Landgericht Göttingen
Beschl. v. 22.10.2002, Az.: 10 T 57/02

Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an eine Restschuldbefreiung

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
22.10.2002
Aktenzeichen
10 T 57/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 28933
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2002:1022.10T57.02.0A

Fundstellen

  • DSB 2003, 25 (red. Leitsatz)
  • EWiR 2003, 279 (red. Leitsatz mit Anm.)
  • InVo 2003, 150-152 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 2003, 117-118 (Volltext mit red. LS)
  • NZI 2003, 38-39
  • ZBB 2003, 40
  • ZIP 2002, 2269-2270 (Volltext mit red. LS)
  • ZInsO 2002, 1093-1095 (Volltext mit red. LS)
  • ZVI 2002, 466-467

Gründe

1

Die Schuldnerin hat am 29.7.2002 den Antrag gestellt, über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Ferner hat sie die Restschuldbefreiung beantragt. Das AG hat mit Beschl. v. 29.7.2002 den RA B. in Göttingen mit der Erstattung eines Gutachtens über die Frage, ob ein Eröffnungsgrund gem. § 16 InsO vorliegt, beauftragt. Zugleich hat das AG den Sachverständigen ermächtigt, Auskünfte über die Vermögenslage der Schuldnerin bei Dritten (Banken, Versicherungen, Behörden, Vertragspartnern usw.) einzuholen. Mit Schriftsatz v. 28.8.2002 hat der Sachverständige beantragt, den zuständigen Sachbearbeiter der Sparkasse Göttingen, den oben benannten Zeugen zu laden und zu der Geschäftsverbindung der Schuldnerin gegenüber der Sparkasse Göttingen zu befragen. Der Sachverständige hat ausgeführt, die Sparkasse Göttingen sei unter Berufung auf das Bankgeheimnis nicht bereit gewesen, ihn, den Sachverständigen zu informieren. Das AG hat daraufhin einen Termin zur Beweisaufnahme anberaumt und den Sachbearbeiter der Sparkasse Göttingen als Zeugen geladen. In dem Termin zur Beweisaufnahme v. 5.9.2002 hat der Zeuge im Hinblick darauf, dass keine Schweigepflichtentbindung der Schuldnerin vorlag, sich auf das Bankgeheimnis berufen und die Aussage verweigert. Ferner hat er darauf hingewiesen, dass eine Aussagegenehmigung der Sparkasse als seinem Dienstherrn nicht vorliege.

2

Mit Beschl. v. 5.9.2002 hat das AG ausgesprochen, dass der Zeuge zur Zeugnisverweigerung nicht berechtigt sei. Zur Begründung hat es ausgeführt ebenso wie das Insolvenzgericht den sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter gem. § 22 Abs. 2 InsO ermächtigen könne, Auskünfte u.a. bei Kreditinstituten einzuholen könne aufgrund der Vorschrift des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO das Insolvenzgericht auch bei der Bestellung eines Sachverständigen anordnen, dass dieser Auskünfte von Kreditinstituten einholen dürfe. Dies habe zur Folge, dass die Vorschrift des § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht gelte, mithin dem Zeugen kein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe. Einer ausdrücklichen Einverständniserklärung des Schuldners gegenüber dem Kreditinstitut bedürfe es nicht, so dass für das Insolvenzgericht keine Veranlassung bestehe, von der Schuldnerin eine entsprechende Einverständniserklärung einzuholen. Bei der Vielzahl der Insolvenzanträge sei die Einholung eines Einverständnisses des Schuldners zu umständlich und zeitraubend. I.Ü. sei es unverhältnismäßig, einen vorläufigen Insolvenzverwalter nur deshalb zu bestellen, damit Auskünfte u.a. von Kreditinstituten eingeholt werden könnten.

3

Der Zeuge bedürfe für seine Aussage auch nicht der Aussagegenehmigung seines Arbeitgebers. Als Angestellter eines kommunalen Kreditinstituts sei die Aussagegenehmigung nicht erforderlich, denn es handele sich um einen innerdienstlichen Vorgang.

4

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Zeuge mit der sofortigen Beschwerde. Er meint, als Mitarbeiter einer Anstalt des öffentlichen Rechts habe das Insolvenzgericht von Amts wegen eine Aussagegenehmigung bei seinem Arbeitgeber einholen müssen, denn er sei dienstrechtlich zur Wahrung des Bankgeheimnisses verpflichtet.

5

Das AG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie der Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt.

6

Die sofortige Beschwerde des Zeugen ist nach § 387 Abs. 3 ZPO zulässig und hat insoweit Erfolg, als der angefochtene Beschluss aufzuheben und zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückzuverweisen ist. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verfahrensfehler und ist darüber hinaus auch in der Sache unzutreffend.

7

Das AG hat bei seiner Entscheidung die Vorschrift des § 376 Abs. 1 und 3 ZPO nicht hinreichend beachtet. Hier hätte für den Zeugen eine Aussagegenehmigung eingeholt werden müssen. Der Zeuge ist Angestellter der Sparkasse Göttingen, mithin einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Damit ist der Zeuge eine Person des öffentlichen Dienstes i.S.d. § 376 Abs. 1 ZPO. Zwar ist in der Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob auch für Angestellte des öffentlichen Dienstes die Notwendigkeit der Genehmigung i.S.d. § 376 Abs. 3 ZPO besteht. Die h.M. geht von der Erforderlichkeit der Genehmigung, die durch das Prozessgericht einzuholen ist, aus (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 376 Rn. 3; MünchKomm/Damrau, ZPO, 2. Aufl. § 376 Rn. 5; Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl., § 376 Rn. 4). Der gegenteiligen Auffassung, die keine Genehmigung des öffentlichen Arbeitgebers für Zeugenaussagen des Angestellten für erforderlich hält (BayObLG, FamRZ 1990, 1012, 1013; Stein-Jonas/Berger, ZPO, 21. Aufl., § 376 Rn. 37) vermag die Kammer nicht zu folgen. Diese Auffassung übersieht, dass mit der Gesetzesänderung im Jahre 1950 gerade bezweckt worden war, die Amtsverschwiegenheit auch dort sicherzustellen, wo nicht Beamte tätig sind, so dass auch andere Mitarbeiter nur mit Genehmigung der zuständigen Stelle Aussagen machen dürfen (BT-Drucks. 1/530 Anl. II, S. 8; MünchKomm/Damrau, ZPO, 2. Aufl., § 376 Rn. 5). Die Grundlage der Verschwiegenheitspflicht der Angestellten im öffentlichen Dienst ergibt sich aus dem einzelnen Dienstvertrag bzw. ist ihr Umfang im Bundesangestelltentarifvertrag geregelt. Die Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht muss deshalb - auch um dem Zeugen insoweit Sicherheit zu verschaffen - von seinem Dienstherrn erfolgen.

8

Das Fehlen der Aussagegenehmigung des Arbeitgebers begründet ein Vernehmungsverbot (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., Rn. 8), so dass hier die Vernehmung des Zeugen nur nach Vorliegen der Aussagegenehmigung hätte erfolgen dürfen.

9

Die Entscheidung des AG ist darüber hinaus auch inhaltlich nicht zutreffend. Dem Zeugen stand hier ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu. Als Angestellter der Sparkasse unterliegt der Zeuge dieser Vorschrift, denn sein Wissen bezieht sich auf Tatsachen betreffend das Vermögen der Schuldnerin, die vom Bankgeheimnis umfasst sind. Da die Schuldzinsen den Zeugen bislang von der Schweigepflicht nicht entbunden hat, durfte sich der Zeuge berechtigterweise auf sein Recht zur Verweigerung der Aussage berufen.

10

Soweit das AG in dem angefochtenen Beschluss seine Feststellung, dass der Zeuge zur Zeugnisverweigerung nicht berechtigt sei, damit begründet, dass der Sachverständige hier vom Gericht ermächtigt worden sei, Auskünfte über die Vermögenslage der Schuldnerin bei Kreditinstituten einzuholen, trifft diese Begründung die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines Zeugnisverweigerungsrechts nicht. Das AG übersieht hier, dass der Sachverständige tatsächlich die Auskunft nicht eingeholt hat und vielmehr die Vernehmung des Zeugen durch das Insolvenzgericht beantragt hat. Wenn jedoch das Insolvenzgericht die Vernehmung des Zeugen durchführt, spielt es für die Frage, ob der Zeuge zur Aussageverweigerung befugt war, keine Rolle, ob der Sachverständige Auskünfte bei Banken einholen darf oder nicht.

11

Sofern jedoch das AG mit seiner Begründung zum Ausdruck bringen wollte, dass dem Zeugen das Aussageverweigerungsrecht nicht zusteht, weil der Sachverständige, ebenso wie der Insolvenzverwalter oder der sog. starke vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis einen Zeugen von der Verschwiegenheitspflicht entbinden kann, geht diese Ansicht des AG fehl. Dabei kann dahinstehen, ob in dem Antrag des Sachverständigen, den Sachbearbeiter der Sparkasse als Zeugen über die Geschäftsverbindung der Schuldnerin zur Sparkasse zu befragen, zugleich die Befreiung des Zeugen von der Verschwiegenheitspflicht liegt, denn jedenfalls war der Sachverständige zu dieser Befreiung nicht befugt. Zutreffend hat das AG in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, dass nach Eröffnung des Verfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter übergeht und er damit auch einen Zeugen von der Verschwiegenheitspflicht entbinden kann (vgl. FK-InsO/Schmerbach, § 5 Rn. 14; Smid, Insolvenzordnung, § 5 Rn. 16). Dasselbe gilt auch für den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergeht. Auch er kann einen Zeugen von der Verschwiegenheitspflicht befreien. Der Sachverständige hat jedoch diese Befugnisse nicht. Zwar ist in der Literatur umstritten, ob das Gericht dem Sachverständigen die Befugnis einräumen kann, Auskünfte von Dritten einzuholen, Einsicht in Unterlagen zu nehmen oder Geschäftsräume zu betreten. Während dies von einer Auffassung bejaht wird (vgl. Braun, Insolvenzordnung, § 5 Rn. 20; Wessels, DZWIR 1999, 230, 231; FK-InsO/Schmerbach, 3. Aufl., § 22 Rn. 57a), lehnt es die h.M. ab, dem Sachverständigen diese Befugnisse einzuräumen (Berliner Kommentar zur Insolvenzordnung/Goetsch, § 5 Rn. 14; MünchKomm/Ganter, InsO, § 5 Rn. 36; Vallender, in: FS Uhlenbruck, S. 137; Bollig, KTS 1990, 599, 602 f.; Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 11. Aufl., § 75 Rn. 1c; Huber, ZInsO 2001, 291). Der h.M. ist hier zuzustimmen. Die InsO beschreibt die Rechtstellung des Sachverständigen im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht, insbesondere enthält das neue Insolvenzrecht keine gesetzliche Regelung, mit der dem Sachverständigen ein allgemeiner Auskunftsanspruch eingeräumt wird. Wollte man dem Sachverständigen das Recht zugestehen, Auskünfte von Kreditinstituten auch bei fehlendem Einverständnis des Schuldners einzuholen, würden ihm Befugnisse erteilt, die nach dem Gesetz nur dem vorläufigen Insolvenzverwalter zustehen. Der Sachverständige würde damit zu einer Art "dritter Variante des vorläufigen Insolvenzverwalters", wofür § 5 InsO keine Grundlage bietet (MünchKomm/Ganter, InsO, § 5 Rn. 36). Steht dem Sachverständigen also nicht die Befugnis zu Auskünften von Dritten, wie z.B. Kreditinstituten einzuholen, steht ihm erst recht nicht die Befugnis zu, einen Zeugen von der Verschwiegenheitspflicht zu befreien. Für den Insolvenzverwalter und den starken vorläufigen Verwalter leitet sich dieses Recht aus der auf ihn übergegangenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ab. Der Sachverständige tritt jedoch im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht an die Stelle des Schuldners (Vallender, a.a.O.; Pape, ZInsO 2001, 830, 834) und ist weder mit Verfügungs- noch Verwaltungsbefugnissen ausgestattet. Beruft sich also ein Zeuge im Eröffnungsverfahren, in dem kein starker vorläufiger Verwalter bestellt ist, auf ein bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht, kann nur der Schuldner ihn von der Schweigepflicht entbinden. Weigert sich der Schuldner, diese Schweigepflichtentbindung zu erklären, geht das zu seinen Lasten. Sein Eigenantrag ist ggf. unbegründet (vgl. Smid, Insolvenzordnung, § 5 Rn. 16), jedenfalls liegt in der Verweigerung ein zur Versagung der Restschuldbefreiung führender Grund (§ 290 Abs. 1 Nr. 5 und 6 InsO).