Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.12.2019, Az.: 1 MN 146/19

Baugenehmigung; Bebauungsplan; Hängebeschluss; Normenkontrolleilverfahren; Normenkontrollverfahren

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.12.2019
Aktenzeichen
1 MN 146/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69869
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Erlass eines sog. "Hängebeschlusses" im Normenkontrolleilverfahren gegen einen Bebauungsplan kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der Eintritt der planbedingten Nachteile durch Eilanträge gegen auf seiner Grundlage erteilte Baugenehmigungen voraussichtlich wird verhindert werden können.

Tenor:

Der Antrag der Antragstellerin, der Antragsgegnerin aufzugeben, von der Erteilung etwaiger baurechtlicher Genehmigungsbescheide, Teilgenehmigungsbescheide, Vorbescheide o.ä., soweit sie sich bauplanungsrechtlich auf den Bebauungsplan I. (Alter J.) beziehen, bis zur Entscheidung des erkennenden Senats in dieser Angelegenheit Abstand zu nehmen, wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag, mit dem die Antragstellerin die Erteilung von Baugenehmigungen für aus ihrer Sicht immissionsempfindliche Nutzungen in der Nachbarschaft ihres Gewerbebetriebes vor Entscheidung über den von ihr gestellten Normenkontrolleilantrag im Wege eines „Hängebeschlusses“ verhindern möchte, hat keinen Erfolg.

Die Rechtsfigur des sog. „Schiebe-“ oder „Hängebeschlusses“, d.h. einer Zwischenverfügung des Gerichts zu einem Zeitpunkt, zu dem selbst die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendige Interessenabwägung unter summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage noch nicht möglich ist, ist in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht vorgesehen und wird unmittelbar aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) abgeleitet. Diese rechtliche Verankerung setzt ihrer Anwendung namentlich im Normenkontrolleilverfahren enge Grenzen. Denn bereits die Eröffnung des Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO ist zur Erfüllung der Rechtsweggarantie nicht geboten, da über bestehende sonstige Klagemöglichkeiten jedes subjektive Recht durchgesetzt werden kann (BVerwG, Beschl. v. 30.8.2013 – 9 BN 2.13 –, NVwZ-RR 2013, 1014 = juris Rn. 7 m.w.N.). Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb Art. 19 Abs. 4 GG in Fällen, in denen der Gesetzgeber mehrere parallele Rechtsschutzmöglichkeiten (hier: abstrakte Normenkontrolle einerseits, inzidente Normenkontrolle über Rechtsbehelfe gegen Vollzugsakte andererseits) gegen einen Akt öffentlicher Gewalt vorsieht, erfordern sollte, dass jede dieser Möglichkeiten für sich genommen geeignet sein müsste, vollendete Tatsachen zu verhindern.

Dem kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, es sei ihr unzumutbar, statt des Plans eine Vielzahl von Vollzugsakten mit Rechtsbehelfen anzugreifen. Diese Erwägung mag in allgemeiner Form hinter der Entscheidung des Gesetzgebers zur Schaffung der abstrakten Normenkontrolle und des Normenkontrolleilrechtsschutzes gestanden haben. In Fallkonstellationen wie der vorliegenden, in der im Plangebiet lediglich vier die Antragstellerin möglicherweise beeinträchtigende Vorhaben – wenn auch in mehreren anzufechtenden Realisierungsschritten – verwirklicht werden sollen, greift sie aber nicht.

Unter diesen Voraussetzungen ist fraglich, unter welchen Voraussetzungen und auf welcher Rechtsgrundlage den Oberverwaltungsgerichten die Möglichkeit, eine einfachgesetzlich nicht vorgesehene Entscheidung zu treffen, überhaupt eröffnet sein kann. Denkbar ist dies allenfalls dann, wenn auch im Rahmen der Inzidentkontrolle durch Angriff der jeweiligen Vollzugsakte keine Aussicht mehr auf Rechtsschutz im Hauptsache- oder „regulären“ Eilverfahren bestünde, dem Rechtssuchenden mithin nur entweder durch einen „Hängebeschluss“ im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO oder einen „Hängebeschluss“ im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geholfen werden könnte. So liegt der Fall hier aber nicht. Die von der Antragstellerin als durch den Bebauungsplan verletzt gerügten Rechte betreffen Wirkungen, die erst nach Vollendung oder gar Innutzungnahme der durch den Plan ermöglichten Gebäude eintreten können. Weshalb es nicht möglich sein sollte, rechtzeitig vor Eintritt dieser Wirkungen einstweiligen Rechtsschutz gegen die angekündigten Baugenehmigungen mit der Folge eines Baustopps, jedenfalls aber einer Nutzungsuntersagung zu erreichen, ist nicht ersichtlich; denn eine Fertigstellung der Gebäude „K.“ und „L.“ 1 bis 3 ist noch nicht konkret absehbar. Auf die Frage, ob im Falle eines Abschlusses der Bauarbeiten eine Rückbauverpflichtung durchsetzbar wäre, kommt es mithin nicht an. Soweit die Antragstellerin sich in ihrem Schriftsatz vom 25. November 2019 auf mögliche Schäden durch eine etwa im Zuge der Gründungsarbeiten erforderliche Grundwasserabsenkung beruft, wären diese nicht planbedingt. Der Bebauungsplan – und im Übrigen auch eine Baugenehmigung – bildet keine Rechtsgrundlage für eine nachbarschädigende Bauausführung; gegen eine solche kann und muss die Antragstellerin zivilrechtlich vorgehen.

Auf die Fragen, ob der Erlass des begehrten „Hängebeschlusses“ zusätzlich daran scheitern müsste, dass die Antragstellerin seit Inkrafttreten des Bebauungsplans über ein halbes Jahr und mehrere Vollzugsakte hat verstreichen lassen, bevor sie einen Normenkontrolleilantrag gestellt hat, und ob die vom Senat geforderte hohe Obsiegenswahrscheinlichkeit besteht, kommt es deshalb nicht an.

Eine gesonderte Kostenpflicht für die Bescheidung eines Antrags zum Erlass eines Schiebebeschlusses sieht das Gerichtskostengesetz nicht vor.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).