Landgericht Göttingen
Urt. v. 25.09.2002, Az.: 5 S 53/02

Angriffsmittel; Berufungsverfahren; einfache Fahrlässigkeit; erste Instanz; Leasinggeber; Nachfragepflicht; Nachlässigkeit; Nichtzulassung; Tatsachenvortrag; Unterlassen; vorprozessuales Wissen; Zurückweisung

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
25.09.2002
Aktenzeichen
5 S 53/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43725
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 15.03.2002 - AZ: 3 C 759/01

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Das Unterlassen von Tatsachenvortrag in erster Instanz beruht auch dann auf Nachlässigkeit i.S. v. § 531 Abs.2 Nr.3 ZPO, wenn ein Leasinggeber sich zum Beweis einer von Anfang an streitigen Vertragsbedingung erst in der Berufungsinstanz auf eine telefonische Kündigungsbestätigung des Leasingnehmers gegenüber dem vermittelnden Händlerbetrieb beruft, weil er dazu erst in 2. Instanz Nachfrage beim Händler gehalten hat, obwohl er von diesem Telefonat schon vorprozessual wusste und sich ihm eine Nachfrage nach dem genauen Gesprächsinhalt aufgrund des Streitverlaufs erster Instanz aufdrängen musste.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 15. März 2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts Northeim - 3 C 759/01 (II) -, soweit es der Klage stattgegeben hat, geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Anschlußberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Wert für das Berufungsverfahren: 4.142,41 Euro (8.101,85 DM).

Tatbestand:

1

Für den Tatbestand wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.F.).

Entscheidungsgründe

2

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Anschlussberufung ist nicht begründet.

3

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keine Ansprüche auf Vollamortisation des Leasingvertrages gemäß ihrer AGB sowie Ersatz der mit der Vertragsbeendigung entstandenen weiteren Kosten aus Verzugsgesichtspunkten. Es fehlt an einer wirksamen Kündigung seitens der Klägerin.

1.

4

Soweit sich die Klägerin auf ihr Kündigungsschreiben vom 05. Dezember 2000 sowie hilfsweise auf die beiden Schreiben mit der Aufforderung zur Herausgabe des Leasingfahrzeuges vom 18. und 27. Dezember 2000 beruft, ist sie für den Zugang dieser Schreiben beweisfällig geblieben. Nachdem der Beklagte den Zugang der Schreiben bestritten hat, hat die Klägerin in erster Instanz lediglich auf allgemeine Erfahrungswerte und Statistiken über die Zulässig des Postweges Bezug genommen. Zutreffend hat das Amtsgericht dazu festgestellt, dass im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH kein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass die auf dem Postweg versandten Sendungen dem Empfänger auch tatsächlich zugehen.

2.

5

Eine Kündigung des Leasingvertrages ist schließlich auch nicht durch das schlichte Herausgabeverlangen des mit der Sicherstellung des Fahrzeuges beauftragten Inkassounternehmens erfolgt.

6

Voraussetzung dafür wäre neben einer entsprechenden Ermächtigung noch vor der Frage nach dem Empfängerhorizont des Beklagten ein auf die Kündigung des Leasingvertrages gerichteter Erklärungswille der Inkassofirma. Insoweit fehlt jedoch bereits jeder Vortrag dazu, ob die Inkassofirma nicht schon von einer bereits wirksamen Vertragsbeendigung ausging bzw. dazu, dass sie zumindest hilfsweise nochmals mit dem Herausgabeverlangen zugleich für die Klägerin die Kündigung des Leasingvertrages erklären wollte. Es fehlen demnach bereits Anhaltspunkte für einen entsprechenden Erklärungswillen des mit der Sicherstellung beauftragten Unternehmens.

7

Darüber hinaus fehlt es auch an Vortrag auf Seiten der Klägerin dazu, ob das mit der Sicherstellung beauftragte Unternehmen in seinem Herausgabeverlangen auf die Beendigung des Leasingvertrages, insbesondere eine Kündigung des Leasingvertrages seitens der Klägerin Bezug genommen hat. Sofern das Unternehmen schlicht die Herausgabe des Fahrzeuges von dem Beklagten begehrte, kann aufgrund der bloßen Kündigungsandrohung vom 13. Oktober 2002, also ca. drei Monate zuvor, nicht schon darauf geschlossen werden, dass dieses Herausgabeverlangen nach dem Empfängerhorizont des Beklagten als Kündigung verstanden werden mußte.

3.

8

Soweit die Klägerin in ihrer Anschlussberufung behauptet hat, der Beklagte habe gegenüber dem Zeugen G. in einem Telefonat im Dezember 2000 eingeräumt, von der Kündigung des Leasingvertrages Kenntnis zu haben und deshalb um eine Möglichkeit zur Fortsetzung des Vertrages nachgefragt, handelt es sich um eine neue Tatsachenbehauptung. Diese neue Tatsache hat die Kammer ihrer Entscheidung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO n.F. i.V.m. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO n.F. nicht zugrunde zu legen, und dementsprechend auch dem dazu unterbreiteten Beweisangebot der Klägerin nicht nachzugehen. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die Unterlassung dieses Sachvortrages in der ersten Instanz nicht auf Nachlässigkeit beruht.

9

Die Klägerin selbst beruft sich darauf, dass die Unterlassung des Sachvortrages in erster Instanz nicht auf ihrer Fahrlässigkeit beruhe. Damit geht auch die Klägerin davon aus, dass lediglich ein Fall des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO n.F. vorliegen kann. Dem ist aus Sicht der Kammer nichts hinzuzufügen. Allerdings ist es nicht ausreichend, wenn die Klägerin insoweit ergänzend vorträgt, dass sie von dem genauen Inhalt des Gespräches zwischen dem Beklagten und dem Zeugen G. erst anläßlich der Rückfrage eines ihrer Mitarbeiters beim Autohaus am 02. Mai 2002 nach Vorliegen der Berufungsbegründung erfahren hat.

10

Maßgeblich ist darauf abzustellen, ob einer Partei das neue Angriffs- und Verteidigungsmittel bis zum Schluß der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung hätte bekannt sein müssen. Insoweit genügt einfache Fahrlässigkeit (Baumbach/Albers, ZPO, 60. Aufl., § 531 Rn. 16). Dabei trägt die Partei selbst die Darlegungslast dafür, dass sie in der ersten Instanz nicht nachlässig war. Sie muss dem Gericht die Überzeugung verschaffen, dass einer der Ausnahmetatbestände des § 531 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ZPO n.F. gegeben ist (Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 531 Rn. 34 f.). Daran fehlt es hier.

11

Der Hinweis der Klägerin darauf, dass ihre Rückfrage bei dem ausliefernden Händler erst durch den Vortrag des Beklagten in seiner Berufungsbegründung veranlaßt gewesen sei, wonach er keinen Anlaß gehabt habe, von einer Kündigung des Vertrages durch die Klägerin auszugehen, greift nicht durch. Vielmehr war es so, dass sich die Parteien während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens über mehrere Schriftsätze hinweg, verbunden mit mehreren gerichtlichen Hinweisen, nicht nur darüber gestritten haben, ob dem Beklagten die Kündigung der Klägerin zugegangen ist. Insbesondere haben die Parteien auch darüber gestritten, ob der Beklagte das bloße Herausgabeverlangen des mit der Fahrzeugsicherstellung beauftragten Inkassounternehmens als Bezugnahme auf eine Kündigungserklärung oder gar als konkludente Kündigung oder aber als Angebot zur kostenneutralen Vertragsaufhebung verstehen konnte.

12

Bereits mit Schriftsatz vom 30. August 2001 hat der anwaltlich vertretene Beklagte vortragen lassen, dass ihn spätere Schreiben der Klägerin, in denen auf eine Kündigung Bezug genommen worden sei, überrascht hätten und er die Herausgabeforderung als Vertragsaufhebung gewertet habe. Diesen Sachvortrag hat der Beklagte ebenfalls in der ersten Instanz nochmals mit Schriftsatz vom 06. November 2001 wiederholt. Daraufhin hat die Klägerin lediglich mit Schriftsatz vom 12. November 2001 dahingehend repliziert, dass der Beklagte vormals, insbesondere anläßlich des Herausgabeverlangens durch die Sicherstellungsfirma nicht eingewandt habe, dass ihm ein Kündigungsschreiben nicht zugegangen sei. Die Klägerin war demnach bereits in erster Instanz bewußt, dass es maßgeblich auch auf den Empfängerhorizont des Beklagten ankam.

13

Dabei war es für die Klägerin nicht nur subjektiv zumutbar, sondern sogar naheliegend, bei dem Händler, der das Leasingfahrzeug ausgeliefert hatte, Nachfrage zu diesem Punkt zu halten. Die Klägerin will nach ihrem eigenen Vortrag aufgrund des von ihr in zweiter Instanz behaupteten Telefonates zwischen dem Zeugen G. und dem Beklagten noch im Dezember 2000 ein Gespräch mit dem Autohaus G. geführt haben. Darin habe sie dem Autohaus mitgeteilt, zu welchen Konditionen sie zu einer Fortsetzung des Leasingvertrages bereit sei. Der - von dem Beklagten allerdings bestrittene- Umstand, dass sich der Leasingnehmer im Dezember an das Autohaus zwecks Fortsetzung des Leasingvertrages wandte, war der Klägerin mithin bereits bei Einreichung ihrer Klageschrift vom 16. August 2001 bekannt.

14

Es kann offen bleiben, ob sich der Schuldvorwurf im Rahmen von § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO n.F. gerade auch auf die Verletzung der Prozessförderungspflicht i.S. v. § 282 ZPO beziehen muß (so Zöller/Gummer, a.A. O., Rn. 31 unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des BGH zu § 296 ZPO in NJW 1982, 1533 [BGH 16.12.1981 - IVa ZR 282/80]). Dagegen spricht, dass § 231 Abs. 2 Nr. 3 ZPO n.F. anders als § 296 ZPO nicht zugleich auch auf eine Verzögerung des Rechtsstreites abstellt. Auf eine solche kommt es vorliegend gerade nicht an (Zöller/Gummer, a.A. O., Rn. 36). Es ist daher schon fraglich, ob für die Präklusionswirkung des § 231 Abs. 2 Nr. 3 ZPO auf die Rechtzeitigkeit des Vorbringens i.S. v. § 282 ZPO abzustellen ist.

15

Selbst wenn dies so sein sollte, gebieten es jedoch Sinn und Zweck der Neuregelung zum Berufungsverfahren, nämlich die Parteien zu einem umfassenden Sachvortrag in erster Instanz anzuhalten und die Sachverhaltsaufklärung primär auf die erste Instanz zu verlagern, dass eine Partei im Rahmen der ihr obliegenden Prozessförderungspflicht nicht nur die bereits vorhandenen Erkenntnisse rechtzeitig schriftsätzlich vortragen, sondern auch die ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zur Beantwortung der als entscheidungserheblich erkannten Fragen ausschöpfen muss. Der bloße Hinweis darauf, dass nunmehr in zweiter Instanz nochmals Nachfragen der Klägerin bei ihren Mitarbeitern und den mit ihr in rechtsgeschäftlicher Verbindung stehenden Unternehmen geführt wurden, bedeutet letztlich nichts anderes, als dass die Klägerin in zweiter Instanz den Sachverhalt für sich nochmals von Grund auf aufgearbeitet und aufgeklärt hat. Gerade diese grundlegende Sachverhaltsaufarbeitung soll jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers primär in der ersten Instanz stattfinden, so dass es der Partei bereits dort obliegt, innerhalb der ihr objektiv und subjektiv zumutbaren Möglichkeiten den Sachverhalt so vollständig wie möglich darzulegen.

16

Sonstige Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich. Insbesondere war die faktische Beendigung des Leasingvertrages nicht auf ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zurückzuführen, sondern auf das nachdrückliche Herausgabeverlangen der Klägerin trotz unwirksamer bzw. hinsichtlich des Zuganges nicht erwiesener Kündigung.

4.

17

Die Kammer läßt die Revision gegen das Urteil zu (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.F.).

18

Die Entscheidung des Rechtsstreits beruht maßgeblich darauf, dass die Kammer die neue Tatsachenbehauptung der Klägerin für einen Zugang der Kündigung nebst Beweisangebot gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO n.F. nicht zugelassen hat. Dabei beruhte die Nichtzulassung darauf, dass die Kammer die Nichtausschöpfung aller der Klägerin objektiv zugänglichen und subjektiv zumutbaren Erkenntnisquellen als Nachlässigkeit gewertet hat. Dazu hat die Kammer die neue Vorschrift des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO dahingehend ausgelegt, dass es auf die Beachtung der Prozessförderungspflicht im herkömmlichen Sinne, nämlich der rechtzeitigen Darlegung bereits bekannter Tatsachen i.S. v. § 282 ZPO nicht ankomme bzw., dass die Klägerin ihre Prozessförderungspflicht auch durch das Unterlassen ihr objektiv und subjektiv zumutbarer Erkundigungen verletzt hat. Dabei handelt es sich aus Sicht der Kammer um eine Auslegung des Anwendungsbereiches der Präklusionsvorschrift des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO n.F., die von grundsätzlicher Bedeutung ist (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F.).

5.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 3 ZPO, 12 GKG.

20

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.