Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.12.2019, Az.: 10 LA 64/19
circular letters; Dublin; Dublin-Rückkehrer; Garantieerklärung; Rundschreiben
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 19.12.2019
- Aktenzeichen
- 10 LA 64/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69915
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 06.03.2019 - AZ: 7 A 272/18
Rechtsgrundlagen
- Art 3 MRK
- Art 4 EUGrdRCh
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bei einer Rückkehr von als schutzberechtigt anerkannten Familien mit minderjährigen Kindern nach Italien bedarf es derzeit einer konkret-individuellen Zusicherung der Gewährleistung ihrer aus Art. 4 GRC folgenden Rechte durch die dortigen Behörden.
Tenor:
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichterin der 7. Kammer - vom 6. März 2019 wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
Gründe
I.
Die Klägerin ist mauretanische Staatsangehörige, verließ im Jahr 2015 ihr Heimatland und reiste in Italien ein, wo sie auf ihren Antrag hin internationalen Schutz gewährt bekommen hat. Drei Jahre später reiste sie weiter nach Deutschland und stellte am 13. April 2018 einen Asylantrag.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag der Klägerin mit Bescheid vom 16. Mai 2018 als gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig ab (Ziff. 1), weil ihr bereits durch Italien internationaler Schutz gewährt worden sei. Weiter wird mit dem Bescheid festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziff. 2) und die Klägerin, unter Setzung einer Ausreisefrist von 30 Tagen ab Bekanntgabe des Bescheides bzw. dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens und Androhung ihrer Abschiebung nach Italien, aufgefordert, das Gebiet der Beklagten zu verlassen (Ziff. 3). Unter Ziff. 4 des Bescheides wird das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 18 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 16. Juni 2018 Klage erhoben.
Im September 2018 gebar die Klägerin einen Sohn, mit dem sie zusammenlebt.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 6. März 2019, unter Klageabweisung im Übrigen, den Bescheid der Beklagten hinsichtlich der Ziff. 2 bis 4 aufgehoben und sie verpflichtet, für die Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Zwar lägen gegenwärtig keine systemischen Mängel hinsichtlich der Aufnahmebedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in Italien vor, jedoch bestünde bei der Rücküberstellung der Klägerin mit ihrem fünf Monate alten Kind nach Italien die Gefahr einer Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung. Die Klägerin zähle mit ihrem Kind zur Gruppe der besonders schutzbedürftigen Personen, so dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur ausgeschlossen werden könne, wenn die italienischen Behörden eine individuelle Garantieerklärung abgegeben würden, nach der sie eine Unterkunft erhalten und ihre elementarsten Bedürfnisse abgedeckt würden. Kinder bedürften eines besonderen Schutzes. Eine wesentliche Verbesserung der Sachlage in Italien seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 4. November 2014 sei nicht ersichtlich. Dementsprechend seien auch Ziff. 3 und Ziff. 4 des Bescheides aufzuheben.
Gegen das der Beklagten am 11. März 2019 zugestellte Urteil hat sie am 8. April 2019 die Zulassung der Berufung beantragt.
II.
Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Denn der von ihr allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist von ihr nicht hinreichend dargelegt worden.
Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich und einer abstrakten Klärung zugänglich ist, im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf, nicht schon geklärt ist und (im Falle einer Rechtsfrage) nicht bereits anhand des Gesetzeswortlauts und der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung sowie auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann (BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 -, juris Rn. 5, zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; ferner: GK-AsylG, Stand: Juni 2019, § 78 AsylG Rn. 88 ff. m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: April 2019, § 78 AsylG Rn. 21 ff. m.w.N).
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG verlangt daher nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (u. a. Senatsbeschluss vom 13.09.2018 - 10 LA 349/18 -, juris Rn. 2 ff.):
1. dass eine bestimmte Tatsachen- oder Rechtsfrage konkret und eindeutig bezeichnet,
2. ferner erläutert wird, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und
3. schließlich dargetan wird, aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren.
Die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und Klärungsbedürftigkeit der bezeichneten Frage im Berufungsverfahren (2.) setzt voraus, dass substantiiert dargetan wird, warum sie im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und - im Falle einer Tatsachenfrage - welche (neueren) Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen (ständige Rechtsprechung des Senats: u. a. Senatsbeschluss vom 18.02.2019 - 10 LA 27/19 -; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 25.07.2017 - 9 LA 70/17 - m.w.N.). Die Begründungspflicht verlangt daher, dass sich der Zulassungsantrag mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils substantiiert auseinandersetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.2019 - 5 BN 4.18 -, zu den Anforderungen an die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Darlegung einer Tatsachenfrage setzt außerdem eine intensive, fallbezogene Auseinandersetzung mit den von dem Verwaltungsgericht herangezogenen und bewerteten Erkenntnismitteln voraus (Senatsbeschluss vom 18.02.2019 - 10 LA 27/19 -; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 13.01.2009 - 11 LA 471/08 -, juris Rn. 5), weil eine Frage nicht entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist, die sich schon hinreichend klar aufgrund der vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismittel beantworten lässt (GK-AsylG, a.a.O., § 78 AsylG Rn. 609 m.w.N; vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 30.01.2014 - 5 B 44.13 -, juris Rn. 2, und vom 17.02.2015 - 1 B 3.15 -, juris Rn. 3, zu den Anforderungen an die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Erforderlich ist daher über den ergebnisbezogenen Hinweis, dass der Bewertung der Situation in dem betreffenden Land zu der als klärungsbedürftig bezeichneten Tatsachenfrage durch das Verwaltungsgericht im Ergebnis nicht gefolgt werde, hinaus, dass in Auseinandersetzung mit den Argumenten des Verwaltungsgerichts und den von ihm herangezogenen Erkenntnismitteln dargetan wird, aus welchen Gründen dieser Bewertung im Berufungsverfahren nicht zu folgen sein wird (GK-AsylG, a.a.O., § 78 AsylG Rn. 610 m.w.N). Dabei ist es Aufgabe des Zulassungsantragstellers, durch die Benennung von Anhaltspunkten für eine andere Tatsacheneinschätzung, also insbesondere durch das Anführen bestimmter (neuerer) Erkenntnisquellen, darzutun, dass hierfür zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (GK-AsylG, a.a.O., § 78 AsylG Rn. 610 f. m.w.N). Es reicht deshalb nicht, wenn der Zulassungsantragsteller sich lediglich gegen die Würdigung seines Vorbringens durch das Verwaltungsgericht wendet und eine bloße Neubewertung der vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismittel verlangt (GK-AsylG, a.a.O., § 78 AsylG Rn. 609 m.w.N, Hailbronner, a.a.O., § 78 AsylG Rn. 28).
Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag der Beklagten nicht.
Sie hat zur Begründung des Zulassungsgrunds die folgende Frage aufgeworfen:
„Ob die Überstellung vulnerabler, anerkannt schutzberechtigter Personen einer konkret, individuellen Zusicherung des, in den zu überstellenden, Mitgliedsstaats bedarf oder ob eine allgemeine Zusicherung, wie sie von Italien in Form der circular letters fortlaufend, in aktueller Fassung vom 8. Januar 2019, abgegeben wird, für die Annahme einer der Vulnerabilität der Person entsprechenden Unterbringung ausreicht.“
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Zulassungsantrags im Wesentlichen ausgeführt: Die Zahl ankommender Asylsuchender sei in den Jahren 2017 und 2018 zurückgegangen und gleichzeitig sei die Zahl der in SPRAR-Einrichtungen verfügbaren Plätze auf 35.881 erhöht worden. Zudem habe das sogenannte Salvini-Dekret den Zugang zu diesen Einrichtungen auf anerkannt international Schutzberechtigte und unbegleitete Minderjährige beschränkt. In den SPRAR-Einrichtungen würden diese unter anderem Kost, Logis und ärztliche Versorgung erhalten. Die dortige Unterbringung erfolge zunächst für sechs Monate, könne aber auf eineinhalb Jahre verlängert werden. Im Dezember 2018 seien in Italien von insgesamt 174.045 Unterbringungsplätzen 33.564 verfügbar gewesen. Nach den italienischen Gesetzen sei auf jeder Unterbringungsstufe die Familieneinheit zu berücksichtigen.
Damit hat die Beklagte die Entscheidungserheblichkeit und Klärungsbedürftigkeit der von ihr aufgeworfenen Frage im Berufungsverfahren nicht dargelegt. Eine Entscheidungserheblichkeit der Frage kommt dabei vorliegend von vornherein lediglich insoweit in Betracht, als sie sich auf Familien mit minderjährigen Kindern bezieht, weil sich allein hieraus eine Vulnerabilität der Klägerin mit ihrem Kleinkind ergeben kann. Aber auch insoweit hat die Beklagte nicht substantiiert dargetan, weshalb die Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte.
Zwar setzt sich das Verwaltungsgericht mit der aktuellen Lage von als schutzberechtigt anerkannten Familien nach ihrer Rückkehr nach Italien nur völlig unzureichend auseinander bzw. nimmt insoweit Bezug auf veraltete und überholte Entscheidungen und Erkenntnismittel, zur tatsächlichen Situation etwa im Jahr 2016. Jedoch hat die Beklagte mit ihrem Vorbringen in ihrer Berufungszulassungsbegründung nicht dargetan, aus welchen Gründen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis nicht zu folgen sein würde. Denn sie hat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorgebracht, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass es zum Ausschluss der Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC bei einer Rückkehr von als schutzberechtigt anerkannten Familien mit Kindern nach Italien entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts keiner individuellen Zusicherung der Gewährleistung ihrer Rechte unter Berücksichtigung ihrer erhöhten Bedürfnisse bedarf. Vielmehr ergibt sich schon aus den von der Beklagten selbst vorgetragenen tatsächlichen Annahmen unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs das Gegenteil.
Art. 4 GRC verbietet ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und hat mit seiner fundamentalen Bedeutung allgemeinen und absoluten Charakter (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 78). Daher ist hinsichtlich in einem Mitgliedsstaat schutzsuchender Personen für die Anwendung von Art. 4 GRC irrelevant, wann diese bei ihrer Rücküberstellung in den für ihr Asylverfahren zuständigen Mitgliedsstaat bzw. den Mitgliedsstaat, der ihnen bereits internationalen Schutz gewährt hat, einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wären, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren. Die Gewährleistung von Art. 4 GRC gilt auch nach dem Abschluss des Asylverfahrens, insbesondere auch im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 88 f.; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 07.10.2019 – 2 BvR 721/19 –, juris Rn. 19 f.). Hat ein Schutzsuchender oder eine als schutzberechtigt anerkannte Person hinreichend dargelegt, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihm nach einer Rücküberstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, ist das mit der Rechtssache befasste Gericht - wie auch zuvor die mit der Sache befassten Behörden - verpflichtet, die aktuelle Sachlage aufzuklären und die deutschen Behörden haben gegebenenfalls Zusicherungen der Behörden des zuständigen Mitgliedsstaates einzuholen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 –, juris 15 f. und 18 f.). Das Gericht hat auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 90). Solche Schwachstellen erreichen allerdings erst dann die für Art. 4 GRC bzw. für den ihm entsprechenden Art. 3 EMRK besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 91 f.). Dies ist im Allgemeinen insbesondere der Fall, wenn die rückzuüberstellende Person in dem zuständigen Mitgliedsstaat ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basis- bzw. Notbehandlung erhalten würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 – 1 C 45.18 –, juris Rn. 12). Bei Familien mit Kindern kann sich eine Gefährdung der durch Art. 4 GRC geschützten Rechte auch daraus ergeben, dass der bzw. die Betroffene(n) nicht zugleich die eigene Existenz und die seiner bzw. ihrer Familie sichern können würde (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 – 1 C 45.18 –, juris Rn. 25 bis 28).
Die Beklagte hat nicht hinreichend dargetan, weshalb die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin als alleinstehende Person mit einem minderjährigen Kind bei ihrer Rückkehr nach Italien - ohne eine entsprechende Zusicherung der italienischen Behörden (so auch VG des Saarlandes, Urteil vom 07.10.2019 – 3 K 2156/18 –, S. 9; VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 03.06.2019 – 34 K 1487.17 A –, juris Rn. 23 ff.; vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 –, juris Rn. 18 bis 20; a.A. Bayerischer VGH, Beschluss vom 09.09.2019 – 10 ZB 19.50024 –, juris Rn. 6) - Gefahr liefe, keine Unterkunft zu erhalten und ihre elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigen zu können, im Berufungsverfahren anders zu entscheiden sein könnte.
Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass die (gemeinsame) Unterbringung der Familie unmittelbar nach ihrer Rückkehr nach Italien nicht sichergestellt sei. Die Beklagte hat in ihrem Zulassungsantrag hierzu vorgebracht, dass die Zahl von in Italien ankommenden Asylsuchenden stark zurückgegangen sei und sich die verfügbaren Plätze in SPRAR-Einrichtungen zugleich erhöht hätten, zumal deren Zugang aufgrund des Salvini-Dekrets mittlerweile auch auf anerkannte Schutzberechtigte und unbegleitete Minderjährige beschränkt sei. Die dort untergebrachten Personen würden ausreichend versorgt und ihre Unterbringung erfolge zunächst für sechs Monate, könne allerdings auf eineinhalb Jahre verlängert werden (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 06.04.2018 – 10 LB 109/18 –, juris Rn. 41). Aus diesen Ausführungen der Beklagten ergibt sich aber gerade nicht, dass als schutzberechtigt anerkannten Personen mit minderjährigen Kindern bei ihrer Rückkehr nach Italien nicht die Gefahr einer Art. 4 GRC verletzenden Behandlung droht. Vielmehr folgt die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der Rechte solcher Personen schon aus dem eigenen Vorbringen der Beklagten. Denn mit Art. 4 GRC ist es nicht vereinbar, dass die Gewährleistung der elementarsten Bedürfnisse von anerkannt Schutzberechtigten mit minderjährigen Kindern durch den italienischen Staat nach einem Ablauf von nur sechs oder maximal bis zu 18 Monaten endet. Diese zeitliche Einschränkung besteht nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln auch weiterhin fort (vgl. C., Entscheiderbrief 5/2019, vom 31.05.2019, S. 7; borderline-europe, Stellungnahme zur derzeitigen Situation von Geflüchteten in Italien mit besonderem Blick auf die Unterbringung, v. 03.05.2019, S. 3 (im Folgenden: borderline-europe 05/2019); Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Italien, Stand: 26.02.2019, S. 25 (im Folgenden: Länderinformationsblatt 02/2019)).
Art. 4 GRC verlangt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dagegen, dass auch nach Abschluss des Asylverfahrens die als schutzberechtigt anerkannte Person zu keinem Zeitpunkt dem Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 88). Das Gemeinsame Europäische Asylsystem und der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhen nämlich auf der Zusicherung, dass die Anwendung dieses Systems in keinem Stadium und in keiner Weise zu einem ernsthaften Risiko von Verstößen gegen Art. 4 GRC führt (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 89). Dies ist in Italien für als schutzberechtigt anerkannte Familien mit minderjährigen Kindern allerdings bereits aufgrund der aktuellen zeitlichen Befristung ihrer Versorgung auf nur sechs Monate bzw. maximal eineinhalb Jahre nicht hinreichend sichergestellt. Es bedarf daher einer individuellen Zusicherung, die den Zeitraum abdeckt, in dem die besondere Schutzbedürftigkeit der Schutzberechtigten besteht bzw. diese zwingend auf staatliche Hilfe angewiesen sind (a.A. VG Cottbus, Urteil vom 14.11.2019 – 5 K 949/19.A –, juris Rn. 33). Dass insoweit für Familien mit Kindern etwas anderes bzw. diese Befristung nicht gelten würde, ist den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen (vgl. etwa Länderinformationsblatt 02/2019, S. 25; aida, Country Report Italy, Update 2018, Stand: 31.12.2018, S. 146 (im Folgenden: aida Italy 2018). Vielmehr scheint die zeitliche Begrenzung selbst auch für unbegleitete Minderjährige zu gelten, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde (aida Italy 2018, S. 109).
Eine individuelle Zusicherung ist auch hinsichtlich des Umstandes erforderlich, dass nach dem vom Verwaltungsgericht zitierten Urteil des Senats vom 6. April 2018 (– 10 LB 109/18 –, juris Rn. 44) anerkannte Schutzberechtigte, die einmal in einer SPRAR-Einrichtung aufgenommen waren und diese verlassen haben, in der Regel keinen Zugang mehr zu diesem Aufnahmesystem haben (vgl. auch österreichisches BVwG, Entscheidung vom 17.01.2019 – W185 2201999-1 –, S. 10). Insoweit müssen auch erhebliche zeitliche Verzögerungen, die zu einer vorübergehenden Unterbringung von Familien mit minderjährigen Kindern in nicht kind- und familiengerechten Unterkünften oder gar zu ihrer vorübergehenden Obdachlosigkeit führen würden, ausgeschlossen sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 –, juris Rn. 23, 25; vgl. auch VG Minden, Urteil vom 20.09.2019 – 10 K 10479/17.A –, juris Rn. 51, und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.07.2019 – A 4 S 749/19 –, juris Rn. 40, 118). Jedenfalls bei sogenannten Dublin-Rückkehrern, auch von Familien mit Kindern, die einmal ihre Unterkunft in Italien verlassen hatten, konnte es dagegen in der Vergangenheit bei ihrer Rückkehr zu Problemen und zeitlichen Verzögerungen bei ihrer erneuten Unterbringung kommen (vgl. SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 08.05.2019, S. 13; Länderinformationsblatt 2/2019, S. 22 f.). Dass sich diese Situation in der nachfolgenden Zeit verbessert hätte oder als schutzberechtigt anerkannte Familien mit minderjährigen Kindern nicht betreffen würde, ist den dem Senat vorliegenden aktuellen Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen.
Insoweit ist auch nicht ersichtlich, dass sich Familien mit minderjährigen Kindern - anders als arbeitsfähige alleinstehende Personen bzw. Paare ohne Kinder (vgl. dazu die Rechtsprechung des Senats mit Urteil vom 06.04.2018 – 10 LB 109/18 –, juris, und Beschluss vom 21.12.2018 – 10 LB 201/18 –, juris, die durch die vorliegende Entscheidung zu Familien mit minderjährigen Kindern nicht aufgegeben wird; sowie VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.07.2019 – A 4 S 749/19 –, juris Rn. 36 f., 41 ff., 117 ff.) - selbst oder auch mit Hilfe kommunaler und karitativer Einrichtungen sowie Nichtregierungsorganisationen (vgl. dazu Senatsurteil vom 06.04.2018 – 10 LB 109/18 –, juris Rn. 39 f., 44) aus dieser Situation von (drohender) Obdachlosigkeit befreien könnten und sich damit nicht unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befänden (so auch VG des Saarlandes, Urteil vom 07.10.2019 – 3 K 2156/18 –, S. 8 f.; a.A. VG Cottbus, Urteil vom 14.11.2019 – 5 K 949/19.A –, Rn. 34 f.). Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass der durch Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK vermittelte Schutz bei Kindern - unabhängig davon, ob sie von ihren Eltern begleitet werden - noch wichtiger ist, weil sie besondere Bedürfnisse haben und extrem verwundbar sind (EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) –, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 119). Diese bestehen aufgrund ihres Alters und ihrer Abhängigkeit, aber auch ihres Status als Schutzsuchende (EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) –, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 99). Kinder sind grundsätzlich verletzlicher und ihre Bewältigungsmechanismen sind noch unentwickelter (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Sie neigen zudem mehr dazu, feindselige Situationen als verstörend zu empfinden, Drohungen Glauben zu schenken und von ungewohnten Umständen emotional beeinträchtigt zu werden (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Sie reagieren auch stärker auf Handlungen, die gegen nahe Verwandte gerichtet sind (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Was für einen Erwachsenen unbequem ist, kann für ein Kind eine ungebührende Härte darstellen (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 25; vgl. auch noch UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 98). Die Aufnahmebedingungen für minderjährige Schutzsuchende müssen deshalb an ihr Alter angepasst sein, um sicherzustellen, dass keine Situation von Anspannung und Angst mit besonders traumatisierenden Wirkungen für die Psyche der Kinder entsteht. Anderenfalls wird die Schwere erreicht, die erforderlich ist, um unter das Verbot in Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC zu fallen (EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) –, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 119). Bei Minderjährigen wiegt ihre besonders verwundbare Lage schwerer als die Tatsache, dass sie Ausländer mit unrechtmäßigem Aufenthalt sind (EGMR, Urt. v. 04.11.2014 – 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) –, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 99). Soweit der Verlust des Unterkunftsplatzes in einer SPRAR- bzw. nunmehr SIPROIMI-Einrichtung etwa auf dem ungenehmigten Verlassen der Einrichtung beruht, vermag dies bei Minderjährigen aufgrund ihrer besonders verwundbaren Lage eine solche Sanktionierung nicht zu rechtfertigen, insbesondere wenn dies zur Folge haben würde, dass sie dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wären (vgl. auch EuGH, Urteil vom 12.11.2019 – C-233/18 –, juris Rn. 46 f., 56 zu Art. 20 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2013/33/EU). Diese Wahrscheinlichkeit ist hier gegeben. Denn die Möglichkeit der Erlangung privaten Wohnraums in Form einer Sozialwohnung knüpft bereits zum Teil an einen Mindestaufenthalt in Italien bzw. der jeweiligen Region an, so etwa in Friaul-Julisch von fünf Jahren (aida Italy 2018, S. 146). Wird ferner berücksichtigt, dass sowohl Ärzte ohne Grenzen als auch der UNHCR sowie die Internationale Organisation für Migration und weitere Nichtregierungs- bzw. humanitäre Organisationen im Jahr 2018 von tausenden Schutzsuchenden und Schutzberechtigten ohne Unterbringungsplatz ausgingen (Länderinformationsblatt 02/2019, S. 18, 25), ist eine der besonderen Schutzbedürftigkeit von Familien mit Kindern Rechnung tragende hinreichende Versorgung mit Wohnraum nicht gewährleistet, auch wenn insgesamt mehr als 155.000 Schutzsuchende und Schutzberechtigte in staatlichen Einrichtungen untergebracht waren und in den damaligen SPRAR-Einrichtungen ca. 35.000 Plätze zur Verfügung standen (Länderinformationsblatt 02/2019, S. 20 f.).
Eine individuelle Zusicherung der Gewährleistung der Rechte von Familien mit minderjährigen Kindern aus Art. 4 GRC ist auch nicht aufgrund der Rundschreiben der italienischen Behörden („circular letters“) entbehrlich (so auch VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 03.06.2019 – 34 K 1487.17 A –, juris Rn. 32 ff.; VG Lüneburg, Beschluss vom 03.04.2019 – 8 B 65/19 –, juris Rn. 52; a.A. Bayerischer VGH, Beschluss vom 09.09.2019 – 10 ZB 19.50024 –, juris Rn. 6). Mit an die Dublin Einheiten gerichtetem Rundschreiben des italienischen Innenministeriums vom 8. Juni 2015 (abrufbar unter https://www.asylumlawdatabase.eu/en/content/circular-letter-italian-ministry-interior-all-dublin-units) wurde im Hinblick auf die damalige aktuelle europäische Rechtsprechung zu den Garantien für zu überstellende Familien mit minderjährigen Kindern und die Einhaltung der Dublin-Verordnung Nr. 604/2013 eine Liste von SPRAR-Einrichtungen mit 161 Plätzen übersandt, welche diese Schutzsuchenden aufnehmen könnten. In dem Schreiben wird weiter ausgeführt, weshalb die Einrichtungen die an eine Aufnahme von Familien zu stellenden Anforderungen erfüllten. Das italienische Innenministerium geht in dem Schreiben davon aus, dass durch dieses die von den Mitgliedsstaaten von Italien für Familien mit minderjährigen Kinder geforderten Garantien erklärt worden seien. Ein nachfolgendes Schreiben des italienischen Innenministeriums vom 15. Februar 2016 weist 85, ein weiteres vom 12. Oktober 2016 noch 58 für Familien vorgesehene Plätze in SPRAR-Einrichtungen aus (beide abrufbar unter https://www.asylumlawdatabase.eu/en/content/circular-letter-italian-ministry-interior-all-dublin-units). Mit Schreiben vom 4. Juli 2018 an die Dublin Einheiten teilte das italienische Innenministerium 79 Plätze mit, die für Familien zur Verfügung stünden, die nach Italien unter Geltung der Dublin III-Verordnung rücküberstellt würden (Danish Refugee Council, Mutual trust is still not enough, The situation of persons with special reception needs transferred to Italy unter der Dublin III Regulation, vom 12.12.2018, S. 4 Fn. 4; österreichisches BVwG, Entscheidung vom 17.01.2019 – W185 2201999-1 –, S. 2). In dem undatierten Rundschreiben 1.2019 (vgl. Antwort des Bundesamtes für Migration und Flüchtlingen an das Verwaltungsgericht Magdeburg, dort eingegangen am 05.02.2019), das die Beklagte als circular letter vom 8. Januar 2019 bezeichnet und als solchen in diesem Verfahren auf Anforderung des Senats vorgelegt hat, teilt die italienische Dublin-Einheit mit, dass im Anschluss an das italienische Rundschreiben vom 8. Juni 2015 zur Unterbringung von Familien, die gemäß der Dublin-Verordnung zurückgeführt werden, weitere Informationen in Übereinstimmung mit dem neuen italienischen Gesetz Nr. 132/2018, das 2018 in Kraft getreten sei, übermittelt würden. Weiter heißt es dort: „Im Hinblick auf die Aufnahme von Asylbewerbern (einschließlich Personen, die dem Dublin-Verfahren unterliegen) und Flüchtlingen werden mit der neuen Verordnung die Bestimmungen hinsichtlich des SPRAR-Systems, das in System für den Schutz von Personen mit internationalem Schutzstatus und unbegleiteten ausländischen Minderjährigen (SIPROIMI) umbenannt wurde, dahingehend geändert, dass die Aufnahme in den Einrichtungen ausschließlich folgenden Personen vorbehalten wird: 1. Personen, die internationalen Schutz genießen (subsidiärer Schutz und Flüchtlingsstatus), 2. unbegleiteten ausländischen Minderjährigen, 3. Inhaber “neuer“ Aufenthaltstitel humanitärer Art. Folglich werden alle Dublin-Rückkehrer, die dem Dublin-Verfahren unterliegen, in anderen Zentren untergebracht, die im Gesetzesdekret Nr. 142/2015 genannt sind. Unter Berücksichtigung der Bemühungen der italienischen Regierung, die Migrantenströme deutlich zu verringern, sind diese Zentren für die Unterbringung aller möglichen Begünstigen geeignet, so dass der Schutz der Grundrechte, insbesondere die Einheit der Familie und der Schutz von Minderjährigen, sichergestellt sind.“
Die Rundschreiben aus den Jahren 2015, 2016 und 2018 beziehen sich bereits nach ihrem Wortlaut allein auf Familien mit Kindern, die unter die Regelungen der Dublin III-Verordnung fallen, damit auf solche, die - anders als im vorliegenden Fall - in Italien (noch) nicht als schutzberechtigt anerkannt worden sind. Dies gilt auch für das (wohl) letzte Rundschreiben „Circular letter n. 01.2019“, auf das sich auch die Beklagte zur Begründung ihres Zulassungsantrags beruft und in dem pauschal erklärt wird, dass der Schutz der Grundrechte der Antragsteller, die dem Dublin-Verfahren unterliegen und daher in anderen als den SIPROIMI-Einrichtungen untergebracht würden, in den Einrichtungen sichergestellt sei, ebenso wie die Einheit der Familie und der Schutz von Minderjährigen dort gewahrt würden. Diese neuerliche und ohnehin sehr allgemein gehaltene Erklärung bezieht sich somit ebenfalls nicht speziell auf in Italien als schutzberechtigt anerkannte Personen mit minderjährigen Kinder, wie die Klägerin, und verleiht ihnen nicht den oben bezeichneten erforderlichen Schutz. Denn anerkannte Schutzberechtigte werden in diesem Schreiben nur insoweit allgemein erwähnt, als die Aufnahme in den SIPROIMI-Einrichtungen diesem Personenkreis (neben unbegleiteten Minderjährigen und Inhabern neuer Aufenthaltstitel) vorbehalten sein soll. Vor allem folgt aus diesen Rundbriefen nicht, dass Familien mit minderjährigen Kindern - entgegen den Darstellungen in den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln - zur Verhinderung einer Verletzung von Art. 4 GRC auch über einen Zeitraum von sechs bzw. 18 Monaten hinaus untergebracht würden und auch dann dort (erneut) unterkommen würden, wenn sie zuvor die Einrichtung bzw. Italien ohne Genehmigung der zuständigen italienischen Behörden verlassen haben.
Überdies - und ohne dass es hierauf vorliegend im Fall von als schutzberechtigt anerkannten Familien mit minderjährigen Kindern ankommen würde - erscheint diese pauschale Versicherung der Gewährleistung der Grundrechte (auch von Familien mit minderjährigen Kindern) sowie der Wahrung der Familieneinheit und der Schutz von Minderjährigen für alle Unterbringungsplätze in den italienischen CDA-, CARA- und CAS-Einrichtungen (vgl. SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 08.05.2019, S. 6) in dem Rundschreiben 01.2019 nicht schlüssig und nicht überzeugend (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 –, juris Rn. 23). Schutzsuchende, die nicht unter die Gruppe der unbegleiteten Minderjährigen und der anerkannten Schutzberechtigten fallen, sollen nach der Umgestaltung des italienischen Unterbringungssystems in großen, staatlich verwalteten Auffangzentren untergebracht werden (https://www.sueddeutsche.de/politik/italien-hart-aber-fraglich-1.4144303; https://www.welt.de/politik/ausland/article181649304/Neues-Sicherheitsdekret-Italien-verschaerft-sein-Asylrecht.html; vgl. auch Senatsbeschluss vom 21.12.2018 – 10 LB 201/18 –, juris Rn. 40). Zur Schaffung dieser Zentren sollen die CAS und CARA-Einrichtungen durch Erstaufnahmeeinrichtungen ersetzt werden, in denen auch die Dublin-Rückkehrer untergebracht werden sollen (Länderinformationsblatt 02/2019, S. 6). Dabei sollen Vulnerabilität und Familieneinheit berücksichtigt und Kernleistungen nicht gekürzt oder gestrichen und besondere Plätze für Familien oder Alleinreisende mit Kindern vorgesehen werden (Länderinformationsblatt 02/2019, S. 7). Soweit bereits vor der mit dem Erlass des „Salvini-Dekrets“ verbundenen Änderung des Unterbringungssystems der weit überwiegende Teil der Schutzsuchenden in den Erstaufnahme- und Notfalleinrichtungen (wie den CAS) untergebracht war und deren Aufnahmebedingungen für alleinstehende arbeitsfähige Personen grundsätzlich keine Rechtsverletzung nach Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC begründeten (vgl. Senatsurteil vom 04.04.2018 – 10 LB 96/17 –, juris; zur grundlegenden Versorgung mit Nahrung, Kleidung und Medizin vgl. SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 08.05.2019, S. 20 f.), erschließt sich dem Senat allerdings nicht, weshalb in diesen Einrichtungen nunmehr auch die an die Unterbringung von Minderjährigen bzw. Familien mit Minderjährigen zu stellenden erhöhten Anforderungen gewährleistet sein sollten (so auch VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 03.06.2019 – 34 K 1487.17 A –, juris Rn. 35). Die italienische Regierung hatte im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte selbst noch erklärt, dass Familien mit Kindern als besonders verwundbar angesehen und deshalb normalerweise gerade in SPRAR-Einrichtungen untergebracht würden (EGMR, Urteil vom 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 121). Dass sich die Verhältnisse in den CDA-, CARA- und CAS-Einrichtungen zwischenzeitlich bereits in einer solchen Weise verbessert hätten, dass dort generell auch eine Unterbringung von Familien mit minderjährigen Kindern entsprechend ihrer erhöhten Bedürfnisse in einer ihrer Rechte aus Art. 4 GRC wahrenden Weise möglich wäre, ist nicht ersichtlich, zumal konkrete positive Veränderungen in diesen Einrichtungen nicht bekannt sind (so auch VG Lüneburg, Beschluss vom 03.04.2019 – 8 B 65/19 –, juris Rn. 51). Angesichts dessen, dass in dem Rundschreiben vom 4. Juli 2018 an die Dublin Einheiten das italienische Innenministerium lediglich 79 Plätze in SPRAR-Einrichtungen mitgeteilt hatte, die die Rechte von Familien mit minderjährigen Kindern aus Art. 4 GRC gewährleisten würden, erscheint es nicht nachvollziehbar, dass zwischenzeitlich in allen Einrichtungen des Erstaufnahmesystems (mit mehr als 100.000 Plätzen) eine entsprechende Verbesserung der Unterbringungsbedingungen eingetreten ist, die eine drohende Verletzung von Art. 4 GRC bei Familien mit Kindern ausschließen würde. Auch die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel geben hierfür nichts her, sondern gehen angesichts der Kostensenkung und Personalreduzierung vielmehr von einer Verschlechterung der bisherigen Bedingungen aus (vgl. etwa SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 08.05.2019, S. 6, 8 ff.; borderline-europe 05/2019, S. 5 ff.; VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 03.06.2019 – 34 K 1487.17 A –, juris Rn. 31). Selbst in Fällen, in denen die italienischen Behörden - vor dem „Salvini-Dekret“ - individuelle Garantien bezüglich der Aufnahmebedingungen von Familien entsprechend der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. November 2014 (Tarakhel/Schweiz) abgegeben hatten, wurden die überstellten Asylsuchenden nicht immer entsprechend den erklärten Garantien aufgenommen (SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 08.05.2019, S. 13).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).