Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.12.2021, Az.: 10 LB 257/20
Arbeitsmöglichkeiten; Bulgarien; Corona-Pandemie; Drittstaatenbescheid; Mindestbedürfnisse; Obdachlosigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.12.2021
- Aktenzeichen
- 10 LB 257/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 71083
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 21.11.2019 - AZ: 2 A 3026/19
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 5 AufenthG
- 60 Abs 7 S 1 AufenthG
- Art 3 MRK
- Art 4 EUGrdRCh
- Art 42 Abs 5 LaR
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Anerkannt schutzberechtigten Personen, die gesund und arbeitsfähig sind, droht im Falle einer Rückführung nach Bulgarien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRC.
2. Diese droht jedoch Alleinerziehenden oder Familien mit minderjährigen Kindern sowie nicht arbeitsfähigen anerkannt Schutzberechtigten grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
3. Es ist auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Corona-Pandemie davon auszugehen, dass es gesunden arbeitsfähigen anerkannt Schutzberechtigten gelingen wird, ihren eigenen notwendigen Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer Unterkunft in Bulgarien selbst zu erwirtschaften.
4. Eine Art. 4 GRC widersprechende Praxis des bulgarischen Staates bei der Überprüfung des in Bulgarien gewährten Schutzstatus ist nicht festzustellen.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 2. Kammer - vom 21. November 2019 geändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in der Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Bulgarien.
Der 1997 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger, kurdischer Volks- und muslimischer Religionszugehörigkeit. Er reiste im September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte im Juni 2016 einen Asylantrag. Zuvor war ihm bereits in Bulgarien internationaler Schutz in Gestalt der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gewährt worden.
Mit Bescheid vom 1. März 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: das Bundesamt) den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise nach Bulgarien auf. Nachdem der Kläger hiergegen Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz ersucht hatte, ordnete das Verwaltungsgericht Hannover mit Beschluss vom 21. März 2017 (15 B 2217/17) die aufschiebende Wirkung seiner Klage an. Demzufolge wurde der angefochtene Bescheid gemäß § 37 Abs. 1 AsylG unwirksam und das Klageverfahren (15 A 2214/17) nach beiderseitigen Erledigungserklärungen eingestellt. Mit Bescheid vom 3. Juni 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers erneut als unzulässig ab (Ziffer 1 des Bescheides) und verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten (Ziffer 2 des Bescheides). Weiter setzte das Bundesamt dem Kläger eine Ausreisefrist von 30 Tagen, drohte seine Abschiebung nach Bulgarien an (Ziffer 3 des Bescheides) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4 des Bescheides).
Gegen diesen Bescheid, der dem Kläger am 12. Juni 2019 zugestellt wurde, hat dieser am 25. Juni 2019 Klage erhoben und diese unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. November 2016 sowie das Senatsurteil vom 29. Januar 2018 mit menschenrechtswidrigen Bedingungen für rückkehrende anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien begründet. Nachdem er zunächst die Anträge angekündigt hatte, den Bescheid der Beklagten vom 3. Juni aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihm den subsidiären Schutz zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, hilfsweise über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, hat der Kläger nach teilweiser Klagerücknahme sinngemäß noch beantragt,
die Ziffern 2 bis 4 des Bescheides der Beklagten vom 3. Juni 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 21. November 2019 hat das Verwaltungsgericht der Klage in dem Umfang, in dem diese noch aufrecht erhalten wurde, stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Bulgarien besteht. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass nach der neueren Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, der die Kammer folge, in Bulgarien aktuell grundlegende Defizite im Hinblick auf die Aufnahmebedingungen beständen, die die Annahme rechtfertigten, dass dem Kläger bei einer Abschiebung nach Bulgarien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK drohe. Demzufolge sei Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten.
Auf Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 4. Dezember 2020 (10 LA 264/19) die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.
Zur Begründung trägt die Beklagte vor, dass die Lebensbedingungen für Personen mit zuerkanntem Schutzstatus in Bulgarien aktuell ausreichend seien. Weder sei eine Verletzung der in Art. 26 ff. der Richtlinie 2011/95/EU vorgesehenen Gleichbehandlungsverbote erkennbar, noch herrschten in Bulgarien derart eklatante Missstände, welche die Annahme rechtfertigten, anerkannte Flüchtlinge würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK ausgesetzt. Eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung wäre nur dann gegeben, wenn die Rückführung den Kläger einer lebensbedrohlichen Situation aussetzen würde. Diese besondere Schwelle der Erheblichkeit, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge, sei auch dann nicht erreicht, wenn der Betreffende große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse im Zielland erfahre. Auch der Umstand der fehlenden familiären Solidarität zum Ausgleich von Mängeln des Sozialsystems sei keine ausreichende Grundlage für die Feststellung von extremer materieller Not im Sinne des Art. 3 EMRK. Bulgarien zähle zu den ärmsten Ländern der Europäischen Union. Die im Vergleich zu wohlhabenderen EU-Mitgliedstaaten schlechteren Versorgungsbedingungen für anerkannte Schutzberechtigte seien nicht Ausdruck behördlicher Gleichgültigkeit, behördlichen Versagens oder gar mutwilliger Verweigerung von Unterstützungsleistungen, sondern der wirtschaftlichen Situation Bulgariens geschuldet. Zwar seien die Lebensbedingungen in Bulgarien für Personen mit internationalem Schutzstatus schwierig, es herrschten jedoch nicht derart eklatante Missstände, die allein den Schluss zuließen, anerkannte Schutzberechtigte seien generell einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt. Die Wohnsituation für international Schutzberechtigte sei inzwischen nicht mehr bedenklich. Der Wohnungsmarkt werde durch die relativ geringe Zahl der in Bulgarien tatsächlich verbleibenden Schutzberechtigten nicht überfordert und führe keineswegs zu einer relevanten Verknappung geeigneten und finanzierbaren Wohnraums. Außerhalb der Flüchtlingsunterkünfte würden Nichtregierungsorganisationen bei der Wohnungssuche helfen. Eine medizinische Notfallversorgung sei sichergestellt, der Zugang zur Krankenversicherung sei wie bei bulgarischen Staatsangehörigen durch Beitragszahlungen möglich. Schutzberechtigte seien mit wenigen Ausnahmen bulgarischen Staatsangehörigen gleichgestellt und hätten nach dem Gesetz vollständigen Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt. Es bestehe von Seiten der bulgarischen Wirtschaft vor allem im ländlichen Raum durchaus Interesse, Schutzberechtigte einzustellen. Schutzberechtigte könnten zudem beitragsunabhängige Sozialleistungen erhalten. Die Verhältnisse in Bulgarien hätten sich auch durch die Corona-Pandemie nicht in einer Weise verschlechtert, die dazu führen würde, dass eine andere Beurteilung angezeigt sei.
Die Beklagte beantragt,
das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, dass es insbesondere unter Berücksichtigung der bereits eingetretenen und zu erwartenden gesundheitlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der sogenannten Corona-Krise beachtlich wahrscheinlich sei, dass auch ihm als gesundem arbeitsfähigen Menschen im Falle einer Rückkehr nach Bulgarien eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung drohe. Es sei nicht davon auszugehen, dass er seinen existenziellen Lebensunterhalt in absehbarer Zeit sichern können werde, Zugang zum Arbeitsmarkt und daran anknüpfend staatliche Unterstützungsleistungen und Obdach finden werde. Durch die Corona-Krise und deren Folgen hätten viele Bulgaren und auch Flüchtlinge ihre Arbeitsstellen verloren. Zahlreiche anerkannte Schutzberechtigte könnten wegen des Arbeitsplatzverlustes und des mangelnden Zugangs zu Sozialhilfe ihre Wohnungsmieten nicht mehr zahlen und seien akut von Obdachlosigkeit bedroht. Die Annahme, dass anerkannt Schutzberechtigte gerade in der stark gebeutelten Gastronomiebranche aussichtsreise Chancen auf eine Beschäftigung hätten, müsse vor diesem Hintergrund als überholt angesehen werden. Im Übrigen sei zu beachten, dass der bulgarische Ausweis des Klägers ausgelaufen und nicht mehr gültig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung der Ziffern 2 bis 5 (mit Ausnahme von Ziffer 3 Satz 4) des Bescheides des Bundesamtes vom 3. Juni 2019 verpflichtet, für den Kläger hinsichtlich Bulgarien ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Der angefochtene Bescheid verletzt den Kläger auch bezüglich der in den genannten Ziffern getroffenen weiteren Regelungen nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insbesondere ist die Feststellung, dass im Fall des Klägers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung rechtmäßig.
Denn es sind im Entscheidungszeitpunkt keine hinreichenden Gründe für die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des gesunden, arbeitsfähigen und alleinstehenden Klägers im Sinne von Art. 4 GRC bzw. dem übereinstimmenden Art. 3 EMRK bei einer Rücküberstellung nach Bulgarien feststellbar.
Art. 4 GRC verbietet ebenso wie der ihm entsprechende Art. 3 EMRK ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und hat mit seiner fundamentalen Bedeutung allgemeinen und absoluten Charakter (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 78). Daher ist hinsichtlich in einem Mitgliedsstaat schutzsuchender Personen für die Anwendung von Art. 4 GRC irrelevant, wann diese bei ihrer Rücküberstellung in den für ihr Asylverfahren zuständigen Mitgliedsstaat bzw. den Mitgliedsstaat, der ihnen bereits internationalen Schutz gewährt hat, einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wären, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren. Die Gewährleistung von Art. 4 GRC gilt auch nach dem Abschluss des Asylverfahrens, insbesondere auch im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 88 f.; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 07.10.2019 – 2 BvR 721/19 –, juris Rn. 19 f.). Hat ein Schutzsuchender oder eine als schutzberechtigt anerkannte Person hinreichend dargelegt, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihr nach einer Rücküberstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, ist das mit der Rechtssache befasste Gericht – wie auch zuvor die mit der Sache befassten Behörden – verpflichtet, die aktuelle Sachlage aufzuklären, und die deutschen Behörden haben gegebenenfalls Zusicherungen der Behörden des zuständigen Mitgliedsstaates einzuholen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 –, juris 15 f. und 18 f.). Das Gericht hat auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 90). Solche Schwachstellen erreichen allerdings erst dann die für die Annahme einer Verletzung von Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not gerät, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 91 f.). Dies ist im Allgemeinen insbesondere der Fall, wenn die rückzuüberstellende Person in dem zuständigen Mitgliedsstaat ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basis- bzw. Notbehandlung erhalten würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 – 1 C 45.18 –, juris Rn. 12). Die Mindestbedürfnisse werden auch schlagwortartig mit „Brot, Bett und Seife“ zusammengefasst. Bei Familien mit Kindern kann sich eine Gefährdung der durch Art. 4 GRC geschützten Rechte auch daraus ergeben, dass der bzw. die Betroffene(n) nicht zugleich die eigene Existenz und die seiner bzw. ihrer Familie sichern können (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 – 1 C 45.18 –, juris Rn. 25 bis 28; zu allem Vorstehenden vgl. bereits Senatsbeschluss vom 20.12.2019 – 10 LA 192/19 –, juris Rn. 21, und Senatsurteil vom 19.4.2021 - 10 LB 244/20 -, juris Rn. 24).
Ohne Bedeutung ist für sich genommen, ob anerkannte Schutzberechtigte auf familiäre Solidarität zurückgreifen können (vgl. EuGH, Urteil vom 19.3.2019 - C-163/17 -, juris Rn. 94), Integrationsprogramme mangelhaft sind (EuGH, a.a.O., juris Rn. 96), Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Anerkennungsrichtlinie) vorliegen (EuGH, a.a.O., juris Rn. 92) oder keine existenzsichernden staatlichen Leistungen gewährt werden, soweit dies für Inländer gleichermaßen gilt (EuGH, a.a.O., juris Rn. 93), sofern die genannten Mindestbedürfnisse in dem Mitgliedstaat weiterhin tatsächlich gedeckt werden können
Von diesen Maßstäben ausgehend, wird die erforderliche hohe Erheblichkeitsschwelle für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC nach Auswertung der aktuellen Erkenntnismittel bei einem nicht vulnerablen, gesunden und arbeitsfähigen anerkannten Schutzberechtigten wie dem Kläger im Fall einer Rückkehr nach Bulgarien nicht erreicht (so auch: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.10.2020 - 7 A 1889/18 -, juris Rn. 28, 61; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.9.2020 - OVG 3 B 33.19 -, juris Rn. 37 und Beschluss vom 4.1.2021 – OVG 3 N 42/20 –, juris Rn. 10; Sächsisches OVG, Urteil vom 15.6.2020 - 5 A 382/18 -, juris Rn. 43; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.4.2020 - A 4 S 721/20 -, juris Rn. 14; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25.7.2019 - 4 LB 12/17-, juris Rn. 68; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.12.2019 - 11 A 228/15.A -, juris Rn. 51; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 18.6.2021 - 10 K 1228/20.A -, juris Rn. 19; VG Aachen, Beschluss vom 14.6.2021 - 8 L 307/21.A - juris Rn. 27; VG Bremen, Urteil vom 4.6.2021 - 2 K 262/19 -, juris Rn. 277; VG Aachen, Urteil vom 15.4.2021 - 8 K 2760/18.A - juris Rn. 44; VG Stuttgart, Urteil vom 25.2.2021 - A 4 K 213/20 -, juris Rn. 30; VG Braunschweig, Beschluss vom 16.2.2021 - 1 B 295/21 -, juris; VG Bayreuth, Urteil vom 10.2.2021 - B 7 K 20.31318 -, juris Rn. 36; VG Kassel, Beschluss vom 11.1.2021 - 2 L 2363/20.KS.A -, juris). Der Senat hält insoweit nicht mehr an seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 2018 (vgl. Senatsurteile vom 29.1.2018 - 10 LB 82/17 - und vom 31.1.2018 - 10 LB 87/17 -, jeweils veröffentlicht bei juris) fest, die auf Grundlage der damaligen Rechts- und Erkenntnislage ergangen ist. Die Behandlung von nicht vulnerablen international Schutzberechtigten in Bulgarien entspricht derzeit den europarechtlichen Anforderungen, entscheidungserhebliche Mängel im Rechtssystem oder der Vollzugspraxis sind aktuell nicht ersichtlich.
Nach den dem Senat im Entscheidungszeitpunkt zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln droht nicht vulnerablen anerkannten Schutzberechtigten bei einer Rückkehr nach Bulgarien nicht die Obdachlosigkeit, weil keine konkreten Erkenntnisse über Obdachlosigkeit in nennenswertem Umfang vorliegen und arbeitsfähige anerkannte Schutzberechtigte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Lage sind, eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt anzumieten.
Anerkannt Schutzberechtigte müssen sich im Falle ihrer Rückkehr grundsätzlich selbständig um eine Unterkunft bemühen, denn für diese Personengruppe besteht in aller Regel kein Anspruch (mehr) auf Aufnahme in einer Flüchtlingsunterkunft, da anerkannt Schutzberechtigte üblicherweise nur sechs Monate nach ihrer Anerkennung in diesen verbleiben dürfen (vgl. Asylum Information Database - aida - Country Report: Bulgarien, 2020 Update, S. 87, abrufbar unter: https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/02/AIDA-BG_2020update.pdf). Für anerkannt Schutzberechtigte besteht ebenso wenig wie für bulgarische Staatsangehörige ein Anspruch auf eine Sozialwohnung oder staatliche Leistungen zur Wohnraumbeschaffung. Auf die wenigen existierenden Sozialwohnungen dürfen sich anerkannte Flüchtlinge ebenso wie bulgarische Staatsangehörige bewerben. Daneben stehen landesweit zwölf „Zentren für temporäre Unterbringung“ mit einer Gesamtkapazität von 607 Plätzen zur Verfügung und das Bulgarische Rote Kreuz betreibt so genannte „Winterunterkünfte“ (Gesamtkapazität: 170 Plätze), in denen auch Rückkehrerinnen und Rückkehrer für bis zu drei Monate aufgenommen werden können (BAMF, Länderinformation Bulgarien, Mai 2018, S. 9). Darüber hinaus ist für anerkannte Schutzberechtigte ebenso wie für bulgarische Bedürftige die Unterbringung in staatlichen Obdachlosenheimen grundsätzlich möglich. Praktisch scheitert eine solche Unterbringung jedoch häufig an der eingeschränkten Verfügbarkeit des entsprechenden Wohnraums sowie an der fehlenden Registrierung, für die u.a. die Vorlage eines gültigen, von bulgarischen Behörden ausgestellten Identitätsdokuments erforderlich ist, für dessen Ausstellung die Betroffenen wiederum eine Meldeanschrift benötigen (Auskunft des AA an das VG Potsdam vom 11.3.2021). Auch für den Abschluss eines Mietvertrages auf dem freien Wohnungsmarkt ist der Besitz von gültigen Ausweisdokumenten Voraussetzung, die wiederum nicht ohne eine Meldeadresse zu erhalten sind (aida - Country Report: Bulgarien, 2020 Update, S. 87; BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Bulgarien, Situation von subsidiär Schutzberechtigten, 19.7.2021, S. 2, 3; vgl. zu diesem „Teufelskreis“ in Bezug auf die Erlangung eines Arbeitsplatzes bereits Senatsurteil vom 29.1.2018 - 10 LB 82/17 -, juris Rn. 46). Darüber hinaus scheitert die private Anmietung von Wohnraum nach Einschätzung des UNHCR teilweise auch an der Zurückhaltung bulgarischer Vermieter, insbesondere an muslimische anerkannte Schutzberechtigte zu vermieten (vgl. Auskunft des AA an das VG Potsdam vom 11.3.2021). Die Möglichkeit, gemäß Art. 32 Abs. 3 des bulgarischen Asyl- und Flüchtlingsgesetzes finanzielle Unterstützung für die Anmietung privaten Wohnraums zumindest für einen Zeitraum von sechs Monaten nach der Bestandskraft der Zuerkennung nationalen Schutzes zu erhalten, bestand nur bis zu der Gesetzänderung Mitte Oktober 2020. Mit Änderungsgesetz vom 16. Oktober 2020 wurde die genannte Vorschrift aufgehoben. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. März 2021 an das Verwaltungsgericht Potsdam ist Hintergrund dieser Gesetzesänderung, dass Leistungen für anerkannte Schutzberechtigte nur noch in der am 25. Juli 2017 in Kraft getretenen Verordnung Nr. 144 über Bedingungen und das Verfahren zum Abschluss, zur Umsetzung und Aufhebung der Vereinbarungen zur Integration von Ausländern, denen Asyl oder internationaler Schutz gewährt worden ist (so genannte Integrationsverordnung), geregelt werden. In dieser Verordnung ist der Abschluss einer individuellen Integrationsvereinbarung zwischen den anerkannten Schutzberechtigten und dem Bürgermeister einer Gemeinde vorgesehen, die mit einer Laufzeit von einem Jahr und einer Verlängerungsoption für ein weiteres Jahr geschlossen wird. Bestandteil dieser Integrationsvereinbarung ist unter anderem die Unterstützung bei der Unterbringung und der Beantragung von bulgarischen Ausweispapieren. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Rückkehrer wie der Kläger von dieser Möglichkeit profitieren können, da der Abschluss einer solchen Integrationsvereinbarung während des Verfahrens über die Gewährung des Schutzstatus oder bis zu 14 Tage nach Zustellung des Bescheides über die Gewährung des Schutzstatus erfolgen soll (Auskunft des AA an das VG Potsdam vom 11.3.2021).
Dennoch gibt es nach derzeitigem Kenntnisstand weiterhin keine Hinweise darauf, dass in nennenswertem Umfang bei anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien - anders als beispielsweise in Griechenland (vgl. Senatsurteil vom 19.4.2021 - 10 LB 244/20 -, juris Rn. 48) - Obdachlosigkeit herrscht (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Hamburg vom 7.4.2021, so bereits auch Auskunft an das BAMF vom 25.3.2019). Diese Tatsache wird darauf zurückgeführt, dass zum einen anerkannt Schutzberechtigte bei der Wohnungssuche - teilweise auch finanzielle - Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen wie das Bulgarische Rote Kreuz und die Caritas erhalten (vgl. Auskünfte des AA an das OVG Hamburg vom 7.4.2021 und an das VG Potsdam vom 11.3.2021; BMI, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Stand: Mai 2020, vom 12.6.2020; BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Bulgarien, Situation von subsidiär Schutzberechtigten, 19.7.2021, S. 3, 6) und zum anderen nur ein kleiner Bruchteil der Personen, die in Bulgarien internationalen Schutz erhalten haben, tatsächlich in Bulgarien verblieben ist und die staatlichen Unterbringungsmöglichkeiten nicht vollständig ausgelastet sind (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 25.3.2019). Zu der Zahl der in Bulgarien verbliebenden Schutzberechtigten gibt es keine belastbaren Statistiken, aber die Caritas geht von etwa 1.000 bis 2.000 Personen mit internationalem Schutzstatus aus, die sich noch in Bulgarien aufhalten (Bordermonitoring, „Get out! Zur Situation von Geflüchteten in Bulgarien“, Stand: Juni 2020, S. 69). Bei arbeitsfähigen anerkannten Schutzberechtigten ist ferner zu berücksichtigen, dass diese mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Lage sind, eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt anzumieten. Denn zum einen können sie über die für die Anmietung einer Wohnung notwendigen finanziellen Mittel verfügen. Zum anderen haben sich auch „Korruptionspraktiken“ mit fiktiven Mietkontakten und Wohnsitzen zur Erlangung der für die Anmietung einer Wohnung notwendigen Ausweispapiere etabliert (aida - Country Report: Bulgarien, 2020 Update, S. 80 und 87). Der Senat hat keine Erkenntnisse darüber, dass diese Praxis von den bulgarischen Behörden verfolgt und mit Sanktionen belegt wird.
Maßgeblich für die - dauerhafte - Erlangung einer menschenwürdigen Unterkunft, die auch Nichtregierungsorganisationen nicht gewährleisten können (vgl. BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Bulgarien, Situation von subsidiär Schutzberechtigten, 19.7.2021, S. 4), ist demnach die individuelle Fähigkeit des jeweiligen anerkannt Schutzberechtigten, seine Lebenshaltungskosten selbst zu bestreiten. Dementsprechend ist für nicht arbeitsfähige bzw. kranke Schutzberechtigte und Familien mit Kindern eine andere Bewertung geboten.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der durch Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK vermittelte Schutz bei Kindern - unabhängig davon, ob sie von ihren Eltern begleitet werden - noch wichtiger ist, weil sie besondere Bedürfnisse haben und extrem verwundbar sind (EGMR, Urteil vom 4.11.2014 – 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) –, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 119; Senatsbeschluss vom 19.12.2019 – 10 LA 64/19 –, juris Rn. 25). Diese bestehen aufgrund ihres Alters und ihrer Abhängigkeit, aber auch ihres Status als Schutzsuchende (EGMR, Urteil vom 4.11.2014 – 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) –, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 99). Kinder sind grundsätzlich verletzlicher und ihre Bewältigungsmechanismen sind noch unentwickelter (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Sie neigen zudem mehr dazu, feindselige Situationen als verstörend zu empfinden, Drohungen Glauben zu schenken und von ungewohnten Umständen emotional beeinträchtigt zu werden (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Sie reagieren auch stärker auf Handlungen, die gegen nahe Verwandte gerichtet sind (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Was für einen Erwachsenen unbequem ist, kann für ein Kind eine ungebührende Härte darstellen (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 25; vgl. auch noch UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.4.2016, S. 98). Die Aufnahmebedingungen für minderjährige Schutzsuchende müssen deshalb an ihr Alter angepasst sein, um sicherzustellen, dass keine Situation von Anspannung und Angst mit besonders traumatisierenden Wirkungen für die Psyche der Kinder entsteht. Anderenfalls wird die Schwere erreicht, die erforderlich ist, um unter das Verbot in Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC zu fallen (EGMR, Urteil vom 4.11.2014 – 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) –, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 119). Bei Minderjährigen wiegt ihre besonders verwundbare Lage schwerer als die Tatsache, dass sie Ausländer mit unrechtmäßigem Aufenthalt sind (EGMR, Urt. v. 4.11.2014 – 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) –, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 99).
Nach der Erkenntnislage ist – wie Im Folgenden noch ausgeführt wird – zwar davon auszugehen, dass alleinstehende, gesunde und arbeitsfähige anerkannt Schutzberechtigte bei einer Rückkehr nach Bulgarien in der Lage sein werden, durch eigene Erwerbstätigkeit ein Einkommen zu erwirtschaften, das zur Deckung ihrer eigenen Lebenshaltungskosten einschließlich der Kosten einer Unterkunft ausreicht, dies reicht jedoch angesichts der in Bulgarien herrschenden Lebensbedingungen nicht, wenn die Rückführung im Familienverbund erfolgt und weitere Familienmitglieder versorgt werden müssen (so auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4.1.2021 - OVG 3 N 42/20 -, juris Rn. 10 und Urteil vom 22.9.2020 - OVG 3 B 33.19 -, juris Rn. 42 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.12.2020 - 11 A 1602/17.A -, juris Rn. 28 ff.; VG Lüneburg, Gerichtsbescheid vom 31.8.2021 - 5 A 212/21 - n.v.; VG Aachen, Urteil vom 15.4.2021 - 8 K 2760/18.A - juris Rn. 335). Demzufolge sind Familien mit Kindern am ehesten von Obdachlosigkeit und Armut bedroht (vgl. AA, Auskunft an das OVG Hamburg vom 7.4.2021), denn auch bedarfssichernde Sozialleistungen des bulgarischen Staates existieren nach der Erkenntnislage nicht bzw. sind nicht mit der erforderlichen Sicherheit erreichbar (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.12.2019 - OVG 3 B 8.17 -, juris Rn. 54 ff. m.w.N.). Auch ein nichtstaatliches Auffangsystem, das eine konstante und flächendeckende Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung durchgehend gewährleistet, besteht nicht (AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 11.3.2021).
Anerkannt Schutzberechtigte haben zwar theoretisch Anspruch auf dieselben Sozialleistungen wie bulgarische Staatsbürger (aida - Country Report: Bulgarien, 2020 Update, S. 88; AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 11.3.2021). Die Höhe der Sozialleistungen orientiert sich an dem staatlicherseits festgelegten Existenzminimum und beträgt zurzeit etwa 75 Bulgarische Lew (ca. 37,50 EUR) pro Person/Monat. Der genannte Betrag umfasst keine Kosten für Wohnraum (einschließlich Nebenkosten). Die tatsächliche Höhe der möglichen Sozialleistungen hängt zudem von den persönlichen Umständen des Betroffenen, wie dem Familienstand oder gesundheitlichen Einschränkungen ab. Die Dauer der Gewährung der Sozialleistungen ist bei dauerhaftem Vorliegen der Gewährungsvoraussetzungen (Einkommen unterhalb des Existenzminimums) zeitlich nicht begrenzt. Auch wenn keine konkreten Zahlen bekannt sind, so ist jedoch davon auszugehen, dass auf Grund der hohen bürokratischen Hürden und fehlenden diesbezüglichen Hilfestellungen nur sehr wenige bulgarische Staatsangehörige und noch weniger anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien Sozialleistungen beziehen (aida - Country Report: Bulgarien, 2020 Update, S. 88; Auskunft des AA an das VG Potsdam vom 11.3.2021; AA, Auskunft an das VG Trier vom 26.4.2018: lediglich in 20 Fällen wurde Sozialhilfe an Flüchtlinge ausgezahlt). Insbesondere scheitert die Durchsetzung eines Sozialhilfeanspruchs von anerkannt Schutzberechtigten häufig an dem fehlenden Nachweis einer offiziellen Meldeadresse, da Einrichtungen der temporären Unterbringung nicht als offizielle Anschriften anerkannt werden (aida - Country Report: Bulgarien, 2020 Update, S. 88; AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 11.3.2021).
Der Senat geht auf Grund der Erkenntnislage aber davon aus, dass es dem Kläger, der zur Gruppe der uneingeschränkt arbeitsfähigen, nicht vulnerablen, anerkannt Schutzberechtigten zählt, nach einer gewissen Übergangszeit und ggf. kurzzeitigen Unterbringung in einer Notunterkunft gelingen wird, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit auf einem Mindestniveau sicherzustellen, das eine existenzielle Notlage ausschließen wird.
Anerkannt Schutzberechtigte haben das Recht auf einen automatischen und bedingungslosen Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt, sie sind diesbezüglich rechtlich den Inländern gleichgestellt. Die Arbeitssuche wird anerkannt Schutzberechtigten zwar durch die üblichen Probleme wie fehlende Kenntnisse der bulgarischen Sprache und die nur teilweise Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen erschwert (aida - Country Report: Bulgarien, 2020 Update, S. 88). Nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. März 2021 an das Verwaltungsgericht Potsdam wird jedoch die Vermittlung von Kontakten zwischen anerkannten Schutzberechtigten und Arbeitgebern durch die in Bulgarien präsenten Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Nach dieser Auskunft und einer weiteren Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Hamburg vom 7. April 2021 stellt der UNHCR ein großes Interesse des Privatsektors an der Beschäftigung von Asylsuchenden und Flüchtlingen fest. Im Jahr 2019 konnten der UNHCR und seine Partner Kontakt mit ca. 60 Unternehmen aus den Bereichen verarbeitende Industrie, Bau, Gastgewerbe, Informationstechnologie und Telekommunikation herstellen, die Interesse an einer Beschäftigung von Flüchtlingen bekundeten. Gemeinsam mit der staatlichen Arbeits- und Flüchtlingsagentur und den Nichtregierungsorganisationen organisierte der UNHCR 2019 zweimal Jobbörsen für diese Zielgruppe. Nach Angaben des UNHCR unterzeichneten 2019 178 Schutzberechtigte einen neuen Arbeitsvertrag. Insgesamt hat die nationale Einnahmeagentur, die Arbeitsverträge von international Schutzberechtigten registriert, im Jahr 2019 305 Arbeitsverträge von international Schutzberechtigten verzeichnet, 2018 waren es 278 Arbeitsverträge, 2017 wurden 315 anerkannt Schutzberechtigte durch ihren Arbeitgeber versichert. Die Mehrheit der arbeitenden anerkannten Schutzberechtigten ist dabei bei Arbeitgebern gleicher Herkunft beschäftigt, die sich in Bulgarien ein Geschäft aufgebaut haben. Nach Auskunft des UNHCR gingen jedoch einige Arbeitgeber auch gezielt auf die staatliche Flüchtlingsagentur und Nichtregierungsorganisationen zu, um anerkannte Flüchtlinge einzustellen. Andere Flüchtlinge finden einen Arbeitsplatz mithilfe der Nichtregierungsorganisationen, Online-Arbeitsvermittlungen und Mund-zu-Mund-Propaganda. Einige Flüchtlinge sind informell ohne Arbeitsvertrag im Graubereich der Wirtschaft beschäftigt (AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 11.3.2021).
Die optimistischen Prognosen in der obergerichtlichen Rechtsprechung hinsichtlich der zunehmenden Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Bulgarien auch für anerkannt Schutzberechtigte u.a. im Hinblick auf die gestiegene Nachfrage nach Arbeitskräften (vgl. beispielsweise OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.12.2019 - 11 A 228/15.A -, juris Rn. 74; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.10.2019 - A 4 S 2476/19 -, juris Rn. 16; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17.3.2020 - 7 A 10903/18 -, juris Rn 62 ff.), lassen sich zwar nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie, die auch die bulgarische Wirtschaft gravierend beeinflusst hat, nicht vollständig aufrechterhalten (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.12.2020 - 11 A 1602/17.A -, juris Rn. 31, das die Frage, ob an der Einschätzung, dass alleinstehende nicht vulnerable rückkehrende anerkannt Schutzberechtigte auf eine Erwerbstätigkeit verwiesen werden können, angesichts der Auswirkungen der Corona-Pandemie festgehalten werden könne, ausdrücklich offen lässt). Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich der Arbeitsmarkt in Bulgarien durch die Corona-Pandemie nicht in einer Weise verschlechtert hat, die es international Schutzberechtigten nunmehr unmöglich machen würde, in zumutbarer Zeit Arbeit zu finden, um ihren Lebensunterhalt auf dem vom Europäischen Gerichtshof benannten Niveau selbstständig zu bestreiten (so auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.10.2020 - 7 A 10889/18 -, juris Rn. 66; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2020 - OVG 3 B 33.19 -, juris Rn. 34; OVG Sachsen, Urteil vom 15.6.2020 - 5 A 383/18 -, juris Rn. 45). Diese Einschätzung lässt sich wiederum nicht auf besonders vulnerable anerkannte Schutzberechtigte wie Familien mit kleinen Kindern oder Alleinerziehende übertragen, denn diese haben nach Auskunft des Auswärtigen Amtes größere Schwierigkeiten, sich ein existenzsicherndes Einkommen in Bulgarien durch eigene Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften, da es unter anderen an Betreuungsmöglichkeiten für noch nicht schulpflichtige Kinder fehlt (AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 11.3.2021).
Zwar war Bulgarien - wie zahlreiche andere europäische Staaten - mehrfach von der Corona-Pandemie stark betroffen (s. Europäische Kommission, European Economic Forecast, Winter 2021 (interim), Februar 2021, S. 36) und ist im Entscheidungszeitpunkt erneut als Hochrisikogebiet eingestuft (s. https://auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bulgarien-node/bulgariensicherheit/211834#content_0 abgerufen am 1.12.2021), doch haben die pandemiebedingten Einschränkungen nicht zu einem dauerhaften Einbrechen der bulgarischen Wirtschaft geführt. So wird für 2022 ein Wiederanstieg des Bruttoinlandsprodukts auf den Wert vor Ausbruch der Pandemie prognostiziert (s. Europäische Kommission, European Economic Forecast, Winter 2021 (interim), Februar 2021, S. 36). Auch wenn es nach den Angaben bulgarischer Medien erhebliche Verzögerungen bei den geplanten staatlichen Investitionen gegeben hat, verläuft doch die Einnahmenerhebung im Land nach Plan (s. „Staat tätigt nur 5% der geplanten Investitionen“, Radio Bulgarien, http://bnr.bg/de/post/101554476/staat-tatigt-nur-5-der-geplanten-investitionen, veröffentlicht am 10.11.2021, abgerufen am 1.12.2021). Zudem hat die Europäische Kommission angekündigt, die Bereitstellung von 15,35 Millionen Euro zur Unterstützung bulgarischer Tourismusunternehmen zu genehmigen. Diese Maßnahme wird auf der Grundlage der Regelungen über befristete EU-Beihilfen getroffen, die seit Beginn der Corona-Pandemie gelockert wurden. Diese Fördermittel sollen unentgeltlich an Unternehmen vergeben werden, die im Jahr 2020 einen Umsatzrückgang von mindestens 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr gemeldet haben (s. „Brüssel billigt Finanzhilfe für bulgarischen Tourismus“, Radio Bulgarien, http://bnr.bg/de/post/101553500/brussel-billigt-finanzhilfe-fur-bulgarischen-tourimus, veröffentlicht am 8.11.2021, abgerufen am 1.12.2021). Im Übrigen ist im Entscheidungszeitpunkt auch eine leichte Verbesserung der Pandemie-Situation festzustellen, die Infektionsrate ist gesunken (s. „Corona: Infektionsrate auf 5,26% gesunken“, Radio Bulgarien, http://bnr.bg/de/post/101560948/corona-infektionsrate-auf-526-gesunken, veröffentlicht am 22.11.2021, abgerufen am 1.12.2021) und die Skisaison in Bansko wurde eröffnet (s. „Bansko eröffnet die Ski-Saison“, Radio Bulgarien, http://bnr.bg/de/post/101560106/bansko-eröffnet-die-ski-saison, veröffentlicht am 20.11.2021, abgerufen am 1.12.2021), so dass auch mit einer Zunahme des Tourismus einschließlich der damit einhergehenden wirtschaftlichen Folgen zum Ende des Jahres zu rechnen ist, zumal die Einreise nach Bulgarien aus den meisten EU-Mitgliedstaaten mit Vorlage eines negativen PCR-Tests sowie einem negativen Antigentest, einem Impfzertifikat oder dem Nachweis einer überstandenen COVID-Infektion ohne zusätzliche Quarantäneverpflichtungen möglich ist (s. https://auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bulgarien-node/bulgariensicherheit/211834#content_0 abgerufen am 1.12.2021). Auch wenn im Entscheidungszeitpunkt noch der epidemiologische Ausnahmezustand in Bulgarien gilt (aktuell befristet bis zum 31.3.2022), sind öffentliche Gebäude, Geschäfte, Apotheken, Restaurants, Bars, Diskotheken und Klubs nicht generell geschlossen, sondern die Öffnungszeiten und Zutrittsbedingungen werden in Abhängigkeit des aktuellen Infektionsgeschehens kurzfristig angepasst (s. https://auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bulgarien-node/bulgariensicherheit/211834#content_0 abgerufen am 1.12.2021). Beschäftigungsmöglichkeiten - auch - für anerkannt Schutzberechtigte gibt es daher nach wie vor auch in diesen Bereichen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass es weiterhin Beschäftigungsmöglichkeiten für anerkannt Schutzberechtigte auch außerhalb des Dienstleistungssektors und der Gastronomiebranche in nahezu vergleichbarem Umfang wie vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie beispielsweise bei Nichtregierungsorganisationen, auf Märkten, in der Landwirtschaft, in größeren Unternehmen sowie in Callcentern für die arabische Sprache und in der herstellenden Industrie gibt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.9.2020 - OVG 3 B 33.19 -, juris Rn. 38 m.w.N.). Denn insgesamt stellt sich der bulgarische Arbeitsmarkt bislang trotz der pandemiebedingten Einschränkungen als offenbar verhältnismäßig stabil dar, denn die Arbeitslosenquote in Bulgarien lag im Pandemie-Jahr 2020 bei 5,2 % und damit erheblich unter dem europäischen Durchschnitt (7,1%) und leicht unter dem Wert von 2018 (5,3%) (s. eurostat Data Browser, Arbeitslosenquote, http://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/tps00203/default/table?lang=de, aktualisiert am 14.11.2021, abgerufen am 1.12.2021; so auch VG Bremen, Urteil vom 4.6.2021 - 2 K 262/19 -, juris Rn. 287 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.9.2020 - OVG 3 B 33.19 -, juris Rn. 37).
Konkrete Erkenntnisse, wonach es nicht vulnerablen, gesunden und arbeitsfähigen anerkannten Schutzberechtigten unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Bulgarien nicht möglich wäre, ihren Lebensunterhalt perspektivisch selbst zu erwirtschaften, bestehen daher nicht. Auch sonst sind keine neueren Erkenntnismittel bekannt, aus denen sich ergibt, dass gesunde und arbeitsfähige anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu verelenden drohen.
Seit dem 1. Januar 2021 beträgt der monatliche Mindestlohn in Bulgarien 650 Bulgarische Lew (circa 332 EUR), während die Lebenshaltungskosten in Bulgarien die niedrigsten im europäischen Vergleich sind (siehe Schlüsseldaten über Europa, Ausgabe 2021, S. 35, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/eurostat/documents/3217494/13576303/KS-El-21-001-DE-N.pdf/9550ec62-f5f4-4a35-2947-9ba124fe3406 abgerufen am 1.12.2021; EURES, Lebens- und Arbeitsbedingungen Bulgarien, Stand 5/2021, abrufbar unter https://ec.europa.eu/eures/main.jsp?catld=8691&acro=living&lang=de&parentld=7803&countryld=BG&living= abgerufen am 1.12.2021) und nach den Angaben bulgarischer Gewerkschaften im Jahr 2019 im Landesschnitt 305 EUR betrugen, in der Landeshauptstadt Sofia 397 EUR (AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 16. Januar 2019, S. 3). Auch unter Berücksichtigung eines Preisanstiegs bei den Lebenshaltungskosten seit der genannten Auskunft dürfte damit bereits die Aufnahme einer geringqualifizierten Tätigkeit zur Deckung des Lebensbedarfs und zur Finanzierung einer Unterkunft außerhalb der Landeshauptstadt jedenfalls für Einzelpersonen ausreichen. Die genannten Zahlen zeigen jedoch auch deutlich, dass dies in Bezug auf anerkannt Schutzberechtigte, die weitere Familienmitglieder zu versorgen haben, nicht ohne weiteres angenommen werden kann (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.9.2020 - OVG 3 B 33.19 -, juris Rn. 42).
Für alle anerkannt Schutzberechtigten lässt sich nicht das ernsthafte Risiko feststellen, in Bulgarien keine ausreichende medizinische Versorgung erlangen zu können.
Eine medizinische Notfallversorgung ist für alle auf dem Gebiet Bulgariens befindlichen Personen beitragsfrei zugänglich (AA, Auskunft an das OVG Hamburg vom 7.4.2021). Die medizinische Notfallversorgung umfasst alle medizinischen Maßnahmen zur Heilung von akut lebensbedrohlichen Funktionsstörungen, die Aufrechterhaltung der lebenswichtigen Körperfunktionen sowie die Behandlung psychischer Erkrankungen, die eine Gefahr für den Erkrankten oder Dritte darstellen. Es ist kein Fall bekannt, in dem einem anerkannten Schutzberechtigten eine erforderliche Notfallversorgung verweigert worden ist und er deshalb körperliche Schäden erlitten hat (AA, Auskunft an das VG Trier vom 26.4.2018). Anerkannte Schutzberechtigte haben zudem - ebenso wie bulgarische Staatsangehörige - die Möglichkeit, Mitglied der gesetzlichen Krankenkasse zu werden. Die monatlichen Kosten für den günstigsten Versicherungstarif betragen 44,80 Bulgarische Lew/22,90 EUR (aida - Country Report: Bulgarien, 2020 Update, S. 88; BFA, a.a.O., S. 12; das Auswärtige Amt nennt einen Betrag in Höhe von 24,40 Lew/12,50 EUR, AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 11.3.2021), in regulären Arbeitsverhältnissen werden diese Kosten hälftig vom Arbeitgeber übernommen (AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 11.3.2021). Die medizinische Grund-Versorgung für anerkannt Schutzberechtigte ist von der Corona-Pandemie nicht betroffen und diese können weiterhin ordnungsgemäß medizinische Hilfe bekommen (BFA, a.a.O, S. 12 mit Verweis auf eine Auskunft der bulgarischen Staatsagentur für Flüchtlinge). Dennoch ist bei Hausärzten, Spezialisten und in Krankenhäusern regelmäßig mit offiziellen und inoffiziellen so genannten „out of pocket“-Zahlungen zu rechnen, die aus eigener Tasche zu zahlen sind. Bei einigen Medikamenten, die nur teilweise durch die nationale Krankenversicherung abgedeckt sind, wird weniger erstattet als die Gebühren für den Arztbesuch betragen, so dass es einige Patienten vorziehen, das Medikament zum vollen Preis zu kaufen, anstatt einen Arzt für die Verschreibung aufzusuchen. Auch kann es zu der Situation kommen, dass die Hausärzte, die monatliche Quoten für die Überweisungen von Patienten an Spezialisten zu beachten haben, die Quoten vor Ende des Monats erfüllt haben und die verbleibenden Patienten entweder warten müssen oder - ohne Überweisung -direkt den Spezialisten aufsuchen und die dortige Behandlung aus eigener Tasche bezahlen müssen. Dies führt zu der Praxis, dass etwa ein Drittel aller Patienten, einschließlich der Unversicherten, im Krankheitsfall unter Umgehung des Hausarztes einen Krankenwagen rufen oder sich direkt in die Notaufnahme eines Krankenhauses begeben (BFA, a.a.O., S. 14). Darüber hinaus sind anerkannt Schutzberechtigte, ebenso wie bulgarische Staatsangehörige, mit den sich aus dem problematischen Zustand des nationalen Gesundheitssystems, das unter großen materiellen und finanziellen Mängeln leidet, ergebenden Problemen konfrontiert. Diese können dazu führen, dass eine adäquate Behandlung für Folteropfer und Personen mit psychischen Problemen nicht zur Verfügung steht (aida, a.a.O., S. 61). Auf Grund der gewährleisteten Notfallversorgung kann jedoch für anerkannt Schutzberechtigte ein auf einer Erkrankung beruhendes ernsthaftes Risiko extremer Not im Falle einer Rückkehr nach Bulgarien nicht angenommen werden.
Zusammenfassend ist nach dem Vorstehenden festzuhalten, dass sich die Situation für anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien insbesondere auf Grund der dortigen wirtschaftlichen Verhältnisse nach wie vor als schwierig darstellt und die notwendigen Mittel für den Lebensunterhalt einschließlich der Unterbringung allein durch eigene Erwerbstätigkeit erlangt werden können, jedoch ein von dem eigenen Willen eines arbeitsfähigen und gesunden anerkannt Schutzberechtigten unabhängiger „Automatismus der Verelendung“ bei einer Rückkehr nach Bulgarien auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu erwarten ist.
Diese Wertung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der bulgarische Ausweis des Klägers nach seinem Vortrag im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr gültig ist. Denn der Kläger hat im Falle einer Rückkehr nach Bulgarien das Recht, eine Verlängerung des bulgarischen Identitätsdokuments zu beantragen, wenn dieses abgelaufen, der anerkannte Schutzstatus jedoch nicht erloschen ist. Ein verspäteter Antrag (mehr als 30 Tage nach dem Ende der Gültigkeit des Dokuments) kann ein Bußgeld zur Folge haben (AA, Auskunft an das VG Stade vom 12.5.2021), die Ausstellung eines neuen Identitätsdokuments ist dadurch jedoch nicht ausgeschlossen, zumal jeder anerkannt Schutzberechtigte zwangsläufig über eine eindeutige Identifikationsnummer in der nationalen Datenbank (ECΓPAOH) registriert ist (aida, a.a.O., S. 79 f.).
Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger der internationale Schutz mittlerweile entzogen wurde bzw. dieser erloschen ist oder ihm dieser bei einer Rückkehr nach Bulgarien entzogen wird. Es kann deshalb offenbleiben, inwieweit dies überhaupt einer Rücküberstellung nach Bulgarien entgegenstehen könnte.
Grundsätzlich ist der in Bulgarien gewährte internationale Schutz unbefristet. Gemäß Art. 12 Abs. 1 des bulgarischen Asyl- und Flüchtlingsgesetzes (LAR) soll der Flüchtlingsstatus entzogen werden, wenn:
a) es gibt ernsthafte Gründe für die Annahme, dass eine Handlung begangen wurde, die nach den nationalen Rechtsvorschriften und den internationalen Verträgen als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert ist;
b) es bestehen schwerwiegende Gründe für die Annahme, dass die betreffende Person ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des bulgarischen Hoheitsgebietes begangen hat;
c) es bestehen ernsthafte Gründe für die Annahme, dass er oder sie Handlungen begeht oder zu Handlungen anstiftet, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen;
d) der Flüchtling genießt den Schutz oder Beistand anderer Stellen oder Organisationen der Vereinten Nationen;
e) die zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen ständigen Wohnsitz hat, haben die Rechte und Pflichten anerkannt, die sich aus der Staatsangehörigkeit des Landes ergeben;
f) es liegen stichhaltige Beweise dafür vor, dass er oder sie eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder, nachdem er oder sie wegen einer schweren Straftat verurteilt wurde, eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt.
Die Flüchtlingseigenschaft soll auch entzogen werden, wenn der Flüchtling eine falsche Identität verwendet oder ein nicht echtes, gefälschtes Dokument oder ein Dokument mit falschem Inhalt vorgelegt hat, wobei er weiterhin auf dessen Echtheit besteht, oder wenn er vorsätzlich in mündlicher oder schriftlicher Form falsche Angaben gemacht oder wesentliche Informationen über seinen Fall zurückgehalten hat.
Der subsidiäre Schutz soll entzogen werden, wenn:
a) die gleichen Gründe vorliegen, die für die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gelten;
b) ernsthafte Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Schutzberechtigte eine schwere Straftat begangen hat;
c) der Schutzberechtigte außerhalb des bulgarischen Hoheitsgebiets eine Straftat begangen hat, für die das nationale Recht eine strafrechtliche Sanktion wie Freiheitsentzug vorsieht;
d) der Inhaber sein Herkunftsland nur deshalb verlassen hat, um sich der Strafverfolgung zu entziehen, es sei denn die Strafverfolgung gefährdet sein Leben oder ist unmenschlich oder erniedrigend;
e) es bestehen schwerwiegende Gründe für die Annahme, dass er oder sie eine ernsthafte Gefahr für die Gesellschaft des Aufnahmelandes oder die nationale Sicherheit darstellt.
Dem aida „Country Report: Bulgaria“ - update 2020 ist zu entnehmen, dass aus den genannten Gründen im Jahr 2020 lediglich 8 Personen der Flüchtlingsstatus bzw. der subsidiäre Schutz entzogen wurde (aida, a.a.O., S. 84).
Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass im Falle des Klägers einer der aufgeführten Gründe für einen Wiederruf seines Schutzstatus erfüllt ist oder dies von Seiten der bulgarischen Behörden unterstellt wird.
Soweit im aida „Country Report: Bulgaria“ - update 2020 auf die zum 20. Oktober 2020 eingeführte (weitere) Möglichkeit des Widerrufs des internationalen Schutzstatus bei fehlender bzw. verspäteter Verlängerung der Ausweispapiere gemäß Art. 42 Abs. 5 LAR hingewiesen wird, von der im Jahr 2020 insgesamt 886 anerkannt Schutzberechtigte betroffen gewesen sein sollen (aida, a.a.O., S. 82 f.), ist die Staatliche Flüchtlingsagentur Bulgariens auf Nachfrage des Auswärtigen Amtes der Darstellung im aida-Report entschieden entgegengetreten und hat diesem gegenüber (wiedergegeben in der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 12.5.2021) ausgeführt, dass die genannte Darstellung ungenau sei und den Eindruck erwecke, es würden zusätzliche Gründe für die Beendigung des zuerkannten Schutzes über die Regelungen des europäischen Rechts und im Abkommen über die Rechtstellung der Flüchtlinge von 1951 hinaus eingeführt. Es entstehe der Eindruck, dass das Fehlen von gültigen bulgarischen Ausweispapieren als ausdrücklicher Grund für die Beendigung des internationalen Schutzes angegeben sei, was nicht stimme. Die Gründe für die Beendigung des internationalen Schutzes seien in Art. 17 Abs. 1 LAR abschließend aufgeführt.
Diese Vorschrift lautet:
„Der zuerkannte internationale Schutz wird beendet, wenn:
1. der Ausländer es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz seines Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, weil die Umstände, die ihn vor Verfolgung fürchten ließen, weggefallen sind und die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist;
2. der Ausländer freiwillig den Schutz seines Herkunftsstaates in Anspruch nimmt;
3. der Ausländer nach dem Verlust seiner Staatsangehörigkeit diese wiedererlangt hat oder eine neue Staatsangehörigkeit in einem anderen Staat erworben hat;
4. der Ausländer die bulgarische Staatsangehörigkeit erworben hat;
5. der Ausländer sich freiwillig in dem Staat niedergelassen hat, in dem er verfolgt worden ist;
6. der Präsident dem Ausländer Asyl gewährt hat;
7. der Ausländer eindeutig abgelehnt hat, als Person mit einem zuerkannten internationalen Schutz in der Republik Bulgarien anerkannt zu werden;
8. der Ausländer stirbt.“
Der Text der Neuregelung des Art. 42 Abs. 5 LAR lautet:
„In Bezug auf einen Ausländer, dem internationaler Schutz zuerkannt worden ist und der keinen Antrag auf Ausstellung neuer Ausweispapiere gem. Abs. 1 und 2 in den Fällen und innerhalb der Fristen gem. Art. 63a Abs. 2 des Gesetzes über die bulgarischen Ausweispapiere gestellt hat, kann ein Verfahren zur Aberkennung oder Beendigung eines zuerkannten internationalen Schutzes eingeleitet werden, wenn der Ausländer keine Beweise dafür liefert, dass er seine Pflicht aus objektiven Gründen nicht erfüllen konnte.“
Nach der Stellungnahme der Staatlichen Flüchtlingsagentur Bulgariens gegenüber dem Auswärtigen Amt seien sowohl bulgarische Staatsangehörige als auch Personen, denen der internationale Schutz zuerkannt worden sei, verpflichtet, einen Antrag auf Neuausstellung abgelaufener Dokumente jeweils unterschiedslos innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf des jeweiligen Dokuments zu stellen. Die Nichterfüllung dieser gesetzlich vorgeschriebenen Pflicht zur Erneuerung von bereits abgelaufenen Ausweispapieren von Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der humanitäre Status zuerkannt worden sei, sei jetzt ein Grund dafür, ein Verfahren zur Überprüfung des Sachverhaltes in Bezug auf den Bedarf bzw. den Wunsch des Ausländers, den ihm zuerkannten Schutz weiter in Anspruch zu nehmen, einzuleiten. Der neue Wortlaut des Asyl- und Flüchtlingsgesetzes ermögliche es - in Übereinstimmung mit Art. 44 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie) - eine Prüfung zur Aberkennung des internationalen Schutzes einer Person einzuleiten, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutrage träten, die darauf hindeuteten, dass Gründe für eine Überprüfung der Berechtigung internationalen Schutzes bestünden. Der neue Wortlaut des Asyl- und Flüchtlingsgesetzes ermögliche es, im Falle eines eingeleiteten Verfahrens alle Tatsachen und Beweise angesichts der Überprüfung des bereits zuerkannten internationalen Schutzes zu analysieren und zu erörtern. Nach Darstellung der Staatlichen Flüchtlingsagentur Bulgariens sieht die Bestimmung des Art. 42 Abs. 5 LAR somit keine automatische Beendigung des internationalen Schutzes vor, sondern die Möglichkeit der Einleitung eines Verfahrens, in welchem das Vorliegen oder Fehlen der Voraussetzungen für die Beendigung des Schutzes gemäß Art. 17 Abs. 1 LAR detailliert zu überprüfen sind. Das entsprechende Verfahren ist nach Feststellung aller Tatsachen und Umstände mit der Ausstellung eines begründeten Verwaltungsaktes abzuschließen, der einer zweiinstanzlichen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (AA, Auskunft an das VG Stade vom 12.5.2021). Ein Wiederaufleben des Schutzstatus nach rechtskräftiger Aberkennung ist gesetzlich nicht vorgesehen, jedoch ist ein ehemals anerkannt Schutzberechtigter im Fall seiner Rückkehr nach Bulgarien berechtigt, erneut die Feststellung seiner Schutzberechtigung zu beantragen (AA, Auskunft an das VG Stade vom 12.5.2021).
Vorliegend bestehen weder Anhaltspunkte dafür, dass ein solches Überprüfungsverfahren in Bezug auf den Schutzstatus des Klägers eingeleitet wurde, noch dafür, dass diesem der internationale Schutzstatus entzogen wurde oder ihm bei einer Rückkehr nach Bulgarien der Schutzstatus aufgrund eines solchen Verfahrens entzogen wird.
Im Übrigen sind auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das obige Überprüfungsverfahren, das einer gerichtlichen Überprüfung über zwei Instanzen unterzogen werden kann, den sich aus Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK genügenden Anforderungen, die für die Frage der Rechtmäßigkeit einer Rücküberstellung nach Bulgarien allein maßgeblich sind, nicht genügt.
Aus dem Vortrag des Klägers und aus der Erkenntnislage ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbotes i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Bulgarien. Auf die vorstehenden Ausführungen zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG wird verwiesen. Individuelle Gründe, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen. Auch das allgemeine Risiko, bei einer Ausreise nach Bulgarien, das im Entscheidungszeitpunkt noch als Hochrisikogebiet in Bezug auf COVID-19 (s. https://auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bulgarien-node/bulgariensicherheit/211834#content_0 abgerufen am 1.12.2021) eingestuft ist, dort alsbald an dem SARS-CoV-2-Virus zu erkranken und infolge fehlender Behandlungsmöglichkeiten daran zu sterben, kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Denn § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst grundsätzlich nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen, da bei allgemeinen Gefahren gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG i.V.m. § 60a AufenthG über die Gewährung von Abschiebungsschutz im Wege politischer Leitentscheidungen entschieden werden soll (Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG) und hier nicht festgestellt werden kann, dass der Kläger bei einer Rücküberstellung nach Bulgarien wegen des SARS-CoV-2-Virus sehenden Auges in den Tod geschickt würde bzw. in Bulgarien schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen erleiden würde.
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 709 Satz 2, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.