Landgericht Göttingen
Beschl. v. 18.02.2002, Az.: 10 T 10/02

Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens und der Restschuldbefreiung; Vorliegen der Voraussetzungen für eine Versagung der Restschuldbefreiung; Versagung der Restschuldbefreiung wegen mündlich falscher Angaben gegenüber dem Darlehensgeber; Statthaftigkeit des Antrags auf Versagung der Restschuldbefreiung; Bestimmung des Zeitpunkts für den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung; Sinn und Zweck der Restschuldbefreiung

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
18.02.2002
Aktenzeichen
10 T 10/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 28551
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2002:0218.10T10.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - 20.12.2001 - AZ: 74 IK 185/00

Fundstellen

  • NZI 2002, 36
  • NZI 2002, 326
  • ZVI 2002, 219-220

In dem Verbraucherinsolvenzverfahren
hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin Nr. 1 vom 21.1.2001
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 20.12.2001 - 74 IK 185/00 -
durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht Pape,
den Richter am Landgericht Voellmecke und
die Richterin am Landgericht Dr. Böttcher
am 18.2.2002
beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin Nr. 1 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: bis zu 120.000,- EUR.

Gründe

1

Der Schuldner hat am 20.10.2000 den Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen gestellt. Gleichzeitig hat er die Restschuldbefreiung beantragt. Mit Beschluss vom 9.2.2001 hat das Amtsgericht das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und den Rechtsanwalt Burghard Wegener in Göttingen zum Treuhänder bestellt. Ausweislich des Gläubiger- und Forderungsverzeichnisses hatte der Schuldner bei Eröffnung des Verfahrens drei Gläubiger mit einer Gesamtforderung von 327.797,53 EUR. Davon entfielen auf die Gläubigerin Nr. 1 205.359,48 EUR. Die Forderung der Gläubigerin Nr. 1 stammt aus einem Darlehensvertrag aus dem Jahre 1998. Der Schuldner hatte seinerzeit zum Erwerb eines Grundstücks und zwecks Errichtung eines Hauses einen Darlehensvertrag mit der Gläubigerin über insgesamt 522.000,- DM geschlossen. Der Schuldner, von Beruf Sonderschullehrer, hatte vor Abschluss des Darlehensvertrags in einem Gespräch mit einem Mitarbeiter der Gläubigerin zu 1. Auskünfte über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse erteilt. Der Mitarbeiter der Gläubigerin zu 1. hat insoweit ein Formular zur Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit des Schuldners ausgefüllt. Der Schuldner hatte in diesem Gespräch angegeben, dass er noch Verbindlichkeiten aus einem BAföG-Darlehen bedienen müsse. Nicht erwähnt hat der Schuldner seinerzeit, dass er ein zinsloses Darlehen über 10.000,- DM von seiner Mutter erhalten hatte. Während des Gesprächs mit dem Mitarbeiter der Gläubigerin Nr. 1 hatte der Schuldner das Testament seiner Mutter vorgelegt, nach dem der Schuldner spätestens nach dem Tod der Mutter ein Vermächtnis über 60.000,-- DM erhält. Ferner ist der Schuldner danach Erbe von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken. Der Schuldner erklärte seinerzeit, einige der Grundstücke würden in absehbarer Zeit Bauland.

2

Zwischenzeitlich steht fest, dass die betreffenden Grundstücke nicht zum Baugebiet erklärt worden sind.

3

Die Gläubigerin Nr. 1 hat mit Schriftsatz vom 31.10.2001 beantragt, dem Schuldner Restschuldbefreiung zu versagen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, in den Gesprächen zur Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit sei der Schuldner ausdrücklich nach bestehenden Verbindlichkeiten befragt worden. Hierauf habe der Schuldner erklärt, es stehe noch ein kleiner Teil seiner BAföG-Verbindlichkeiten offen, die aber kurzfristig getilgt würden. Tatsächlich betrugen die Verbindlichkeiten des Schuldners gegenüber dem Bundesverwaltungsamt aus dem BAföG-Darlehen im Zeitpunkt seines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahren 39.999,- DM.

4

Die Gläubigerin Nr. 1 hat vorgetragen, sie hätte die Darlehensfinanzierung niemals übernommen, wenn sie gewusst hätte, dass der Schuldner eine Darlehensverbindlichkeit gegenüber seiner Mutter und derart hohe Darlehensverbindlichkeiten gegenüber dem Bundesverwaltungsamt habe. Durch die falschen Angaben bzw. das Verschweigen der Verbindlichkeiten habe der Schuldner bei der Gläubigerin einen Irrtum erregt. Zusätzlich habe der Schuldner die Gläubigerin Nr. 1 getäuscht, indem er erklärt habe, dass einige der in dem Testament der Mutter aufgeführten Grundstücksflächen in absehbarer Zeit als Bauplätze verkauft würden.

5

Der Schuldner hat eine Täuschung in Abrede genommen. Es sei nicht richtig, dass er gegenüber der Gläubigerin Nr. 1 erwähnt habe, dass nur noch ein kleiner Teil seiner BAföG-Verbindlichkeiten offen stehe, die kurzfristig getilgt würden. Vielmehr habe er der Gläubigerin Nr. 1 Kopien der Darlehensverbindlichkeiten aus der Ausbildungsförderung vorgelegt. Der Gläubigerin Nr. 1 sei deshalb bekannt gewesen, dass er noch mehrere Jahre lang Ratenbeträge an das Bundesverwaltungsamt zahlen müsse. Die Angaben bezüglich der Baulandeigenschaft einiger im Testament der Mutter erwähnten Grundstücke seien zutreffend gewesen. Die Gemeinde Bad Essen habe auf der Fläche ein Gewerbegebiet mit einem Kaufpark geplant gehabt. Der Flächennutzungsplan sei am

6

26.2.1999 öffentlich ausgelegt worden. Nachdem es zu Bürgerprotesten gekommen sei, habe die Gemeinde von dem Vorhaben Abstand genommen. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Darlehensvertrags habe der Schuldner jedoch noch davon ausgehen können, dass der Flächennutzungsplan aus dem Jahre 1998 umgesetzt würde. Soweit er, der Schuldner, das Darlehen seiner Mutter in Höhe von 10.000,- DM nicht erwähnt habe, beruhe dies darauf, dass diese Verbindlichkeit keine feste Fälligkeit gehabt habe, denn seine Mutter habe ihm diese Forderung bis auf weiteres gestundet. Im Übrigen habe seine Mutter inzwischen -unstreitig - auf die Forderung verzichtet.

7

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 20.12.2001 den Antrag der Gläubigerin Nr. 1, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Voraussetzungen des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO für die Versagung der Restschuldbefreiung lägen nicht vor. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift sei u.a., dass der Schuldner schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben getätigt habe. Mündliche unrichtige Angaben fielen indes nicht unter diese Vorschrift. Hier habe ein Mitarbeiter der Gläubigerin Nr. 1 auf Grund der Angaben des Schuldners ein Formular über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners ausgefüllt. Die reiche nicht aus, denn zur Verfahrensentlastung habe der Gesetzgeber davon abgesehen, mündliche Angaben als Versagungsgrund zuzulassen.

8

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Gläubigerin Nr. 1 mit der sofortigen Beschwerde. Sie meint, es könne keinen Unterschied machen, ob der Schuldner selbst Angaben auf einem Blatt Papier schriftlich fixiert habe oder ob eine dritte Person die Angaben niedergeschrieben habe, denn mit seiner Unterschrift mache sich der unterzeichnende Schuldner die Angaben jedenfalls zu Eigen. Darüber hinaus habe der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO den Sinn und Zweck, solche Insolvenzschuldner zu "bestrafen", die durch unrichtige Angaben ihre Gläubiger getäuscht hätten. Diese Insolvenzschuldner hätten das

9

Privileg der Restschuldbefreiung nicht verdient. Es könne deshalb nicht darauf ankommen, ob die Täuschung mündlich oder schriftlich erfolgt sei. Wenn also der Insolvenzschuldner ein Schriftstück, das ein Dritter nach seinen Angaben gefertigt habe, unterzeichne, dann habe dieses den Beweis der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich. Es sei dann Sache des Schuldners die Richtigkeit des Schriftstückes zu widerlegen. Würde man jedoch für den Anwendungsbereich des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO nur solche Erklärungen zulassen, die der Schuldner eigenhändig geschrieben und unterschrieben habe, liefe diese Vorschrift praktisch leer.

10

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin Nr. 1 ist gemäß §§ 6 Abs. 1, 289 Abs. 2 InsO zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Gemäß § 289 Abs. 2 InsO steht dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger, der im Schlusstermin die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt hat, die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Insolvenzgerichts zu. Hier war bereits der Antrag der Gläubigerin Nr. 1 vom 31.10.2001, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, unstatthaft, denn dieser Antrag ist zur Unzeit erfolgt. Wie sich aus § 289 Abs. 2 InsO ergibt, muss die Versagung der Restschuldbefreiung im Schlusstermin beantragt werden. Die Versagungsgründe nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 InsO können weder vorher noch nach dem Schlusstermin geltend gemacht werden (Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung/Ahrens, 3. Aufl., § 289 Rn. 4 f.; Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung/Landfermann, 2. Aufl., § 289 Rn. 4; Pape, Gläubigerbeteiligung im Insolvenzverfahren, 2000, S. 206 Rn. 434 ff.; Kübler/Prütting/Wenzel, Insolvenzordnung, § 289 Rn. 1; OLG Celle, Beschluss vom 4.2.2002 - 2 W 5/02 -). Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn ein masseunzulängliches Verfahren vorliegt oder das Insolvenzgericht auf die Durchführung eines Schlusstermins, der in diesem Verfahren nicht vorgeschrieben ist, verzichtet. Diese Ausnahmen liegen hier indes nicht vor. Das Verfahren ist weder massearm noch hat das Insolvenzgericht auf die Durchführung eines Schlusstermins verzichtet. Hier hat das Insolvenzgericht zwar das schriftliche Verfahren angeordnet, in diesem Fall muss jedoch vor der Entscheidung über die Restschuldbefreiung den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer bestimmten Frist gegeben werden. Eine solche Verfügung des Amtsgerichts befindet sich hier noch nicht in den Akten, der Antrag der Gläubigerin Nr. 1 auf Versagung der Restschuldbefreiung ist außerhalb einer solchen Stellungnahmemöglichkeit erfolgt. Der Antrag war mithin zum gegebenen Zeitpunkt nicht zulässig. Dies hat indes das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht erkannt, denn unter Berücksichtigung der soeben dargestellten Rechtslage hätte sich das Amtsgericht mit der Frage, ob ein Fall des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorliegt nicht auseinander setzen müssen.

11

Die Kammer merkt jedoch an, dass das Amtsgericht im Ergebnis zutreffend entschieden hat. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin Nr. 1 wäre - sofern sie zulässig wäre - nicht begründet. Die Voraussetzungen des §§ 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift wird dem Schuldner Restschuldbefreiung versagt, der nicht früher als drei Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mindestens grob fahrlässig unrichtige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um Kredite oder öffentliche Leistungen zu erhalten oder Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden. Der Versagungsgrund beruht auf dem Gedanken, dass derjenige keine Restschuldbefreiung verdient, der seine finanzielle Misere durch vorwerfbares Verhalten in Gestalt einer Täuschung eines oder mehrerer Gläubiger selbst herbeigeführt hat. Zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten führen jedoch nur solche unrichtigen oder unvollständigen Angaben zur Versagung der Restschuldbefreiung, die der Schuldner schriftlich abgibt. Dabei kann hier die Frage dahinstehen, ob von der Schriftform im Sinne des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO auch dann auszugehen ist, wenn der Kreditgeber anhand mündlicher Angaben des Schuldners ein Antragsformular ausgestellt hat, das der Schuldner unterschreibt und so schriftlich die Verantwortung des Inhalts übernimmt (vgl. Nehrlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 290 Rn. 44; Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung/Landfermann a.a.O., § 290 Rn. 5). Hier hat der Schuldner das in Rede stehende Formular der Gläubigerin Nr. 1

Streitwertbeschluss:

Beschwerdewert: bis zu 120.000,- EUR.

Pape
Voellmecke
Dr. Böttcher