Landgericht Göttingen
Beschl. v. 29.11.2006, Az.: 10 T 97/06
Verfristung eines Antrags auf Versagung einer Restschuldbefreiung; Geltendmachung von Versagungsgründen bei Beendigung des Verfahrens im schriftlichen Verfahren; Nachträgliches Vorbringen und Glaubhaftmachen von Versagungsgründen
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 29.11.2006
- Aktenzeichen
- 10 T 97/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 33166
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2006:1129.10T97.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Göttingen - 31.7.2006 - AZ: 74 IK 36/03
Rechtsgrundlagen
- § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO
- § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO
Fundstellen
- NZI 2007, 120-121 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI (Beilage) 2007, 36 (amtl. Leitsatz)
- ZInsO 2007, 386-387 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Verbraucherinsolvenzverfahren
über das Vermögen des xxx, [...]
hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
durch
die E. als Einzelrichterin
auf die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 16.8.2006
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 31.7.2006 - 74 IK 36/03 -
am 29.11.2006
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners wird der angefochtene Beschluss geändert:
Der Antrag der Gläubigerin vom 22.6.2006, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Gläubigerin.
Beschwerdewert: bis zu 22.000,-- Euro.
Gründe
Am 24.2.2003 hat der Schuldner beantragt,
das Insolvenzverfahren über sein Vermögen zu eröffnen, ihm Restschuldbefreiung zu erteilen sowie die Verfahrenskosten zu stunden.
Mit Beschluss vom 3.3.2003 hat das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet, dem Schuldner die Stundung der Kosten bewilligt sowie den F. in Göttingen zum Treuhänder bestellt. Für die Beendigung des Verfahrens hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 30.4.2004 das schriftliche Verfahren angeordnet und klarstellend darauf hingewiesen, dass ein Schlusstermin entfalle. In diesem Beschluss hat das Amtsgericht den Gläubigerin eine Frist zur Erhebung von Einwendungen gegen die Ankündigung der Restschuldbefreiung bis zum 5.6.2004 gesetzt.
Mit Schreiben vom 11.5.2004 hat die oben genannte Gläubigerin beantragt,
dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen.
Zur Begründung hat die Gläubigerin ausgeführt, der Schuldner habe eine Erbschaft dem Treuhänder nicht mitgeteilt, außerdem habe der Schuldner 8.000,-- Euro vom Konto des Verstorbenen entnommen, ohne dies mit dem Treuhänder abgeklärt zu haben.
Mit Beschluss vom 5.7.2004 hat das Amtsgericht dem Schuldner auf den entsprechenden Antrag der Gläubigerin die Restschuldbefreiung versagt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen mit Beschluss vom 24.8.2004 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat der Schuldner Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof eingelegt. Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 9.2.2006 den Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen vom 24.8.2004 aufgehoben und das Verfahren an das Landgericht zurückverwiesen. Beim Landgericht Göttingen sind die Akten vom Bundesgerichtshof am 24.3.2006 eingegangen. Aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs war es erforderlich, der Gläubigerin rechtliches Gehör zu gewähren. In der daraufhin erfolgten Stellungnahme der Gläubigerin hat diese neue Tatsachen vorgetragen nämlich, dass der Schuldner außer den 8.000,-- Euro wenige Tage später noch weitere 1.000,-- Euro vom Konto seines verstorbenen Vaters abgehoben habe. Dieses Vorbringen erforderte zum Einen das rechtliche Gehör des Schuldners sowie eine weitere Stellungnahme des Treuhänders. Aufgrund krankheitsbedingter Abwesenheit der Vorsitzenden der 10. Zivilkammer konnte das Beschwerdeverfahren hier erst Ende Juni 2006 wieder gefördert werden. Zwischenzeitlich, nämlich mit Schreiben an das Amtsgericht vom 22.6.2006 hat die Gläubigerin mitgeteilt, dass der Schuldner bereits seit Februar 2004 in dem Gastronomiebetrieb seiner Mutter fest angestellt sei, dieses Beschäftigungsverhältnis dem Treuhänder jedoch erst im Juni 2006 mitgeteilt habe. Die Gläubigerin hat die Auffassung vertreten, dass der Schuldner damit wiederum seine Verpflichtungen grob verletzt habe, so dass ihm auch aufgrund dieses Verhaltens die Restschuldbefreiung zu versagen sei.
Mit Beschluss vom 31.7.2006 hat das Amtsgericht dem Schuldner die beantragte Restschuldbefreiung versagt sowie die bewilligte Stundung widerrufen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO vorliege. Der Schuldner habe die Erzielung von Einkünften ohne besondere Nachfrage dem Treuhänder offenbaren müssen. Dieser Offenbarungspflicht sei er nicht rechtzeitig nachgekommen, da er im Zeitpunkt der Mitteilung an den Treuhänder bereits mehr als zwei Jahre in dem Gastronomiebetrieb seiner Mutter fest angestellt gewesen sei. Das Verhalten des Schuldners sei auch zumindest als grob fahrlässig zu bewerten, weil es ganz offensichtlich gewesen sei, dass er ein regelmäßig erzieltes Einkommen dem Treuhänder habe mitteilen müssen.
Die Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO könne auch noch im gegenwärtigen Verfahrensstadium erfolgen. Zwar sei die Frist zur Erhebung von Einwendungen gegen die Restschuldbefreiung bereits im Mai 2004 abgelaufen. Grundsätzlich seien spätere Anträge ausgeschlossen. Für den vorliegenden Fall würde dies jedoch bedeuten, dass der Schuldner über Jahre hinaus praktisch in einem "rechtsfreien Raum" agieren könne. Die Verletzung von Auskunftspflichten sei dann nicht sanktionsbewehrt, weil auch ein Verstoß gegen die Anzeigepflichten des § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht in Betracht komme, weil diese Obliegenheiten nicht schon ab Verfahrenseröffnung gelten würden, sondern erst nach Ankündigung der Rechtsschuldbefreiung. Wenn jedoch, wie hier, sich die Entscheidung über den Versagungsantrag längere Zeit hinziehe sei es sachgerecht den Antrag des Gläubigers auf Versagung der Restschuldbefreiung auch noch zu einem späteren Zeitpunkt zuzulassen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Schuldner mit der sofortigen Beschwerde. Er meint, der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung sei bereits unzulässig, da er verspätet gestellt worden sei. Der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung habe bis zu der vom Amtsgericht gesetzten Frist, mithin bis zum 5.6.2004 gestellt werden müssen. Eine Verlängerung dieser Frist sei nicht möglich. Unabhängig davon habe der Schuldner keine Obliegenheitspflichtverletzung begangen, die eine Versagung der Restschuldbefreiung rechtfertige. Der Treuhänder habe seinerzeit dem Schuldner eine Pfändungstabelle ausgehändigt und erklärt, dass der Schuldner unverzüglich anzuzeigen habe sobald er ein Einkommen beziehe, das die Pfändungsfreigrenze übersteige. Entsprechend habe der Schuldner gehandelt, denn der Schuldner habe aus seiner Beschäftigung keine pfändbaren Bezüge erhalten. Die unterlassene Mitteilung der Beschäftigungstätigkeit habe deshalb nicht zu einer Obliegenheitsverletzung geführt.
Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist gemäß §§ 6 Abs. 1, 4 d Abs. 1, 289 Abs. 2 InsO zulässig, sie auch begründet.
Das Amtsgericht durfte die Restschuldbefreiung aufgrund des Antrags der Gläubigerin vom 22.6.2006 nicht versagen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der von der Gläubigerin dargestellte Sachverhalt einen Versagungsgrund gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO erfüllt. Der Antrag der Gläubigerin war hier nicht zulässig. Wie das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss bereits zutreffend ausgeführt hat, können Versagungsanträge gemäß § 290 Abs. 1 InsO nur bis zum Schlusstermin gestellt werden. Wenn - wie hier - für die Beendigung des Verfahrens das schriftliche Verfahren angeordnet ist und kein Schlusstermin stattfindet, sind die Anträge der Gläubiger auf Versagung der Restschuldbefreiung nur bis zu dem Termin zulässig, den das Amtsgericht insoweit gesetzt hat. Die Versagungsgründe nach § 290 Abs. 1 Nr. 1-6 InsO können weder vorher noch nach Ablauf dieser Frist geltend gemacht werden (Kübler/Prütting/Wenzel, Kommentar zur Insolvenzordnung, 22.Lfg. 2/05 § 290 Rdnr. 6; OLG Celle, NZI 2002, 223, 224; LG Göttingen ZInsO 2002, 682, 683[LG Göttingen 18.03.2002 - 10 T 18/02]; Uhlenbruck/Vallender, Insolvenzordnung, 12. Auflage § 290 Rdnr. 5; AG Hamburg, ZInsO 2005, 1060[AG Hamburg 07.09.2005 - 68g IK 46/04]; BGH ZInsO 2003, 413, 414)[BGH 20.03.2003 - IX ZB 388/02]. Eine Ausnahme kommt auch dann nicht in Betracht, wenn sich das gerichtliche Verfahren zwischen der vom Amtsgericht gesetzten Frist zur Geltendmachung der Versagungsgründe und der rechtskräftigen Entscheidung über die Versagung der Restschuldbefreiung verzögert. Eine solche Ausnahme von der gesetzlichen Regelung wie das Amtsgericht sie hier zulassen will, ist nicht gerechtfertigt, weil sie mit nicht hinnehmbaren Unwägbarkeiten und Unsicherheiten verbunden wäre. Eine Unsicherheit entstünde schon dadurch, dass nicht klar ist, ab wann man von einer Verzögerung im Verfahren sprechen kann, die einen neuen Antrag eines Gläubigers auf Versagung der Restschuldbefreiung zulässt. Insoweit ist völlig offen, ob eine solche Verzögerung schon dann vorliegt, wenn beispielsweise zwischen dem Ablauf der vom Amtsgericht gesetzten Frist zum Vorbringen der Versagungsgründe und der rechtskräftigen Entscheidung über die Versagung der Restschuldbefreiung ein Zeitraum von etwa acht Wochen liegt oder ob die zeitliche Grenze bei sechs Monaten oder einem Jahr gezogen werden soll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in solchen Fällen, in denen die Verzögerung in der Sphäre des Gerichts begründet ist, die Beteiligten hierauf keinen Einfluss haben, andererseits ein Gläubiger aus einer solchen Verzögerung auch keine prozessualen Vorteile erlangen kann. Ein solcher Gläubiger kann durch die mit der Einlegung von Rechtsmitteln verbundenen Verzögerungen nicht besser gestellt werden als ein Gläubiger in einem Verfahren, in dem über die Versagung der Restschuldbefreiung zeitnah eine rechtskräftige Entscheidung ergeht.
Der Antrag der Gläubigerin ist hier auch nicht unter dem Aspekt zulässig, dass die Gläubigerin hier lediglich einen Versagungsgrund gemäß § 290 InsO nachgeschoben hat. Das nachträgliche Vorbringen und Glaubhaftmachen von Versagungsgründen kann allenfalls in der Beschwerde vorgenommen werden und auch nur dann, wenn sich der nachgeschobene Sachverhalt auf den bereits vorgetragenen Versagungsgrund bezieht. Keinesfalls ist ein Nachschieben von Gründen möglich, wenn es sich - wie hier - um einen völlig neuen Sachverhalt und neuen Versagungsgrund handelt. Der Gläubigerin ist es damit verwehrt, nach Ablauf der vom Amtsgericht gesetzten Frist weitere Gründe, die die Versagung der Restschuldbefreiung rechtfertigen könnten, vorzubringen. Eine Ausnahme von dem im Gesetz vorgesehenen Zeitpunkt, nämlich dem Schlusstermin bzw. der Frist, die im schriftlichen Verfahren dem Schlusstermin gleichkommt, kommt nicht in Betracht.
Die vom Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss ausgesprochene Aufhebung der Kostenstundung wegen Versagung der Restschuldbefreiung hat keine Grundlage mehr, denn die Kammer hat dem Schuldner mit Beschluss vom 28.11.2006 die Erteilung der Restschuldbefreiung angekündigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Beschwerdewert: bis zu 22.000,-- Euro.
Den Beschwerdewert hat die Kammer nach § 3 ZPO festgesetzt.