte Art und Weise des schriftlichen Verfahrens entspricht nicht den gesetzlichen Bestimmungen. Die Anordnung des schriftlichen Verfahrens muss nach den Voraussetzungen des § 128 Abs. 2 ZPO erfolgen, d.h. das Gericht muss einen Termin bestimmen, bis zu dem Einwendungen vorgebracht werden können. Eine darüber hinausgehende Bestimmung eines Schlusstermins, wie es das AG hier getan hat, ist nicht vorzunehmen, denn durch die Anordnung des schriftlichen Verfahrens entfällt ja gerade der Schlusstermin. Die Vorgehensweise des AG ist für die Gläubiger nicht eindeutig, denn die Bestimmung eines Termins für einen (fiktiven) Schlusstermin erweckt den Eindruck, als könnten entsprechend der Vorschrift des § 289 Abs. 1 InsO die Einwendungen bis zu diesem Termin geltend gemacht werden.

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Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ist jedoch unbegründet, weil - wie das AG in dem Nichtabhilfebeschluss zutreffend ausgeführt hat - kein Versagungsgrund i.S.d. § 290 InsO vorgetragen und glaubhaft gemacht worden ist. Der Gläubiger hat den Antrag auf Versagung der Restschuld darauf gestützt, dass die Schuldnerin ein Universitätsstudium aufgenommen habe, anstatt eine entgeltliche Beschäftigung auszuüben, um so einen Teil der Verbindlichkeiten zu begleichen. Dieser Einwand fällt nicht unter die in § 290 Abs. 1 InsO aufgeführten Versagungsgründe. Die Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 InsO sind abschließend. Auf dort nicht genannte Verhaltensweisen des Schuldners darf keine Versagung der Restschuldbefreiung im Schlusstermin nicht gestützt werden (Kübler/Prütting/Wenzel, Kommentar zur InsO, 11. Lfg. 11/01, § 290 Rn. 2). Hieran könnte auch eine Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das AG nichts ändern, denn der Gläubiger könnte nunmehr neue Versagungsgründe, die unter die Voraussetzungen des § 290 Abs. 1 InsO fallen, nicht mehr geltend machen. Da die vom AG für den (fiktiven) Schlusstermin gesetzte Frist verstrichen ist, ist ein danach gestellter Antrag bzw. das Vorbringen neuer Gründe für einen bereits gestellten Antrag nicht mehr zulässig (LG München, ZInsO 2001, 767; Frankfurter Kommentar/Ahrens, a.a.O., § 290 Rn. 59).