Landgericht Göttingen
Urt. v. 26.08.2002, Az.: 9 S 33/02
Betriebsgefahr; Haftung; Haftungsverteilung; Rechtsfahrgebot; Schadensersatz; Verkehrsunfall; Verschulden; Verursachungsbeiträge; überhöhte Geschwindigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 26.08.2002
- Aktenzeichen
- 9 S 33/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43584
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 10.04.2002 - AZ: 3 C 164/01
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs 2 StVO
- § 3 Abs 1 S 5 StVO
- § 17 Abs 1 StVG
- § 7 Abs 1 StVG
- § 18 StVG
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Hann. Münden vom 10. April 2002 - 3 C 164/01 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner 1.540,48 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 23.01.2001 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Berufungsrechtszuges tragen der Kläger 1/5 und die Beklagten als Gesamtschuldner 4/5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Berufungsstreitwert wird auf 1.975,45 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
I. Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Mit seiner Berufung begehrt der Kläger noch Ersatz von 50 % des ihm entstandenen Schadens. Hierzu macht er geltend:
Der Beklagte zu 1) habe schuldhaft gehandelt. Denn das von ihm gesteuerte Fahrzeug habe die gedachte Mittellinie der Fahrbahn nach links überragt, bevor die Ehefrau des Klägers das Bremsmanöver eingeleitet habe. Sie hätte zu diesem Zeitpunkt den Lkw nicht passieren können. Damit habe der Beklagte zu 1) schuldhaft gehandelt. Weiter behauptet der Kläger, der Lkw müsse sich selbst im Zeitpunkt der Kollision noch links der gedachten Mitte der Fahrbahn befunden haben. Auch sei der Lkw zunächst zu schnell gefahren. Von diesem sei eine weit höhere Betriebsgefahr ausgegangen als von dem Fahrzeug der Zeugin H.. Diese habe die gebotene Geschwindigkeit auch nur geringfügig überschritten. Das alles rechtfertige eine Quote von 50 %.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 1.975,45 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 23.01.2001 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II. Die Berufung des Klägers ist überwiegend begründet. Er kann von den Beklagten Ausgleich von 40 % des ersatzfähigen Schadens verlangen. Ihm steht deshalb eine begründete Klagforderung in Höhe von 1.540,48 Euro zu. Hierbei haftet der Beklagte zu 2) aus § 7 Abs. 1 StVG, der Beklagte zu 1)aus § 18 StVG.
1. Der Kläger ist Inhaber der Klagforderung. Diese ist ihm durch Vertrag vom 18.03.2001 wirksam abgetreten worden. Durchgreifende Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Abtretung bestehen nicht.
2. Der Unfall hat sich beim Betrieb des von dem Beklagten zu 1) gesteuerten Fahrzeugs ereignet. Hierbei hat es sich für den Beklagten zu 1) nicht um ein unabwendbares Ereignis gehandelt, da er durch schuldhaftes Verhalten zu dem Unfallgeschehen beigetragen hat.
a) Zwar kann der Kläger seine Behauptungen nicht beweisen, der Beklagte zu 1) sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Denn mangels Anknüpfungstatsachen wird hierzu kein Sachverständigengutachten erstellt werden können. Insbesondere konnte auf der Straße keine Bremsspur des Lkw gesichert werden. Da der Beklagte zu 1) sofort nachdem er das Fahrzeug der Zeugin H. gesehen hatte, ganz nach rechts gefahren ist und gebremst hat, ist ihm schuldhaftes Verhalten auch in dem Zeitraum kurz vor dem Zusammenstoß nicht vorzuwerfen.
Indessen hat der Beklagte im Vorfeld des eigentlichen Unfallgeschehens gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO verstoßen. Dieses steht einem Befahren der Straßenmitte oder gar der gegenüberliegenden Fahrbahnhälfte entgegen. Die Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn ist somit schon dann nicht zulässig, soweit nur eine Gefährdung des Gegenverkehrs als möglich erscheint (BGH NJW 1996, 3003, 3004 [BGH 09.07.1996 - VI ZR 299/95]). Die Straße war in der Kurve, aus der das Fahrzeug der Beklagten kam, 4,80 Meter breit. Ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen I. hatte der Lkw eine Breite von 2,55 Metern, so dass er selbst dann in die Gegenfahrbahn hineingeragt haben muss, wenn er ganz rechts gesteuert wurde. Dass hiervon bei der Einfahrt in eine scharfe Kurve eine Gefahr für den Gegenverkehr und sei es nur durch Irritation desselben ausgehen kann, liegt auf der Hand. Dass allerdings der Lkw sogar zur Hälfte in die Fahrbahn der Zeugin H. hineingeragt hat, wie der Kläger behauptet, ist nicht bewiesen. Die Angaben der Zeugin H. hierzu beruhen auf einer groben, durch die Bedrohlichkeit der Situation hervorgerufenen und damit unzuverlässigen Schätzung. Darauf vermochte die Kammer die Entscheidung daher nicht zu stützen.
b) Auch die Ehefrau des Klägers hat durch schuldhaftes Verhalten zu dem Unfall beigetragen. Zu Recht geht das Amtsgericht auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen I. davon aus, die Ehefrau des Klägers sei jedenfalls geringfügig zu schnell gefahren. Denn sie durfte nur so schnell fahren, dass sie innerhalb der Hälfte der übersehbaren Strecke anhalten konnte, § 3 Abs. 1 Satz 5 StVO. Das hat sie offensichtlich nicht getan, denn ansonsten hätte sie die Kollision verhindern können und müssen. Sie ist durch die überhöhte Geschwindigkeit zu einem Bremsmanöver gezwungen worden, das sie auf die Fahrbahnhälfte des Lkw rutschen ließ.
c) Die beiderseitigen Verursachungsbeiträge sind gemäß § 17 Abs. 1 StVG gegeneinander abzuwägen. Danach bestimmt sich der Umfang der Haftung.
Der Ehefrau des Klägers fällt ein beträchtliches Verschulden und eine dadurch erhöhte Betriebsgefahr ihres Fahrzeuges zur Last. Dem ist die sehr hohe Betriebsgefahr des überbreiten Lkws auf dieser engen Straße entgegenzuhalten, der dort in dieser Situation vor dem Unfallgeschehen so nicht fahren durfte, was ebenfalls als schuldhaftes Verhalten zu würdigen ist.
Der Bundesgerichtshof hat in ähnlichen Situationen, eine Haftungsverteilung im Verhältnis 40 zu 60 oder 60 : 40 für angemessen erachtet (BGH NJW 1996, 3003; Versicherungsrecht 1963, 279). Der Entscheidung BGH NJW 1996, 3003 [BGH 09.07.1996 - VI ZR 299/95] lag indessen ein Sachverhalt zugrunde, in welchem der unfallbeteiligte Pkw rechts auf seiner Fahrbahn geblieben war. Das ist hier anders, weshalb der Mitverursachungsanteil des Klägers höher, nämlich wie in der Entscheidung BGH VersR 1963, 279 mit 60 % zu bewerten war.
3. Der Schaden ist überwiegend unstreitig. Der Kläger beziffert ihn mit insgesamt 7.727,28 DM. Hiervon sind jedoch 195,-- DM abzusetzen. Der Kläger hat in seine Schadensberechnung eine Nutzungsausfallentschädigung für 8 Tage mit jeweils 65,-- DM eingestellt. Gleichzeitig beruft er sich jedoch darauf, ein Ersatzfahrzeug sei schon nach 5 Tagen angeschafft gewesen, was durch die Rechnung des J. vom 01.12.2000 auch belegt ist. Hieraus ergibt sich ein Abzug in Höhe von insgesamt 195,-- DM von dem Schadensbetrag, den der Kläger ermittelt hat. Es verbleibt somit ein Schaden von 7.532,28 DM. 40 % hiervon sind 3.012,91 DM = 1.540,48 Euro.
Die Zinsforderung ist aus §§ 849, 247 BGB n.F., § 1 Diskontüberleitungsgesetz begründet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst.