Landgericht Göttingen
Urt. v. 25.04.2002, Az.: 2 O 516/01
Atypisch stille Beteiligung an einer Gesellschaft als festverzinsliche Kapitalanlage; Sittenwidrigkeit einer Gesellschaftsvereinbarung wegen langfristiger Vertragsbindung
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 25.04.2002
- Aktenzeichen
- 2 O 516/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 29821
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2002:0425.2O516.01.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BGH - 21.03.2005 - AZ: II ZR 180/03
Rechtsgrundlagen
- § 256 ZPO
- § 3 AGBG
- § 134 BGB
- § 139 BGB
Verfahrensgegenstand
Feststellung
In dem Rechtsstreit
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
auf die mündliche Verhandlung vom 11.04.2002 durch H.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger kam durch die Vermittlerin I. mit der Beklagten in Verbindung. Er unterzeichnete unter dem 13. März 1998 den Zeichnungsschein J. über eine Einmaleinlage von 20.000,00 DM und über eine Rateneinlage in Höhe von monatlich 400,00 DM für 240 Monatsraten, jeweils mit 5 % Agio. Die Beteiligungen wurden von der Beklagten unter dem 24. März 1998 angenommen (Anlage K 1).
Die Zeichnungsscheine enthalten jeweils u.a. folgende Hinweise:
- 1.
Dieses Angebot zur Beteiligung als atypisch stiller Gesellschafter stellt keine festverzinsliche Kapitalanlage, sondern eine Unternehmensbeteiligung dar.
- 2.
Bei Beendigung der stillen Gesellschaft kann zum Ausgleich eines eventuell negativen Auseinandersetzungsguthabens eine Nachschusspflicht bestehen.
Ferner hatte der Kläger durch seine separate Unterschrift bestätigt, den "Emissions-Prospekt zur K." der Beklagten ausgehändigt erhalten zu haben. Bei diesem Prospekt handelte es sich um denjenigen vom 15. Oktober 1997 (Anlage B 1), der dem Kläger mit der Annahmeerklärung noch einmal übersandt worden war. Außerdem hatte der Kläger neben der Widerrufsbelehrung noch die Beitrittserklärung ebenfalls gesondert unterschrieben, die folgenden Wortlaut hat:
Für den atypisch stillen Gesellschafter gelten die Verantwortlichkeitserklärung, die Angabenvorbehalte, die Einstandspflicht und die Risikobelehrung im Emissionsprospekt sowie die umseitigen Vertragsbedingungen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 27. August 2001 (Anlage K 5) kündigte der Kläger die Beteiligungsverträge fristlos. Hilfsweise erklärte er den Widerruf.
Der Kläger behauptet, er sei über die speziellen Risiken der Anlageform nicht aufgeklärt worden, ihm sei vielmehr durch die Vermittlerin erklärt worden, dass es sich bei der atypisch stillen Beteiligung an der Beklagten um eine sichere Geldanlage für das Alter handeln würde. Darauf vertrauend, habe er die Zeichnungsscheine unterschrieben, ohne die Hinweise gelesen zu haben. Außerdem sei ihm der Prospekt nicht ausgehändigt, sondern von der Beklagten später zugesandt worden. Ferner meint der Kläger, die Verträge seien wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig. Darüber hinaus ist er der Ansicht, der "beschönigende" Hinweis auf ein eventuell negatives Auseinandersetzungsguthaben stelle eine Überraschungsklausel dar und verstoße daher gegen § 3 AGBG, so dass der Zeichnungsschein letztlich keinen Risikohinweis enthalte.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass das stille Gesellschaftsverhältnis zwischen den Parteien auf Grund der außerordentlichen Kündigung des Klägers mit Schreiben vom 16. Mai 2001 aufgelöst ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, die Vermittlerin habe den Kläger über die Risiken aufgeklärt, diese Aufklärung sei im Übrigen auf den Zeichnungsscheinen deutlich sichtbar herausgestellt worden. Dieser Prospekt sei dem Kläger auch durch die Vermittlerin ausgehändigt und später ein weiteres Mal durch die Beklagte übersandt worden. Er sei daher zur außerordentlichen Kündigung nicht berechtigt gewesen. Die Beklagte meint ergänzend, die Bestimmungen des AGBG seien auf die hier fraglichen Gesellschaftsverträge unanwendbar.
Wegen des Parteivorbringens im Einzelnen wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze samt Anlagen, nach deren Maßgabe mündlich verhandelt worden ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Feststellungsklage ist hier ausnahmsweise trotz der Möglichkeit einer Leistungsklage nach § 256 ZPO zulässig, weil schon das Feststellungsurteil zur endgültigen Streitbeilegung führen würde, zumal die Beklagte erwarten lässt, dass sie bereits auf ein Feststellungsurteil hin leisten würde (vgl. Zöller-Greger, 22. Auflage, § 256 ZPO, RdNr. 8 m.w.N.).
Sie ist jedoch unbegründet.
Der Kläger hat kein Recht, seine atypisch stille Beteiligung wegen eines der Beklagten zuzurechnenden Verschuldens bei Vertragsschluss zu kündigen.
Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Vermittlerin I. die Beteiligung tatsächlich als eine sichere Geldanlage für das Alter bezeichnet und auf mit ihr verbundene Risiken nicht hingewiesen hat; denn selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, lag bei dem Kläger im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Verträge eine Fehlvorstellung über das Anlagengeschäft nicht vor.
Aus den vom Kläger unterschriebenen Zeichnungsscheinen ergibt sich eindeutig, dass es sich bei der atypisch stillen Beteiligung nicht um eine festverzinsliche Kapitalanlage handelt, sondern um eine Unternehmensbeteiligung, bei der im Fall eines negativen Auseinandersetzungsguthabens sogar eine Nachschusspflicht besteht. Der Hinweis befindet sich deutlich erkennbar und nicht etwa optisch versteckt - wie der Kläger meint - auf dem Zeichnungsschein vor dem ersten von insgesamt vier vom Kläger benutzten Unterschriftsfeldern. Er stellt darüber hinaus keine unverbindliche Überraschungsklausel i.S. des § 3 AGBG dar; denn es ist eben nicht nur "beschönigend" auf ein mögliches negatives Auseinandersetzungsguthaben hingewiesen, sondern die Möglichkeit einer Nachschusspflicht wurde sogar hervorgehoben. Es ist jedem auch geschäftlich weniger erfahrenen Anleger bei dieser Konstellation klar, dass er nicht nur mit dem völligen Verlust seiner Beteiligung rechnen, sondern sogar möglicherweise Zuzahlungen in Kauf nehmen muss. Daher kann offen bleiben, ob auch die atypisch stillen Gesellschaftsverträge unter § 23 Abs. 1 AGBG fallen oder nicht (vgl. dazu BGH in NJW 01, 1270 {1271} m.w.N. auch zum Meinungstand). Der Kläger kann endlich nicht mit dem Argument gehört werden, er habe die Hinweise bei seiner Unterschrift nicht zur Kenntnis genommen, weil er den Angaben der Vermittlerin vertraut habe. Einmal abgesehen davon, dass dies nicht glaubhaft ist, kann der Kläger keine Rechte daraus ableiten, dass er bei Abschluss eines Vertrags mit erheblicher finanzieller Tragweite und langfristiger Bindung seine Augen bewusst vor den Risikohinweisen verschließt.
Selbst wenn also die Vermittlerin L. dem Kläger gegenüber unrichtige Angaben gemacht haben sollte und dies der Beklagten zuzurechnen gewesen wäre, so ist diese mögliche Täuschung für den Vertragsabschluss jedenfalls nicht ursächlich geworden, weil eine zutreffende Aufklärung über das Risiko des Geschäfts bereits vorlag, bevor der Kläger die Zeichnungsscheine unterschrieben hatte.
Ebenso deutlich wird im Zeichnungsschein auf die Risikohinweise im Emissions-Prospekt Bezug genommen. Der Kläger kann nicht damit gehört werden, er habe nicht diesen Emissions-Prospekt erhalten, sondern eine Werbebroschüre ohne Risikohinweise. Der Kläger hat mit seiner Unterschrift bestätigt, den "Emissions-Prospekt zur M. der N." ausgehändigt erhalten zu haben. An diese durch seine Unterschrift bekräftigte Erklärung, für deren Richtigkeit und Vollständigkeit eine Vermutung spricht, ist er gebunden. Es würde dem Interesse der Sicherheit und Verlässlichkeit des Rechtsverkehrs in unerträglicher Weise widersprechen, wollte man es zulassen, dass sich die Rechtsgenossen selbst nach Jahren ohne Weiteres einseitig von ihren Erklärungen lossagen könnten. Der Kläger hätte also die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärung, die er selbst durch seine Unterschrift geschaffen hatte, widerlegen müssen, was er nicht einmal ansatzweise versucht hat. Darüber hinaus hätte der Kläger ohne Weiteres jedenfalls nach Erhalt des Emissionsprospekts widerrufen können, was er indes unstreitig nicht getan hat.
Die vorliegenden Gesellschaftsverträge sind auch nicht nach § 134 BGB in Verbindung mit den §§ 32 ff. KWG insgesamt nichtig. Selbst wenn die ratierliche Auszahlung der Kapitalbeteiligung nach Vertragsende erlaubnispflichtig sein sollte, wovon nach der Verbotsverfügung des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen und dem anschließenden Vergleich zwischen der Behörde und der Beklagten auszugehen ist, so würde dies nicht zur Nichtigkeit des Gesamtvertrags führen, sondern allenfalls zur Teilnichtigkeit des § 22 Absätze 1 und 2 des Vertrags, während die übrigen Bestimmungen gemäß § 139 BGB wirksam blieben. Dies ergibt sich auch aus § 29 des Vertrags.
Ferner sind die Verträge nicht nach § 138 BGB sittenwidrig.
Die Sittenwidrigkeit ergibt sich nicht schon allein aus der langfristigen Vetragsbindung, sie lässt sich vielmehr nur unter Berücksichtigung und Abwägung der jeweiligen vertragstypischen und durch die Besonderheiten des Einzelfalls geprägten Umstände ermitteln (vgl. BGH in NJW 95, 2350 {2351} m.w.N.). Gemäß dem "Überblick über Ihre Beteiligung" im Emissions-Prospekt (dort S. 7) wird mit der (inzwischen nicht mehr so genannten) O. bezweckt, die "Altersversorgung in Form von mitunternehmerischen Beteiligungen in steuerlich optimierter Form (zu) gestalten bzw. (zu) ergänzen." Es ist evident, dass ein derartiges Vorhaben nur langfristig angelegt werden kann. Dasselbe gilt darüber hinaus auch für jede stille Beteiligung an einer Gesellschaft, die ihrer Natur nach nicht nur für eine kurze Zeit eingegangen wird.
Endlich kommt auch keine fristlose Kündigung nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage deshalb in Betracht, weil die Beklagte entgegen der ursprünglichen Absicht, das Kapitalguthaben des atypisch stillen Gesellschafters nicht mehr ratierlich, sondern in einer Summe auszuzahlen verspricht. Es ist zwar richtig, dass die bereits erwähnte Verbotsverfügung des Bundesamts für das Kreditwesen und der daraufhin geschlossene Vergleich eine Veränderung der Vertragsumstände und damit der Geschäftsgrundlage bewirkt hat, dies allein vermag eine Vertragsauflösung indes nicht zu rechtfertigen.
Fehlt oder entfällt die Geschäftsgrundlage, so führt dieser Umstand nämlich im Regelfall zur Notwendigkeit der Anpassung an die veränderten Verhältnisse. Nur dann, wenn eine solche Anpassung nicht möglich oder unzumutbar ist, kann ausnahmsweise die Vertragsauflösung verlangt werden (vgl. dazu BGH in NJW 00, 1714 {1716} m.w.N.). Von einer Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Vertragsanpassung kann hier keine Rede sein.
Bereits der Vertrag selbst sah - wie erwähnt - in § 22 Abs. 3 die Auszahlung in einer Summe vor. Dies ist dem Kläger auch zuzumuten. Sein Hauptinteresse bei der von der Beklagten angebotenen atypisch stillen Beteiligung lag in der Gewinnerzielung und der Steuerersparnis auf der Grundlage der Verlustzuweisungen der einzelnen Gesellschaftsbeteiligungen. Außerdem sollte nach Möglichkeit ein der finanziellen Sicherung im Alter dienender Kapitalstock aufgebaut werden. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, ob die Auszahlung ratierlich oder in einer Summe erfolgte, von eher untergeordneter Bedeutung, zumal es jedem Anleger freisteht, die bei Vertragsende ausgezahlte Summe wieder neu und jetzt ratierlich anzulegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung rechtfertigt sich aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO. Eines besonderen Ausspruchs über die Art der Sicherheit bedurfte es nach der Neufassung des § 108 ZPO nicht mehr.