Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.12.2019, Az.: 13 ME 353/19
Anzeigepflicht; Freiheitsbeschränkung; Meldeauflage; Verhältnismäßigkeit, Grundsatz der
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 23.12.2019
- Aktenzeichen
- 13 ME 353/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69913
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 09.10.2019 - AZ: 6 B 72/19
Rechtsgrundlagen
- § 46 Abs 1 AufenthG
- § 61 Abs 1e AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchführung der Ausreisepflicht mit Wirkung vom 21. August 2019 eingefügte Neuregelung des § 61 Abs. 1e AufenthG schränkt die Möglichkeit der Anordnung einer auf § 46 Abs. 1 AufenthG gestützten schlichten Anzeigepflicht bei nächtlicher Abwesenheit nicht ein.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 9. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 9. Oktober 2019 bleibt ohne Erfolg.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. August 2019 abgelehnt. Die im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine andere Entscheidung. Die mit dem Bescheid des Antragsgegners vom 30. August 2019 angeordnete und für sofort vollziehbar erklärte aufenthaltsrechtliche Anzeigepflicht ist nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung offensichtlich rechtmäßig.
Die dem Antragsteller auferlegte Pflicht, der Ausländerbehörde seinen beabsichtigten Aufenthaltsort schriftlich, mündlich oder fernmündlich anzuzeigen, wenn er sich von Montag bis Freitag zwischen 00.00 und 06.00 Uhr außerhalb seiner Wohnung aufhalten wolle, findet ihre Grundlage in § 46 Abs. 1 AufenthG.
Nach § 46 Abs. 1 AufenthG kann die Ausländerbehörde gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, seinen Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen. Es kommen alle Maßnahmen in Betracht, die geeignet sind, die freiwillige oder erzwungene (vgl. Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 46 AufenthG Rn. 6; GK-AufenthG, § 46 Rn. 9 (Stand: April 2006); Hailbronner, AuslR, § 46 AufenthG Rn. 2 (Stand: Oktober 2010)) Ausreise des Ausländers - also auch eine Überstellung nach der Dublin-III-Verordnung - zu fördern. Hierzu zählt die Auferlegung von Handlungspflichten, z.B. die regelmäßige Vorsprache bei den zuständigen Behörden oder das Gebot zum Ansparen von finanziellen Mitteln für die Heimreise. Über die Verfügung zur Wohnsitznahme wird die Erreichbarkeit des Ausländers und die Einwirkungsmöglichkeit der Ausländerbehörde sichergestellt (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 88 zu § 46). Eine entsprechende Anordnung muss einen sinnvollen Bezug zu diesem zulässigen Verfahrenszweck aufweisen und darf nicht in Schikane mit strafähnlichem Charakter ausarten, auf eine unzulässige Beugung des Willens hinauslaufen oder den Betreffenden im Einzelfall unverhältnismäßig treffen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 11.3.2013 - 2 M 168/12 -, juris Rn.6). In diesem Zusammenhang und unter diesen Voraussetzungen kann auch die Verpflichtung ausgesprochen werden, sich in eine bestimmte Unterkunft zu begeben (vgl. GK-AufenthG, a. a. O. Rn. 13; Hailbronner, a.a.O. Rn. 3; a. A. Hofmann, AuslR, § 46 Rn.7), denn die in § 46 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich genannte Wohnsitzauflage stellt keine abschließende Regelung dar, sondern bildet lediglich ein Beispiel ("insbesondere").
Die vom Antragsgegner verfügte Anzeigepflicht geht nicht über diese nach § 46 Abs. 1 AufenthG zulässigen Maßnahmen hinaus. Sie belastet den Antragsteller nicht mit der Verpflichtung, sich zu bestimmten Zeiten an einem bestimmten Ort aufzuhalten (vgl. zu einer solchen Fallkonstellation: Senatsbeschl. v. 22.1.2018 - 13 ME 442/17 -, juris Rn. 6), sondern gibt ihm lediglich auf, vorher anzuzeigen, wenn er sich zu bestimmten (nächtlichen) Zeiten nicht in seiner Wohnung aufhalten will. Damit weist sie keinen freiheitsbeschränkenden Charakter auf, der von § 46 Abs. 1 AufenthG nicht gedeckt wäre. Zur Anordnung derartiger, über die ohnehin bestehende gesetzliche Anzeigepflicht des § 50 Abs. 4 AufenthG hinausgehender Verpflichtungen ist die Ausländerbehörde unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch § 46 Abs. 1 AufenthG befugt (vgl. Senatsbeschl. v. 23.1.2018 - 13 PA 405/17 -, V.n.b. Umdruck S. 3 ff.) Dass die gesetzliche Anzeigepflicht des § 50 Abs. 4 AufenthG zur Sicherung der kurzfristigen Erreichbarkeit des Antragstellers für eine Rücküberstellung nach Spanien im Hinblick auf den verbleibenden knappen Zeitraum nicht ausreicht, nachdem bereits ein erster Versuch am 2. Oktober 2019 an der fehlenden Anwesenheit des Antragstellers gescheitert ist, liegt hier auf der Hand.
Im vorliegenden Fall ist auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht erkennbar. Insbesondere ist kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Sicherung der beabsichtigten Rücküberstellung des Antragstellers ersichtlich. Da die mit Bescheid vom 30. August 2019 ausgesprochene (verschärfte) Anzeigepflicht zum Zeitpunkt des vergeblichen Überstellungsversuchs vom 2. Oktober 2019 bereits galt, hätte der Antragsgegner sogar die Beantragung von Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3a Nr. 3 AufenthG erwägen können. Die enge werktägliche Überwachung des Antragstellers durch die Anzeigepflicht führt auch nicht zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Sie betrifft allein die werktäglichen Nachtzeiten, bei denen jedenfalls regelmäßig angenommen werden kann, dass diese in der eigenen Wohnung verbracht werden. Zudem dient sie ausschließlich der Durchsetzung einer Rücküberstellung, die trotz zwischenzeitlicher Verlängerung der Überstellungsfrist nur noch während eines überschaubaren Zeitraums rechtlich möglich ist. Die Unannehmlichkeiten, die den Antragsteller bei einer spontanen Änderung seiner nächtlichen Aufenthaltspläne treffen können, sind ihm vor dem Hintergrund seiner vollziehbaren Ausreisepflicht ohne Weiteres zuzumuten.
Aus dem Beschluss des Senats vom 16. August 2017 - 13 ME 173/17 - (juris) zu § 56 Abs. 1 AufenthG ergibt sich nichts Anderes. Bei der Beurteilung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit aufenthaltsrechtlicher Meldepflichten ist zu berücksichtigen, dass § 56 Abs. 1 AufenthG nicht die Erfüllung der Ausreisepflicht des Ausländers gewährleisten will, sondern die Überwachung ausreisepflichtiger Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit und damit primär die Gefahrenabwehr im Inland bezweckt (Senatsbeschl. v. 16.8.2017, a. a. O., Rn. 7). Demgegenüber sollen auf § 46 Abs. 1 AufenthG gestützte Maßnahmen ausdrücklich die (freiwillige oder erzwungene) Ausreise eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers fördern. Diese unterschiedlichen Zielstellungen erfordern auch eine unterschiedliche Betrachtung der getroffenen Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Erwägungen zu § 56 Abs. 1 AufenthG sind folglich auf § 46 Abs. 1 AufenthG nicht ohne Weiteres übertragbar.
Die mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchführung der Ausreisefrist vom 15. August 2019 (BGBl. I, S.1294) mit Wirkung vom 21. August 2019 eingefügte Neuregelung in § 61 Abs. 1e AufenthG rechtfertigt ebenfalls keine andere Betrachtungsweise. Dies gilt unabhängig davon, dass der Antragsteller nicht im Besitz einer Duldung ist, zu der Auflagen nach § 61 Abs. 1e AufenthG erlassen werden könnten. Nach dieser Bestimmung können Auflagen zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht angeordnet werden, wenn konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung unmittelbar bevorstehen. Insbesondere kann ein Ausländer verpflichtet werden, sich einmal wöchentlich oder in einem längeren Zeitintervall bei der für den Aufenthaltsort des Ausländers zuständigen Ausländerbehörde zu melden. Eine derartige Meldeauflage ist einschneidender als die im vorliegenden Fall ausgesprochene Anzeigepflicht im Falle der nächtlichen Abwesenheit des Antragstellers. Während die Meldeauflage regelmäßig eine persönliche Vorsprache bei der zuständigen Ausländerbehörde erfordert, kann der Antragsteller im vorliegenden Fall jeden geeigneten Übermittlungsweg nutzen, um der Ausländerbehörde seinen von der zugewiesenen Unterkunft abweichenden nächtlichen Aufenthaltsort mitzuteilen. Lediglich für den Fall der ausdrücklich benannten einschneidenderen Meldeauflage kann § 61 Abs. 1e AufenthG als gegenüber § 46 Abs. 1 AufenthG speziellere und ein Meldeintervall von höchstens einer Woche gestaltende Vorschrift angesehen werden. Auch aus der Begründung des Gesetzesentwurfs (vgl. BT-Drs. 19/10047, S. 40) geht nicht hervor, dass aufgrund anderer Vorschriften bisher bereits bestehende Überwachungsmöglichkeiten oder Maßnahmen zur Förderung der Ausreise durch die Schaffung des § 61 Abs. 1e AufenthG eingeschränkt werden sollen.
Da der Antragsgegner nach der an der fehlenden Anwesenheit des Antragstellers gescheiterten Überstellung und nach der Verlängerung der Überstellungsfrist erneut aufenthaltsbeendende Maßnahmen mit dem Ziel der Überstellung des Antragstellers nach Spanien eingeleitet hat, wären zudem auch die engeren Voraussetzungen für den Erlass einer Auflage nach § 61 Abs. 1e AufenthG erfüllt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11) .
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).