Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.12.2019, Az.: 2 ME 634/19

Akteneinsicht; Besetzungsrüge; Kontrollorgan; Notarprüfung; Verfahrensfehler; Verwaltungsrat

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.12.2019
Aktenzeichen
2 ME 634/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69921
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 24.07.2019 - AZ: 6 B 4826/18

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine fehlerhafte Besetzung des Verwaltungsrats (§ 7 g Abs. 5 BNotO) hat keine rechtliche Relevanz für die Rechtmäßigkeit des Prüfungsverfahrens der notariellen Fachprüfung, da der Verwaltungsrat als reines Kontrollorgan nicht unmittelbar am Prüfungsverfahren beteiligt ist und etwaige Wahl-, Ernennungs- und Besetzungsfehler die Wirksamkeit seiner Verwaltungsentscheidungen unberührt lassen.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 6. Kammer - vom 24. Juli 2019 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses die Verpflichtung des Antragsgegners abgelehnt hat, der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung Akteneinsicht zum Verfahren der Benennung der Verwaltungsratsmitglieder des Prüfungsamts für die notarielle Fachprüfung bei der Bundesnotarkammer zu gewähren bzw. Auskünfte hierzu zu erteilen, hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht begründet worden. Nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Mangelt es an diesem Erfordernis, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen (§ 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO). Ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses ist der angefochtene Beschluss dem Prozessbevollmächtigen der Antragstellerin am 26. Juli 2019 zugestellt worden. Das elektronische Empfangsbekenntnis erbringt ebenso wie ein auf dem Postweg zurückgesandtes Empfangsbekenntnis Beweis sowohl für die Entgegennahme des in ihm bezeichneten Schriftstücks als auch für den Zeitpunkt des Empfangs (vgl. OVG des Saarlandes, Beschl. v. 27.9.2019 - 1 D 155/19 -, juris Rn. 8). Ausgehend hiervon wäre die erst am 27. August 2019, einen Dienstag, eingegangene Beschwerdebegründung verspätet. Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat aber dargelegt, dass er erstmals am 30. Juli 2019 Gelegenheit hatte, von dem angefochtenen Beschluss, der in sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) gesandt wurde, Kenntnis zu erlangen und deshalb das Datum auf dem Empfangsbekenntnis richtigerweise auf den 30. Juli 2019 hätte datiert werden müssen. Dieses Vorbringen hat er durch den Ausdruck des beA-Nachrichtenjournals belegt. Das beA-Nachrichtenjournal weist aus, dass die Nachricht, welche den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts enthielt, von dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin erstmals am 30. Juli 2019 geöffnet worden ist. Eine vorherige Kenntnisnahme scheidet vor diesem Hintergrund aus; der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat die Beweiswirkung des auf dem elektronischen Empfangsbekenntnis ausgewiesenen Zustellungsdatums entkräftet (vgl. hierzu OVG des Saarlandes, Beschl. v. 27.9.2019 - 1 D 155/19 -, juris Rn. 9).

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Erlass der einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr der geltend gemachte Anordnungsanspruch zusteht.

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, ein Akteneinsichtsanspruch der Antragstellerin bestehe nicht, weil die Versagung der begehrten Informationen die Antragstellerin nicht an der Erhebung einer sachlich vertretbaren Rüge im Prüfungsanfechtungsverfahren hindere. Die Antragstellerin könne die Rechtswidrigkeit des vor dem Kammergericht angefochtenen Bescheides über das Nichtbestehen der notariellen Fachprüfung ersichtlich nicht mit der (mutmaßlich) rechtswidrigen Benennung des Verwaltungsratsmitglieds des Landes Niedersachsen beim Prüfungsamt für die notarielle Fachprüfung (vgl. § 7g Abs. 5 S. 1 bis 3 BNotO) begründen. Während der Antragsgegner seinen ablehnenden Bescheid maßgeblich auf die Rechtsansicht gestützt hatte, ein (unterstellter) Fehler bei der Zusammensetzung des Verwaltungsrats ließe die Wirksamkeit seiner Amtshandlungen unberührt, d.h., ein solcher Fehler wirke sich nicht auf das Prüfungsverfahren der Antragstellerin aus, hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass § 7g Abs. 5 Satz 1 bis 3 BNotO keine individualschützende Bestimmung darstelle. Die Regelung vermittle der Antragstellerin kein subjektiv-öffentliches Recht, auf dessen Verletzung sie einen Anspruch im Verfahren der Prüfungsanfechtung stützen könnte, ein mittelbar daraus resultierendes, außenwirksames Verwaltungshandeln aufzuheben.

Ein Akteneinsichtsanspruch der Antragstellerin besteht nicht, weil einem Fehler in der Besetzung des Verwaltungsrats keine rechtliche Relevanz für das Prüfungsverfahren der Antragstellerin zukommt. Der Antragsgegner hat zutreffend auf den Grundsatz verwiesen, dass Wahl-, Ernennungs- und Besetzungsfehler die Wirksamkeit einer Verwaltungsentscheidung des fehlerhaft gebildeten Organs bzw. des fehlerhaft berufenen Amtsträgers unberührt lassen (vgl. hierzu VG Karlsruhe, Urt. v. 4.3.2013 - 7 K 3335/11 -, juris Rn. 38 ff., u. v. 20.2.2018 - 11 K 992/16 -, juris Rn. 32 ff., OVG NRW, Beschl. v. 18.6.2012 - 14 B 371/12 -, juris Rn. 22 ff., zur Ungültigkeit einer Senatorenwahl: Brem. StGH, Entsch. v. 28.2.1994 - St 2/93 -, juris Rn. 46 ff., zur Vollversammlung der IHK: OVG NRW, Beschl. v. 5.2.1999 - 4 A 1168/96 -, juris Rn. 28 f., VG Freiburg, Urt. v. 24.2.1996 - 10 K 1064/95 -, juris, für Richter: BVerwG, Beschl. v. 9.6.1987 - 9 CB 36/87 -, juris Rn. 3, u. v. 21.8.1986 - 6 CB 36/85 -, juris Rn. 5). Einer besonderen gesetzlichen Regelung, die das vorsieht, bedarf es hierfür nicht. Das zugrunde gelegt, hätte selbst eine fehlerhafte Besetzung des Verwaltungsrats nicht zur Folge, dass sämtliche Amtshandlungen, die er in dieser Besetzung vorgenommen hat, unwirksam bzw. rechtswidrig wären, mit der Konsequenz, dass sich dies - was zu prüfen bliebe - mittelbar auf die Rechtmäßigkeit der von der Antragstellerin vor dem Kammergericht angefochtenen Prüfungsentscheidung auswirken könnte.

Der ordnungsgemäßen Besetzung des Verwaltungsrats kommt auch nicht deshalb ausnahmsweise eine besondere Bedeutung zu, weil er Aufgaben im Zusammenhang mit der notariellen Fachprüfung bei der Bundesnotarkammer wahrnimmt. Es ist zwar anerkannt, dass ein Prüfungskandidat einen Anspruch auf ein ordnungsgemäßes Auswahl- und Besetzungsverfahren bezüglich derjenigen Amtsträger bzw. Organe hat, die ihm gegenüber wertende Prüfungsentscheidungen vornehmen und über einen eigenen prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraum verfügen (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 25.7.1994 - 3 L 585/92 -, juris Rn. 6). Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass ein Prüfling insoweit nur eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle erreichen kann. Eine solche Position nimmt der Verwaltungsrat aber nicht ein. Das zeigt die Stellung, die ihm im Zusammenhang mit der hier in Rede stehenden notariellen Fachprüfung zukommt. Die Durchführung der notariellen Fachprüfung obliegt nach § 7g Abs. 1 und 2 BNotO dem bei der Bundesnotarkammer errichteten „Prüfungsamt für die notarielle Fachprüfung bei der Bundesnotarkammer“. Das Prüfungsamt bestimmt u.a. die Prüfer und die Prüfungsausschüsse (§ 7g Abs. 1 und 6 BNotO). Bei dem Prüfungsamt wird außerdem eine Aufgabenkommission eingerichtet (§ 7g Abs. 4 BNotO). Sie bestimmt die Aufgaben für die schriftliche Prüfung, entscheidet über die zugelassenen Hilfsmittel und erarbeitet Vorschläge für die mündlichen Prüfungen. Die Mitglieder der Aufgabenkommission werden von dem Leiter des Prüfungsamtes im Einvernehmen mit dem Verwaltungsrat für die Dauer von fünf Jahren bestellt. Der Verwaltungsrat wird bei dem Prüfungsamt eingerichtet. Er übt die Fachaufsicht über den Leiter des Prüfungsamtes und die Aufgabenkommission aus. Der Verwaltungsrat besteht aus einem vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, einem von der Bundesnotarkammer und drei einvernehmlich von den Landesjustizverwaltungen, in deren Bereich Anwaltsnotare bestellt werden, benannten Mitgliedern (§ 7g Abs. 5 BNotO). Nach § 2 Abs. 1 NotFV kann der Verwaltungsrat der Leitung des Prüfungsamtes und den Mitgliedern der Aufgabenkommission im Einzelfall Weisungen erteilen. Die Mitglieder der Aufgabenkommission sind verpflichtet, dem Verwaltungsrat auf Anforderung Auskunft zu erteilen und Akteneinsicht zu gewähren (§ 3 Abs. 6 NotFV).

Der Verwaltungsrat nimmt danach nicht unmittelbar am Prüfungsverfahren der einzelnen Prüflinge teil; insbesondere beurteilt er nicht deren Leistungen und nimmt dementsprechend ihnen gegenüber keinen Beurteilungsspielraum in Anspruch. Er ist, anders als die Antragstellerin meint, nicht Prüfungsorgan, sondern Verwaltungs- bzw. Kontrollorgan, wie auch die Regelung des § 1 NotFV zeigt (vgl. hierzu auch Bay. VGH, Beschl. v. 18.5.2016 - 7 CE 15.2806 -, juris Rn. 21 ff. zu Entscheidungen eines Fakultätsrats). Die Entscheidungen, die der Verwaltungsrat im Rahmen seiner Aufgaben – auch der Fachaufsicht sowie bei der Erteilung des Einvernehmens zur Besetzung der Aufgabenkommission – trifft, sind verwaltungsrechtlicher und nicht prüfungsrechtlicher Natur; dementsprechend stellt § 7g Abs. 5 BNotO, anders als bei den Prüfern (Abs. 6) und bei der Aufgabenkommission (Abs. 4 S. 3), keine Anforderungen an die prüfungsrechtliche Qualifikation der Verwaltungsratsmitglieder. Nichts anderes folgt aus der Tatsache, dass der Verwaltungsrat im Einzelfall berechtigt sein mag (so jedenfalls Tescher, BeckOK BNotO, Stand 1.10.2019, § 7g Rn. 26), im Rahmen seiner Fachaufsicht die Weisung zu erteilen, eine von der Aufgabenkommission bestimmte Prüfungsaufgabe ganz oder teilweise nicht für Prüfungszwecke zu verwenden. Für die Annahme einer prüfungsrechtlichen Relevanz seiner Position oder Tätigkeit reicht eine solche Befugnis allein nicht aus, da er nicht in die Auswahl oder gar Erstellung der Prüfungsaufgaben eingebunden ist, sondern ihm lediglich die Kompetenz zukommt, aus übergeordneten Gesichtspunkten Aufgaben von den Prüfungen auszuschließen. Diese Entscheidung ist dem eigentlichen prüfungsrechtlichen Verfahren vorgelagert. Für den einzelnen Prüfling hat eine fehlende Kontrolldichte bezogen auf ein derartiges Verwaltungshandeln – insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Chancengleichheit – keine Relevanz; vor allem steht es dem Prüfling frei, eine etwaige sachliche Nichteignung der Klausuraufgaben im Prüfungsverfahren zu rügen, und zwar unabhängig davon, auf welcher Grundlage sie ihren Weg in das Prüfungsverfahren gefunden haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG, wobei der Senat – vgl. Ziffer 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung 2013 (NordÖR 2014, 11) – wie schon das Verwaltungsgericht den vollen Auffangwert festgesetzt hat.